Mythologisch interessante Münzen

Alles was so unter den Römern geprägt wurde.

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Re: Mythologisch interessante Münzen

Beitrag von Mynter » Do 16.08.18 08:09

Auf der diesjährigen Künker- Herbstauktion wird ein Carausius- Denar angeboten: https://www.sixbid.com/browse.html?auct ... ot=4303829
Auch hier wird die Anspielung auf Vergil als mögliche Erklärung für die Verwendung des RSR genannt, doch auch die Deutung von RSR als bisher noch nicht lokalisierte Münzstätte bleibt nicht unerwähnt.
Was mir bei diesem als Denar bezeichneten Gepräge noch auffällt, ist das Gewicht von 4,45 g. Damit ist diese Münze schwerer als ein Denar aus der augustäischen Zeit.
Dieses Stÿck , dass bei DNW unter den Hammer kommt,ist ebenfalls mit 4,42 g schwer : https://www.sixbid.com/browse.html?auct ... ot=4265776
Ein Zufall ? Oder sind die unter Carsusius geprägten Silbermünzen immer dermassen übergewichtig.

Wenn die Zielgruppe dieser Münzen der Handel war stellt sich mir auch die Frage, was der" kulturelle Aufwand " sollte. Spach das Edelmetall nicht für sich selbst ?
Grüsse, Mynter

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Peter43
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Re: Mythologisch interessante Münzen

Beitrag von Peter43 » So 02.12.18 11:55

Talos - Der erste Roboter der Geschichte

Es ist lange her, daß ich einen mythologischen Artikel in diesem Thread eingestellt habe. Deshalb hoffe ich umsomehr, daß ich mit diesem hier vielen etwas Neues bringen kann.

Die Münze
Kreta, Phaistos, 3.Jh. v.Chr.
AE 17, 3.70g, 17.1mm, 225°
Av.: Talos n.r. schreitend, schleudert Stein in der erhobenen re. Hand, hält einen anderen in
der li. Hand.
Rv.: Hund auf Fährtensuche n.r.
ΦΑΙΣ / ΤΙΩΝ in 2 Zeilen, oben beginnend, endend im Abschnitt
Ref.: Svoronos Crète 74; SNG Copenhagen 520; BMC Crete p. 64, 27-28
selten, S, etwas rauh

Mythologie:
Talos war ein Bronzemensch auf Kreta. Als Riese wurde er nur von Orpheus in seiner Argonautika bezeichnet. Er war ein Geschenk von Zeus an Europa, das er ihr nach ihrer Entführung aus Sidon zusammen mit einem ehernen Hund gegeben hatte, damit er sie beschütze. Er lebte in der Höhle von Melidoni, von wo aus er die Küsten der Insel dreimal täglich umrundete und sie von Piraten und Invasoren freihielt. Angreifer tötete er aus der Ferne durch Steinwürfe. In Kreta wird er als junger Mann dargestellt, mit Flügeln, wohl um seine große Geschwindigkeit zu erklären.

Es gibt aber auch die Erzählung, daß er von Hephaistos in Sardinien erschaffen worden sei (Simonides) und dem Minos zum Geschenk gemacht worden war. Minos, Rhadamanthys und Sarpedon waren die 3 Kinder, die der Verbindung der Europa mit Zeus entstammten. Später habe er die Knabenliebe in Kreta eingeführt, sei ein Geliebter des Rhadamanthys geworden und zusammen mit ihm ein Wächter der Gerechtigkeit (Ibycus).

Apollodor, der Verfasser der Bibliotheka, vermutete, daß die Bronzenatur des Talos zeigte, daß er ein Überlebender von Hesiods mythischem Bronze-Zeitalter gewesen sein könnte. Der Satiriker Lukian aber machte sich darüber lustig.

Als die Argonauten unter Jason und Medea auf ihrer Fahrt zum Goldenen Vlies nach Kreta kamen, bewarf er ihr Schiff, die Argo, wie üblich mit Steinen. Sie konnten nicht eher landen, bis Medea, die ja über zauberische Kräfte verfügte, ihn unschädlich gemacht hatte. Talos besaß nur einzige Blutader. Die begann an seinem Hals und lief nach unten bis zu seinen Knöcheln. Dort war sie mit einem Bronzenagel verschlossen. Auf Medeas Rat hin, sei es, daß sie ihn mit ihrem bösen Blick irrsinnig gemacht oder daß sie ihm Unsterblichkeit versprochen hatte, zog er diesen Nagel heraus und sein Ιχωρ (Ichor) entströmte wie geschmolzenes Blei (Apollod.; Apoll. Rhod. ). So endete Talos. Andere erzählen, daß es Poias war, der Vater des Philoktetes, der ihm mit einem Pfeil in die Ferse geschossen habe, woran er gestorben sei.

Exkurs: Der Blutkreislauf
Ichor war die farblose oder goldene Flüssigkeit, die in den Adern von Göttern und Unsterblichen floß, das Götterblut. Man hielt es für giftig für Sterbliche, die bei Kontakt sofort starben. Homer (Il. 5, 339ff.) beschreibt es als dunkel oder schwarz. Auch die Giganten sollen es besessen haben (Strabo 6, 3, 5). Die Etymologie ist umstritten, ursprünglich war es synonym mit Αιμα (Haima, griech. Blut).

In der Antike war der Blutkreislauf nicht bekannt. Da nach dem Tod in der Regel in den Arterien kein Blut zu finden ist, hielt man sie für Kanäle für das lebenswichtige Pneuma, den Lebensatem. Arteria bedeutet (volks-)etymologisch auch Luftader. Die mächtige Aorta wurde für ein Aufhängungsband des Herzens gehalten. Hippokrates (460-ca.370) bezeichnete damit die Luftröhre mit den beiden Hauptbronchien, an denen die beiden Lungen hängen, seit Aristoteles (384-322) war es die Hauptschlagader.

Erst der englische Arzt und Anatom William Harvey (1578-1657) veröffentlichte 1628 sein berühmtes Werk "De Motu Cordis", in dem er den Blutkreislauf beschrieb und damit zum Begründer der Physiologie wurde. Wie das Blut von den Arterien in die Venen gelangte konnte erst der Italiener Marcello Malpighi (1628-1694) mit Hilfe des Mikroskops zeigen, mit dem er 1661 die Kapillaren entdeckte.

Der eherne Hund
Der eherne Hund auf der Rückseite der Münze war zunächst ein Begleiter des Talos und half ihm beim Aufspüren von Eindringlingen. Nach dessen Tod wurde er zum Wächter des Zeusheiligtums auf Kreta. Kreta kennt aber auch einen goldenen Hund, der die Ziege Amaltheia, die den kleinen Zeus aufzog, bewachte, und der später Wächter des Zeustempels wurde. Jedenfalls wurde dieser Hund von Pandareos gestohlen. Pandareos war das Musterbeispiel eines Schelms, der in der Lage war, sogar Zeus zu betrügen. Er brachte den Hund zum Berg Sipylos und gab ihn dem Tantalos zur Aufbewahrung. Als er ihn wieder abholen wollte, schwor Tantalos, ihn nie erhalten zu haben. Zur Strafe stürzte Zeus den Sipylos über ihn. Pandareos aber wurde in einen Stein verwandelt.

Etymologie:
Ταλως (Talos) ist die alte Form des kretischen Sonnengottes. Αλως (Halos, beginnend mit Digamma) = Ηλιος (Helios, beginnend mit Spiritus asper). Diese Ableitung stimmt überein mit den regelmäßigen Umläufen um die Insel, die für den Lauf der Sonne typisch sind.

Hintergrund:
Der Taloskult ist nur von den Münzen aus Phaistos bekannt. Roscher schreibt: Man sollte sich aber nicht auf den Süden der Insel versteifen. Es scheint sich um einen Höhengott gehandelt zu haben und auf dem höchsten Berg des Taygetos-Gebirge war die Bergspitze Taleton dem Helios geweiht. Daß Talos mit Steinen wirft, gilt als die archaiischste Verteidungsart überhaupt und stammt noch aus der Heroenzeit.

Nach Plato war er der Wächter der Gesetze. 3x im Jahr ging er durch die Dörfer Kretas und verkündete die Gesetze des Minos, die auf bronzenen Tafeln aufgezeichnet waren. Dabei war Rhadamanthys für die Städte zuständig, Talos für die Dörfer. 3x im Jahr entspricht den 3 griechischen Jahreszeiten, bei denen es unseren Herbst nicht gab.

Insgesamt sind die Berichte über Talos alle sehr vage. Genauere Details gibt es eigentlich nur von seinem Tod. Das ist ein Zeichen dafür, daß seine Mythologie einer vorgriechischen, älteren Schicht angehört. In Attika z.B. hat er nie Fuß gefaßt. Und die Geschichte, die ihn mit Sardinien verbindet, paßt so gar nicht zum Wächter in Kreta. Vielleicht war es ein Versuch, das sardonische Lachen zu erklären, daß bereits den Alten Schwierigkeiten machte. Ähnlich ist es mit seiner Genealogie, die ihn als Sohn des Kreas zum Vater des Rhadamanthys macht.

Es wird erzählt. daß er seine Opfer umarmte, nachdem er seinen Körper rotglühend gemacht hatte; dabei zeigten sie (oder er selbst) das σαρδανικος γελως genannte verzerrte Grinsen (lat. risus sardonicus = sardonisches Gelächter) , was ein schmerzvolles Grinsen bedeutet. Es heißt, daß in Sardinien (Sardoni = Sarden!) auf diese Weise Verbrecher und Alte umgebracht worden sind. Heute vermutet man dahinter das Gift der Safranrebendolde (Oenanthe crocata), mit dem sie vergiftet wurden, und das zu einem Krampf der Gesichtsmuskulatur führt. In der Medizin ist der Risus sardonicus ein typisches Symptom des Wundstarrkrampfs (Tetanus).

Die Tötungsart durch eine rotglühende Erzfigur wird auch von Baal und dem kanaanitischen Moloch erzählt, dessen Kult sich bis Karthago ausbreitete. Das spricht dafür, daß er ursprünglich ein orientalischer Gott gewesen ist, dem Menschenopfer gebracht wurden, der später abgelöst worden ist durch den Helioskult. Dies kennen wir auch vom Kult des menschenfressenden Kronos, dem der mildere Zeuskult folgte. Dann wäre die eherne Gestalt des Talos weniger auf seine Unverwundbarkeit zurückzuführen, sondern auf den strahlenden Glanz des Erzes. Diese Beziehung von Talos zu Helios ist auch etymologisch begründet und erhalten geblieben im Zeus Tallaios, der in Kreta verehrt wurde, und der nichts anderes ist als der kretische Helios. Damit scheint Zeus in der Geschichte mit Europa wohl auch der kretische Sonnengott gewesen zu sein. Orientalisch ist sicher die Doppeldeutigkeit der Sonne, die auf der einen Seite für die Fruchtbarkeit der Vegetation verantwortlich ist, auf der anderen Seite aber durch ihre verzehrende Hitze diese vernichtet.

Ranke-Graves schreibt, daß es zu wenig beachtet wird, daß in der Bronzezeit jedem Werkzeug, jeder Waffe und jedem Gebrauchsgegenstand magische Eigenschaften zugeschrieben wurden, und daß der Schmied damals als eine Art Zauberer mit magischen Kräften galt. Damit standen die Schmiede als Künstler in einer Reihe mit den Dichtern und den Ärzten. Oft wird erzählt, daß sie gelähmt waren. Wir kennen das von Hephaistos und Daidalos. Das geschah wohl oft absichtlich, damit sie nicht entlaufen konnten, wie es von Wieland dem Schmied in der Thidrekssaga erzählt wird.

Pauly schreibt: Talos scheint eine Roboterphantasie zu sein, die mit den Möglichkeiten und Gefahren des Bronzegusses spielt. Das halte ich für sehr interessant und führt mich zwanglos zu dem Exkurs "Mensch und Maschine", der folgen wird.

Kunstgeschichte:
Von Talos gibt es nur wenig Darstellungen in der Antike. Genau gesagt, habe ich nur eine gefunden. Auch dies ist ein Zeichen dafür, daß es sich eher um eine vorgriechische Mythologie handelt. Hinzugefügt habe ich:

(1) Ein rotfiguriges Vasenbild des sog. Talos-Malers auf einem apulischen Velutenkrater, ca.
400-390 v.Chr,. heute im National Archaeological Museum Jatta in Ruvo di Puglia,
Italien.
Die Vorderseite zeigt den Bronzeriesen Talos, der von der Zauberin Medea (ganz
li.) bei der Landung der Argonauten auf Kreta erschlagen wird. Die Dioskuren sitzen
auf Pferden und halten den Riesen an den Armen. Poseidon und Amphitrite (re. obere
Ecke) sind Zeugen der Szene.

(2) Ein Bild von Sybil Tawse, aus dem Buch "Stories of Gods and Heroes", 1920, von
Thomas Bulfinch
Sybil Tawse (1886- 1971) war eine damals berühmte Illustratorin des sog. golden
age of illustration
zu Beginn des 20. Jh.

(3) Ein Bild der Höhle von Melidoni, wie sie heute den Touristen gezeigt wird. Diese Höhle ist auch ein nationales Symbol der Griechen für ihren Widerstand gegen die
türkische Besatzung. Im Jahre 1824 erstickten in der Höhle 340 Einwohner sowie 30 kretische Widerstandskämpfer durch ein Feuer, das die Türken gelegt hatten, da sie
sich nicht ergeben wollten.

Literatur:
(1) Apollodor, Bibliotheka
(2) Apollonius Rhodios, Argonautika
(3) Hesiod
(4) Hesychios, Lexikon
(5) Homer, Ilias
(6) Lukian
(7) Orpheus, Argonautika (tatsächlich herausgegeben von J. M. Gesner, Leipzig 1764)
(8) Pausanias, Reisen durch Griechenland
(9) Strabo, Geographika
(10) Suda (Byzantinisches Lexikon)
(11) Thidrekssaga

Sekundärliteratur:
(1) Der Kleine Pauly, Lexikon der Antike in 5 Bänden, dtv 1979
(2) Benjamin Hederich, Gründliches mythologisches Lexikon, 1770 (Reprint), auch online
(3) Robert von Ranke-Graves, Griechische Mythologie, rororo 2003
(4) Karl Kerenyi, Die Mythologie der Griechen, Band II, Die Heroen-Geschichten, dtv 1966
(5) Wilhelm Heinrich Roscher, Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen
Literatur, 1884-1890, auch online
(6) Voss-Herlinger, Taschenbuch der Anatomie, Gustav Fischer Stuttgart 1963

Internet:
(1) daratheodoraart.com/ (Sybil Tawse)
(2) theoi.com
(3) Wikipedia

Mit freundlichem Gruß
Dateianhänge
phaistos_SNGcop520.jpg
L6_1Talos Jatta.jpg
Medeia und Talus Tawse Sybil.jpg
melidoni-cave-entrance_650.jpg
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Re: Mythologisch interessante Münzen

Beitrag von Peter43 » So 02.12.18 11:59

Exkurs: Mensch und Maschine

Pauly schreibt: Talos scheint eine Roboterphantasie zu sein, die mit den Möglichkeiten und Gefahren des Bronzegusses spielt. Wir sehen, daß es bereits damals Menschen gab, die den Fortschritt kritisch sahen. Mich hat das sofort an die chinesische Geschichte von Zhuangzi (365-290 v.Chr.) über die Gefahr der Maschinen erinnert, die ich euch hier vorstellen möchte.

In "Das wahre Buch vom südlichen Blütenland", einem der bedeutendsten Werke des Daoismus, schreibt er:
Als Dsi Gung durch die Gegend nördlich des Han-Flusses kam, sah er einen alten Mann in seinem Gemüsegarten. Er hatte Gräben zur Bewässerung gezogen. Er stieg selbst in den Brunnen hinunter und brachte in seinen Armen ein Gefäß mit Wasser herauf, das er ausgoß. Er mühte sich aufs äußerste ab und brachte doch wenig zustande.
Dsi Gung sprach: »Da gibt es eine Einrichtung, mit der man an einem Tag hundert Gräben bewässern kann. Mit wenig Mühe wird viel erreicht. Möchtet Ihr die nicht anwenden?«
Der Gärtner richtete sich auf, sah ihn an und sprach: »Und was wäre das?« Dsi Gung sprach: »Man nimmt einen hölzernen Hebelarm, der hinten beschwert und vorn leicht ist. Auf diese Weise kann man das Wasser schöpfen, daß es nur so sprudelt. Man nennt das einen Ziehbrunnen.«
Da stieg dem Alten der Ärger ins Gesicht, und er sagte: »Ich habe meinen Lehrer sagen hören: Wenn einer Maschinen benützt, so betreibt er all seine Geschäfte maschinenmäßig; wer seine Geschäfte maschinenmäßig betreibt, der bekommt ein Maschinenherz. Wenn einer aber ein Maschinenherz in der Brust hat, dem geht die reine Einfalt verloren. Bei wem die reine Einfalt hin ist, der wird ungewiß in den Regungen seines Geistes. Ungewißheit in den Regungen des Geistes ist etwas, das sich mit dem wahren Sinn nicht verträgt. Nicht daß ich solche Dinge nicht kennte: ich schäme mich, sie anzuwenden."


Darüber kann man sich natürlich lustig machen. Ging es da doch nur um einen Ziehbrunnen und seinen Einfluß auf das wahre Leben. Und wo wären wir mit unserer Zivilisation (nicht Kultur!), wenn die Maschinenstürmer in England zu Beginn der Industrialisierung den Sieg davon getragen hätten, oder wenn es den schlesischen Webern 1844 gelungen wäre, die modernen Webstühle zu verhindern?

Es zeigt, daß es die Angst vor dem Fortschritt schon immer gegeben hat. Das Problem war damals, daß die industriellen Fortschritte sozial nicht abgefedert waren, was sie heute mehr oder weniger sind, jedenfalls bei uns.

Aber heute geht es nicht mehr nur um die soziale Abfederung von technischem Fortschritt, sondern um viel mehr: um das Aufgeben der Menschenwürde, siehe Precht. Es geht um die unkritische Fortschrittsgläubigkeit, die heute nicht nur uns, sondern die ganze Welt bedroht.

Einer der ersten bedeutenden Kritiker war Joseph Weizenbaum, Mitbegründer und Entwickler der künstlichen Intelligenz im MIT. Er schreibt, daß die staatlichen Riesencomputer heute ncht mehr gewartet werden können, weil niemand mehr den Überblick über sie hat. Sie sind eine riesige black box, besonders, wenn sie vernetzt sind. Das Drehen an einer Stellschraube hat Folgen, die wir nicht vorhersehen können. Und diese Monster waren auf dem Höhepunkt des Kalten Krrieges dazu vorgesehen, die Entscheidung über Krieg und Frieden selbständig zu fällen, weil die humanen Entscheidungswege bei den kurzen Vorwarnzeiten zu langsam geworden waren. Glücklicherweise haben die USA sich wieder von dieser Vorstellung verabschiedet.

In der letzten Woche mußte Angela Merkel auf dem Weg zum G20-Gipfel in Buenos Aires umkehren, weil die Gesamtelektronik ihres Flugzeuges ausgefallen war. Ein Sprecher der Bundeswehr erklärte in den Fernseh-Nachrichten: "Es handelte sich um den klassischen Totalausfall eines Elektronikteils, wie er immer wieder vorkommt. Das kommt bei unter 2% aller Flüge vor. Aber wir hatten alles im Griff." Da kann ich nur sagen: Na prima!

Beim selbstfahrenden Auto aber gibt es ein Dilemma, das es in dieser Form bisher noch nicht gegeben hat: Wie soll sich das Auto entscheiden, wenn es nur den Ausweg gibt, jemanden zu überfahren? Wen soll das Auto im Zweifelsfall überfahren? Das kleine Kind oder die Rentnerin? Drei Rentnerinnen oder nur das eine Kind? Ich hoffe, ihr merkt, worauf ich hinaus will. Es geht um Ethik! Und die ist nicht berechenbar, für sie gibt es keinen Algorithmus. Der Philosoph Precht: Künstliche Intelligenz darauf zu programmieren, wie sie sich in ethischen Grenzfällen verhalten soll, ist ein Angriff auf die Menschenwürde.
Stephen Hawking: Künstliche Intelligenz könnte das schlimmste Ereignis der Menschheit werden.

Aber auch hier gilt: "Wen Gott verderben will, den schlägt er mit Blindheit (Sophokles, Antigone)".

Erläuterungen:
(1) Daoismus (Taoismus) ist neben Konfuzianismus und Buddhismus eine der "Drei Lehren",
die China entscheidet geprägt haben. Dao (Tao) bedeutet soviel wie "der rechte Weg".
Seine Bedeutung liegt besonders in seiner Ethik
(2) Dilemma: In der Logik eine Schlußart, in der der Gegner gefangen wird, gleich wie er sich
entscheidet (Zwickmühle). Danach auch eine Situation, die 2 Möglichkeiten der
Entscheidung bietet, die beide zu einem unerwünschten Ergebnis führen.
Ausweglosigkeit.

Hinzugefügt habe ich:
(1) Das Bild eines Ziehbrunnens im Tal Kiung, Chakassien, Sibirien (Autor: Dr. A. Hugentobler)
(2) Käthe Kollwitz "Weberzug", aus "Ein Weberaufstand", 1893/97, Käthe Kollwitz Museum, Köln

Literatur:
- Antoine de Saint-Exupery, Flug nach Arras
- Stephen Hawking, Gefahren der künstlichen Intelligenz (Internet)
- Aldous Huxley, Schöne neue Welt
- Richard David Precht, Maschinen ohne Moral, Spiegel Nr.48, 24.11.18
- Sophokles, Antigone
- Joseph Weizenbaum, Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft, Suhrkamp
1978
- Joseph Weizenbaum, Kurs auf den Eisberg, Piper 1987
- "Piloten kämpfen gegen Computer", Schwarzwälder Bote vom 29.11.18 (über den
Flugzeugabsturz in Indonesien)
- Wikipedia

Mit freundlichem Gruß
Dateianhänge
Chakassien_Tal_Kiug_200107240115_Ausschnitt.jpg
kaethe kollwitz Weberzug_1.jpg
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Re: Mythologisch interessante Münzen

Beitrag von Peter43 » Di 04.12.18 16:03

Der phrygische Reitergott Sozon

Man sollte die Legenden auf seinen Münzen sorgfältig lesen, Dann kann man überraschende Entdeckungen machen. So ging es mir bei dieser Münze, die ich eigentlich nur wegen der Doppelaxt gekauft hatte.

Münze:
Karien, Aphrodisias, Augustus, 27 v.Chr.-14 n.Chr.
AE 15, 3.36g, 15.01mm, 180°
späte Ausgabe, geprägt 2 v.Chr. - 14 n.Chr. (MacDonald)
Av.: CEBA - CTOC
Belorbeerter Kopf n.r.
Rv.: [AΦPO]ΔI - C - I - EΩN CΩ[Z] -
im re. Feld ΩN
Doppelaxt (Labrys), mit Bändern geschmückt
Ref.: BMC 90 var; SNG Copenhagen 115 var.; SNG München 130 var.; RPC 2838;
MacDonald p.77, Type 45, pl. V , O92/R160
selten, fast SS, dunkelgrüne Patina

Aphrodisias:
Seinen Namen bekam Aphrodisias durch seinen bedeutenden Aphroditekult. Im Krieg gegen Mithridates VI. schickte Aphrodisias den Römern Truppen und entschied sich im Bürgerkrieg nach dem Tod Caesars für die richtige Seite. Deshalb erhielt es von Römern bedeutende Privilegien. Aphrodisias war eine Lieblingsstadt des Augustus und wurde von ihm gefördert. Dadurch entwickelte es sich zu einer der führenden Städte in Asia minor. Durch die nahen Marmorbrüche entwickelte sich eine berühmte Marmorindustrie. Ihre Marmorarbeiten wurden im ganzen Römischen Reich verkauft. Das schönste von den vielen heute noch erhaltenen Bauwerken ist das "Tetrapylon", ein Tor aus vier Pfeiler, das aufwendig restauriert wurde. Aphrodisias gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Es war der Geburtsort des Philosophen Alexander von Aphrodisias, eines Peripatetikers (der Schule des Aristoteles), der an der Wende des 2. zum 3. Jh. lebte. Er war der bedeutendste Aristoteles-Kommentator der Antike. Aus Aphrodisiasis stammt auch Chariton von Aphrodisias, dessen "Chareias und Kallirrhoe" einer der frühesten vollständig erhaltenen antiken Romane ist. Seine Entstehungszeit wird heute auf das Ende des 1.Jh. n.Chr. gelegt.

Sozon:
Nun zu Sozon, dessen Name CΩZΩN sich auf der Münze findet. Er ist ein kleinasiatischer, wohl erst in hellenistischer Zeit geprägter Gott (Roscher). Seine Heimat ist Pisidien, von wo aus sein Kult sich nach Phrygien, Karien, Pamphylien und Lykien verbreitete. Über ihn ist wenig bekannt. Der Name des Gottes findet sich nur in Inschriften und auf Münzen:
(1) Münzen aus Antiochia ad Maeandrum (Karien)
(2) Aphrosidiasis (Karien): Eine Münze des Augustus, die ich hier vorgestellt habe, mit der Legende CΩZON auf der Rückseite
(3) Münzen aus Mastauria (Lydien): Hier ähnelt die Darstellung dem Apollo mit Zweig und Lyra. Bezeichnet auch als Apollo Tyrimnaios oder Heros Mastauros.
(4) Themisonion (Pamphylien)

Apollonia in Pisidien hieß in der Spätantike Sozopolis. Es gilt als sicher, daß Sozon der Eponym (Namensgeber) dieser Stadt war. Interessant ist auch, daß Apollonia Pontika in der Spätantike Sozopolis hieß. Heute ist es Sozopol in Bulgarien. Es war bekannt für seine Apolloheiligtümer. Das 12m hohe Apollostandbild des Kalamis wurde nach der Eroberung der Stadt durch Lucullus nach Rom gebracht.

Der Name des Sozon ist sicherlich griechisch, auch wenn sein Wesen deutlich orientalische Züge trägt. Er bietet also eine eigenartige Mischung aus griechischer Mythologie und lokalem Glauben (Roscher). Ramsay hat angenommen, daß Sozon eine griechische Umbildung aus dem thrakisch-griechischen Sabazios sei. Cumont hat diese Gleichsetzung empfohlen, weil sich die Anhänger des Sozonkultes mit jüdischen Gläubigen vereinigten, und den Sabazios mit dem Zebaoth identifizierten. Dieser Meinung war übrigens bereits Plutarch, nicht zuletzt wegen der Ähnlichkeit ihrer Festbräuche. Sabazios war eine kleinasiatische Gottheit, die von den Griechen mit Dionysos und Zagreus in Verbindung gebracht wurde. Zebaoth ist ein Hoheitsattribut Gottes in der Kombination Jahwe Zebaoth, was soviel bedeutet wie Herr der Heerscharen.

Auf Votiftafeln sieht man ihn als Reiter mit einer Keule oder der Doppelaxt. Die Inschrift spricht dabei manchmal von Apollo oder einem reitenden Helios. In diesen Kreis gehört auch der thrakische Reitergott, der ebenfalls bisweilen Apollo genannt wird. Hier berührt sich Sozon mit Apollo und Helios.

Sozon ist ebenfalls bekannt als Beiname des Zeus und bedeutet in diesem Zusammenhang soviel wie Soter (= Heiland). Zeus ist in diesem Fall ein Erntegott, der durch Hagelschlag allerdings Ernten auch vernichten kann. Diese Eigenschaft kennen wir bereits von Apollo.

In der Nähe von Kap Palos in Spanien ist ein Anker gefunden worden mit der Aufschrift Zeus Kasios Sozon. Hier ist Zeus der Beschützer der Seefahrt und Sozon bedeutet soviel wie Soter.

So wie Soter als weibliches Gegenstück die Soteira hat, hat Sozon der Retter sein weibliches Gegenstück in Sozusa, das eine Epiklesis für weibliche Gottheiten ist. Bekannt ist Sozusa als Anrede für Panakeis, der Tochter des Asklepios, für Eileithya, für Isis und sogar für Aphrodite, hier wegen der Darstellung eines Ankers als Schirmherrin der Schiffer. Dieser Anker wurde ebenfalls in Spanien gefunden.

Interessant ist, daß es in der orthodoxen Kirche einen frühen Märtyrer Sankt Sozon aus Lykaonien gibt (7. September), der unter Maximian zum Märtyrer wurde, weil er in Pompeiopolis das Standbild eines Gottes geschändet hatte. Sozon ist also in die christliche Mythologie eingedrungen. Dies stärkt die Anschaung, daß die Sozonanhänger auch eine Verbindung zu den jüdischen Gläubigen hatten.

Zusammenfassend können wir sagen:
Sozon ist ein phrygischer Reitergott mit Labrys, vielleicht verwandt mit dem thrakischen Reitergott Heros, der in griechischer Zeit angeschlossen wurde an Zeus, Apollo und Sabazios.

Das Ergebnis ist etwas unbefriedigend, Aber leider können wir manchmal nicht mehr sagen. Das zuzugeben gehört auch zur Wissenschaft.

Hinzugefügt habe ich
(1) ein Photo des Tetrapylons in Aphrodisias von unser Türkeireise 2011 und
(2) eine Ikone des Heiligen Sozon, die zeigt, daß er ein Schäfer gewesen ist.

Quellen:
(1) Wilhelm Heinrich Roscher, Mythologie
(2) Wikipedia

Mit freundlichem Gruß
Dateianhänge
aphrodisias_augustus_SNGcop115var.jpg
Aphrodisias, Augustus, SNG Cop. 115 var.
HPIM5983.JPG
Tetrapylon in Aphrodisias
sozon.jpg
Sankt Sozon
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Re: Mythologisch interessante Münzen

Beitrag von Peter43 » Di 26.02.19 16:45

Astakos - Gründungsmythe von Nikomedeia

Die Münze:
Bithynien, Nikomedeia, Severus Alexander, 222-235
AE 20, 4.26g, 20.24mm, 30°
Av.: M AVP CEVH AΛEZANΔPOC AVΓ
Büste, drapiert und cürassiert, von hinten gesehen, belorbeert, n.r.
Rv.: TPIC NEΩKOPΩN NIKOMEΔEΩN (ME ligiert)
Astakos, in Hüftkleid, n.r. stehend, nach links blickend, steht mit dem li. Fuß auf
Prora, hält in der Linken Szepter und weist mit der Rechten nach hinten
Ref.: Rec. Gen. p. 557, 319, pl. XCVI, 24
fast SS, schwarz-grüne Patina

Astakos, der Eponym der Stadt, ist hier dargestellt in der typischen Stellung eines Städtegründers, der seine Begleiter auffordert, ihm zu folgen.

Mythologie:
Nach Stephanos von Byzanz und Arrian war Astakos der Sohn des Poseidons und der Nymphe Olbia. In einer Rede über die Zerstörung der Stadt durch ein Erdbeben 358 v.Chr. erzählt Libanios, daß die ersten Städtegründer den Göttern zunächst an einem falschen Ort opferten. Aber ein Adler und eine Schlange zeigten ihnen dann den richtigen Ort, an dem sie die Stadt dann bauten. Das erinnert stark an die 2. Gründungsmythe von Alexandreia Troas: Die wird dargestellt auf den Münzen, auf denen ein Adler den Kopf eines Bullen trägt.

Nach Memnon von Herakleia war Astakos ein Abkömmling der Spartoi (= die Ausgesäten), der Stammväter der Thebaner, die aus den Drachenzähnen gewachsen waren, die Kadmos ausgesät hatte. Astakos war der Vater des Ismaros, des Amphidikos, des Leades und des Melanippos, die sich bei der Verteidigung ihrer Vaterstadt im Krieg der Sieben gegen Theben auszeichneten. Er soll Astakos in Bithynien gegründet haben (Roscher)

Laut den Dionysiaka des Nonnos fand am Meerbusen von Astakos die erste Schlacht zwischen dem Heer des Dionysos und den Indern statt. Dionysos gewann die Schlacht, weil er das Wasser des Meerbusens in Wein verwandelte und damit die Inder trunken machte.

Die Nymphe Olbia soll auch eine Stadt Olbia gegründet haben, nicht das Olbia in Sarmatien, sondern bei Nikomedeia. Ob es sich dabei aber um eine selbständige Stadt gehandelt hat oder nur um den Beinamen bzw. den früheren Namen einer anderen bithynischen Stadt, wird immer noch diskutiert. Die Annahme, daß es sich dabei um Astakos handelt, liegt zwar nahe, aber es gibt dafür keine antiken Belege (Pauly)

Astakos war in der Antike berühmt für seine Hummern, die in den flachen Ufergewässern massenhaft gelebt haben müssen. αστακος (Astakos) ist der griechische Name für den Hummer. So spricht einiges dafür, daß die Mythe von der Stadtgründung durch Astakos nach dem Vorkommen des Hummers erfunden wurde und somit eine ätiologische Sage ist.

Astakos, die Stadt:
Astakos war am gleichnamigen Golf (heute Golf von Izmit) der Propontis (heute Marmarameer) gelegen, wobei der genaue Ort bis heute nicht bekannt ist. Deshalb ist die Lage von Astacus auf der hinzugefügten Karte etwas fragwürdig.

Gegründet wurde Astakos 712/11 durch Kolonisten aus Megara. Es war Mitglied des delisch-attischen Seebundes. Nach der Ansiedlung von athenischen Kolonisten verlor es seine Selbständigkeit. Durch Doidalses kam Astakos zuerst unter bithynische. Oberhoheit (etwa 405 v.Chr.). Zipoites (356-281), Sohn des Dynasten Bas, war der erste König von Bithynien. Er versuchte vergeblich, Astakos einzunehmen. Um seine Herrschaft zu vergrößern, kämpfte er u.a. gegen Strategen des Lysimachos und besiegte ihn selbst 281 in der Schlacht von Kurupedion, bei der Lysimachos ums Leben kam. Diese Schlacht beendete die Diadochenkriege und etablierte die hellenistische Staatenwelt. Lysimachos hatte bei seinem Krieg gegen Zipoites 281 Astakos zerstört. Kurz danach starb auch Zipoites. Sein Sohn Nikomedes I. folgte ihm auf dem Thron. 264 gründete er Nikomedeia, das er αντικρυ Αστακου (= altes Astakos) nannte, und siedelte die Einwohner der alten Stadt nach dort um. 74 v. Chr. gelangte es nach dem Tode König Nikomedes IV. testamentarisch ans Römische Reich.

Hinzugefügt habe ich eine Karte des antiken Bithyniens (Quelle: summagallicana.it)

Quellen:
(1) Nonnos, Dionysiaka
(2) Stephanos von Byzanz, Ethnika
(3) Libanios, Orationes
(4) Arrian, Die Fragmente der griechischen Historiker (FGrHist)
(5) Memnon, Die Fragmente der griechischen Historiker (FGrHist)

Literatur:
(1) Der Kleine Pauly
(2) Benjamin Hederich, Gründliches mythologisches Lexikon (auch online)
(3) Wilhelm Heinrich Roscher, Ausführliches Lexikon der griechischen und
römischen Mythologie (auch online)
(4) Wikipedia

Dank an Frank Dapsul für wichtige Literaturhinweise.

Mit freundlichem Gruß
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nikomedeia_sev_alex_RecGen319.jpg
Bithynia.jpg
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Re: Mythologisch interessante Münzen

Beitrag von Peter43 » Do 28.02.19 20:32

Dione und das Orakel von Dodona

Nachdem ich vor kurzem diese Münze in meine Sammlung einreihen konnte, möchte ich hier die Ergebnisse meiner Recherchen darstellen.

Die Münze:
Epeiros, Ambrakia, 238-168 v.Chr.(?)
AE 18, 4.97g
Av.: Kopf der Dione, verschleiert und belorbeert, n.r.
Rv.: A - M / B - R
Obelisk des Apollo Agyieus auf doppelstufiger Basis, alles im Lorbeerkranz
Ref.: SNG Cop 23; SNG Munchen 525; SNG Evelpidis 1770; BMC Thessaly p. 94, 5
selten, S+, dunkelgrüne Patina, Korrosion

Anmerkung:
Apollo Agyieus (griech. αγυιευς = Hüter der Wege) war der Beschützer der Wege und der öffentlichen Plätze. Er wurde verehrt als baetylischer, oben spitzer Obelisk, der oft vor Hauseingängen stand, aber niemals in einem Tempel. Er wurde von Priesterinnen (Agyatiden) gepflegt und geschmückt mit Bändern und Lorbeerkränzen. Diese Säulen fanden sich aber auch auf den Bühnen bei griechischen Theaterspielen. Daß Apollo anikonisch als Steinsäule verehrt wurde, fand sich bereits bei den Hethitern, wo eine solche am Eingang eines Tempels in Bogazköy mit der Aufschrift "Apulunas" (= Apollo) gefunden wurde. In Kolophon finden wir den baetylischen Apollo Klarios.

Dione:
Mit Dione kommen wir in die älteste Mythologie Griechenlands. Etymologisch ebenso wie Zeus von griech. διος = göttlich abstammend, war sie zunächst weniger eine eigene Göttin, sondern als "die Göttliche" die weibliche Form des Zeus. Erst als sich die spätere griechische Mythologie entwickelte, wurde sie von Hera abgelöst. Ihre alte Stellung als gleichberechtigt neben Zeus behielt sie nur in Dodona.
Nach Hesiod war sie als Tochter des Okeanos und der Tethys eine Okeanide. Sie gehörte zu den vornehmsten Göttinnen. In den Homerischen Hymnen für Apollo wird erzählt, daß sie zusammen mit Themis, Rhea und Amphitrite der Leto bei der Geburt des Apollon auf Delos beigestanden hat.

Von Zeus hatte sie eine Tochter, die Göttin Aphrodite, die von Ovid (Fast.) selbst auch Dione genannt wurde. Homer erzählt in der Ilias, daß sich Aphrodite einmal in den Schoß ihrer Mutter Dione flüchtete, als sie von Diomedes verletzt worden war. Damals war es möglich, daß Sterbliche die Götter verletzen konnten! Dione tröstete sie damit, daß sie nicht die einzige sei, und sagte dem Diomedes eine glücklose Heimfahrt voraus.

In der "Geschichte Phöniziens" des Sanchuniathons, der vor derm Trojanischen Krieg gelebt hat, war Dione eine Tochter des Uranos und der Gaia. Sie war eine Schwester des El/Kronos. Später habe er ihr Byblos gegeben. Die tatsächliche Identität dieser Dione bleibt aber unklar. Es ist möglich, daß Sanchuniathon mit ihr die phönikische Göttin Ba'alat Gebal gemeint hat. Die Herkunft von Uranos und Gaia, also Himmel und Erde, wurde dann aber von den Orphikern übernommen.

In Pergamon hat mein eine Bronzetafel aus dem 3. Jh. n.Chr. gefunden, die Dione, Phoebe und Nyche als Heilgöttinnen nennen, und wohl als magisches Gerät benutzt wurde. In der Ilias erzählt Dione ihrer Tochter Aphrodite, daß sie einmal den Unterweltgott Plutos mit der Pflanze Paionia geheilt habe, als dieser in einem Streit von Herakles verwundet worden war. Ebenso habe sie den Ares geheilt, den Diomedes verwundet hatte. Da sie auch der Leto bei ihrer Geburt beigestanden hatte, wurde sie hier als Heilgöttin und Geburtshelferin aufgefaßt.

Dodona:
Dione ist ohne Dodona nicht zu denken. Dies ist auch der Grund, warum es Münzen mit dem Bild der Dione nur aus Epeiros gibt. Dodona in Epeiros war das älteste Orakel Griechenlands und eines der größten, nach Delphi das zweitgrößte. Bereits um 800 v.Chr. soll sich dort ein Zeusheiligtum befunden haben. Dort wurden Zeus Naios und Dione Naia nebeneinander verehrt. Naios heißt einfach Bewohner und zeugt von dem hohen Alter dieses Heiligtums. Seit Pyrrhos wurden dort auch Wettkämpfe augetragen, die Naia.

Die Priesterinnen ihres Heiligtums hießen Tauben, die der Aphrodite heilig waren. Später wurden sie als Dodonische Nymphen, die auch Zeus gesäugt haben sollen, zu Ammen des Dionysos. Deshalb findet sich Dione auch auf Vasenbildern mit bacchantischen Szenen.

Im Mittelpunkt des Orakels von Dodona stand die berühmte Eiche von Dodona. Sie sprach durch das Rauschen ihres Blätter und das Gurren von Tauben. Dies wurde dann von den Priesterinnen interpretiert. Die Besucher schrieben ihre Fragen auf Bleitäfelchen und warfen diese in einen Krug. Deshalb sind einige dieser Fragen bis heute erhalten geblieben und im Museum von Ioannina zum Teil nachzulesen. Bisher wurden ca. 4000 Bleitäfelchen gefunden, die einen unschätzbaren Einblick in die antike Orakelpraxis bieten. 2012 lagen allerdings viele noch unausgewertet in der Antikensammlung der Berliner Museen.

Diese Eiche spielte auch in der Argonautensage eine Rolle. Als die Argo mit Hilfe der Athena gebaute wurde, wurde Holz dieser Eiche in den Bug eingebaut. Das sollte durch die Kunst der Vorhersage die Argonauten vor Gefahren warnen (Apollonios von Rhodos). 392 n.Chr. wurde sie von christlichen Eiferern gefällt, die, wie wir wissen, eine Unzahl von zerstörten Kunstwerken auf ihrem Gewissen haben.

Ambrakia:
Der mythische Gründer von Ambrakia war Ambrax, Sohn des Thesprotos, aber nach Dionysos von Halicarnassos der Sohn des Dexamenos, Sohn des Herakles. Ovid erzählt in seinen Metamorphosen. daß er hier als König herrschte zu der Zeit als Aeneas auf seiner Flucht aus Troja zu ihm kam. Dabei bezeichnete er die Stadt "als im Götterstreit umkämpft." Das hat seinen Grund in der folgenden Mythologie, die wir von Antoninus Liberalis kennen und die er aus älteren Quellen geschöpft hat: Apollo, Artemis und Herakles stritten sich um die Herrschaft über diese Stadt. Weil sie sich nicht einigen konnten, zogen sie Kragaleus, den Sohn des Dryops, einen klugen und weisen Greis, der gerade seine Herden weidete, als Richter heran. Dieser sprach die Stadt dem Herakles zu, worauf Apollo ihn im Zorn in einen Felsen verwandelte. Die Ambriakoten opferten ihm jedesmal nach dem Fest des Herakles.

Im 3. Jh. v.Chr. machte Pyrrhos I. Ambrakia zur Hauptstadt seines Königsreichs Epeiros. Pyrrhos I. ist bekannt durch seine Aussage "Noch solch ein Sieg, und wir sind verloren!", den er nach Plutarch bei seinen verlustreichen Siegen gegen die Römer in Unteritalien (Graeca Magna) gemacht haben soll (von hier stammt der Ausdruck Pyrrhussieg)

Kunstgeschichte:
Dione ist dargestellt auf dem Ostgiebel des Parthenons in Athen. Dort liegt Aphrodite hingestreckt im Schoß ihrer Mutter, beide leicht umhüllt von in reichen Falten fallenden Kleidern. Vermutlich zeigt es die Szene, in der Dione ihre Tochter tröstet, nachdem Diomedes sie vor Troja verletzt hatte.
Weiter findet sich Dione auf dem Fries des Pergamonaltars (Pergamonmuseum in Berlin) der die Gigantomachia darstellt. An der Stelle, wo der Nordfries an den Ostfries anschließt, beginnt Aphrodite auf dieser Seite den Reigen der Götter. Da man sich den Fries fortlaufend vorstellen muß, kämpft sie an der Seite ihres Liebhabers Ares. Sie zieht gerade eine Lanze aus einem getöteten Giganten. Neben ihr kämpfen ihre Mutter, die Titanin Dione, von der leider nur noch Reste zu sehen sind, und ihr Sohn Eros.

Hinzugefügt habe ich
(1) ein Photo, der die Tempelanlage von Dodona zeigt. Im Hintergrund der
Tomarosberg
(2) Ein Photo vom Ostgiebel des Parthenons
(3) ein Photo des Details vom Pergamonaltar
(4) ein Photo der Bronzetafel aus Pergamon

Quellen:
(1) Hesiod, Theogonie
(2) Homer, Ilias
(3) Homerische Hymnen
(4) Apollodor, Götter und Helden der Griechen
(5) Apollonios von Rhodos, Argonautika
(6) Ovid, Fastes
(7) Ovid, Metamorphosen
(8) Plutarch, Kaiservitien
(9) Cicero, De natura deorum
(10) Pausanias, Reisen in Griechenland

Literatur:
(1) Benjamin Hederich, Gründliches Lexikon der Mythologie, 1770 (auch online)
(2) William Smith, A Dictionary of Greek and Roman biography and mythology,
1813-1893
(3) Wilhelm Heinrich Roscher, Ausführliches Lexikon der griechischen und
römischen Mythologie, 1884-1937 (auch online)
(4) Barclay Head, Historia Numorum (HN), 1886 (auch online)
(5) Richard Wünsch, Antikes Zaubergerät aus Pergamon, 1905 (google books)
(6) Karl Kerenyi, Die Götter- und Menschengeschichten, 1978
(7) Robert von Ranke-Graves, Griechische Mythologie
(8) Der Kleine Pauly
(9) Wikipedia

Mit freundlichem Gruß
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ambrakia_SNG cop23.jpg
Dodona_sanctuary.jpg
Parthenon2.jpg
Pergamonaltar.jpg
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Re: Mythologisch interessante Münzen

Beitrag von Peter43 » So 03.03.19 14:40

Themis

Dese Münzen liegen schon lange in meiner Sammlung. Jetzt habe ich mich endlich dazu aufgerafft, etwas über Themis zu schreiben. Da sie eine bedeutende Göttin ist, wird dieser Artikel etwas ausführlicher.

1. Münze:
Kilikien, Korykos, Valerian I, AD 253-260
AE 32, 22.19g, 32.07mm, 135°
Av.: AV K ΠO - ΛIK OVAΛEPIAN / OC (im Feld)
Büste, drapiert und cürassiert, von vorne gesehen, mit Strahlenkrone, n. r.
Rv.: [KΩPV (im Abschnitt) - KIΩ TΩ - N AV] NAV[AP]
im oberen Feld untereinander XI / C
Dekorierter Preiskorb mit der Inschrift ΘEMIA, mit Palmzweig zwischen
Kerykeion li. und Aphlaston re., auf einem Tisch mit delphinförmigen Füßen,
unter dem Tisch bauchige Weinkanne mit Henkeln und langem Hals, auf der re.
Seite Dionysos, nackt, bekränzt, mit Nebris um die Hüften und in Stiefeln, nach
li. stehend, stützt sich mit der erhobenen Linken auf gebänderten Thyrsos und
hält in der herabhängenden Rechten Weintraubenbündel; li. zu seinen Füßen der
Panther mit erhobener re. Pfote nach li. sitzend und n. r. blickend
Ref.: BMC 21; SNG Levante 820; SNG Copenhagen 123; SNG Paris 1123; SNG von
Aulock 5686; Klose & Stumpf 259
fast VF/VF

Anmerkung:
Nach Edith Specht handelt es sich bei diesen kürbisförmigen Objekten nicht um Kronen oder Urnen, wie man oft liest, sondern um Preiskörbe.

Die Themia:
Die präsidierende Göttin der Themischen Spiele war die Göttin Themis, die Personifikation von Recht und Ordnung.
Themia bedeutet aber auch Einlage, gewöhnlich aus Geld, und die Themischen Spiele waren ungewöhnlich, weil der Preis für die Sieger aus Bargeld bestand, und nicht wie bei den anderen Spielen, bei denen der typische Preis Kränze, Wein, Öl oder Sellerie war.

Aus Side in Pamphylien gibt es eine Reihe von Münzen, auf denen eine weibliche Göttin dargestellt ist, die Stimmsteine in eine Urne fallen läßt. Diese Göttin wird nicht nur Athena genannt wird, sondern auch Themis, Themis-Athena und Athena-Themis, habe ich mich entschlossen, sie in diesen Artikel aufzunehmen. Sie unterscheidet sich von Athena dadurch, daß sie zwar behelmt ist, aber im Gegensatz zu ihr keinen Speer hält, sondern einen Palmzweig im li. Arm trägt. In Anazarbos wird sie die Themis des Koinobulions genannt. Das Koinobulion war die Versammlung der Stadträte (Gäbler).

2. Münze:
Pamphylia, Side, Valerian II. als Caesar, Sohn des Gallienus, 256-258
AE 30, 18.04g, 0°
Av.: ΠOV ΛIK KOP OVAΛEPIANON KAI CEB
Büste, drapiert und cürassiert, barhäuptig, n.r.; darunter Adler mit offenen
Flügeln n.r. stehend, Kopf n.l.
vor dem Kinn c/m E in kreisförmigem Incus (Howgego 805)
Rv.: CIΔHTΩN - NEΩKOPΩN
Themis-Athena, behelmt, in engem Peplos, frontal stehend, Kopf n.l., hält
Palmzweig über der li. Schulter und läßt aus der vorgestreckten Rechten einen
Stimmstein in eine Urne mit 2 Henkeln fallen; re. neben ihr ein Zweig mit
Granatapfel
ref.: cf. SNG Pfälzer Privatsammlungen 882 (Gallienus); wahrscheinlich unpubliziert
S/fast SS, Av. etwas rauh, Rv. mit teilweiser schwacher Prägung und deutlichen Spuren vom Glättungsprozeß vor der Prägung

Anmerkung:
Das E des c/m soll wahrscheinlich die Münze von 10 auf 5 Einheiten abwerten.
Münzen aus Side zeigen regelmäßig einen Granatapfel. Side heißt nämlich auf Pamphylisch Granatapfel, der so zum Symbol für Side wurde.
Wofür die Göttin hier abstimmt, ist nicht ganz klar. Gaebler meint, es sei die Abstimmung nach einem Wettkampf. Jedenfalls ist es ein ausdrücklich demokratisches Motiv (Pat Lawrence).

Etymologie:
Der Name der Themis hat die Wurzel θη- wie in τι-θη-μι (= setze, verordne). Themis ist also als "die Setzerin, die (Gesetze) setzt". Die Ableitung von phönikisch them (= aufrichtig, redlich) ist heute obsolet.

Mythologie:
Ihre Eltern waren Uranos und Gaia, Himmel und Erde, auch dies ein Beweis ihres großen Alters. Sie war damit älter als Zeus und die olympischen Götter. Als Titanide war sie sie eine Schwester der Tethys, der Rhea, der Mnemosyne, der Phoibe, der Dione und der Theia (Apollodor). So war sie auch eine Schwester des Kronos. Als Zeus sie zur Gemahlin nehmen wollte, floh sie vor ihm, wurde aber bei Ichnai in Makedonien von ihm eingeholt, wahrscheinlich, weil sie Spuren (ichnos) hinterlassen hatte.

Sie gebar dem Zeus die drei Horen Eunomia, Dike und Eirene (gerechte Ordnung, gerechte Vergeltung und Frieden) und die drei Moiren (Schicksalsgöttinnen) Klotho, Lachesis und Atropos (Hesiod. Theog.). In einer späteren Mythologie waren die Horen zunächst die zwei Jahreszeiten Thallo (blühen, für Frühling) und Karpo (reifen, ernten, für Sommer). Später gesellte sich noch Auxo (wachsen) dazu. Diese waren es auch, die Aphrodite nach ihrer Geburt aus dem Meeresschaum zuerst kleideten. Nach Aischylos war sie auch die Mutter des Prometheus.

Sie soll als erste die Wahrsagekunst eingeführt haben, was logisch ist, weil man nur dann Vorhersagen treffen kann, wenn die Zukunft geordnet ist und unveränderlich feststeht. Sie besaß als erste das Orakel von Delphi, das sie von ihrer Mutter Gaia bekommen hatte, zunächst zusammen mit Poseidon, solange, bis Apollo es nach der Tötung des Python übernommen hat. Ein anderes Orakel gab es in Kephisos in Boiotien, das in der Geschichte von Deukalion eine Rolle spielt (siehe dort). So konnte sie Zeus und Poseidon vor einer Vermählung mit Tethys warnen, indem sie ihnen vorhersagte, daß dann ihre Söhne größer werden würden sls sie selbst (Pindar, Oden).

Sie kann manchmal als Parhedros (Schutzgeist) des Zeus aufgefaßt werden. So rät sie ihm im Titanenkampf das Fell der Ziege Amaltheia (die Aigis) zu tragen, und in der Gigantomachia hilft sie ihm, die Giganten aufzuspüren, indem sie deren Spuren (ichnos) verfolgt.

Sie ist beteiligt bei der Erziehung des kleinen Zeus, dann zusammen mit Rhea, Dione und Amphitrite bei der Geburt des Apollo, ernährt ihn mit Nektar und Ambrosia, und hilft der Aphrodite bei der Geburt der Beroe (Nonnos, Dionysiaka). So wird sie oft als Geburtshelferin angesehen. Römische Mythologen identifizierten sie deshalb manchmal mit Carmenta, einer Göttin, die ursprünglich eine Helferin der Gebärenden war und auch für ihre Wahrsagekunst bekannt war. Einige meinen, daß dies nur erzählt wurde, weil ihre Verbindung zu Zeus unschicklich gewesen sei, da sie ja die Schwester des Kronos, des Vaters von Zeus, war.

Nachdem Themis die Hochzeit der Tethis mit Zeus und Poseidon verhindert hatte, riet sie dem streitenden Brüderpaar, der Tethis den Helden Peleus zum Mann zu geben. So sehr Tethis sich auch wehrte, unterlag sie schließlich dem Peleus. Aus dieser Verbindung ging dann Achilleus hervor, der größte, aber kurzlebige Held vor Troja. Bei ihrer Hochzeit aber, die Pindar schildert, warf Eris den goldenen Apfel mit der Aufschrift "Der Schönsten" zwischen die Göttinnen Hera, Athena und Aphrodite, die schließlich Paris aufforderten, ihren Streit zu schlichten, was dann schließlich zum Trojanischen Krieg führte.

Tatsächlich aber gab es eine Vorgeschichte: Gaia, die Mutter der Themis, hatte sich bei ihr beklagt, daß sie die Last der zu vielen Menschen nicht mehr tragen könnte. Da gab Themis dem Zeus den Rat, einen großen Krieg anzuzetteln, um ihrer Mutter zu helfen. Und so kam es zum Trojanischen Krieg, der also nicht erst durch den Raub der Helena ausbrach, wie man meint, sondern den Zeus und Themis von langer Hand geplant hatten. Dies wird ausführlich in den Kyprien erzählt, die die Zeit vor dem Trojanischen Krieg schildern. Homer wird sie gekannt haben. Deshalb ist Raoul Schrott in seiner neu übersetzten Ilias auch der Meinung, daß mit der Anrufung der Muse zu Beginn des Epos Themis gemeint ist; "Groll verkünde, Themis, über Peleus’ Sohn Achilleus und seinen Zorn"

Eine wichtige Rolle spielt Themis dann noch in der Sage von der großen Deukalischen Flut. Doch das möchte ich in einem eigenen Exkurs behandeln.

Hintergrund:
Themis ist die Personifikation eines abstrakten Begriffs, eine höhere Macht, die noch über den Göttern steht, unverrückt von Urzeiten her, die Verkörperung einer heiligen Ordnung. Sie stammt aus einer Zeit, als es noch nicht hieß: "Nichts ist gewaltiger als der Mensch" (Sophokles, Antigone). Ohne diese heilige Ordnung kann keine Gesellschaft bestehen. Zu dieser Ordnung gehört grundsätzlich die Ehe und die der Natur innewohnende Regel im Umgang der Geschlechter, wozu auch die Schamhaftigkeit gehört (Pindar). Deshalb haben ihre Töchter, die Horen, auch sofort die aus dem Meer auftauchende Aphrodite bekleidet. Dazu gehört das Einhalten von Eiden und Verträgen. Sie ist die Hüterin des Gastrechts und sorgt für den Schutz des Hilfebedürftigen. Sie schützt sogar den um Blutsühne flehenden Mörder an ihrem Altar.

Themis sorgt für den Gottesfrieden, der während der olympischen Spiele herrscht, etwas was es in unserer Zeit nicht mehr gibt. Sie ist zuständig für den korrekten Ablauf eines Agon, und deshalb sehen wir sie z.B. auf den Münzen von Anazarbos, Tarsos oder von Side, wie auf der Münze oben. Sie ist überhaupt zuständig für die Einberufung von Versammlungen, der Agora oder dem Koinoboulion.

Themis straft die Hybris. Deshalb ist die Tat des Tantalus, der den Göttern, auch der Themis, seinen Sohn Pelops als Speise vorsetzt, so furchtbar. Das fordert ihre schwerste Rache heraus. Und damit kommt sie in engste Berührung mit Nemesis: Wenn Themis verletzt wird, wird sie von Nemesis gerächt. Daher werden beide Göttinnen zusammen in Rhamnous verehrt.

Kunstgeschichte:
Pausanias kennt noch das Standbild aus Goldelfenbein aus dem Heraion in Olympia und die Marmorstatue aus Theben. In Troizen wurden sogar mehrere Themides verehrt! Erhalten geblieben ist aber nur ein kolossales Standbild aus Rhamnous im Norden von Attika, das heute im Nationaltheater in Athen steht. Ihr fehlt dabei die li. Hand, in der sie wahrscheinlich eine Waage hielt.

Dort wurde sie zusammen mit Nemesis verehrt, wobei später Nemesis in den Vordergrund rückte. Der Kult in Rhamnous wurde 399 n.Chr, durch einen Erlaß des oströmischen Kaisers Arcadius verboten, der die Zerstörung der verbliebenen "heidnischen" Tempel anordnete.
Abgebildet ist sie auf dem Fries auf dem Pergamonaltar in Berlin, wo aber nur noch Teile des Chiton und des Mantels zu sehen sind.

Ausgesucht habe ich
(1) ein Bild der Statue der Themis des Chairestatos, 315 v.Chr., aus pentelischem Marmor (aus dem Store norske leksikon, Lars Maehlum)
(2) und zusätzlich das Tondo auf einer attisch rotfigurigen Kylix, die dem Kodros Maler zugeschrieben wird, ca. 430 v.Chr., hochklassisch, heute in der Antikensammlung Berlin. Zu sehen ist der kinderlose König Aigeus, dem Themis gerade die Geburt eines Sohns vorhersagt. Die Göttin sitzt auf dem delphischen Dreifuß in der Rolle der Pythia, der Prophetin dieses Orakles. Sie hält eine Phiale in der einen Hand und einen Lorbeerzweig in der anderen.

Quellen:
(1) Hesiod, Theogonie
(2) Apollodor, Bibliotheke
(3) Homer, Ilias
(4) Pindar, Oden
(5) Aischylos, Der gefesselte Prometheus
(6) Sophokles, Antigone
(7) Kyprien
(8) Nonnos, Dionysiaka

Literatur:
(1) Benjamin Hederich, Gründliches mythologisxhes Lexikon, 1770 (auch online)
(2) Wilhelm Heinrich Roscher, Ausführliches Lexikon der griechischen und
römischen Mythologie, ab 1884 (auch online)
(3) Karl Kerenyi, Die Götter- und Menschheitsgeschichten, dtv
(4) Robert von Ranke-Graves, Griechische Mythologie, rororo
(5) Der Kleine Pauly
(7) H. Gaebler, Die Losurne in der Agonistik, ZfN 39 (1929)
(8) Edith Specht, Kranz, Krone oder Korb für den Sieger, in "Zeitschrift für klassische
Archäologie 14/III/2000
(9) Ilias. Neu übertragen von Raoul Schrott. Hanser, München 2008

Online-Quellen:
(1) theoi.com
(2) Wikipedia

Mit herzlichen Grüßen
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Re: Mythologisch interessante Münzen

Beitrag von Peter43 » Fr 15.03.19 00:07

Exkurs: Deukalion und Pyrrha

Die Mythologie von Deukalion und Pyrrha ist so umfassend, daß ich sie aus dem Artikel über Themis ausgliedern und sie in einem eigenen Exkurs zusammenfassen mußte.

Hintergrund:
Die Sage von der Deukalischen Flut stammt aus dem Osten, wahrscheinlich aus Mesopotamien. Dort gibt es das gewaltige Gilgamesch-Epos, in dem Utnapischtim gerettet wird, und die Geschichte von Noah, die im 1. Buch Mose, im AT der Bibel geschildert wird. In Griechenland hatten diese Flutsagen eine eher geringe Bedeutung und ihre Überlieferungen waren so widersprüchlich, daß schließlich drei große Fluten unterschieden wurden (Nonnos, Dionysiaka):

1. Die Flut des Ogygos
2. Die Deukalische Flut, und
3. die Flut des Dardanos

Daß die Sintflut durch den Ausbruch des Vulkans von Santorini ausgelöst wurde (sog. minoische Eruption vor 3600 Jahren), ist nicht möglich, weil die Mythen von der Sintflut älter sind. Die neue Hypothese, daß die Sintflut den Durchbruch des Mittelmeers durch den Bosporus ins Schwarze Meer beschreibt, ist interessant, wird aber von den meisten Wissenschaftlern abgelehnt.

Die Zeitalter:
Die Deukalische Flut ist die mittlere. Um sie zu verstehen, müssen wir etwas über die Menschheitsgeschichte hören, die uns Hesiod. erzählt. Nach ihm gab es vier Menschengeschlechter, die in vier aufeinanderfolgenden Zeitaltern gelebt haben.

Das erste war das goldene Zeitalter. Es stand unter der Herrschaft des Kronos. Die Menschen stammten von den Göttern ab und lebten auch wie die Götter selbst, ohne Mühen und Sorgen. Es war eine Art von Garten Eden. Alter und Krankheiten waren ihnen unbekannt. Sie starben wie im Schlaf und wurden danach zu guten Geistern, die die Menschen beschützen..

Das zweite Geschlecht, das silberne, wurde von den Olympiern geschaffen und war minderwertiger als das goldene. Hier lebten die Menschen hundert Jahre wie kleine Kinder bei ihrer Mutter, dann benahmen sie sich für eine kurze Zeit wie Narren und Verrückte, ehrten die Götter nicht, und gingen zugrunde. Sie werden von den Menschen aber noch als Selige verehrt.

Dann schuf Zeus ein drittes Geschlecht: das bronzene. Diese Menschen waren stark und furchtbar. Sie bauten alles aus Bronze, weil es Eisen noch nicht gab. Ihre Häuser waren aus Bronze, ihre Waffen und alles Gerät. Sie kämpften ständig gegeneinander und löschten sich so selbst aus und kamen in den Hades.

Nachdem sie durch ihre eigene Hand untergegangen waren, kam ein viertes Menschengeschlecht, das eiserne, das auch heute noch besteht. Die Menschen machten alles aus Eisen und hörten nicht auf zu arbeiten, Tag und Nacht, und kämpften gegeneinander ohne Ende. Die Eltern achteten nicht mehr ihre Kinder und die Kinder nicht ihre Eltern. Es gab keine Gastfreundschaft mehr und Versprechen wurden nach Belieben gebrochen. Auch dieses Geschlecht wird eines Tages böse enden, Aidos (Scham) und Nemesis werden die Menschen verlassen, damit die Menschheit schutzlos zugrunde geht. Dike (Gerechtigkeit) habe sich bereits in die Berge zurückgezogen, da die Menschen sie nicht mehr achteten. Als es noch schlimmer wurde, habe sie die Erde verlassen und ist am Himmel als Jungfrau sichtbar (Pindar).

Die Deukalische Flut:
Zeus wollte sich selbst überzeugen, ob die Menschen wirklich so schlecht waren, und kam zu Lykaon, dem König von Arkadien. Der wollte die Klugheit des Gottes prüfen und setzte ihm das Fleisch eines getöteten, unschuldigen Gastes vor. Da zerstörte Zeus sein Haus mit einem Blitz und verwandelte ihn in einen Wolf. Die Menschen aber beschloß er zu vernichten, nicht durch Feuer, weil das den Himmel hätte entzünden können, sondern durch eine Wasserflut über Griechenland, sodaß alle Menschen und Tiere ertranken. Bis auf Zwei: Deukalion und Pyrrha.

Deukalion, Sohn des Prometheus und der Klymene, war König über die Phthiotis in Thessalien (Strabo) und hatte Pyrrha (die "Rothaarige"), Tochter des Epimetheus und der Pandora, zur Frau. Diese beiden waren die gerechtesten und frommsten Menschen auf Erden. Prometheus riet ihnen, einen hölzernen Kasten zu zimmern, den Deukalion und Pyrrha bestiegen. Als die Flut nach 9 Tagen endete, landeten sie am Parnaß (nach anderer Überlieferung am Othrys). Als Zeus die Geretten sah, beendete er die Flut, indem er ein tiefes Loch machte, in dem das Wasser ablief. Dieses Loch war noch 1000 Jahre später im Heiligtum von Olympia zu sehen.

Deukalion stieg aus der Arche und opferte dem Zeus Phyxios. Dieser schickte ihm den Hermes und stellte ihm eine Wunsch frei. Er bat um Menschen und im Heiligtum der Themis am Fluß Kephissos erhielten sie die Weisung, ihre Häupter zu bedecken und die Knochen ihrer Mutter hinter sich zu werfen. Sie erkannten, daß Themis damit ihrer aller Mutter Erde gemeint hatte. So warfen sie Steine hinter sich und aus den Steinen des Deukalion entstanden die Männer, aus denen der Pyrrha die Frauen. Deshalb waren die neuen Menschen "ein hartes Geschlecht, in Drangsal erfahren“. Die alten Griechen meinten, daß ihr Wort für Volk (λαοι) sich von Stein (λαες) herleite, wie wir heute wissen eine sog. Volksetymologie.

Apollodor berichtet in seiner Bibliotheke, daß auch andere Menschen, die sich auf Berge gerettet hatten, überlebten: Megaros, Kerambos und die Einwohner von Parnassos, von denen einige nach Arkadien auswanderten und dort die schrecklichen Bräuche Lykaons wuieder aufleben ließen. So war die Flut wenig nützlich gewesen.

Deukalion baute nach seiner glücklichen Rettung den ersten Tempel für Zeus in Athen und wurde nach seinem Tod dort auch bestattet (Pausanias). Er hatte mit Pyrrha fünf Kinder, Protogeneia, Hellen, der zum Stammvater der Griechen (Hellenen) wurde, Graikos, Thyia und Orestheus, vielleicht auch noch Amphiktyon.

Kunstgeschichte:Die Darstellung von Deukalion und Pyrrha in der Antike ist selten. Ich habe nur die Erwähnung eines Stuckreliefs aus Ostia, um 120 n.Chr., gefunden. Aber in der Renaissance wurde dieses Thema aufgegriffen. Es gibt Bearbeitungen dieses Motivs von Schiavone (1563, Galleria Nazionale in Parma), von Tintoretto (um 1541, Modena, GE; 1543/44, Padua, Mus. Civico) und später bei Rubens (1636, Prado) und Giovanni Benedetto Castiglione (1655, Denver Art Museum), um nur die wichtigsten zu nennen.

Ausgewählt habe ich die Gemälde von Rubens und von Castiglione.

Interessant ist weiter eine Marmorskulpur "Pyrrha oder die Bevölkerung" von 1773, die heute im Louvre steht. Sie zeigt Pyrrha und die durch ihre Steinwürfe entstandenen Menschen, hier durch Kinder dargestellt. Sie wurde von Abt Terray, dem letzten Finanzkontrolleur Ludwigs XV. und und kurzzeitigen Direktor der Königsgebäude vor der Ankunft Ludwigs XVI. in Auftrag gegeben. Bevölkerung ist hier verbal gemeint, nicht im Sinne von "Gesamtzahl der Bewohner", sondern von "Bevölkern", wie in der Peuplierungspolitik Friedrich des Großen. Diese Peuplierung war ein wichtiges Instrument der Bevölkerungspolitik im Absolutismus.

Quellen:
(1) Hesiod, Theogonie
(2) Apollodor, Bibliotheke
(3) Ovid, Metamorphosen
(4) Pausanias, Reisen
(5) Strabo

Literatur:
(1) Benjamin Hederich, Gründliches mythologisches Lexikon (auch online)
(2) Wilhelm Heinrich Roscher, Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie (auch online)
(3) Der Kleine Pauly
(4) Karl Kerenyi, Die Mythologie der Griechen
(5) Robert von Ranke-Graves, Griechische Mythologie
(6) Aghion/Barbillon/Lissarrague, Reclams Lexikon der antiken Götter und Heroen in der Kunst, 2000

Online-Quellen:
(1) Wikipedia
(2) theoi.com

Mit freundlichen Grüßen
Dateianhänge
Peter_Paul_Rubens_-_Deucalion_and_Pyrrha,_1636.jpg
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Re: Mythologisch interessante Münzen

Beitrag von Peter43 » Fr 15.03.19 00:08

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Re: Mythologisch interessante Münzen

Beitrag von Peter43 » Fr 15.03.19 00:14

Ich wollte Altamura2 wieder einmal zeigen, wie ich mir Artikel in diesem Thread vorstelle.

Jochen
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Re: Mythologisch interessante Münzen

Beitrag von Peter43 » Mi 10.04.19 12:56

Apollo Lairbenos

Asia Minor ist bekannt als Heimat einer unendlich großen Zahl von Gottheiten. Hier möchte ich etwas über den phrygischen Apollo Lairbenos erzählen.

1. Münze:
Phrygia, Hierapolis, pseudo-autonom, 2.-3.Jh. n.Chr.
AE 24, 7.34g, 180°
Av.: ΛAIP - BHNOC
Büste des Apollo Lairbenos, drapiert und mit Strahlenkrone, n.r.
Rv.: IEPAΠOΛEITΩN / NEΩKOPΩ / N
Römische Wölfin mit den Zwillingen Remus und Romulus, n.l., darüber ein Stern
Ref.: BMC 95 var.
fast SS, dunkelgrüne Patina

Hierapolis:
Ihr Name bedeutet "heilige Stadt" und sie soll durch Apollo gegründet worden sein. Sie war berühmt für ihre heiligen heißen Quellen, deren Gase mit Pluto, dem Unterweltgott, in Verbindung gebracht wurden. Hierapolis hatte eine bedeutende jüdische Gemeinde und wird von Paulus in den Kolosserbriefen erwähnt. Heute ist es ein UNESCO Weltkulturerbe. Die weißen Sinterterassen von Pamukkale sind weltberühmt.

1889 entdeckten Ramsay und Hogarth als Erste die Ruinen eines kleinen Tempels bei Badliner in der Nähe von Dionysopolis in Phrygien, der einem einheimischen Gott geweiht war, der mit Apollo identifiziert wurde. Nach den gefundenen Inschriften wurde er auch verehrt in Dionysopolis. in Hierapolis, Motella und Atyochorion. Sein Name ist nicht einheitlich. In Hierapolis hieß er Lairbenos. In den Inschriften kommen aber auch vor: Lairmenos, Larmenos, Larbenos, Leimenos und Luermenos. Dieser Beiname des kleinasiatischen Apollo ist ungriechisch. Früher wurde er von einigen von labrys (= Doppelaxt), von anderen von hethitisch labarnas (= "Herr") abgeleitet. Aber eher liegt ein Toponym oder ein Ethnikon zugrunde. Der Name kann von dem Ortsnamen Lyrbe in der Nähe der Inschriftenfunde stammen. Wahrscheinlich war es so, daß die Aussprache dieses phrygischen Lautes im Griechischen nicht genau wiedergegeben konnte. Ramsay nimmt an, daß er dem Deutschen "ö" ähnlich gewesen sein könnte.

In den Inschriften wird er auch oft Apollon Lairbenos oder Apollon Helios genannt. Es kommen auch vor Epiphanes (der Leuchtende) und Megas (der Große), alles Hinweise auf seinen Sonnencharakter. Er wurde zusammen verehrt mit der mütterlichen Göttin Leto, die im südlichen und westlichen Asia minor einen ausgedehnten Kult besaß. Ramsay faßte ihn als ihren Sohn auf. Eine Münze aus Hierapolis mit der Legende ΛΗΤΩΕΙΑ.ΠΥΘΙΑ zeigt, daß es zu beider Ehren ein gemeinsames Fest gegeben haben muß. Ramsay schreibt, daß das Paar Leto und Lairbenos Apollo seine Entsprechung in Kybele und Atys im nördlichen Asia Minor hatte. Im Laufe der Zeit wurde es durch die Aufnahme der Artemis zur Trias. Die Priester ihres Kultes nannten sich auch "Priester des Asklepios Soter", was zeigt, daß er zusätzlich die Eigenschaften eines Heilergottes hatte und er in engem Zusammenhang zum Gott Sozon gestanden haben muß (Roscher).

Inschriften im Tempel von Badliner zeigen, daß in seinem Namen Sklaven freigelassen wurden, wenn sie sich für einige Zeit oder für immer als hieroi in den Dienst der Gottheit stellten (als sog. Hierodoulen, Tempeldiener). Es fanden sich aber auch Stelen, die von furchtbaren Strafen für diejenigen sprachen, die sich im Dienst für den Gott gegen ihn vergangen hatten. Dies kann z.B. auch die Malaria gewesen sein, die in diesem Tal endemisch war. Als Vergehen, die bestraft worden waren, sind beschrieben: Eine Frau hatte mit ihrem Mann geschlafen, obwohl sie eine hiera war. Ein Mann hatte seine Frau nicht fortgelassen, obwohl sie eine hiera war (eigentlich verständlich!). Ein Mann hatte das Fleisch einer Ziege gegessen, die als Opfertier vorgesehen war. Der Sinn dieser Stelen war, andere zu warnen.

Ein mit dem Apollo-Lairbenos-Kult verbundenes Gebäude wurde 1960 in Hierapolis ausgegraben. Es steht über dem Plutonion (einem Eingang zur Unterwelt), das eine mit giftigen Gasen gefüllten Höhle war, von der Plinius schreibt, daß nur die Priester der Großen Mutter (die sog. Galli) unbeschadet wieder aus ihr herauskommen konnten. Mit Großer Mutter (= Kybele) ist hier mit Sicherheit Leto gemeint, die auch MHTHP LHTΩ genannt wurde. Irgendwie wurden zu dieser Zeit viele Gottheiten miteinander vermischt!

Auf Münzen wird Lairbenos regelmäßig mit Strahlenkrone abgebildet, was seine Funktion als Sonnengott beweist. Die Zwillinge, die auf der Rückseite der Münze von einer Wölfin gesäugt werden, nennt Roscher absichtlich nicht Remus und Romulus, weil ausgesetzte Kinder, die dann von einem Tier aufgezogen werden, auch in vielen anderen Sagen vorkommen.

Lairbenos kommt auch auf einem Pferd n.r. reitend vor, nicht nur auf Stelen, sondern auch auf Münzen:

2. Münze:
Phrygien, Hierapolis, pseudo-autonom, 3.Jh. n.Chr.
AE 24, 8.16g
Av.: BOVΛΗ
Büste der Boule, drapiert und belorbeert, n.r.
Rv.: IEPAΠOΛEITΩN
Apollo Lairbenos auf Pferd n.r. trabend, mit der Linken die Zügel halten, in der
Rechten die Doppelaxt
Ref.: BMC 240, 77
S+, schwarzbraune Patina, Schrötlingsausbruch bei 7h, gelocht bei 6h

Von Thyatira gibt es Münzen, auf denen eine Figur auf einem Pferd reitet und dabei eine Doppelaxt (labrys) über der Schulter hält. Lange Zeit wurde diese Figur für eine Amazone gehalten. Gerhard hat dann erkannt, daß es eine männliche Gottheit sein muß, hielt sie aber für Men. Erst Pick hat erkannt, daß es Apollo Tyrimnaios ist. Auch hier handelt es sich um den lydo-phrygischen Sonnengott, der auf den Münzen vieler Städte in Lydien und Phrygien in dieser Gestalt erscheint. Dieser Gott wird auch abgebildet auf Münzen von Eumeneia in Phrygien, hier frontal stehend mit Doppelaxt und einem Raben:

3. Münze:
Phrygien, Eumeneia, Nero als Caesar, 50-54 n.Chr.
AE 20, 4.60g, 0°
geprägt unter dem Archiereus Julius Kleon
Av: NEPΩN - ΣEBAΣTOΣ
Büste, drapiert, barhäuptig, n.r.
Rv.: von re. nach li., immer von oben nach unten:
EVMENEΩN / IOVΛIOΣ / KΛ - EΩN / APXIEPEVΣ AΣIAΣ
Apollo Tyrimnaios, nackt, Chlamys über der li. Schulter, frontal stehend, n.l.
blickend, hält Doppelaxt im li. Arm und in der vorgestreckten Rechten Raben
Ref.: SNG Copenhagen 394; SNG von Aulock 3591: SNG München 207; RPC 3149;
BMC 41
Selten, SS+, schwarze, glänzende Patina

Anmerkung:
Julius Kleon war zusammen mit seiner Frau Bassa Oberpriester von Asien.

Exkurs: Die Doppelaxt
Die Doppelaxt (griech. labrys, lat. bipennis) diente zu handwerklichen Zwecken, aber auch als Waffe, bei Homer allerdings nur bei den Gegnern der Achäer, vor allem bei den Amazonen. Ihre besondere Bedeutung hatte sie im Kult. Ursprünglich aus dem Vorderen Orient kommend und dann in Kleinasien, besonders in Karien, war sie bis in späteste Zeit das Attribut zahlreicher einheimischer Götter. In Kreta wurde sie zu einem der wichtigsten religiösen Symbole. Dort werden nur Göttinnen mit der Labrys dargestellt. Dies wird teils als Beweis eines Matriarchats aufgefaßt, teils aber auch als Hinweis auf den männlichen Partner der Großen Göttin und als Insignie des Priesterfürsten. Doppeläxte wurden als Kultsymbole und Weihegeschenke aufgestellt, z.T. aus kostbarem Material, und als göttlicher Schutz in die tragenden Fundamentsteine der kretischen Paläste eingeritzt. In Asia minor tragen neben Demeter und Kybele auch viele männliche Gottheiten eine Labrys, z.B. Zeus als Labraundos, Men und Apollo, wie hier auf der Münze. Gerne wird dies als Zeichen des Wetter- und Gewittergottes aufgefaßt, allerdings ohne ausreichenden Grund.

Auf dem griechischen Festland geht die Labrys ganz in die Hand männlicher Gestalten über. Seit der sog. geometrischen Zeit taucht die Labrys als Zeichen der Heiligkeit auf, z.B. bei Herakles, Theseus, Hephaistos u.a. In Italien spielt sie, außer in östlichen Kulten, keine große Rolle. Das Beil im Fascesbündel hat mit der Labrys nichts zu tun. Der Kleine Pauly meint, daß der eigentliche Charakter und die kultische Verwendung der Labrys erneuter Klärung bedarf.

Leider hat sich auch hier wieder die Esoterik dieses Gerätes bemächtigt. Im Internet findet man dann die absonderlichsten Erklärungen, besonders von sog. Feministinnen.

Angehängt habe ich:
(1) ein Bild der Sinterterrassen bei Pammukale (eigenes Photo von März 2011)
(2) ein Bild des Plutonions (Mach, Wikipedia)
(3) das Bild einer Stele mit dem reitenden Lairbenos (Wikipedia)

Quellen:
(1) W. M. Ramsay, Artemis-Leto and Apollo-Lairbenos, The Journal of Hellenic
Studies, Vol. 10 (1889) (über jstor.org)
(2) Kevin M. Miller, Apollo Lairbenos, in Numen, Vol. 32, No. 1 (Jul., 1985) (über
jstor.org)
(3) Wilhelm Heinrich Roscher, Ausführliches Lexikon der griechischen und
römischen Mythologie, 1895
(4) Der kleine Pauly
(5) Wikipedia

Mit freundlichem Gruß
Dateianhänge
hierapolis_phrygia_pseudoautonom_BMC95var.jpg
Hierapolis_Boule_.jpg
eumeneia_nero_SNGcop394_#1.jpg
Pammukale März 2011.JPG
Pammukale mit Sinterterrassen
Hierapolis_Plutonion.jpg
Hierapolis Plutonion
apollon_lairbenos_tapinagi_cal_1.jpg
Stele mit reitendem Lairbenos
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Re: Mythologisch interessante Münzen

Beitrag von Peter43 » Mi 10.04.19 12:58

Sobek - der ägyptische Krokodilsgott

Diese Münze liegt schon 10 Jahre in meiner Sammlung. Ich habe immer gedacht, daß es sich auf der Rückseite um ein Krokodil handelt. Aber jetzt hat Broucheion von CoinTalk mich darauf aufmerksam gemacht, daß das Krokodil auf dem Kopf eine Sonnenscheibe trägt. Es ist also kein einfaches Krokodil, sondern es handelt sich Sobek, den Krokodilsgott! Ich hatte die Sonnenscheibe übersehen, bin damit aber nicht allein: Auch Förschner erwähnt sie nicht!

Also folgt jetzt natürlicherweise ein Artikel über Sobek - den ägyptischen Krokodilsgott.

Die Münze:
Ägypten, Alexandria, Arsinoites Nome, Hadrian, 117-138
AE - Dichalcum, 2.01g, 12.87mm, 30°
geprägt in Alexandria 126/127 (Jahr 11)
Av.: Belorbeerter Kopf n.r.
Rv.: Krokodil mit Sonnenscheibe über dem Kopf, n.r. (Krokodilsgott Sobek)
im oberen Feld LIA (Jahr 11)
im Abschnitt APC (für Arsinoites)
Ref.: Milne -; Dattari 6212; Geissen 3383f.; SNG Copenhagen 1085; Förschner 1344
(Sonnenscheibe nicht erwähnt!)
Nicht häufig, SS, hellgrüne Patina

Es handelt sich bei dieser Münze um eine sog. Nome-Prägung. Ägypten war im Alten Reich in 32 Gaue eingeteilt (griechisch Nomoi), die aus Fürstentümern des Neolithikums hervorgegangen waren (Wikipedia). An ihrer Spitze stand ein Gaufürst (Strategos), der relativ unabhängig von der Zentralmacht des Pharaos waren. Jedem Gau (Nomos) war eine Gottheit zugeordnet, die besonders verehrt wurde. Viele dieser Lokalgötter hatten keinen eigenen Namen, sondern wurden nach ihrem Haupverehrungsort benannt. Die Göttin der Stadt Bast im Nildelta, die berühmte Katzengöttin, hieß einfach "Bastet = die von Bast".

Diese Münze wurde in Alexandria geprägt (wie alle Nome-Prägungen) für den Arsinoites-Gau. Dieser war in griechisch-römischer Zeit den alten Gauen als 21. Gau Noret-Pehet hinzugefügt worden und gehörte zu Oberägypten.

Arsinoites liegt am Fajum an der Einmündung eines Nilarms in den antiken Fajum-See. Das Fajum war ein ausgedehntes Sumpfgebiet, ein ideales Jagdgebiet, das erst unter Ptolemaios II. weitgehend trockengelegt wurde, um dort seine griechischen Söldner anzusiedeln.

Die dort seit alten Zeiten lebenden Krokodile flößten den Menschen Bewunderung und Furcht ein. So ist es verständlich daß sie dort in der Gestalt des Krokodilgottes Sobek (ägyptisch "sbk") verehrt wurden. Die Griechen nannnten die Stadt wegen dieser Verehrung des Krokodils Krokodeilopolis. Sobek hieß bei ihne Souchos. Sobek galt auch als Herrscher über das Wasser und als Fruchtbarkeitsgott. Er wurde als Beschützer verehrt, teilweise aber auch als böse angesehen. Im Neuen Reich taucht er in den Unterweltbüchern auf. In der Spätzeit galt er sogar als Schöpfergott.

Dargestellt wurde Sobek als Gott mit menschlichem Körper und Krokodilkopf. Als Hoheitszeichen trägt er das Was-Szepter in der Linken und das Ankh in der Rechten. Im Neuen Reich um 1400 v.Chr. erhielt Sobek zusätzlich die Sonnenscheibe, da er zu dieser Zeit als eine Offenbarung des Sonnengottes Re galt und als Sobek-Re bekannt war. Wir haben also Grund zu der Annahme, daß auf dieser Münze ebenfalls Sobek-Re gemeint ist.

Seine Bedeutung war zu dieser Zeit so groß, daß eine Reihe von Pharaonen seinen Namen als Zusatz annahmen, z.B. die Königin Nofrusobek oder der Pharao Chankre Sobekhotep, was übersetz bedeutet "Sobek ist zufrieden".

Dem Krokodilgott Sobek waren zahlreiche Tempel mit Teichanlagen für die heiligen Tiere geweiht. Neben Krokodeilopolis fanden sich die wichtigsten bei Kom-Ombo in Oberägypten und bei Tebtunis. Die alten Ägypter kannten zwei verschiedene Krokodilarten: Das größere Nilkrokodil und das kleinere Westafrikanische Krokodil. Für religiöse Zwecke wurde in der Regel das Westafrikanische Krokodil verwendet, wohl weil es weniger gefährlich war. Die in diesen Tempel verstorbenen Krokodile wurden wie Menschen einbalsamiert und als Mumien begraben. Bei Kom-Ombo und in den Höhlen der Krokodilnekropole von El-Maabdeh fand man tausende dieser Krokodilmumien, vor allem Jungtiere.

Die Römer benannten Krokodeilopolis um in Arsinoites, die Stadt der Arsinoiten. Neben Memphis, Pelusium und Alexndria war sie Gerichtsort des Statthalters. Von dort stammten zahlreiche Papyri in griechischer, koptischer und arabischer Schrift. Heute ist es Al-Fayum, eine Großstadt mit über 475000 Einwohnern.

Anmerkung:
(1) Altes Reich ca. 2707 - 2216 v.Chr. (3. bis 6. Dynastie)
(2) Neues Reich ca. 1550 - 1070 v.Chr. (18. bis 20. Dynastie)

Hinzugefügt habe ich
(1) ein Bild des Sobek-Re
(2) Ein Bild der Tempelfassade des Sobek-Re (Roland Unger, Wikipedia), Qasr Qarun, bei Al-Fayum

Quellen:
(1) Wikipedia
(2) Gisela Förschner, Die Münzen der römischen Kaiser in Alexandrien - Historisches Museum Frankfurt, 1987
(3) Der Kleine Pauly

Mit freundlichem Gruß
Dateianhänge
nome_arsinoites_hadrian_Dattari6212.jpg
320px-Sobek_svg.png
QasrQarunFacade_1.jpg
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Re: Mythologisch interessante Münzen

Beitrag von Peter43 » Do 21.11.19 17:30

Herakles und die Lernäische Hydra

Die Münze:
AE 18, 2.77g, 17.56mm, 210°
Av.: TON KTI - CTHN
Bärtiger Kopf des Herakles n.r.
Rv.: AΔPIANO - ΠOΛEITΩ[N]
Herakles, nackt, n.l. stehend, hat die Lernäische Hydra mit mehrern Köpfen, die
bereits sein re. Bein umschlungen hat, mit der Linken ergriffen und hält in der
erhobenen Rechten seine Keule, um mit ihr die Hydra zu erschlagen; re. hinter
ihm sein Köcher und der Bogen
Ref.: Mionnet Suppl. II, 604
sehr selten, fast SS, dunkelgrüne Patina, leicht korrodiert

Anm.:
In Nikopolis gibt es für Macrinus und seinen Sohn Diadumenian Münzen mit fast der selben Darstellung, auch mit dem von der Hydra bereits umschlungenen Fuß, sodaß einiges dafür spricht, daß es sich hier um die Darstellung einer Statue handelt.

Vorgeschichte:
Herakles, der illegitime Sohn des Zeus und der Alkmene wurde von Geburt an von der Eifersucht der Hera verfolgt. Nachdem er Megara, die Tochter des Königs Kreon von Theben, geheiratet hatte, schlug sie ihn mit Wahnsinn, in dem er seine Kinder mit Megara tötete und sie ins Feuer warf. Wieder zur Besinnung gekommen, verbannte er sich selbst aus Theben und wurde durch König Thespios entsühnt. Dann wandte er sich an die Pythia in Delphi, um zu fragen, was er weiter tun sollte. Die Pythia erlegte ihm auf, 12 Jahre im Dienste seines Vetters Orystheus, des Königs von Tiryns, zu dienen.

Mythologie:
Die Tötung der Lernäischen Hydra gehört als 2. Arbeit zum Dodeka-Katalog der 12 Arbeiten des Herakles. Die Hydra, eine Tochter des Typhon und der Echidna, von denen noch andere Ungeheuer stammten, war eine riesige Wasserschlange mit sieben Köpfen, die von Hera aufgezogen, im Sumpf von Lerna in der Argolis hauste. Sie überzog das Land mit ihem tödlichen Atem, verwüstete die Herden und alles, wohin sie gelangte. Herakles bestieg zusammen mit Iolaos seinen Wagen und machte sich auf den Weg. Auf den Rat der Athena hin scheuchte er sie mit glühenden Pfeilen aus ihrer Höhle unter einer Platane am Fluß Amymone. Mit Mühe überwältigte er sie - sie schlang sich bereits um seine Beine - und schlug ihr mit dem Schwert die Köpfe ab. Aber jedesmal wuchsen dem Ungeheuer statt des abgehauenen Kopfes zwei neue nach. Zudem schickte Hera einen Riesenkrebs, der Herakles in den Fuß biß. Da rief Herakles seinen Begleiter Iolaos zu Hilfe. Der entzündete den nahen Wald und brannte dann mit Feuerbränden die Halsstümpfe aus, so daß sie nicht mehr nachwachsen konnten. Zuletzt hieb Herakles ihr den mittleren Kopf ab, der unsterblich war, und vergrub ihn unter einem schweren Felsblock an der Straße von Lerna nach Elaios. Seine Pfeile tauchte er in das giftige Blut der Hydra und machte sie dadurch absolut tödlich.

Die Hydra war so giftig, daß bereits ihr Hauch tötete, wenn jemand an ihr vorüberging, selbst wenn sie im Schlafe lag. Der Fluß Anigros in Elis stank unerträglich, nur weil einmal der Kentaur Chiron, der von einem Pfeil des Herakles getroffen war, darin seine Wunden ausgespült hatte. Herakles selbst war während seines Kampfes von der Hydra gebissen worden. Dadurch litt er ständig an unheilbaren Geschwüren. Er fragte das Orakel in Delphi um Hilfe und das riet ihm, ein Heilkraut, das der Hydra gleich war, in Phoenikien zu suchen. Er fand es bei der Stadt Aka, dem heutigen Akkon in Palaestina, das danach seinen Namen vom griechischen ακεομαι (= ich heile, von ακος = Heilung) erhielt. Leider ist nicht überliefert, um welche Pflanze es sich gehandelt hat.

Mit Erystheus gab es Probleme, weil er die Tötung der Hydra nicht als eine der 12 Arbeiten anerkennen wollte. Er warf Herakles vor, daß er dabei die Hilfe des Iolaos in Anspruch genommen habe. Herakles aber entgegnete ihm, daß er Iolaos erst gerufen habe, als der Riesenkrebs der Hydra geholfen habe. So gilt die Tötung der Lernäischen Hydra als eine gültige Arbeit des Herakles.

Am Ende starb Herakles ebenfalls durch das Gift der Hydra: Das Blut des Kentaurs Nessos, den er durch einen Pfeil erlegt hatte, war dadurch so giftig geworden, daß er durch das blutgetränkte Nesselhemd, daß Nessos der Deianeira als Geschenk für ihn gegeben hatte, unstillbare Schmerzen erlitt und in seiner Verzweiflung den Feuertod suchte.

Hintergrund:
Lerna liegt ca. 7km von Argos entfernt auf der südlichen Peleponnes und war berüchtigt durch seine Sümpfe, die im Norden durch den Fluß Pontinos und im Süden durch den Fluß Amymone begrenzt waren. Diese hatte ein Dutzend starker Quellen (griech. κεφαλαι = Köpfe), die mythologisch personifiziert wurden durch die Lernaeische Hydra mit ihren zahlreichen Köpfen. Dort befand sich auch der "halkyonische Teich", der als ein Eingang in die Unterwelt galt. Ein heiliger Platanenhain war der Demeter Prosymna (einer Amme der Hera) und dem Dionysos Saotes geweiht mit dem Mysterienkult der Lernaeen. Nach Apollodoros Rhodios gabe es dort auch einen Poseidonkult (Pauly).

Die Anzahl der Köpfe, die die Hydra gehabt haben soll, variiert von drei, über fünf, sieben, neun, bis zu hundert. Ursprünglich hatte die Hydra wohl nur einen Kopf. Es soll Pisander von Kamiros auf Rhodos (ca. 640 v.Chr.) gewesen sein, der zuerst die Anzahl derr Köpfe vermehrte, um sie dadurch noch fürchterlicher zu machen (Pausanias).

Iolaos:
Iolaos war ursprünglich ein Heros, der in Theben verehrt wurde, aber später durch den Herakleskult verdrängt wurde. Als Sohn des Iphikles und der Automedusa war er der Neffe des Herakles und wurde sein Gefährte und Wagenlenker. Er half dem Herakles bei verschiedenen seiner Arbeiten. Bei Plutarch und Euripides ist er der Geliebte des Herakles. Er nahm teil an der Jagd auf den Kalydonischen Eber und am Argonautenzug. Er war der erste Olympionike (Sieger bei den Olympischen Spielen).. Herakles gab ihm Megara, seine erste Frau, zur Gattin. Nach dem Tod des Herakles ließ er den großen Grabhügel errichten und kümmerte sich um die Kinder des Herakles. Bei ihrer Verteidigung gegen Erystheus kam er zu Tode. In Theben fanden ihm zu Ehren die Iolaeia statt mit Wagenrennen und Opfern.

Der Rationalist Palaiphatos schreibt:
Lernos war der König von Hydra in der Gegend von Lerna und ein Feind des Eurystheus, des Königs von Mykene. Dieser schickte den Herakles aus, um die Stadt zu verwüsten. Aber Hydra war stark befestigt und wurde von 50 tapferen Bogenschützen bewacht. Immer wenn Herakles einen Bogenschützen getroffen hstte, traten 2 neue an seine Stelle. Als die Bedrängis durch Herakles immer stärker wurde, warb Lernos Karier unter der Führung des großen Karkinos (Krebs) zur Hilfe an. Daraufhin half Iolaos mit einem Heer aus Theben dem Herakles, setzte Hydra in Brand und die Stadt und das feindliche Heer wurden vernichtet. Daraus wurde dann die Mythe gemacht (Palaiphatos, Mitte des 4.Jhdt. v.Chr.).

Kunstgeschichte
Ich habe 2 Bilder hinzugefügt:
(1) Das Bild eines attischen schwarzfigurigen Stamnos, Mitte des 5, Jhdt. v.Chr. Er zeigt "Herakles, Iolaos und die Hydra" und befindet sich heute im Louvre in Paris. Zugeschrieben wird es dem Princeton Maler. Links erkennt man Athena, die Herakles hilft.

(2) Ein Bild von Antonio del Pollaiuolo "Herakles und die Hydra von Lerna", ca.1480, heute in den Uffizien/Florenz
Dabei handelt es sich um ein Gemäldepaar, zu dem noch das Bild "Hercules tötet Antaeus" gehört. Oft ist es schwierig zu entscheiden, wer von den beiden Brüdern Antonio oder Piero der Künstler ist. Diese beiden Werke aber werden Antonio Pollaiuolo zugeschrieben. Sie zeigen Szenen der griechischen Mythologie im Licht der christlichen Philosophie. In Auftrag gegeben wurden sie wahrscheinlich von den Medici. 1609 wurden sie erstmalig im Inventar des Palazzo Gondi erwähnt, wo sie als Diptychon hingen. Im 2. Weltkrieg waren sie verschollen und wurden erst 1963 in Los Angeles wiederentdeckt und 1991 zurückgegeben. Dieser Erfolg war Rodolfo Siviero (1911-1983) zu verdanken, einem italienischen Geheimagenten, Historiker und Intellektuellen, der sich der Rückholung der von den Nazis gestohlenen Kunstwerken verschrieben hatte.

Quellen:
(1) Hesiod, Theogonie
(2) Apollodor, Bibliotheke
(3) Apollononius Rhodios, Argonautika
(4) Pausanias, Reisen in Griechenland
(5) Palaiphatos, Unglaubliche Geschichten, 38

Literatur:
(1) Benjamin Hederich, Gründliches mythologisches Lexikon, 1770
(2) Wilhelm Heinrich Roscher, Ausführliches Lexikon der griechischen und
römischen Literatur, 1884-1900
(3) Robert von Ranke-Graves, Griechische Mythologie, 1984
(4) Karl Kerenyi, Die Mythologie der Griechen, Band II: Die Heroen-Geschichten,
1966
(5) Der Kleine Pauly, 1979
(6) Aghion/Barbillon/Lissarrague, Lexikon der sntiken Götter und Heroen in der
Kunst, Reclam 2000

Online-Quellen:
(1) theoi.com
(2) Wikipedia

Mit freundlichem Gruß
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hadrianopolis_pseudo_autonomous_Mionnet_Suppl_604.jpg
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Re: Mythologisch interessante Münzen

Beitrag von Peter43 » Fr 29.11.19 18:25

Exkurs: Die Hydra als Allegorie des Feindes

Heute ist die Hydra zu einer Allegorie des Feindes geworden, besonders eines heimtückischen und gefährlichen, der ständig Nachwuchs erhält. Dazu einige Beispiele:

(1) Als erstes die berüchtigte Gedenkmedaille zur St.Bartholomäusnacht, die der französische König Karl IX. (1550-1574) schlagen ließ:
AE - Bronze, 51mm, 60g
geprägt 1572, Stempel von Alexandre Olivier (Nachprägung von 1880)
Av.: CAROLVS.IX.D.G.FRANCOR.REX.
Büste in Panzer und mit Schärpe, belorbeert, n.r.
Rv.: NE FERRVM TEMNAT SIMVL IGNIBs OBSTO
im Abschnitt 1572
Hercules, nackt, im Löwenfell und mit Löwenskalp auf dem Kopf, n.r. stehend,
hält in der erhobenen Rechten die Keule und streckt die Linke mit brennender
Fackel der Hydra entgegen, die als schuppiges Ungeheuer mit Krallen und 3
Köpfen re. vor ihm steht; im Hintergrund eine Landschaft
Ref.: Armand III, 286, 1; Jones I, 108; Mazerolle II, 166

Anm.: 1572 war das Jahr der schrecklichen St.Bartholomäusnacht. Hercules stellt Karl IX. dar, der mit Feuer und Schwert die Hydra der Kätzerei aurottet. Das Motto auf der Rückseite lautet übersetzt: "Wenn er das Schwert nicht fürchtet, werde ich ihn auch noch mit Feuer treffen.", Gemeint waren damit die 3 Millionen Protestanten (Hugenotten).

(2) Gedenkmünze auf die Schlacht von Millesimo und das Gefecht bei Dego als Beispiel für die Diffamierung des militärischen Gegner als Hydra:
Italien, Napoleon, 1796
AE - Bronze, 43mm
geprägt 1796, Medailleur v. Lavy
Av.: BATAILLE DE MILLESIMO . BATAILLE DE DEGO
Napoleon in der Gestalt des Herkules steht nach links, bekämpft mit Keule
siebenköpfige Hydra
Rv.: LOI DU 6. FLOREAL AN 4 M.E DE LA REP.
im Feld: LE / PEUPLE / FRANCAIS / A / L'ARMEE / D'ITALIE
(Legende in 6 Zeilen)
Ref.: Slg. Julius 494, Hennin 733

Anm.: Die sog. Schlacht von Millesimo, eher die verlustreiche Belagerung der Burg Cosseria, am 13. April 1796, und die Schlacht von Dego am 14. April 1796 gehörten zu mehreren kleinen Schlachten des Italienfeldzugs Napoleon Bonpartes im 1. Kolitionskrieg (1792-1797) zwischen der Revolutionsarmee Frankreichs und den verbündeten Armeen von Österreich und Sardinien-Piemont in Norditalien, den Napoleon siegreich beenden konnte. Nach dem republikanischen Kalender, der nach der französischen Revolution eingeführt worden war, war der Floreal ein Monat vom 20. April bis 19.Mai.

(3) Medaille aus Deutschland aus dem 1. Weltkrieg:
AE - Eisenmedaille, 85mm, einseitig
Av.: .VIEL FEIND, - VIEL EHR!
im Feld RJA (Medsilleur)
Der Deutsche Michel als Hercules kämpft gegen die Hydra seiner Kriegsgegner

Anm.: Der Spruch 'Viel Feind, viel Ehr' wird auf Georg von Frundsberg (1473-1528) den Landsknechtsführer der Habsburger zurückgeführt. Er schlug 1513 überraschend ein zahlenmäßig überlegenes Heer der Venezianer bei La Motta in Oberitalien vernichtend.

Heute wird regelmäßig das Terrornetzwerk des Islamischen Staates mit Hydra bezeichnet, aber auch der tägliche Terror in den sozialen Netzen, dem so schwer beizukommen ist.

(4) Und selbst die Wahl des SPD-Vorsitzenden 2019 wird in einer Glosse mit einer Hydra verglichen, weil die Anwärter nachwachsen wie die Köpfe der Hydra ("Tagesspiegel", 14.7.19).

Mit freundlichem Gruß
Dateianhänge
Medaille_KarlIX.jpg
Bartholomäus-Nacht
2809_20306a_c.jpg
Napoleon Bonaparte
s-l1600.jpg
Viel Feind viel Ehr
1-format1012.jpg
Tagesspiegel vom 14.7.19
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Re: Mythologisch interessante Münzen

Beitrag von Peter43 » Fr 29.11.19 18:27

Eirene - die griechische Friedensgöttin

Münze:
Ägypten, Alexandria, Vespasian, 69-79
AE - Tetradrachme, 12.89g, 24mm,
geprägt 69/70 (RY 2)
Av.: AVTOK KAIΣ ΣEBA OVEΣΠAΣIANOV
Belorbeerter Kopf n.r.
re. unter dem Kinn LB (Jahr 2)
Rv.: EI - PH - NH
Eirene in langem Gewand frontal stehend, hält im li. Arm Kerykeion und in der
erhobenen Rechten Ähren
Ref.: Milne 388; Dattari 357; SNG Copenhagen 165f.; Köln 274f: Förschner 188

Mythologie:
Eirene war die griechische Göttin des Friedens. Als Hore war sie eine Tochter des Zeus und der Themis und damit eine Schwester der Eunomia (Wohlordnung) und der Dike (Gerechtigkeit). Urprünglich waren sie die Gottheiten des Wachsens, Blühens und Reifens in der Natur. Dabei ist das Wort Eirene etymologisch verbunden mit dem griech. Wort εαρ = Frühling. Dazu paßt, daß in der griechischen Antike der Frühling die Zeit war, in der wieder kriegerische Unternehmungen aufge-nommen wurden und der Frieden in großer Gefahr war (Wikipedia). Pauly schreibt, daß die Herkunft des Namens  wohl  vorgriechisch  sei.

Später wurden die Horen, insbesondere Eirene, in die sittlich-politische Ebene erhoben. Sie stand dafür, daß Streitigkeiten durch Verhandlungen beigelegt wurden und nicht durch Waffen. 371 v.Chr. stand sie im Mittel-punkt des Friedens von Sparta zwischen Athen und Sparta, der den Peloponnesischen Krieg beendete. Unter Beteiligung von Dionysos I. von Syrakus und dem persischen Großkönig wurde ein allgemeinen Frieden (koine eirene) für den gesamten östlichen Mittelmeerraum beschlossen. Aber bereits 465 v.Chr. sollen die Athener einen Altar für Eirene errichtet haben, nachdem Kimon die Perser am Eurymedon in Pamphylien besiegt hatte (Plutarch). Das Fest der Eirene wurde am 15./16. Hekatombaion (Juli/August) gefeiert, dem mythischen Tag der Synoikia, an dem Theseus die attisxhen Kleinstaaten geeinigt hatte.

Dichtung:
Eirene steht im Mittelpunkt von Aristophanes' Komödie "Der Frieden", mit dem er 421. v.Chr. den 2. Platz in den Dionysien gewonnen hatte: Der attische Weinbauer Trygaios hatte den ewigen Krieg satt und begab sich in den Himmel, um von Zeus das Ende des Krieges zu erreichen. Aber die Götter hatten aus Ärger über die Griechen ihre Burg verlassen und hatten alles Ares, dem Kriegsgott, übergeben. Dieser hatte Eirene in eine Höhle gesperrt und war gerade dabei, die griechischen Städte in einem gewaltigen Mörser zu zerstampfen. Nur der Stößel, der athenische Feldherr Kleon und der Spartaner Brisidas fehlten noch: Die waren in Thrakien verlorengegangen, beide waren gefallen. So hatte Trygaios Zeit, die Griechen zusammenzurufen und zu einigen. Und zusammen konnten sie Eirene befreien und in Griechenland herrschte wieder Frieden und Wohlstand. Nur die Hersteller von Waffen und Kriegsgerät waren ruiniert.

Kunstgeschichte:
Ich habe 2 Bilder hinzugefügt:

(1) Das Detail der 3 Horen von einer rotfigurigen attischen Kylix des Sosias Malers, aus der späten archaischen Periode, ca. 500 v.Chr. Jede Hore trägt ein Attribut ihrer Jahreszeit. Eirene, die mittlere, trägt einen Zweig mit Frühlingsblüten. Heute in der Antikensammlung Berlin.

(2) Das berühmteste und bedeutendste Standbild der Eirene stammt von Kephisodotos (um 400-370 v.Chr.), dem Vater des Praxiteles. Es zeigt Eirene mit dem kindlichen Plutos und einem Cornucopiae im li. Arm. Die Symbolik ist klar: Der kleine Plutos, der für wirtschaftliches Wohlergehen steht, kann nur in der Geborgenheit des göttlichen Friedens gedeihen. Dieses Standbild ist in zahlreichen römischen Marmorkopien überliefert. Das griechische Original war aus Bronze und wurde wahrscheinlich aus Anlaß des Friedens von Sparta 371 v.Chr. auf der Agora in Athen aufgestellt. Diese Abbildung stammt aus der Glyptothek in München.

Mit freundlichem Gruß
Dateianhänge
alexandria_vespasian_Dattari357.jpg
K17_1Horai.jpg
800px-Eirene_Ploutos_Glyptothek_Munich_219_n1.jpg
Zuletzt geändert von Peter43 am Mo 30.12.19 18:27, insgesamt 1-mal geändert.
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