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Re: Dolchhiebe auf Lug I Assen - Varusschlacht ???

Verfasst: Di 04.05.10 08:04
von quinctilius
marcus hat geschrieben:diese sind eindeutig münzopfer und tragen überdurchschnittich oft die besprochenen einhiebe. typisch für die gallo-römische religionpraxis ist die "unbrauchbarmachung" von opfergaben
F. Berger schließt eine Demonetarisierung zu Opferzwecken bei den Kalkrieser Münzen aus (Vgl. Berger 1995). Ich halte das auch für sehr unwahrscheinlich. Viele der Asse kamen im Vorfeld des Walles zum Vorschein, wo sie wohl während der Kampfhandlungen oder bei den anschließenden Plünderungen verloren wurden - für eine Opferung spricht nichts. Die Münzen der anderen Fundplätze (z.B. Haltern, Anreppen und Augsburg-Oberhausen) stammen von römischen Militärplätzen, auch da ist ein Münzopfer m.E. sehr unwahrscheinlich.

Gruss
Quinctilius

Re: Dolchhiebe auf Lug I Assen - Varusschlacht ???

Verfasst: Di 04.05.10 08:16
von Arminius
Danke Marcus - eine interessante Rezension!

Dazu fällt mir ein, daß eines der in der Literatur aufgelisteten historischen Lugdunum I Asse mit Varus-Gegenstempel als Quellfund im Bereich der Weser entdeckt wurde und bereits als antike Opfergabe gedeutet wurde.

Unbekannt war für mich insbesondere die These, daß die zahlreichen halbierten Münzen aus dieser Zeit auch in religiös-rituellem Zusammenhang stehen können.
Es muß also nicht immer nur der vielbeschworene Kleingeldmangel gewesen sein.

Re: Dolchhiebe auf Lug I Assen - Varusschlacht ???

Verfasst: Di 04.05.10 08:39
von marcus
"F. Berger schließt eine Demonetarisierung zu Opferzwecken bei den Kalkrieser Münzen aus (Vgl. Berger 1995). Ich halte das auch für sehr unwahrscheinlich. Viele der Asse kamen im Vorfeld des Walles zum Vorschein, wo sie wohl während der Kampfhandlungen oder bei den anschließenden Plünderungen verloren wurden - für eine Opferung spricht nichts"

und wie soll man sich diese situation praktisch vorstellen ? da haben die legionäre dem kaiser nochmal eine mitgegeben bevor sie selbst niedergemacht wurden? unwahrscheinlich...und wenn man sich den stellenwert des kaiserbildnisses im staatskult und vor allem im militär anschaut ist eine zerstörung durch soldaten absolut ausgeschlossen.

"Die Münzen der anderen Fundplätze (z.B. Haltern, Anreppen und Augsburg-Oberhausen) stammen von römischen Militärplätzen, auch da ist ein Münzopfer m.E. sehr unwahrscheinlich."

warum ? die frage ist ja nur, wie die stücke zurück in den umlauf kamen, ganz abgesehen davon das die hälfte der am rhein stationierten truppen auxilia waren - mit einem ausgesprochen hohem anteil an gallischen einheiten...

Re: Dolchhiebe auf Lug I Assen - Varusschlacht ???

Verfasst: Di 04.05.10 08:53
von quinctilius
marcus hat geschrieben:"und wie soll man sich diese situation praktisch vorstellen ? da haben die legionäre dem kaiser nochmal eine mitgegeben bevor sie selbst niedergemacht wurden? unwahrscheinlich...und wenn man sich den stellenwert des kaiserbildnisses im staatskult und vor allem im militär anschaut ist eine zerstörung durch soldaten absolut ausgeschlossen.
also wie gesagt: Berger und auch Kehne halten die Einhiebe für Mißfallensausdrücke der Soldaten, nur datieren sie sie unterschiedlich, Berger vor 9 n. Chr. Kehne auf 14 n. Chr. (Meuterei beim Tod des Augustus)
Zerstörungen/Beschädigungen von Münzbildern durch Soldaten ist überhaupt nichts ungewöhnliches. Es gibt ja auch den Begriff einer Damnatio Memoriae, Münzen von Nero z.B. tragen z.B. manchmal vergleichbare Einhiebe. Im übrigen: Eine Demonetarisierung zu Opferzwecken sollte verhindern, dass die Münzen für den Geldumlauf zu gebrauchen waren. Es gibt aber auch Lugdunum I Asse mit nur einem oder zwei Stichen (vgl. z.B. das oben abgebildete Stück aus Haltern) - von einer Demonetarisierung zu Opferzwecken kann also keine Rede sein.

Gruß
Quinctilius

Re: Dolchhiebe auf Lug I Assen - Varusschlacht ???

Verfasst: Di 04.05.10 20:06
von quinctilius
...so sehen die geopferten Lugdunum Asse (Imitationen) aus dem gallo-römischen Heiligtum Möhn, Nierst bei Trier aus - beachtet die seitlichen Einhiebe zum Zwecke der rituellen Demonetarisierung - kein Vergleich mit den Dolchstichen.

Re: Dolchhiebe auf Lug I Assen - Varusschlacht ???

Verfasst: Sa 12.04.14 08:47
von Hermundure
Hallo,

hier mal zwei Beispiele, welche vor nicht allzu langer Zeit bei ebay.fr angeboten wurden. Beide richteten sich gegen den jeweiligen Herrscher. Bei den Rheinlegionen war weder Augustus, noch sein designierter Nachfolger Tiberius beliebt. Die Veteranen der Rheinlegion wurden durch Maßnahmen des Germanicus nach Süden an die Grenze gegen die Sueben verlegt. Die Münzspur lässt sich sehr gut entlang des Oberrhein in Richtung Donau verfolgen. Dort findet man ebenfalls Gepräge die dem Fundspektrum Kalkriese entsprechen. Tacitus berichtet von der Verlegung einzelner Truppenteile.

MfG Michael

Re: Dolchhiebe auf Lug I Assen - Varusschlacht ???

Verfasst: Di 18.04.17 20:23
von quinctilius
Nach 3 (!) Jahren habe ich einen Lugdunum As mit den Dolchstichen gefunden – das unterstreicht die Seltenheit des Phänomens.
Diese Münzen sind noch seltener als die Lugdunum Asse mit Gegenstempeln und die sind schon rar.
Über den Zweck dieses Brauchs ist immer noch nichts endgültiges gesagt aber die Münze zeigt neben den typischen
Einhieben auch runde Punzen, hier wurden also mindestens zwei unterschiedliche Werkzeuge benutzt.
Vgl. dazu das Stück aus dem Lager Anreppen.
Was Kalkriese angeht, so gibt es dort eine interessante Entwicklung: Nördlich des Obereschs wurden nun auch
Wallreste gefunden. Also doch ein Lager und kein germanischer Hinterhalt ? ;-)
Bei den Pontes Longi 15 n. Chr. stürmten Germanen das Marschlager des Caecina wurden aber zurückgeschlagen.
(Tacitus, Annalen 1,63-69)

Vgl.

http://www.wn.de/Welt/Kultur/2490269-Ge ... ht-Theorie

VG
Quinctilius

Re: Dolchhiebe auf Lug I Assen - Varusschlacht ???

Verfasst: Di 18.04.17 23:18
von quinctilius
...zum Vergleich: Auf der Münze Kalkriese 105.3400 tauchen runde Punzen auf. Berger nennt sie "Bohrungen".
Vgl. Berger : Die Münzfunde von Kalkriese. Neufunde und Ausblick, S. 27, in: Die Fundmünzen von Kalkriese und die frühkaiserzeitliche Münzprägung, Paderborn 2000

VG
Quinctilius

Re: Dolchhiebe auf Lug I Assen - Varusschlacht ???

Verfasst: Mi 19.04.17 06:07
von Mynter
Bei vcoins wurde vor ein paar Wochen ein mit VAR gegengestempelter Lugdunum I - As verkauft, der über dem VAR zwei kreuzförmig angebrachte Hieber aufwies. Leider hat der Verkäufer den Vorgang gelöscht , so dass ich keinen Link mehr einstellen kann.

Re: Dolchhiebe auf Lug I Assen - Varusschlacht ???

Verfasst: Mi 19.04.17 07:20
von quinctilius
ja diese Hiebe tauchen häufig zusammen mit VAR Gegenstempel auf. Oben sind ja auch Beispiele gezeigt.
Hier ist ein weiterer ex Künker mit VAR spiegelverkehrt.

VG
Quinctilius

Re: Dolchhiebe auf Lug I Assen - Varusschlacht ???

Verfasst: Sa 29.04.17 18:16
von Tejas552
Ich habe zwei Asse mit VAR-Gegenstempel. Ein As zeigt Einhiebe, das andere nicht.

Gruss
Dirk

Re: Dolchhiebe auf Lug I Assen - Varusschlacht ???

Verfasst: Sa 29.04.17 18:54
von quinctilius
zeig mal :-)
Hier ein weiteres Exemplar aus meiner Sammlung. Die Stiche sind besonders gut zu erkennen, auch die typisch dreieckigen Umrisse.

VG
Quinctilius

Re: Dolchhiebe auf Lug I Assen - Varusschlacht ???

Verfasst: Sa 29.04.17 19:48
von shanxi
Vielleicht sind diese Erklärungsversuche auch alle viel zu seriös. Es gibt und gab ja diverse Messerwurfspiele.
Für mich es leicht vorstellbar, dass die Legionäre zum Zeitvertreib, Messer (Dolch) auf ein irgendwo platziertes As warfen, wer das As traf durfte es behalten .(oder so ähnlich)
Jeder Treffer eine Kerbe.
Unbrauchbar waren die Asse durch die kleinen Kerben sicher nicht.

Re: Dolchhiebe auf Lug I Assen - Varusschlacht ???

Verfasst: Sa 29.04.17 19:54
von quinctilius
durchaus möglich, die Spielleidenschaft der Legionäre ist bekannt, man denke an die unzähligen Spielsteine (lutrunculi) die in den Lagern und auch in Kalkriese
gefunden wurden.

VG
Quinctilius

Re: Dolchhiebe auf Lug I Assen - Varusschlacht ???

Verfasst: So 30.04.17 06:47
von Alm-Öhi
quinctilius hat geschrieben:Es gibt ja auch den Begriff einer Damnatio Memoriae, Münzen von Nero z.B. tragen z.B. manchmal vergleichbare Einhiebe.
Zwei Sachen:
1. Das sind keine "Dolch"hiebe. Viel eher Meisseleinschläge.
2. Diese Mär vom verhassten Kaiser, dessen Münzbild geschändet wurde wird sich wohl nie mehr tilgen lassen. Ich halte das bei mind. 95% der Fälle für eine sachlich falsche Interpretation, zumal der "gute" Kaiser Nerva beim Volk weit mehr verhasst sein dürfte als etwa die "bösen" Kaiser Domitian oder Nero. Das schliesst natürlich nicht aus, dass Portraitverstümmelungen gelegentlich vorkamen.