Beitrag
von Peter43 » Fr 29.09.17 14:56
Die Ituräer
Ausgangspunkt für diesen Artikel war das ITVR auf der Rückseite der folgenden Münze:
1. Münze
Syrien, Caesarea ad Libanum, Severus Alexander als Caesar unter Elagabal, 221-222
AE 21, 8.5g, 0°
Av.: [SEV ALEZAN]DROS CAESAR
Kopf mit Strahlenkrone n.r.
Rv.: [COL C - E - SA -R]IA LIB (?)
im Abschnitt ITVR
Dreiteiliger Schrein der Astarte mit 4 Säulen. Im mittleren Intercolumnare, unter einem
Gewölbebogen, Astarte mit Standarte frontal stehend, wird bekränzt von einer re. neben ihr
stehenden männlichen Figur; zu ihren Füßen Torso eines Flußgottes n.r. schwimmend; zu
beiden Seitenflügeln führen Freitreppen; im li. Flügel frontal stehend Göttin mit Kalathos
zwischen 2 Tieren, im re. Flügel frontal stehende weibliche Figur.
Ref.: BMC 110, 9; Lindgren II, 121, 2288
Selten, S/fast SS, durch die Sandpatina entsteht der Eindruck, als würde der Tempel von hinten beleuchtet
Anm.:
(1) Der alte Name von Kaisareia war Arka. Wahrscheinlich unter Elagabal wurde die Stadt als COLONIA CAESAREA LIBANI römische Kolonie. Hier wurde am 1.10.208 Severus Alexander geboren, der Cousin, Adoptivsohn und Nachfolger des Elagabal. Damit ist er auf dieser Münze also 13-14 Jahre alt.
(2) Aus der Literatur kennen wir für Caesarea einen Tempel für Alexander den Großen und einen bedeutenden Kult für Astarte als Aphrodite Architis (= Atargatis). Ob die interessante Triptychonform des Schreines der Wirklichkeit entspricht, wissen wir nicht. Die beiden Statuen in den Seitenflügeln sind nicht genau zu identifizieren. Die Göttin li. entspricht ikonographisch der "Herrin der Tiere (Ποτνια θηρον)", die re. vielleicht der Aphrodite. Obwohl die Lage der Stadt zwische Tripolis und Antandros beim modernen Tell Arqa eindeutig identifiziert ist, kennen wir den antiken Namen des im Libanon entspringenden Flusses Nahr-el-Arqa nicht.
Das ITVR, das mir ins Auge gefallen war, hat nun nichts mit dem ITVR zu tun von "ire = gehen", wie in "Abitur", sondern bezieht sich auf das Volk der Ituräer, von denen ich bis dato nichts gehört hatte. Und schon haben wir wieder das dem Sammler wohlbekannte Phänomen, daß sich durch eine einzige Münze ein ganz neues Wissensgebiet öffnet, etwas was das Sammeln von Münzen ja so spannend macht.
Die Ituräer:
Die Ituräer (griech. Ιτουραῖοι) waren ein Nomadenvolk, wohl aus Südarabien (Pauly), das dann in die Bekaa-Ebene (zwischen Libanon und Antilibanon) eindrang und überwiegend die bergigen Hänge besiedelte. Den älteren Sammlern wird die Bekaa-Ebene noch wohlbekannt sein, weil sie im libanesischen Bürgerkrieg von 1975-1990, der aus der ehemaligen "Schweiz des Vorderen Orients" einen Trümmerhaufen gemacht hat, eine wichtige strategische Rolle spielte, insbesondere durch die drusischen Milizen.
Die Ituräer werden bereits im AT der Bibel erwähnt. In der Genesis 25, 15 und in der 1. Chronik, 1, 31 wird Jetur, ein Sohn des Ismaels, des Sohns des Abrahams, als ihr Stammvater genannt. Ismael gilt gemeinhin als Stammvater der Araber (Gen. 25, 12-18) und zeugt damit von der engen historischen Beziehung der Israeliten mit den Arabern. Die Ituräer werden ebenfalls erwähnt von Strabo und Cassius Dio und kommen auch im NT vor. Die Römer sprachen von ihnen in einem Atemzug mit den Arabern als Banditen wegen ihrer Überfälle auf Karawanen. Nach ihnen wurde ihr Siedlungsgebiet als Ituraia bezeichnet, was wahrscheinlich "Land der Bergbewohner" heißt. Ihr Hauptort war Chalkis, wegen der Lage hieß es auch Chalcis sub Libano. Es war zunächst ein wichtiger Pufferstadt der Römer gegen die Parther, aber nicht sehr zuverlässig. Nachdem die Römer ihr Reich an Herodes den Großen übergeben hatten, verschwinden sie aus der Geschichte. Daß die libanesischen Drusen auf die Ituräer zurückgehen sollen, wie ich auch gelesen habe, kann nicht stimmen, da neuere Untersuchungen der mitochon-drialen DNA an den Drusen gezeigt haben, daß diese aus einer Vielzahl unterschiedlicher Völker hervorgegangen sind.
Die Römer schätzten die Ituräer insbesondere als Bogenschützen und stellten mehrere Kohorten ihrer Auxiliareinheiten auf, die nach ihnen benannt waren. 1982 fand sich bei Neubauarbeiten in Mainz eine Holztafel, die von einem "Datus, dem Ituräer" sprach. Sie stammte aus der augustäischen Zeit und beweist, daß eine dieser Kohorten, wahrscheinlich aus Pannonien, hier stationiert war. Auch die Bezeichnung ITVR auf der Münze des Severus Alexander weist darauf hin, daß die Stadt im Gebiet der Ituräer lag oder einen größeren Bevölkerungsteil dieses Volkes besaß.
Zur Abrundung meiner Sammlung von römischen Klientelreichen habe ich folgende Münze in meine Sammlung eingereiht:
2. Münze
Syrien, Coele-Syria, Chalcis sub Libano, Octavian, ca. 32-24 v.Chr.
AE 22, 6.46g, 22.3mm,
geprägt 27/26 v.Chr. (= Jahr 107 der lokalen Ära)
Av.: L ZΠ NE - KAI (von li. oben)
Bloßer Kopf des Octavian n.r.
Rv.: ZENOΔOPOV TETP - APXOV KAI APXHPEΩΣ (von re. oben)
Bloßer Kopf des Zenodoros n.l.
Ref.: RPC 4775; BMC 7; SNG Copenhagen 417; SNG France 9-10; Daniel Hermann, The Coins of the Itureans, Type 17, in "Israel Numismatics Research 1 (2016)"
nicht häufig, S+, Legenden gut zu lesen
Anm.:
Auffallend ist, daß die Münzen der Ituräer alle griechische Legenden tragen und ihre Abbildungen griechische Gottheiten darstellen. Dies ist ein Zeichen dafür, wie tief der Hellenismus zu dieser Zeit selbst in die Kultur von kleinen Völkern eingedrungen war.
Das Fürstentum Chalkis:
Nachdem der Einfluß der Seleukiden zu schwinden begann, breiteten sich die Ituräer unter Ptolemaios (85-40 v.Chr.), Sohn des Mennaios, über Coelesyrien und den Libanon aus, bis Pompeius sie schließlich 66 v.Chr. unterwarf und sie zu einem Klientelreich der Römr wurden. Auf Ptolemaios folgte dessen Sohn Lysanias (40-36 v.Chr.). Ob dieses Geschlecht selbst arabisch war oder mit Alexander dem Großen in diese Region kam, ist unklar. Lysanias wurde wegen zu großer Nähe zu den Parthern von den Römern hingerichtet.
Zenodoros (36-23 v.Chr.) war der Nachfolger des Lysanias. Kleopatra hatte ihm diese Gebiete, die sie von Marcus Antonius erhalten hatte, 36 v.Chr. zur Pacht übergeben. Nach dem Tod von Marcus Antonius und Kleopatra bestätigte Augustus diese Übertragung und er herrschte als Tetrarch und Archiereus über die Gebiete Ituraea und die Trachonitis, allerdings gegen die Zahlung erheblicher Tribute. Diese Tribute konnte Zenodoros nur aufbringen, indem er mit Räuberbanden zusammenarbeitete, die sogar Damaskus, Berytos und Byblos bedrohten. Dies konnten die Römer nicht mehr tolerieren und Augustus übergab 23 v.Chr. seinen Herrschafts-bereich an seinen Verbündeten Herodes (23 v.Chr.-4 n.Chr.). Das Reich der Ituräer wurde zerstückelt. Neben dem Gebiet zwischen der Trachonitis und Galiläa unter Herodes gab es die Region um Abilene, das zur Zeit des Tiberius unter der Herrschaft von Herodes Agrippa I. und Herodes Agrippa II. stand, das Gebiet zwischen Heliopolis (Baalbek) und Laodikeia, das Caligula einem Soeimas schenkte, und das eigentliche Kerngebiet um Chalkis, das durch den Tetrarchen Herodes Philippus (4-34 n.Chr.), einen Sohn des Herodes, regiert wurde (Luk. 3, 1).
Alle diese Gebiete wurden mit der Zeit nach Syrien eingegliedert, zuletzt wohl das Gebiet von Chalkis, vermutlich 92 n.Chr. (Pauly). Die Geschichte des Fürstentums Chalkis zeigt beispielhaft, daß ein so kleiner Staat keine Chance hatte, zwischen 2 Riesenreichen wie es das römische Reich und das Reich der Parther waren, seine Selbständigkeit zu wahren.
Hinzugefügt habe ich
(1) eine Karte von Ituräa (grün umrandet) aus dem Atlas antiquus des Karl Spruner von 1865.
(2) ein Bild von der Bekaa-Ebene, im Hintergrund der Qaraoun-See
Quellen:
(1) Altes Testament
(2) Neues Testament
(3) Cassius Dio, Römische Geschichte
(4) Strabon, Geographica 16.2, 10.18
(5) Cicero, Philippica 2.112
(6) Flavius Josephus, Jüdische Altertümer
(7) Pseudo-Cäsar, Bellum Africanum 20
(8) Macrobius, Saturnalien
Sekundärliteratur:
(1) Der Kleine Pauly
Online-Quellen:
(1) Wikipedia
Mit freundlichem Gruß
-
Dateianhänge
-
-
-
-
Zuletzt geändert von
Peter43 am Fr 29.09.17 20:38, insgesamt 2-mal geändert.
Omnes vulnerant, ultima necat.