--- "Der Schaukasten" ---

Alles was so unter den Römern geprägt wurde.

Moderator: Homer J. Simpson

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chinamul
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Beitrag von chinamul » Mi 23.09.09 18:29

Außer dem unbezweifelbaren kompositorischen Aspekt gibt es noch einen weiteren: Das Münzbild wirkt auch deshalb so eindrucksvoll und unmittelbar, weil hier die Quadriga auf den Betrachter zurollt, dieser es also gleich mit dem unbesiegbaren Sol zu tun bekommt. Daß der Stempelschneider dabei Probleme mit der Perspektive hatte (s. u. a. die Räder der Quadriga) muß wohl damit entschuldigt werden, daß es damals keine Fotos von einer in voller Fahrt frontal herandonnernden Quadriga gegeben hat ("Ben Hur" war noch nicht gedreht!). Man muß überhaupt immer bedenken, daß die armen Münzgestalter niemals ein Tier in der Bewegung abgebildet gesehen haben und es eingehend hätten studieren können. Sie waren bei solchen Darstellungen immer auf ihr visuelles Gedächtnis oder gar nur auf ihre Vorstellung angewiesen, und beide sind, wie wir alle schon mal erfahren haben, nicht immer sehr zuverlässig. Immerhin aber war dem Stempelschneider klar, daß aus der Nähe gesehen die Pferde scheinbar auseinanderstreben, und das umso stärker, je näher das Gefährt dem Betrachter kommt.

Gruß

chinamul
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Peter43
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Beitrag von Peter43 » Mi 23.09.09 18:59

Hallo chinamul!

Ich habe eine andere Auffassung:
Ich vermute, daß der Stempelschneider die Pferde gar nicht perspektivisch darstellen wollte (weil es die auch noch nicht gab), sondern er zeigt einfach die li Pferde von der li und die re Pferde von der re Seite. Das würde dann auch die Stellung der beiden Räder erkären. So ist das Bild aus 3 getrennten Teilen zusammengesetzt:
1. Sol in Biga von vorne
2. li Pferde von links
3. re Pferde von rechts

Dieselbe Technik haben wir auch bei der Darstellung der sog. 'Büste von hinten' gesehen. Die besteht z.B. aus einem Kopf n.r. von der Seite gesehen und dem Paludament/Cürass von hinten gesehen, was in der Realität nicht möglich ist. Also ist es ebenfalls eine Komposition aus 2 verschiedenen Bildteilen. Der Sinn: alle wichtigen Teile sollen gezeigt werden.

Mit freundlichem Gruß
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drakenumi1
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Beitrag von drakenumi1 » Mi 23.09.09 20:37

Interessante Theorien. Aber eine schlüssige Erklärung für diese eher skurrile Darstellung scheint mir nicht dabei zu sein. Alle Elemente dieses Bildes scheinen ausdrücken zu wollen, wie es aussieht, wenn Sol mit seinem Vierergespann auf ein unsichtbares Hindernis (wie eine Glaswand) vor ihm zurast: Die Pferde haben das erkannt und
- sie steigen vor Schreck (auf die Hinterbeine) auf,
- sie weichen zur Seite aus, die linken nach links, die rechten nach rechts, dorthin, wo sie noch Platz sehen,
- ihre Köpfe weisen wie konfus in unterschiedliche Richtungen; es scheint beabsichtigt zu sein, diesen Eindruck beim Betrachter besonders herauszustellen,
- die quer in die Fläche gestellten Räder verhindern eine Weiterfahrt in die Blickrichtung Sols.

Alle sich bewegenden Elemente in diesem Bild drücken einen Widerstand gegen den Willen Sols aus, das Gefährt in die von ihm gewünschte Richtung "geradeaus" zu lenken. Das alles macht einen Eindruck, als wären "Kräfte" hier am Werke, gegen die Sol im Moment beabsichtigt, anzukämpfen (Peitsche!).

Wer von Euch getraut sich, unter diesen Aspekten ein mythologisches und begreifbares Szenarium zu entwerfen? (Soll heißen: Was bedeutet das möglicherweise?)

fragt drakenumi1
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Beitrag von chinamul » Mi 23.09.09 20:38

Hallo Peter43!

Maler Klecksel und Pablo Picasso lassen grüßen:
http://www.numismatikforum.de/ftopic28506.html#224510

Ich schließe mich diesem Gruß an!

chinamul
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Beitrag von areich » Mi 23.09.09 20:44

Ich denke nicht, daß man da so viel reininterpretieren sollte, das ist eben keine Kunst sondern Comic-Niveau. Bevor jetzt jemand meckert, nicht die gute Sorte Comics.

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Beitrag von Peter43 » Mi 23.09.09 21:35

Hallo drakenumi!

Ich kenne keine Mythe, bei der Sol/Helios selbst Probleme mit seinen Pferden hatte. Aber es gibt eine Geschichte von seinem Sohn Phaeton, dem er einmal auf dessen Bitten hin den Wagen mit den Pferden auslieh. Die Folge war, daß Phaeton die Pferde nicht zügeln konnte, der Erde zu nahe kam, sodaß alles zu verbrennen drohte. Erst Zeus konnte seine Fahrt mit einem Blitz beenden. Phaeton stürzte vom Himmel und ging im Eridanos unter (wie kann man dann nur ein Auto Phaeton nennen? 8O ). Helios war der einzige, der die Pferde beherrschte.

Aber zur Stellung der Pferde gibt es noch eine andere Interpretation: Sie sollen angeblich in alle Himmelsrichtungen schauen!

@areich:
Nur durch Fragen und Diskussionen wie dieser kommt man zu weiteren Erkenntnissen. Zudem macht es Spaß, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Zumindestens ist es ein intellektuelles Spiel.

Mit freundlichem Gruß
Zuletzt geändert von Peter43 am Mi 23.09.09 23:31, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitrag von areich » Mi 23.09.09 22:00

Das will ich ja auch keinem verbieten. Nur ergibt die Darstellung so einfach keinen Sinn, es soll sicherlich nicht 'Sol ist gegen eine Glasscheibe gefahren' sein.
Solche querstehenden Räder sind auch einfach nicht möglich, es ist eben eine für die Zeit typische Darstellung.

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Beitrag von Peter43 » Mi 23.09.09 22:16

Damit hast Du natürlich recht. Das mit der Glasscheibe paßt nicht zu der antiken Darstellung. Dann könnte man auch sagen, vor ihnen steht der Kameramann und sie weichen ihm aus, um ihn nicht niederzutreten.

Und natürlich ist die Darstellung zeittypisch, aber zeitbezogen ist doch jede Darstellung. Wenn man sagt, die Quadriga wird so dargestellt, daß man alle wichtigen Teile gleichzeitig sehen kann, dann haben auch die Räder einen Sinn und stehen nicht quer.

Mit freundlichem Gruß
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Beitrag von drakenumi1 » Mi 23.09.09 22:27

Peter43 hat geschrieben:
Aber zur Stellung der Pferde gibt es noch eine andere Interpretation: Sie sollen angeblich in alle Himmelsrichtungen schauen!
Hallo, Peter,
eine hübsche Geschichte, die mit dem Phaeton, insbes. auch das Gedankenspiel mit der Dresdner Edelkalesche :)

Wie Dir noch erinnerlich sein wird, haben wir kürzlich bei Republikanern am Beispiel der Quadriga auf der Annia (Luscus) gerade auch die ungeordnete Kopfhaltung der Pferde angesprochen. Habe mal in dieser Richtung auf meinen Brettern gesucht und weitere solche "verdrehten Köpfe" gefunden bei
- Appius Claudius Pulcher
- Julius Bursio
- Licinius L.f. Macer.
Die Wagenlenker waren dabei z.T. unterschiedliche: Victoria u. Minerva.
Jedenfalls steckt System hinter dieser Darstellungspraxis und Deine Bemerkung betr. des Schauens in alle Himmelsrichtungen bringt uns wenigstens in diesem Detail ein wenig weiter, ohne allerdings eine Verbindung dieses Details alleine mit Sol zu bestätigen.
Ich hatte insgeheim an eine Auflösung dieses Probus'schen Quadrigenrätsels in eine solche Richtung gedacht, daß Sol durch sein Auftreten in der Quadriga besondere Hindernisse oder Widerstände überwindet, die sich ihm in den Weg stellen ....
Nun, hier gehen meine Gedanken offensichtlich so im Gallopp durch, wie die Pferde auch ....

Freundl. Grüße von

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Beitrag von quisquam » Mi 23.09.09 22:33

Nicht ungewöhnlich und zeittypisch ist, wenn innerhalb einer Darstellung die Perspektive gewechselt wird.

Wie zum Beispiel auch bei diesem Republikdenar, bei dem die Galeere seitlich dargestellt ist, der Bug und die linken Ruder aber von vorne.
http://www.acsearch.info/record.html?id=136145

Grüße, Stefan
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Beitrag von klausklage » Mi 23.09.09 22:53

Würde man die Quadriga "realistisch" von vorne darstellen, sähe der Betrachter nur 4 Pferdebrüste und jede Menge Pferdebeine. Sol und Wagen wären verdeckt. Es geht also nur diese etwas übertriebene auflösende Darstellung.
Das mit den vier Himmelsrichtungen halte ich nicht für überzeugend, schließlich folgt der Sonnenlauf ja immer der gleichen Strecke.
Realismus hin oder her, ich finde das Motiv sehr effektvoll.
Gruß,
Olaf
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Beitrag von Peter43 » Mi 23.09.09 23:28

Es gibt auch Darstellungen, wo die Sonnenpferde von vorne gesehen sind, z.B. hier auf diesem Argenteus des Maximinus II., RIC Lugdunum 826. Aber diese Darstellung sieht wirklich statisch und langweilig aus (von Vcoins).


Mit freundlichem Gruß
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maximinusII_lugdunum_826.jpg
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Beitrag von quisquam » Do 24.09.09 05:37

Diese Darstellung ist bei weitem nicht so dynamisch, aber die Sonne rast ja auch nicht über das Firmament. :wink:
Ich kann auch dieser Darstellung viel Schönes abgewinnen.

Diese rätselhaften Billon-Argentei wurden übrigens nur in Trier geprägt. Hier ein besseres Exemplar:
http://www.acsearch.info/record.html?id=185221

Grüße, Stefan
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RIC VI Trier 826.jpg
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danke :-)

Beitrag von hidef » Do 24.09.09 09:40

bis jetzt hatte ich nur eine beindruckende Münze, und jetzt habe ich auch noch eine tolle Geschichte und viele Interessante Aspekte dazu...klasse!
vielen dank für euere interessanten Interpretationen.
uwe

als Dankeschön hier noch ein kleines Pferdchen mit Elch-Gummel (und 5. Bein? :oops: )

[Silver Antoninianus, Struck 249-251 Rome mint
3,7 gr 22,6mm
Trajan Decius, 249-251
Obv: IMP C M Q TRAIANVS DECIVS AVG - Radiate, draped and cuirassed bust of Trajan Decius facing right
Rev: ADVENTVS AVG - Trajan Decius on horse prancing left, raising right hand and holding a short sceptre in his left hand]
Dateianhänge
TrajanDecius_249-251b.jpg
[i]"Vielwisserei lehrt nicht, Vernunft zu haben." Heraklit [/i]

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Beitrag von Peter43 » Do 24.09.09 13:29

Scheint doch ein längeres Szepter zu sein!
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