Literatur zu Byzanz

Münzen des alten Byzanz

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Literatur zu Byzanz

Beitrag von Posa » Di 20.04.10 23:00

Hallo zusammen,

byzantinische Numismatik ist ein spezielles Thema, das spezielles Wissen mit sich bringt und voraussetzt. Hilfe Nr. 1 dabei ist und bleibt analoge Literatur. Den meisten von uns ist Ostrogorsky ein Begriff, Fischers Weltgeschichte Band 13 wohl auch, aber leider ist manches darin falsch oder halbwahr, weil überaltet. Es gibt eine Menge Literatur - direkt zur Numismatik oder zum Gesamtkomplex Byzanz - die uns ein Stück weiterbringen kann. Was kennt ihr, was haltet ihr für wichtig? Was hält einer für wichtig und ein anderer für gefährlichen Unfug? Das würde mich interessieren; profitieren können alle davon. Ich möchte heute den Anfang machen mit einer umfangreicheren Besprechung, sicherlich muss in vielen Fällen eine knappere Darstellung reichen. Es wäre aber kein gutes Zeichen, wenn dem nichts folgen würde.

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Re: Literatur zu Byzanz

Beitrag von Posa » Di 20.04.10 23:11

Mischa Meier: Anastasios I., Die Entstehung des Byzantinischen Reiches. Stuttgart 2009, Klett Cotta, ,443 Seiten.

Mischa Meier – übrigens der Autor des legendären „apopudobalia“-Artikels im Neuen Pauly – ist Professor für Alte Geschichte in Tübingen. Ein Schwerpunkt seiner Forschungen liegt im Zeitalter Justinians, auch das schmale, lesenswerte Büchlein aus der BeckWissen-Reihe zu Justinian stammt aus Meiers Feder.
Zunächst die technischen Daten: Das Buch hat 443 Seiten, davon gut 110 Anhang, also Herrscherlisten, Quellen, Literatur und Anmerkungen, weiters einige Karten im Text und 19 sw-Abbildungen, allesamt zeitgenössische Darstellungen des Kaisers (ja, auch Münzen).
Wer ein Viertel seines Buches Listen, Quer- und Weiterverweisen zur Verfügung stellt, scheint Nachhol- und Ergänzungsbedarf zu sehen.
Meier gibt im Vorwort Ziel und Absicht seines Buches an: einen lesenswerten, deutschsprachigen Überblick auf aktuellem Stand für Laien wie für Forschende – und genau macht das Buch wertvoll. Meier ist kein Meister deutscher Prosa, aber er schreibt klar und verständlich, bisweilen sogar spannend, jedoch ohne Präzision zu verlieren, wo diese möglich ist. Um den Leser nicht zu überladen gibt es hunderte Anmerkungen, losgelöst vom Text, die entweder auf Literatur verweisen, nochmals in die Tiefe gehen oder beides. Somit ist Meiers Buch auch ein Überblick über einschlägige Sekundärliteratur. Und das ist viel wert.

Die Quellenlage zu Anastasios ist vielfältig aber doch wieder karg. Vieles lässt sich nur im Vergleich der Quellen untereinander rekonstruieren. Und hier liegt die eigentliche Stärke des Buches. Meier stellt die Quellen vor, gibt Inhalte wieder und bietet Deutungshilfen an, indem er vergleicht, gewichtet und aufmerksam macht. Er fächert das Bündel der Überlieferung auf und gibt dem Leser dienliche Hinweise. Ob das der Wahrheit letzter Schluss ist, wissen weder der Leser noch Meier selbst, angenehm ist, dass der Autor es nie behauptet.

Und so wird der Leser über neun Kapitel durch die Zeit des Anastasios geführt: I. Anastasios und seine Welt, II. Ringen um Stabilität: Das Römische Reich im 5.Jhdt, III. Der ungeliebte Kaiser (491-498), IV. Reformen nach Innen, Absicherung nach Außen: Die Konsolidierung des Oström.Reiches (498-512), V. Die Bewährungsprobe: Krieg gegen die Perser (502-506), VI. Ein Blick nach Westen (504-514), VII. Die Eskalation der religiösen Konflikte (506-512), VIII. Die letzten Jahre (512-518), IX. Epilog.

Anastsios´ Biographie, das merkt man rasch, wäre schnell erzählt, man weiß einfach zu wenig. Erkenntnisreicher sind die eigentlichen Exkurse: Wer waren diese Isaurier? Wie gestaltete sich das sassanidisch-römische Verhältnis genau? Was tat Anastasios innen-, finanzpolitisch noch, außer Münzen zu prägen, bzw. was ließ er tun und von wem?
Das Buch bietet Informationen weit über das (von mir) bisher bekannte Maß hinaus und vor allem auf aktuellem Stand. Es schlägt den historischen Bogen von den republikanische Anfängen der res publica bis weit in die byzantinische und zentraleuropäsche Geschichte hinein und präsentiert Anastasios als Erben und Neuerer, dessen eigentliche Leistung in der Konzentration auf den Osten liegt – mit der Konsequenz der Preisgabe und letztendlichen Ablösung des Westens.

Was gibt es zu kritisieren? - Wenig. Manches ist schade. In einigen Bereichen habe ich mir neue Erkenntnisse gewünscht und nicht erhalten. So weiß Meier über die Hintergründe der Münzreform wenig (≠nichts!) Neues zu berichten. Dies ist aber nicht seine Schuld. Auch reitet jeder Forscher sein Steckenpferd. Meier wird nicht müde zu betonen, dass die Zeitgenossen im Zeitalter des Anastasios eine Endzeit sahen und dies deutlich kundtaten. Das ist bisweilen eine Verständnishilfe für den Wortlaut der Quelle, letztendlich herrschte aber im religiös rührigen Osten immer irgendwie Endzeitverdacht, sodass der konkrete Erkenntnisgewinn bisweilen ausbleibt. Meier ist es wichtig.
Ermüdend dürfte für manch einen auch der üppig ausgestaltete theologische Hintergrund werden, aber auch da kann man die Schultern heben und sagen: Byzanz eben, das gehört dazu.
An dieser Stelle sei gesagt, dass sich das Buch durch seien multithematischen Aufbau sehr gut zu selektivem Lesen eignet: Der Perserkrieg als solcher ist auch ohne die vorangehende Konsolidierungspolitik zu verstehen – interessanter wird er freilich vor deren Hintergrund.

Liest man Texte rund um das Buch, in denen immer wieder den Leuten erklärt wird, wer dieser Anastasios nun eigentlich war, und warum Sie ein Buch über einen Kaiser kaufen sollen, von dem sie noch nie etwas gehört haben, und wenn man bedenkt, wie knapp der Raum der Münzprägung innerhalb dieses Großkomplexes „Anastasios“ ist, wird einem erst wieder bewusst, mit welch exotischen Dingen man sich als Sammler abgibt. Das Buch ist mit fast 30 € eigentlich fast schon günstig.

Kaufen, lesen, besserwissen!

Gruß Posa

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Re: Literatur zu Byzanz

Beitrag von Wurzel » Mi 21.04.10 17:09

Hallo Posa,

danke Dir. Und da es wichtig ist habe ich es mal "Wichtig" gemacht :D
http://www.wuppertaler-muenzfreunde.de/

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Literatur zu Byzanz

Beitrag von Posa » Mi 21.04.10 22:41

Otto Mazal: Handbuch der Byzantinistik, Geschichte – Religion – Gesellschaft – Sprache - Kunst. Verschiedene Drucklegungen: ADEVA Graz 1989, ALBUS im VMA-Verlag, Wiesbaden 1997, 280 Seiten.

Sicherlich eines der wirklich praktischen Nachschlagebücher mit Informationen zu sehr vielen Themen: Gegenstand und Aufgaben der Byzantinistik, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, Kirche, Hagiographie, Liturgie Musik, Literatur aller Sparten (auch Wissenschaften: Musik, Medizin, Geographie,…), Bildungswesen, Mosaik, Tafelmalerei, Glas und Keramik und vieles, vieles mehr. Numismatik, Epigraphik, Sphragistik (Siegel), Handschriftenkunde,… und Metrologie werden im Kapitel der Hilfswissenschaften zusammengefasst.
Es ist ein Nachschlagewerk, keineswegs elektrisierend zu lesen, aber dafür hochgradig informativ. Die Informationen sind naturgemäß knapp gehalten (Numismatik etwa 2 Seiten), dafür relativ aktuell, auf basaler Ebene umfassend und von einem renommierten Fachmann seiner Zunft.
Mazal war Professor für Byzantinistik in Wien und großer Handschriftenkenner, er verstarb 2008.
Im regulären Handel vergriffen, antiquarisch meist ab 10€, mit etwas Glück für weniger bei Internetauktionen.

Gruß Posa

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Re: Literatur zu Byzanz

Beitrag von Truben » Fr 23.04.10 21:43

Hallo Posa,
was Du schreibst, ist sehr spannend für mich. Vielen Dank dafür! Ich wünsche mir mehr davon :D
LG
Truben

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Re: Literatur zu Byzanz

Beitrag von Scheleck » So 02.05.10 12:16

Hallo Posa,
herzlichen Dank für die sehr informativen Buchrezensionen, sie erleichtern deutlich die Suche nach
qualitativ guter Literatur zur Byzantinistik. :D
Mit besten Grüßen Scheleck
Das Auge schläft, bis es der Geist mit einer Frage weckt.

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Re: Literatur zu Byzanz

Beitrag von Posa » Mo 03.05.10 23:39

Danke für das Schulterklopfen! Die kleine Pause war keine Ziererei. Arbeit geht bisweilen leider vor...

Hans-Wilhelm Haussig: Kulturgeschichte von Byzanz. Kröner, Stuttgart,1959. 624 Seiten, einige s/w-Abbildungen und Karten

Ein etwas älteres Werk, was dem Leser mehr an Vorsicht abverlangt, aber trotzdem reich belohnt. Kenntnisreich führt der Autor, ebenfalls Autor des alten "Byzanz"-Bandes der Urban/Kohlhammer-Reihe, Mitherausgeber eines umfangreichen mythologischen Wörterbuchs und einer Herodotübersetzung, durch 1000 Jahre byzantinische Kulturgeschichte. Er geht dabei weitgehend chronologisch und innerhalb der Zeitblöcke thematisch vor. Das führt bisweilen zu Doppelungen, macht das Buch aber für thematisches Lesen ungemein brauchbar. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Aspekte finden dabei stärkere Beachtung als künstlerisch-musische. Das ganze Buch krankt etwas an dem ständigen Nachweisverlangen, wie wichtig Byzanz für die westlich-abendländische Zivilisation doch ist. Das ist etwas aus der Zeit heraus verständlich: Rückbesinnung nach der Barbarei usw.
Trotzdem bietet es im handlichen Format eine immense Fülle an Informationen zu teilweise unüblichen Themen, hier sind noch Reste der Gelehrtentradition des 19.Jhdts zu spüren: Alles Wissen ist gut. Alles wissen ist besser. Da hat sich seither freilich einiges getan, dennoch muss es m.E. nicht immer die neueste (wissenschaftliche) Publikation sein.
Preis: ab erfreulichen 5€ im Internetantiquariat eurer Wahl

Gruß Posa

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Re: Literatur zu Byzanz

Beitrag von Posa » Do 06.05.10 23:08

Jetzt mal tatsächlich zu Münzen: Ein Katalog, der mich immer wieder aufs Neue fasziniert:

Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg: Die Münzen des Byzantinischen Reiches, Katalog der Münzen der Universitätsbiblothek Erlangen-Nürnberg, Band 10, Erlangen, 2007, 268 S.

Er fasziniert mich deshalb, weil ich eigentlich kaum Bücher mit besseren Abbildungen von byzantinischen Münzen kenne, die sind wirklich exqusit: alle leicht (2:3) bis stark (1:4) vergrößert, gute Auflösung, alle (original-)farbig. Gleichzeitig überrascht die Sammlung mit erstaunlich vielen "Die-gehen-bei-ebay-wochenlang-nicht-für-einen-€uro-weg-Münzen". Unglaublich, ich habe noch nie so gute Abbildungen von so einem Schrott gesehen.(Zitat: "Die Münze ist durch Korrosion und Sinterauflagen völlig zerstört. Vielleicht lässt sich in der Bildmitte der linken Aufnahme noch der Teil der Gesichtslinie mit Nasenspitze ausmachen...")
Aber ernsthaft: Die Abbildungen sind wirklich klasse, es ist eine spannende Sammlung mit viel Edelmetall, vor allem aber durch die Flankierung durch fast 50 Münzen armenischer Könige und gut 40 Münzen der Kreuzfahrerstaaten.
Etwas schwach ist die Zitierkultur, da wäre durch etwas mehr Forschung (i.e. blättern) sicherlich noch mehr drin gewesen. Außerdem heißt hier "Katalog" wirklich nur Katalog. Wer gerne Bilder schaut und ungern liest und viel Geld übrig hat, findet hier das Richtige.

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Basil
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Re: Literatur zu Byzanz

Beitrag von Basil » Fr 07.05.10 10:05

Im Rahmen meiner Arbeiten zu den byzantinischen Elektron- Skyphaten hatte ich Gelegenheit die Sammlung in Erlangen (Byzanz ist nur ein geringer Teil davon) eingehend zu studieren. Der Band 10 existierte damals noch nicht, es war aber die Rede davon. Was die Zitierkultur betrifft, so sollte man berücksichtigen, dass der Grundstock der Sammlung zu einem Zeitpunkt angelegt wurde, als man nur den Sabatier bzw. etwas später noch den Ratto zur Verfügung hatte. Zudem war der Sammler ein Generalist, bei dem Byzanz bestimmt nicht die Hauptrolle gespielt hat. Die Sammlung wird begleitet von unglaublich vielen,wertvollen, metallurgischen Untersuchungen für die sich bis heute leider keine ernsthaften Interessenten finden. Ein generelles Problem in der deutschen Wissenschaft: "Die Scheu vor interdisziplinarer Arbeit".

Basil

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Re: Literatur zu Byzanz

Beitrag von Posa » Fr 07.05.10 12:19

Versteh mich nicht falsch, es wird zitiert und es wird vernünftig zitiert, häufig auch mit zwei Belegstellen (Sear, MIB, DOC,), aber wir wissen auch, wie präzise ein Zitat mit nur einer Searnummer ist. Zumal manchmal sehr sorgfältige Angaben erfolgen. Abbildungen und Sammlung sind klasse (die meisten Universitätssammlungen haben einfach viele "Belegmünzen"), nur denke ich, es wurde die Chance verpasst ein wirklich fundiertes Standardwerk zu schaffen. Noch trauriger vor dem von die beschriebenen Hintergrund: Was wäre das für ein Katalog geworden - kombiniert mit metallurgischen - zumindest - Hinweisen, Erläuterungen.

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Re: Literatur zu Byzanz

Beitrag von Posa » Mo 10.05.10 22:26

Ich bin ein kleiner Fan der Reihe "Wissen" des Beck Verlages: Zumeist sehr fundierte, kompakte Informationen zu einem Thema von absoluten Spitzenleuten für 8,95€, das ist schon einiges Wert. Nicht, dass ich 8,95 für wirklich billig halte, aber es ist bezahlbar und mann bekommt etwas geboten. Einige Bücher dieser Reihe haben auch "Byzanz" zum Thema. So zum Beispiel:

Ralph-Johannes Lilie: Byzanz, Geschichte des oströmischen Reiches 326-1453, 128 S.: mit 2 Karten. Paperback, C.H.Beck ISBN 978-3-406-41885-3
Tja, dazu kann ich leider wenig sagen, außer, dass der Autor nun wirklich Fachmann ist. Ich habe es mal ausgeliehen und nach einigen Seiten wieder weggelegt, ich glaube mich zu erinnern, dass es mir etwas holzschnittartig vorkam, was aber bei Umfang und Anspruch kein Wunder, dem Buch also nicht anzukreiden ist, sondern eben nur heißt: Es ist ein Einstiegsbuch, dafür vermutlich aber ein richtig gutes.

Dann gibt es noch das hier:
http://books.google.com/books/p/c_h_bec ... hl=de&cd=1
Mischa Meier: Justinian. Herrschaft, Reich und Religion
Sehr empfelenswert. Den Autor muss ich nicht mehr vorstellen. Kernthese des Buches ist die Feststellung, dass es "das Zeitalter Justinians" nur existiert, weil zufällig diese lange Zeit ein und derselbe Regent den byzantinischen Thron besetzte. Meier zeigt subtil die Brüche auf, die diese Zeitspanne durchziehen, die Veränderungen, die das Reich aus der Spätantike zerrten und es langsam in ein byzantinisches Reich übergleiten ließen oder es geradezu hinüberkatapultierten. Meier beginnt sinnvollerweise bei Justinus und zeichnet die Entwicklung des Reiches parallel zu den Handlüngsbemühungen des Kaisers: vom tatkräftigen Beginn über die lähmende Katastrophenzeit um 540 bis hin zur stark religionsorientierten Spätphase bis 565.
Justinianus begegnet dem Leser hier weder als der Kriegsheld und Einiger noch als der katastrophale Versager, sondern als jemand, der versuchte zu gestalten, dem manches gelang, dem manches dazwischenkam und dem manches missglückte.

Und zu guter - vorerst - Letzt:
Peter Schreiner: Konstantinopel. Geschichte und Archäologie. 2007. 128 S.: mit 1 Diagramm sowie 9 Plänen und Karten. Paperback, C.H.Beck ISBN 978-3-406-50864-6
Schreiner weist gleich zu Beginn darauf hin, dass ein archäologischer Führer der antiken Stadt Konstantinopel nicht besonders ergiebig wäre: zu wenig ist erhalten. Somit geht der Autor einen anderen Weg: Er unternimmt den Versuch einer kulturhistorischen Stadtgeschichte und gliedert nicht räumlich sondern thematisch: Die Stadt als Reichszentrum, als Stadt eines Hofes, als Lebensraum einer städtischen Bevölkerung, als Wirtschaftsmetropole, als religiöser und als geistiger Mittelpunkt. Die Übersicht beschließt mit einigen knappen Stimmen weniger Zeitgenossen des alten Konstantinopel über "ihre" Stadt.
Gerade vor dem Hintergrund, dass sich Byzanz im Laufe seiner Zeit (mitunter schlagartig) vom "Flächenstaat mit glanzvoller Metropole" zum "Stadtstaat mit spärlichem Ackerland und befreundeten Städten" entwickelte, macht eine Auseinandersetzung mit der Stadt vielleicht nicht gerade unabdingbar, aber dennoch sehr gewinnbringend.

Die Stärke aller Bücher dieser Reihe ist zugleich ihr Schwachpunkt: kompakt ist manchmal einfach nur beschnitten, bescheiden, zu wenig. Für Gesamtbyzanz waren mir 120 Seiten wohl zu wenig, für Justinian wäre an manchen Stellen mehr schön gewesen und für Konstantinopel als Stadt hat es mir vollauf gereicht. Ich habe es in Etappen gelesen.

Gruß Posa

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Re: Literatur zu Byzanz

Beitrag von Posa » Mo 31.05.10 09:56

Walter E. Kaegi: Heraclius, Emperor of Byzantium. Cambridge University Press, 2003. Hardcover, 360 Seiten.

Wie der Titel vermuten lässt, kommen wir so langsam zum schwerer zugänglichen Teil der Byzantinistik. Ein Gutteil byzantinistischer Literatur ist schließlich nicht in deutscher Sprache verfasst oder zumindest in sie übersetzt worden. Mit Englisch kommt man, wie in allen Wissenschaftsbereichen, ziemlich weit; Französisch ist für viele ältere Werke auch von Vorteil; andere romanische Sprachen bringen weniger, Italienisch noch am ehesten. Ein nicht zu vernachlässigender Teil wurde in russischer Sprache veröffentlicht, manches davon hat über die DDR-Wissenschaft allerdings den Weg ins Deutsche geschafft. Sondersachen natürlich in Bulgarisch und Griechisch. Trotzdem gilt: nur mit Deutsch kommt man weit, mit Englisch viel, viel weiter und der Rest ist Zusatzspaß.

Das Buch hat sich schnell zur Standardveröffentlichung zu Heraklios herausgemausert, der Grund dafür ist schnell gefunden: es ist im Sinne einer Biographie und im Rahmen der Möglichkeiten präzise und beeindruckend umfassend.

Die Quellenlage ist wie üblich nicht berauschend, jedoch verglichen mit anderen Epochen für manche Aspekte geradezu vielfältig. Die auftretenden Probleme sind ebenfalls die üblichen: zeitlich und räumlich weit divergierende, häufig bereits stark kontxtualisierende, interpretierende, wertende Quellen. Kurzes aufbereitetes Beispiel: Was auf den Feldzug im persischen Kernland, auf dem Kreuzzug gegen die bösen Feueranbeter geschah,wird von einer christlichen Chronik u.U. der mittelbyzantinischen Epoche in der von Bulgaren drangsalierten Hauptstadt mitunter munter ausgestaltet. Erfreulich ist die Miteinbeziehung nichtbyzantinischer Quellen etwa aus Armenien oder den islamisch-arabischen Gebieten.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Auseinandersetzung mit der Herakliosforschungs- und damit Deutungstradition. „Militärisches Genie“, „Perserbezwinger durch Entscheidungschlachten“, „großer Verwaltungsreformer“, „zerstörtes Lebenswerk“ und „Totalversagen gegen die Araber“ sind Aspekte, die Kaegi kritisch aufs Korn nimmt und – um beim Bild zu bleiben – abschießt. Kaum eine der ehemals vorgebrachten Thesen zeigt sich, zumindest in ihrer Absolutheit, haltbar:
„Militärisches Genie“: Die gegnerische Taktik, die Geländebegebenheiten und die eigenen Schwächen und Möglichkeiten in Einklang zu bringen hat wenig mit Genialität zu tun, sondern sind das Handwerkszeug eines jeden Generals. Man kann das besser oder schlechter machen.
„Perserbezwinger durch Entscheidungschlachten“: Die Perser waren nicht bezwungen, sie hatten innere Konflikte, auf die sie sich zu konzentrieren hatten und bei deren Lösung ein ewiger, unbrechenbarer Tunichtgut, der regelmäßig politische und militärische Einmischung betrieb, besser ausgeschaltet wurde – notfalls durch Zugeständnisse. Heraklios´ Perserpolitik wird als „talk-fight-fight-talk“ bezeichnet. Groß angelegte Spionage, gezielte Entführung von Würdenträgern und lokalen Kommandanten, diplomatische Bemühungen um Gegner und Gegnersgegner waren Mitbestandteil und nicht weniger Teil des Erfolges wie die Schlachten.
„Zerstörtes Lebenswerk“ und „Totalversagen gegen die Araber“: Die Erfahrungen aus dem Perserkrieg versuchte Heraklios für den Araberkampf fruchtbar zu machen. Er setzte dieselben Mittel ein. Zumindest die Schlachten brachten bekanntlich keinen Gewinn. Andere Aktionen hingegen waren erfolgreich. Das Kidnapping von Lokalgrößen muss gewissermaßen byzantinischer Volkssport geworden sein, was zwar die Besetzung nicht verhinderte, aber die Festigung einer Struktur auch erheblich erschwerte. So muss die arabische Besetzung der eroberten Gebiete mit einem Fragezeichen versehen werden. Um viele Gebiete ringen noch Heraklios Nachfolger mit den Arabern. Das byzantinische Reich verlor viele Gebiete, kollabierte aber nicht wie andere.
„Großer Verwaltungsreformer“: Die von Ostrogorsky prononcierte These entbehrt jeder beweisbaren Grundlage.

Kaegi zerlegt die Herakliosmythen durch Quellenforschung. Der Autor zeichnet das Bild eines Mannes, der „thirteen major crisis“ zu bewältigen hat und häufig aus verschiedenen Gründen dem Problem nicht gewachsen ist, sei es aus Resourcenmangel, Krankheit, Fehleinschätzung etc. Das Grundergebnis ist eine särkere Erdung des Heraklios, er wird durch dauernde Relativierung der alten Forschungsausrufezeichen eher zum Mittelmaß gestutzt. Kurioserweise ist das einzige was bleibt die Tatsache, dass er lang regierte, es furchtbar schwer hatte, ihm manches gelang und manches furchtbar daneben ging.
Das ist weniger beeindruckend, als alles, was man sonst so liest, und führt mich zum Hauptkritikpunkt an diesem Buch:
Quellen- und Forschungskritik ist konstituierender Bestandteil von Geschichtsforschung. Das ist gut und richtig. Die Geschichtwissenschaft hat sich allerdings stets über die sog. „Hilfswissenschaften“ erhoben mit dem Hinweis, dass sie mehr leiste. Dieses „mehr“ fehlt mir hier aber. Es reicht nicht, festzustellen, dass Bewertung schwierig ist und dass alte Deutungsmuster ins Leere greifen. Diese Arbeit ist sicherlich notwendig und wichtig aber nicht kreativ in dem Sinne, dass sie ein neues Herakliosbild lieferte. Sie ist Vorarbeit, „Hilfswissenschaft“ aber keine epochemachende Äußerung. Relativierung ist keine Deutung.
Man merkt das bereits beim Titel. „Heraklios, Kaiser von Byzanz“ ist kein Titel, sondern ein biblographisches Schlagwort.

Zum Abschluss ein Wort zur Aufmachung. Hier wurde ein Standardwerk angepeilt und sicherlich auch erreicht. Sie präsentiert sich allerdings schwächer als manche studentische „master thesis“. Was nutzt mir eine gerasterte s/w-Abbildung eines Solidus in Originalgröße, die sich, sobald ich mich ihr auf Detaildistanz genähert habe wieder in Rasterpunkte auflöst? Was nutzt mir ein Satelitenbild der möglichen Schachtlokalität vor Niniveh, wenn ganz links Niniveh zu sehen ist, dann 20000Felder und im rechten unteren Eck gerade noch eine verschähmte 1 zu sehen ist, die auf die „Probable site of battle“ verweist.
Dafür kann zumeist der Autor wenig. Vernünftige Bilder kosten Geld, aber ein vernünftiges Buch sollte vernünftige Bilder vorweisen können.

Gruß Posa

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Re: Literatur zu Byzanz

Beitrag von Submuntorium » So 06.06.10 20:36

Für alle die es noch nicht wissen:Der Gietl-Verlag möchte im Herbst diesen Jahres einen Katalog für Byzantinische Prägungen veröffentlichen.Er soll wohl eine Übersicht über die gesamte Prägung geben.
viele grüße,
Submuntorium

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Re: Literatur zu Byzanz

Beitrag von Zwerg » So 06.06.10 21:02

Ist bereits der Name des Autors bekannt?

Ich finde das Projekt äußerst mutig und begrüßenswert.

Beste Grüße

Zwerg
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Re: Literatur zu Byzanz

Beitrag von Scheleck » Mo 07.06.10 01:08

Hier die Ankündigung des Gietl-Verlages.

Andreas Urs Sommer
Die Münzen des Byzantinischen Reiches 491 - 1453
Mit einem Anhang: Die Münzen des Kaiserreiches von Trapezunt
1. Auflage 2010
ca. 600 Seiten, 17 x 24 cm, zahlreiche s/w Abbildungen, Hardcover

Erscheinungstermin: Oktober 2010
ISBN: 978-3-86646-061-4
Preis: 49,90 EUR

Dr. Andreas Urs Sommer ist durch seine zahlreichen Veröffentlichungen und Fachartikel in numismatischen Fachzeitschriften zum byzantinischen Münzwesen bekannt, u.a. hat er die Münzsammlung der Georg-August-Universität Göttingen im archäologischen Institut unter dem Titel "Katalog der byzantinischen Münzen" bearbeitet.
Mit besten Grüßen Scheleck
Das Auge schläft, bis es der Geist mit einer Frage weckt.

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