bleisiegel

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Moderator: Lutz12

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kollman
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bleisiegel

Beitrag von kollman » So 27.08.06 10:02

bleisiegel. gehe ich recht in der annahme, dass sie von papst innozenz VI ist? was ist die leider fast gaenzlich verquetschte darstellung auf der einen seite? was wurde mit derartigen bleisiegeln ver- oder besiegelt?

danke fuer eure hilfe!
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bleisiegel innozenz av.jpg
bleisiegel innozenez rv.jpg

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Marc
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Beitrag von Marc » So 27.08.06 10:07

Wenn ich das richtig erkenne ist auf der einen Seite St. Petrus und St. Paulus, ist aber jetzt frei dahingesagt, kenne kein Orginal des Papstes, das ich es sicher sagen könnte.

Diese Siegel waren unter den Urkunden die der Papst versannte, z. B. an die Bischöfe.

klaupo
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Beitrag von klaupo » So 27.08.06 11:16

Die Bildseite sah ursprünglich mal aus wie abgebildet.

Gruß klaupo
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Inno-3a.jpg

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Gratianus
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Beitrag von Gratianus » Mo 28.08.06 21:29

Eine "päpstliche Bulle" von Papst Innozenz VI. Damit waren päpstliche Erlasse gesiegelt. Die päpstlichen Dokumente sind im gegenwärtigen offiziellen Sprachgebrauch als litterae apostolicae bekannt, wobei sich die einzelnen Urkundenarten durch beigefügte Wörter unterscheiden, z.B. litterae in forma brevis.

Weitere Varianten sind: Litterae gratiae (Gnadengewährung), litterae iustitiae (Anordnung oder Entscheidung bei gerichtlichen Angelegenheiten), litterae communes (Urkunden, die üblicherweise vor dem Papst gelesen werden konnten, wie Supplik und/oder Konzept und/oder Mundum), litterae dandae (Urkunden, die ohne Lesung erlassen werden), litterae cum serico (Urkunden mit Siegel an Seidenfäden), litterae cum filo canapis (Urkunden mit Siegel an Hanffäden).

Der Ausdruck bolla, der ursprünglich nur das Bleisiegel meinte, wurde im 13. Jh. auf eine spezifische Urkundenart übertragen und war von den Zeitgenossen schon lange für alle Urkunden mit Bleisiegel verwendet. Breven dürfen nicht als Bullen bezeichnet werden. Und umgekehrt ist der Ausdruck Breve für Urkunden vor dem Jahr 1400 anachronistisch. Heute bezeichnet die offizielle Sprache der Kurie, wie sie sich seit dem letzte Jahrhundert entwickelt hat, die bolla als constitutio (Bullen im engeren Sinne), litterae apostolicae sub plumbo datae (wissenschaftlich litterae) oder litterae decretales (Konsistorialbullen) und die Breven als litterae apostolicae. Der Brief mit eigenhändiger Unterschrift des Papstes wird chirographus genannt.

Die päpstliche Sphragistik unterscheidet sich hauptsächlich durch zwei verschiedene Arten der Besiegelung von Urkunden: einerseits die hängende Bleibulle (selten Goldbulle) und andererseits das aufgedrückte Wachssiegel oder anulus piscatoris.

Die Bulle, die auf großen und feierlichen Privilegien sowie einfacheren Aufträgen oder Briefen befestigt wurde, stellt eines der wichtigsten diplomatischen Merkmale der päpstlichen Dokumente dar. Die Ikonographie betrachtend behalten die Bullen der römischen Päpste seit Paschalis II. (1099-1118) im Kompositionsschema das formale Erscheinungsbild unverändert bis in unsere Tage. Selbst mit den Varianten, bedingt durch den künstlerischen Zeitgeschmack, drückt eine solche Erstarrtheit in der Darstellung den Wunsch aus, mit einem festen Bild die Beständigkeit der Kirche durch die Jahrhunderte zu übermitteln. Die beiden Seiten der Bullen zeigen in der Tat recto die Köpfe Petrus’ und Paulus’ mit der Schrift S(anctus) PE(trus) / S(anctus) PA(aulus) und verso den Namen des Papstes, den Titel und die Ordinalzahl der Nachfolge. Das plastisch gestaltete Gesicht der Apostel zeigt gewellte Haare und Bart beim Hl. Paulus und einen kurzgelockten Bart beim Hl. Petrus. Vor Papst Paschalis II. schwankt die Ikonographie von einfachen Namenstypen bis zu deutlicheren Charakterisierungen. Technisch gesehen erfolgte die Anfertigung einer Bulle durch Prägung eines Bleiplättchens mit Matrizen aus Metall, die auf einem zangenartigen Gerät mit immer größer werdendem Maul montiert waren. Durch das Pressen auf das Blei wird nicht nur das Metall flach gedrückt und geprägt, sondern auch der Faden zur Aufhängung, der zuvor durch ein Loch im Blei gezogen wurde, fixiert.

Nach dem Tode eines jeden Papstes wurde die Matrize mit seinem Namen vernichtet, während jene mit dem Gesicht der Apostel vom Nachfolger wiederverwendet und nur im Falle einer Beschädigung ersetzt wurde. Falls der neugewählte Papst in der Zeit zwischen seiner Wahl und Krönung Dokumente herausgeben musste, verwendete er die sogenannte bulla dimidia, das heißt eine Bulle, die nur die Seite mit den Apostelköpfen geprägt hatte und die andere glatt ließ. Diese Eigentümlichkeit erklärt sich aus der Tatsache, dass der Papst erst nach der Krönung seinen neuen Namen auf die Matrize eingravieren lassen konnte.

Noch ein paar Eckdaten zu Innozenz VI damit man das Siegel zeitlich einordnen kann:

INNOZENZ VI., Papst, + 12.9. 1362.
Stephan Albert (od. Aubert), gebürtig aus Mont b. Beyssac (Limoussin), studierte die Rechte und war später Professor für Zivilrecht in Toulouse, anschließend bekleidete er das Amt des Großrichters der Landvogtei Toulouse. I. wurde Bischof von Nismes (1337), von Noyon (1338) und von Clermont (1340). 1345 wurde Innozenz zum Kardinal ernannt. 1345 führte er als Gesandter einen Waffenstillstand zwischen den sich bekriegenden Königen von Frankreich und England herbei. 1352 wurde er Kardinalbischof von Ostia und Velletri und Großpönitentiar der römischen Kirche.

Als Nachfolger Clemens' VI. wurde Innozenz VI am 28.12. 1352 in Avignon gewählt. Zur Wahl stellten die Kardinäle erstmals eine Wahlkapitulation auf, die I. 1353 für nichtig erklärte. Er führte Reformen des gesamten päpstlichen Hofes durch, beschnitt selbst die Privilegien der Kardinäle und verminderte die Ausgaben des Hofes.

Zur Neufestigung der päpstlichen Herrschaft, und um die Rückkehr der Päpste nach Italien vorzubereiten, entsandte er den überragenden Kardinal Ägidius Albornoz, dies gelang diesem im Verlauf von 4 Jahren. Die »Constitutiones Aegidianae« wurden Grundlage der Rechtssprechung und Administration im ganzen Kirchenstaat.

Zu Karl IV. hatte Innozenz gute Beziehungen und ließ ihn 1355 in Rom durch einen Legaten krönen. Papst Innozenz erhob keinen Protest, als die Goldene Bulle (1356) das päpstliche Bestätigungsrecht der deutschen Königswahl und das Reichsvikariat für Italien nicht erwähnte.

Im hundertjährigen Krieg vermittelte Innozenz VI zwischen Frankreich und England den Frieden von Bretigny (1360). Er förderte die französische Herrschaft in Unteritalien. In Konstantinopel bemühte er sich vergeblich um Union und Kreuzzug. I. war ein sittenstrenger und sparsamer Papst, hielt sich aber nicht frei von Nepotismus (er bevorzugte Verwandte und Landsleute). Bei der Ordensreform ging er gegen Spirituale und Fratizellen streng vor.
Innozenz galt als ein Freund der Gelehrten, er schätzte Petrarca und rief ihn an seinen Hof. Er stand im Rufe großer Rechtschaffenheit, seine Hauptaufgabe sah er mehr in der Wiederherstellung von Ruhe, Ordnung und Frieden.

(Quellen: Vatikanisches Geheimarchiv und Biografisches Kirchenlexikon)

Hier mal das Bild eines kompletten Dokumentes mit Bleisiegel von Alexander IVaus dem Vatikanischen Geheimarchiv.
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Dokument Alexanders IV 21.Juli 1255 mit Bleisiegel.jpg

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chinamul
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Beitrag von chinamul » Di 29.08.06 11:38

Sehr interessante Ausführungen! Viele Details waren mir bisher unbekannt, obwohl ich solche Bleisiegel schon in der Hand hatte und auch wußte, um was es sich da handelte.
Danke für die Mühe, die Du Dir gemacht hast!

Gruß

chinamul
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