Die samische Hera
Hera ist uns bekannt als Gattin des Zeus, die insbesondere eifersüchtig dessen außerehelichen Liebschaften verfolgt. Eigentlich erscheint sie etwas langweilig gegenüber den anderen Gottheiten des Olymp. Ein Irrtum!
Ionien, Samos, Antoninus Pius, 138-161
AE 19, 5.33g
Av.: [A]NTWNINOC - KAICAR(?)
Belorbeerter Kopf n.r.
Rv.: C[A]MIWN
Kultstatue der Samischen Hera in langer Kleidung und mit Polos, n.r. stehend und sich mit beiden Händen auf Stäbe aus kleinen Kugeln stützend
BMC 239; Sear GIC 1417
S+
In diesen Kontext gehört auch die nächste Münze, wie wir weiter unten sehen werden.
Ionien, Samos, Geta als Caesar, 198-209
AE 16, 3.18g
Av.: AV K - AI GETAC
Bloßer Kopf n.r.
Rv.: CAM, und im Abschnitt IWN
Flußgott Imbrasos in Himazion, nackt bis zur Hüfte, n.l. lehnend, hält in der re.
Hand Schilf und ruht mit dem li. Ellenbogen auf Cornucopiae und Gefäß, aus dem
Wasser n.l. fließt
SNG Copenhagen 1744
fast SS
In den Sümpfen an der Mündung des Imbrasos sollen die ionischen Siedler unter ihrem Führer Prokles ein hölzernes Bild der Hera gefunden haben, daß sich in einem Weidengestrüpp verfangen hatte. Deshalb bauten sie neben diesem Baum einen Altar. Aus diesem Altar entstand dann das berühmte Heraion. Imbrasos selbst hatte eine Tochter Okyrrhoe von der samischen Nymphe Chesias (einer Hypostase der Artemis). Okyrrhoe wurde später von Apollo verführt (Aelian, Hist.animal. 15.23).
Hera ist seit Homers Dichtung bekannt als die höchste Göttin des griechischen Olymps und die Gattin des Zeus. Aber diese ziemlich farblose mythologische Erscheinung ist nur ein Aspekt der Göttin und zeigt nicht das ganze Bild ihrer religiösen Bedeutung und ihres Einflusses als eine göttliche Macht auf den Glauben der Griechen. Denn der Herakult steht nicht in Verbindung mit ihrer Rolle als Gattin des Zeus oder der Königin des Olymps, sondern mit einer Göttin, die lange vor ihrer Vereinigung mit Zeus verehrt worden ist, des höchsten Gotts der wandernden Griechen am Ende des 2.Jt. v.Chr. Darüberhinaus scheint Zeus selbst keine Rolle gespielt zu haben im Kult der Samischen Hera, der bereits seit der späten Bronzezeit existierte. Die neuere Religionswissenschaft betrachtet Hera als eine alte, ursprünglich vorgriechische Naturgöttin, nicht unähnlich der weiblichen Urgöttin der vorgriechischen Einwohner. Diese Unabhängigkeit vom olympischen Zeus wird deutlich im autonomen Kult der Samischen Hera. Der antike Dichter Alkaios von Lesbos (7.-6.Jh. ,Chr.) nennt Hera die 'Erzeugerin von Allem (
panthon genethla)'. Mehr noch als diese poetische Äußerung zeigen archäologische Forschungsergebnisse den universalen Charakter der Hera in der frühgriechischen Zeit. Die Heraia von Argos, Olympos und Samos gehören zu den ältesten bedeutenden Heiligtümern der griechischen Götter. Die Tatsache, daß in ihren Heiligtümern zahlreiche Votivgeschenke gefunden werden, die Mohnköpfe und Granatäpfel darstellen - Symbole der Fruchtbarkeit wegen ihrer unzähligen Samenkörnern - zeigen überzeugend, daß sie eine Vegetations- und Fruchtbarkeitsgötting gewesen ist (aber siehe weiter unten!). Dazu gehören auch die Tonochsen aus den frühen Stadien des samischen Heraion, die auch auf samischen Münzen dargestellt wurden. Sie war also auch die Beschützerin der Herden und des landwirtsschaftlichen Wohlstandes.
Mythologie:
Ihr Name bedeutet wohl soviel wie 'Dame'. Sie war die Tochter des Kronos und der Rhea, und war auf der Insel Samos oder, wie manche sagen, zu Argos geboren worden. Sie wurde in Arkadien von Temenos, dem Sohn des Pelasgos, aufgezogen. Die Jahreszeiten waren ihre Ammen. Nachdem Heras Zwillingsbruder Zeus den Vater Kronos verbannt hatte, suchte er sie zu Knossos auf Kreta auf; velleicht auch - wie manche meinen - auf dem Berge Thornax in Argolis, der heute Kuckucksberg genannt wird. Hier umwarb er sie zunächst erfolglos; aber als er die Gestalt eines zerzausten Kuckucks annahm, erbarmte sie sich seiner. Während sie ihn zärtlich an ihrem Busen wärmte, nahm er seine wahre Gestalt an und vergewaltigte sie, so daß sie, um der Schande zu entgehen, ihn heiraten mußte. Alle Götter brachten Gaben zur Hochzeit. Mutter Erde schenkte Hera einen Baum mit goldenen Äpfeln, den dann die Hesperiden in Heras Garten auf dem Berge Atas hüteten. Sie und Zeus verbrachten die Hochzeitsnacht, die dreihundert Jahre dauerte, auf Samos.
Hintergrund:
Es gab mehrere Orte, an denen Hera verehrt wurde. Ein Schwerpunkt war die Peleponnes, besonders Argos. Bei Homer hatte sie auch den Beinamen Argeia. Vielleicht war sie eine alte Palastgöttin, die bis in mykenische Zeit fortlebte, wie es Athena für Sparta oder Mykena war. Sie wird aber auch als eine Form der großen vorolympischen mediterranen Hera Pelasga angesehen. Der andere große Hauptort ihrer Verehrung war die Insel Samos. Jedenfalls war sie eine Göttin der Frauen, die deren Rechte schützte. Im
hieros gamos mit Zeus verbunden, war sie die Wahrerin des Eherechts. Sie nur als Fruchtbarkeitsgöttin anzusehen steht im Wege, daß sie stets als Zeus' Gattin auftritt, niemals aber als die Mutter seiner Kinder. Dazu paßt auch die Geschichte, daß Zeus sie einmal an den Füßen aufgehängt hat, um sie zu zwingen, beim Styx zu schwören, daß sie den Hephaistos durch Jungfrauengeburt gezeugt habe. In der IIias wird sie als herrschsüchtig, stolz und eifersüchtig beschrieben. Mit Zeus liegt sie oft in offenem Streit. Im Kampf nimmt sie Partei für die Griechen und ist die Schutzgöttin des Jason im Argonautenzug.
Das Heraion:
Kultspuren gibt es in Samos ab Mitte des 2.Jt. v.Chr. Mittelpunkt des Kults war der Keuschlammbaum, von dem bei den Ausgrabungen ab 1911 noch der Stamm gefunden wurde. Unter diesem Baum soll Hera geboren worden sein. Hier wurde jährlich das Frühligsfest mit der Heiligen Hochzeit und Agonen gefeiert. Neben dem steinernen Altar der Hera entstand schon im frühen 8.Jh. v.Chr. ein 'hundertfüßiger' Tempel, der später erweitert wurde und Nebengebäude, Altäre, große Hallen mit Marmorsäulen und Badegebäude erhielt. Ein Riesentempel, der im 6.Jh. entstand wure bald durch einen Brand zerstört und dann ersetzt durch einen neuen Riesentempel wohl unter Polykrates nach 321 v.Chr., der aber nie fertig wurde. Zur Zeit von Strabon wurde er als Pinakothek benutzt und galt als eines der 7 Weltwunder. Eine der Säulen der Südfront stand als einsames Zeichen des Heiligtums stets aufrecht. Deshalb wurde dieser Ort 'Kolona' genannt. Zerstört wurde der Tempel wohl durch die Heruler in den 60erJahren des 3.Jh. n.Chr.
Kultus in Samos:
Bekannt ist die uralte Weide(
lygos) (ja, mit dem Namen dieses Baumes geht es etwas durcheinander!) im Heiligtum der Hera zu Samos am Wasser Imbrasos. Pausanias, der sie noch grünend sah, nennt sie den ältesten der den Hellenen bekannten heiligen Bäume. Unter dieser Weide soll Hera geboren und erzogen, also ihr Kultus gestiftet und gepflegt worden sein. Daß der Altar der Göttin sich unter derselben befinden mußte, steht demnach außer Zweifel. Erwähnt Pausanias hierbei, es hätten die Argonauten dies Heiligtum gestiftet und das Gottesbild der Hera aus Argos hierher geführt, so deutet auf diese Kultusverbindung auch eine andere Sage hin, nach welcher die Herapriestein Admete, des Eurystheus Tochter, von Argos nach Samos flieht und hier, auf die Epiphanie der Hera hin, der Göttin ihre Dienste weiht und Pflegerin des Heiligtumes wird. Auch in dieser Geschichte spielt die Weide ebenfalls eine große Rolle bei dem von den Argivern aus Rache über Admetes Flucht angestifteten Raube des hölzernen Gottesbildes welches Admete pflegend bewahrte. Als nämlich das von gedungenen Tyrrhenern aus dem türlosen(?) Tempel geraubte Bild das Schiff so beschwerte, daß die Räubr nicht davonfahren konnten, hoben sie dasselbe weder an das Ufer, setzten ihm zur Sühne Opferkuchen vor und fuhren nun eiligst von dannen. Die zur Aufsuchung desselben von den Samiern ausgeschickten Leute fanden das Bild, glaubten aber, daß es von selbst hierher gegangen sei, lehnten es an einen Weidenstamm und flochten es mit langen Weidenzweigen ganz und gar so ein, daß es unsichtbar wurde. Admete fand es so, löste es, führte es nach dem Tempel zurück und setzte dasselbe, es neu weihend, wieder auf seinem Gestell (
bathron) auf. Seit dieser Zeit wurde dies
Tonea genannte Fest des Weidenlagers , an welchem man den ganzen Vorgang darstellte, alle Jahre auf Samos gefeiert; jährlich führte man das Bild, gleichsam als würde es von selbst unsichtbar, nach dem Meere, wo man ihm opferte und es in Weidenzweige eingehüllt (als
fascelites) auf einem Weidengeflechtlager wieder nach dem Tempel zurückbrachte. Daher kam die große Heiligkeit der Weide auf Samos und der starke Verbrauch ihrer Zweige zu Kränzen und Ruhelagern bei jenem Feste. Diese Sitte, heißt es, sei deshalb vom Orakel des Apollon anbefohlen, weil die Einwohner von Samos (die Karer) die Göttin mit Weidenzweigen eingebunden gehabt hätten; darum mußten sie ihr eigenes Haupt stets mit Weide umkränzen, auch bei allen Festen der Hera auf Weidenzweigen liegend schmausen, und nur die priesterlichen Personen sollten Lorbeerkränze tragen.
Das Kultbild der Hera Samia:
Dargestellt wird die Hera Samia als eine Frau, die auf dem Kopfe einen halben Mond oder ein Körbchen, hinter sich ein großes Tuch von dem halben Monde bis auf die Füße, unter diesen wieder einen halben Mond hatte, und sich mit beiden Händen auf zwei Stäbe von lauter runden Kügelchen stemmte (Spanhem. ad Callim. Hymn. in Dian. v.228). Ihren Tempel sollen schon die Argonauten erbauet und die Bildsäule der Göttin von Argos dahin gebracht haben. Diese aber habe Smilis, ein Aiginete, Sohn des Eukleides und Zeitverwandter des Daidalos, verfertigt (Pausan. 7.4.4.7). Anfänglich soll ihr Bild nur ein bloßes Brett gewesen sein. Dieser Abstammung aus Argos haben aber die Einwohner von Samos stets heftig widersprochen!
Angefügt habe ich
(1) ein Bild vom heutigen Heraion auf Samos mit der berühmten Säule und
(2) ein Bild des bekannten Votivbildes, das von Cheramyes geweiht worden ist.
Quellen:
- Der Kleine Pauly
- Benjamin Hederich, Gründliches mythologisches Lexikon
- Robert von Ranke-Graves, Griechische Mythologie
- Bötticher/Bötticher, Der Baumkultus der Hellenen, 1856
http://www.perseus.tufts.edu/cgi-bin/pt ... ibl%3D%233
http://www.arthistory.sbc.edu/imageswom ... /hera.html
http://www.moonspeaker.ca/Hera/pomegranate.html
http://www.wbenjamin.org/nc/heraion.html
Mit freundlichem Gruß