Archäologie des Bulldozers - aus der Süddeutschen Zeitung
Verfasst: Fr 05.09.03 10:03
Archäologie des Bulldozers
Sammler und Museen im Westen finanzieren die Zerstörung der antiken Welt
Es gibt Tage, da beugen sich nur wenige Besucher über die unermesslichen antiken Schätze des New Yorker Metropolitan Museum. Dann wieder schieben sich Tausende um die Vitrinen, wie neulich bei der Ausstellung „Art of the First Cities“. Doch selbst, wenn die Säle überquellen, dämpft die Ehrfurcht vor Alter und Schönheit der Gegenstände die Stimmen. Betrachtet man den Goldschmuck, die Vasen und Rollsiegel, ist es, als blicke man durch Schlüssellöcher in die Vergangenheit. Nur einer lässt sich von der Erhabenheit der Exponate nicht beeindrucken. Für ihn erzählen sie nicht nur von Jahrtausende alten Hochkulturen, für ihn sind sie Opfer einer ganz anderen Geschichte: „Geplündert!“, ruft er mit bebender Stimme und zeigt in alle Richtungen: „Es ist eine Katastrophe!“
Oscar Muscarella, einer der führenden Kenner der antiken vorderasiatischen Welt, hätte es weit bringen können im Metropolitan Museum, das mehrfacher Bitten um eine Stellungnahme nicht nachkam. Dennoch ist er im eigenen Haus isoliert. Nachdem er vor 30 Jahren gefeuert wurde, klagte er sich zurück an seinen Arbeitsplatz. Heute ist er „Senior Research Fellow“, ein „Mickey-Maus-Titel“. Für die Archäologie ist Muscarellas Outlaw-Status indes ein Glücksfall. Er kann aussprechen, was postenhungrige oder skrupellosere Kollegen nicht sagen wollen: Die meisten antiken Objekte, die heute von westlichen Museen angekauft, als Leihgaben oder Schenkungen ausgestellt werden, stammen weder aus alten Sammlungen, noch wurden sie von Archäologen ausgegraben. Es handelt sich um Raubgut, das von Einheimischen oder von organisierten Banden ausgebuddelt wurde.
Als am Ende des Irakkrieges das Irak-Museum in Bagdad geplündert wurde, empörte sich die Welt. Für Muscarella aber ist jene Raubgräberei viel schwerwiegender, die Tag und Nacht an Tausenden von archäologisch bedeutenden Orten stattfindet: „Ob im Irak oder in der Türkei – wo ich hinkomme, sehe ich zerstörte Monumente, Löcher im Boden, Grabhügel, die mit Baggern umgewühlt wurden. Und in Italien und Griechenland ist es ebenso. Ganze Familien tun seit Generationen nichts anderes, als antike Stätten zu plündern.“ Manfred Korfmann, der bekannteste deutsche Archäologe und Leiter der Grabungen in Troja, pflichtet bei: „Man kann nicht alle Stätten schützen. Es gibt ganze Landstriche, in denen die Behörden nicht präsent sind.“
Dass die Raubgräber sich die Schätze nicht zu Hause ins Regal stellen, liegt auf der Hand. Sie graben, „weil sie wissen, dass ihre Funde garantiert Abnehmer im Westen finden. Die Nachfrage erzeugt das Angebot“, so Muscarellas Hauptthese. Weniger Ignoranz als vielmehr Armut und politische Destabilisierung leisten der Raubgräberei Vorschub, so Margarete van Ess, Leiterin der Außenstelle Bagdad des Deutschen Archäologischen Instituts. „Ob es der Bürgerkrieg im Libanon war, das Taliban-Regime in Afghanistan oder der Golfkrieg und das Embargo im Irak: wo das Gesellschaftsgefüge zusammenbricht, nehmen Plünderung und Schmuggel zu.“
Archäologen interessieren sich für die Gesamtheit eines Grabfundes, einer unentdeckten Siedlung oder einer ganzen Kultur. Sie gehen systematisch vor und notieren jeden einzelnen Fund in der Hoffnung, er werfe Licht auf den großen Kontext. „Sie können das mit der Arbeit eines Pathologen vergleichen“, meint Korfmann. Sammler jedoch suchen das einzelne schöne Objekt. Die Plünderer haben deshalb kein Interesse daran, den Zusammenhang einer Stätte zu erhalten. Sie pflücken sich die dicksten Trauben heraus um sich dann dem nächsten Ort zuzuwenden.
Was Dynamit und Bulldozer hinterlassen, ist für Archäologen unbrauchbar geworden. „Wenn Sie einen Rembrandt stehlen, hat das kaum Konsequenzen für die Kunstgeschichtsschreibung“, so Muscarella. „Wenn Sie eine antike Stätte plündern, ist sie für immer zerstört. Die Menschheit wird ihre Bedeutung nie erfahren. Es handelt sich nicht nur um Kunstdiebstahl. Es ist Geschichtszerstörung.“ – Und sie findet, so Muscarella, mit dem Wissen und der indirekten Unterstützung derjenigen Institutionen statt, deren Aufgabe die Erhaltung der Geschichte ist: der Museen.
Den Weg, den ein antiker Gegenstand von einem umgepflügten Grabhügel bis in westliche Vitrinen zurücklegt, hat – für sein Land – niemand gründlicher untersucht als der Journalist Özgen Acar von der türkischen Zeitung Cumhuriyet. „Gehen wir vom harmlosesten Fall aus: Ein Bauer findet ein antikes Gefäß. Das nächste Museum würde ihm dafür eine kleine Belohnung zahlen. Vom örtlichen Mittelsmann der Schmuggelorganisation bekommt er wesentlich mehr. Dieser bringt das Gefäß nach Istanbul. Ein Kurier fährt es über die kaum kontrollierte Grenze nach Bulgarien. Am Flughafen in Sofia lässt er sich notfalls gegen Bestechung eine Exportgenehmigung ausstellen und schickt das Gefäß dann per Luftfracht nach Zürich oder München.“
Da die Sendung korrekt deklariert ist, hat der Zoll keinerlei Handhabe gegen die Einfuhr. Sowohl Deutschland als auch die Schweiz haben die Unesco-Konvention von 1970 nie unterzeichnet, die es den Herkunftsländern erlaubt, Raubgut, das in den Unterzeichnerländern auftaucht, zurückzufordern. Doch auch der amerikanische Zoll – die USA haben die Konvention unterschrieben – hält die Gegenstände nicht auf, wenn sie dort vom Frachtbereich des Zürcher Flughafens oder von einer Galerie in München aus eintreffen. „Alles, was älter ist als 100Jahre, darf frei eingeführt werden. Den Zöllnern ist egal, ob das Stück aus einem Kirchenfenster gebrochen oder aus einem Grab gezerrt wurde“, so Acar. So landet das Stück oft bei einem der großen New Yorker Händler in der 57.Straße, der Madison Avenue oder direkt bei milliardenschweren Sammlern.
Bis in die 50er Jahre konnten Archäologen einen Teil ihrer Funde mit nach Hause nehmen. Heute gehört alles, was sie finden, dem jeweiligen Gastland. Der Hunger der Museumsleute nach neuen Stücken lässt sich also legal nur mit dem dürftigen Angebot aus aufgelösten Sammlungen stillen. Dass sie daher ständig versucht sind, es mit der Provenienz des einen oder anderen Stücks nicht so genau zu nehmen, liegt nahe. Wenn wir die Sachen nicht kaufen – so rechtfertigen sie sich, die Gesetze von Angebot und Nachfrage ignorierend –, enden sie schließlich hinter den verschlossenen Türen privater Sammler. Nicht selten, so berichtet Ulrike Löw von der Uni Münster, findet auch ein Tauschgeschäft statt: Gegen ein paar Rollsiegel erhält der Sammler unter dem Briefkopf des Museums ein nobles Gutachten für andere Stücke.
Die unter Museumsleuten verbreitete Heuchelei illustriert folgende Geschichte: Im Dezember 1994 trafen sich 30 Kuratoren zu einem Symposium in Bagdad, bei dem sie über die Folgen des ersten Golfkriegs berieten. Am Ende verabschiedeten sie eine Resolution, in der sie sich verpflichteten, keine Stücke mit dubioser Provenienz anzukaufen. Einer der Unterzeichner, ein prominenter Kurator, der auch dieser Tage wieder in den Zeitungen gegen das Plündern wettert, schrieb daraufhin an den Direktor eines anderen Museums, es handle sich bei der Petition „um eine reine Absichtserklärung. Natürlich sind Kuratoren daran nicht gebunden“. Jahre später bewarb sich dieser Kurator bei demselben Museum um eine Stelle – und erhielt sie. Einem abgelehnten Kandidaten erklärte der Direktor, man habe sich gegen ihn entschieden, weil er, „was Ankäufe angehe, zu skrupulös sei“.
Noch unkritischer sind die Museen allerdings, wenn Sammler ihnen ihre Stücke als Schenkung oder Leihgabe anbieten. Viele dieser Sammler bedenken die Museen schließlich auch mit den Millionenspenden, von denen die amerikanischen Institutionen abhängen. „Das Museum will diese Mäzene nicht mit unangenehmen Fragen nach der Provenienz ihrer Stücke vergrätzen“, so van Ess.
Und sind dort, wo Sammler selbst an einflussreichen Positionen sitzen, Interessenskonflikte nicht unvermeidlich? Shelby White etwa besitzt eine der größten privaten Antikensammlungen der Welt; als Mitglied des Board of Trustees des Metropolitan genehmigt sie dort jeden Ankauf; sie ist Vorsitzende des „Visiting Committee“ für vorderasiatische Kunst; schließlich ernannte Bill Clinton sie im Jahr 2000 zum Mitglied des Cultural Property Advisory Committee, das die Regierung bei der Einfuhr von Kunstgegenständen berät. White besitzt die Hälfte einer Heraklesstatue, deren Unterleib im Museum der türkischen Stadt Antalya liegt. Auf vehementen Druck der Türkei willigte sie ein, dass die Statue nach ihrem Tod zurückgegeben wird.
Die Sammler überlassen den Museen ihre Schätze nicht nur aus hehren Motiven. Jede Schenkung wird vom amerikanischen Finanzamt mit erheblichen Steuererleichterungen honoriert. Diese Regelung nützen manche Mäzene auf zweierlei Weise aus. „Sie leihen dem Museum einen Gegenstand. Ist er einmal ausgestellt, steigt sein Wert enorm. Dann schenken sie ihn dem Museum. In der Schenkungsurkunde wird natürlich der höhere Wert berücksichtigt“, erklärt Korfmann. Eine andere Methode beschreibt van Ess: „Man kauft ein ganzes Paket von, sagen wir, 25000 Objekten. Dafür erhält man einen erheblichen Mengenrabatt. Lässt man dann einzelne dieser Objekte von arbeitslosen Archäologen schätzen, liegt deren Wert wesentlich höher.“ So oder so, sagt Korfmann: „Wenn Sie ihren Besitz mehren wollen, ist das ein sehr guter Weg. Und am Ende stehen Sie noch als Wohltäter da.“
Muscarella geht noch weiter: „Es handelt sich um eine Verflechtung von Geld und Macht. Etwa 200 Leute weltweit, die größten Sammler und die wichtigsten Kuratoren, betreiben die Zerstörung der Frühgeschichte der Menschheit. Und ein Großteil dieser Zerstörung wird vom Steuerzahler finanziert.“
Großbritannien hat letztes Jahr die Unesco-Konvention ratifiziert, die Schweiz steht kurz davor, nur Deutschland konnte sich bis heute nicht dazu durchringen. „Der Kunsthandel hat das erfolgreich blockiert“, meint Korfmann – und die Kulturhoheit der Länder tat ein übriges. So gelten zwischen den armen Lieferanten und den reichen Abnehmern auch weiterhin allein die Gesetze des Markts.
JÖRG HÄNTZSCHEL
Sammler und Museen im Westen finanzieren die Zerstörung der antiken Welt
Es gibt Tage, da beugen sich nur wenige Besucher über die unermesslichen antiken Schätze des New Yorker Metropolitan Museum. Dann wieder schieben sich Tausende um die Vitrinen, wie neulich bei der Ausstellung „Art of the First Cities“. Doch selbst, wenn die Säle überquellen, dämpft die Ehrfurcht vor Alter und Schönheit der Gegenstände die Stimmen. Betrachtet man den Goldschmuck, die Vasen und Rollsiegel, ist es, als blicke man durch Schlüssellöcher in die Vergangenheit. Nur einer lässt sich von der Erhabenheit der Exponate nicht beeindrucken. Für ihn erzählen sie nicht nur von Jahrtausende alten Hochkulturen, für ihn sind sie Opfer einer ganz anderen Geschichte: „Geplündert!“, ruft er mit bebender Stimme und zeigt in alle Richtungen: „Es ist eine Katastrophe!“
Oscar Muscarella, einer der führenden Kenner der antiken vorderasiatischen Welt, hätte es weit bringen können im Metropolitan Museum, das mehrfacher Bitten um eine Stellungnahme nicht nachkam. Dennoch ist er im eigenen Haus isoliert. Nachdem er vor 30 Jahren gefeuert wurde, klagte er sich zurück an seinen Arbeitsplatz. Heute ist er „Senior Research Fellow“, ein „Mickey-Maus-Titel“. Für die Archäologie ist Muscarellas Outlaw-Status indes ein Glücksfall. Er kann aussprechen, was postenhungrige oder skrupellosere Kollegen nicht sagen wollen: Die meisten antiken Objekte, die heute von westlichen Museen angekauft, als Leihgaben oder Schenkungen ausgestellt werden, stammen weder aus alten Sammlungen, noch wurden sie von Archäologen ausgegraben. Es handelt sich um Raubgut, das von Einheimischen oder von organisierten Banden ausgebuddelt wurde.
Als am Ende des Irakkrieges das Irak-Museum in Bagdad geplündert wurde, empörte sich die Welt. Für Muscarella aber ist jene Raubgräberei viel schwerwiegender, die Tag und Nacht an Tausenden von archäologisch bedeutenden Orten stattfindet: „Ob im Irak oder in der Türkei – wo ich hinkomme, sehe ich zerstörte Monumente, Löcher im Boden, Grabhügel, die mit Baggern umgewühlt wurden. Und in Italien und Griechenland ist es ebenso. Ganze Familien tun seit Generationen nichts anderes, als antike Stätten zu plündern.“ Manfred Korfmann, der bekannteste deutsche Archäologe und Leiter der Grabungen in Troja, pflichtet bei: „Man kann nicht alle Stätten schützen. Es gibt ganze Landstriche, in denen die Behörden nicht präsent sind.“
Dass die Raubgräber sich die Schätze nicht zu Hause ins Regal stellen, liegt auf der Hand. Sie graben, „weil sie wissen, dass ihre Funde garantiert Abnehmer im Westen finden. Die Nachfrage erzeugt das Angebot“, so Muscarellas Hauptthese. Weniger Ignoranz als vielmehr Armut und politische Destabilisierung leisten der Raubgräberei Vorschub, so Margarete van Ess, Leiterin der Außenstelle Bagdad des Deutschen Archäologischen Instituts. „Ob es der Bürgerkrieg im Libanon war, das Taliban-Regime in Afghanistan oder der Golfkrieg und das Embargo im Irak: wo das Gesellschaftsgefüge zusammenbricht, nehmen Plünderung und Schmuggel zu.“
Archäologen interessieren sich für die Gesamtheit eines Grabfundes, einer unentdeckten Siedlung oder einer ganzen Kultur. Sie gehen systematisch vor und notieren jeden einzelnen Fund in der Hoffnung, er werfe Licht auf den großen Kontext. „Sie können das mit der Arbeit eines Pathologen vergleichen“, meint Korfmann. Sammler jedoch suchen das einzelne schöne Objekt. Die Plünderer haben deshalb kein Interesse daran, den Zusammenhang einer Stätte zu erhalten. Sie pflücken sich die dicksten Trauben heraus um sich dann dem nächsten Ort zuzuwenden.
Was Dynamit und Bulldozer hinterlassen, ist für Archäologen unbrauchbar geworden. „Wenn Sie einen Rembrandt stehlen, hat das kaum Konsequenzen für die Kunstgeschichtsschreibung“, so Muscarella. „Wenn Sie eine antike Stätte plündern, ist sie für immer zerstört. Die Menschheit wird ihre Bedeutung nie erfahren. Es handelt sich nicht nur um Kunstdiebstahl. Es ist Geschichtszerstörung.“ – Und sie findet, so Muscarella, mit dem Wissen und der indirekten Unterstützung derjenigen Institutionen statt, deren Aufgabe die Erhaltung der Geschichte ist: der Museen.
Den Weg, den ein antiker Gegenstand von einem umgepflügten Grabhügel bis in westliche Vitrinen zurücklegt, hat – für sein Land – niemand gründlicher untersucht als der Journalist Özgen Acar von der türkischen Zeitung Cumhuriyet. „Gehen wir vom harmlosesten Fall aus: Ein Bauer findet ein antikes Gefäß. Das nächste Museum würde ihm dafür eine kleine Belohnung zahlen. Vom örtlichen Mittelsmann der Schmuggelorganisation bekommt er wesentlich mehr. Dieser bringt das Gefäß nach Istanbul. Ein Kurier fährt es über die kaum kontrollierte Grenze nach Bulgarien. Am Flughafen in Sofia lässt er sich notfalls gegen Bestechung eine Exportgenehmigung ausstellen und schickt das Gefäß dann per Luftfracht nach Zürich oder München.“
Da die Sendung korrekt deklariert ist, hat der Zoll keinerlei Handhabe gegen die Einfuhr. Sowohl Deutschland als auch die Schweiz haben die Unesco-Konvention von 1970 nie unterzeichnet, die es den Herkunftsländern erlaubt, Raubgut, das in den Unterzeichnerländern auftaucht, zurückzufordern. Doch auch der amerikanische Zoll – die USA haben die Konvention unterschrieben – hält die Gegenstände nicht auf, wenn sie dort vom Frachtbereich des Zürcher Flughafens oder von einer Galerie in München aus eintreffen. „Alles, was älter ist als 100Jahre, darf frei eingeführt werden. Den Zöllnern ist egal, ob das Stück aus einem Kirchenfenster gebrochen oder aus einem Grab gezerrt wurde“, so Acar. So landet das Stück oft bei einem der großen New Yorker Händler in der 57.Straße, der Madison Avenue oder direkt bei milliardenschweren Sammlern.
Bis in die 50er Jahre konnten Archäologen einen Teil ihrer Funde mit nach Hause nehmen. Heute gehört alles, was sie finden, dem jeweiligen Gastland. Der Hunger der Museumsleute nach neuen Stücken lässt sich also legal nur mit dem dürftigen Angebot aus aufgelösten Sammlungen stillen. Dass sie daher ständig versucht sind, es mit der Provenienz des einen oder anderen Stücks nicht so genau zu nehmen, liegt nahe. Wenn wir die Sachen nicht kaufen – so rechtfertigen sie sich, die Gesetze von Angebot und Nachfrage ignorierend –, enden sie schließlich hinter den verschlossenen Türen privater Sammler. Nicht selten, so berichtet Ulrike Löw von der Uni Münster, findet auch ein Tauschgeschäft statt: Gegen ein paar Rollsiegel erhält der Sammler unter dem Briefkopf des Museums ein nobles Gutachten für andere Stücke.
Die unter Museumsleuten verbreitete Heuchelei illustriert folgende Geschichte: Im Dezember 1994 trafen sich 30 Kuratoren zu einem Symposium in Bagdad, bei dem sie über die Folgen des ersten Golfkriegs berieten. Am Ende verabschiedeten sie eine Resolution, in der sie sich verpflichteten, keine Stücke mit dubioser Provenienz anzukaufen. Einer der Unterzeichner, ein prominenter Kurator, der auch dieser Tage wieder in den Zeitungen gegen das Plündern wettert, schrieb daraufhin an den Direktor eines anderen Museums, es handle sich bei der Petition „um eine reine Absichtserklärung. Natürlich sind Kuratoren daran nicht gebunden“. Jahre später bewarb sich dieser Kurator bei demselben Museum um eine Stelle – und erhielt sie. Einem abgelehnten Kandidaten erklärte der Direktor, man habe sich gegen ihn entschieden, weil er, „was Ankäufe angehe, zu skrupulös sei“.
Noch unkritischer sind die Museen allerdings, wenn Sammler ihnen ihre Stücke als Schenkung oder Leihgabe anbieten. Viele dieser Sammler bedenken die Museen schließlich auch mit den Millionenspenden, von denen die amerikanischen Institutionen abhängen. „Das Museum will diese Mäzene nicht mit unangenehmen Fragen nach der Provenienz ihrer Stücke vergrätzen“, so van Ess.
Und sind dort, wo Sammler selbst an einflussreichen Positionen sitzen, Interessenskonflikte nicht unvermeidlich? Shelby White etwa besitzt eine der größten privaten Antikensammlungen der Welt; als Mitglied des Board of Trustees des Metropolitan genehmigt sie dort jeden Ankauf; sie ist Vorsitzende des „Visiting Committee“ für vorderasiatische Kunst; schließlich ernannte Bill Clinton sie im Jahr 2000 zum Mitglied des Cultural Property Advisory Committee, das die Regierung bei der Einfuhr von Kunstgegenständen berät. White besitzt die Hälfte einer Heraklesstatue, deren Unterleib im Museum der türkischen Stadt Antalya liegt. Auf vehementen Druck der Türkei willigte sie ein, dass die Statue nach ihrem Tod zurückgegeben wird.
Die Sammler überlassen den Museen ihre Schätze nicht nur aus hehren Motiven. Jede Schenkung wird vom amerikanischen Finanzamt mit erheblichen Steuererleichterungen honoriert. Diese Regelung nützen manche Mäzene auf zweierlei Weise aus. „Sie leihen dem Museum einen Gegenstand. Ist er einmal ausgestellt, steigt sein Wert enorm. Dann schenken sie ihn dem Museum. In der Schenkungsurkunde wird natürlich der höhere Wert berücksichtigt“, erklärt Korfmann. Eine andere Methode beschreibt van Ess: „Man kauft ein ganzes Paket von, sagen wir, 25000 Objekten. Dafür erhält man einen erheblichen Mengenrabatt. Lässt man dann einzelne dieser Objekte von arbeitslosen Archäologen schätzen, liegt deren Wert wesentlich höher.“ So oder so, sagt Korfmann: „Wenn Sie ihren Besitz mehren wollen, ist das ein sehr guter Weg. Und am Ende stehen Sie noch als Wohltäter da.“
Muscarella geht noch weiter: „Es handelt sich um eine Verflechtung von Geld und Macht. Etwa 200 Leute weltweit, die größten Sammler und die wichtigsten Kuratoren, betreiben die Zerstörung der Frühgeschichte der Menschheit. Und ein Großteil dieser Zerstörung wird vom Steuerzahler finanziert.“
Großbritannien hat letztes Jahr die Unesco-Konvention ratifiziert, die Schweiz steht kurz davor, nur Deutschland konnte sich bis heute nicht dazu durchringen. „Der Kunsthandel hat das erfolgreich blockiert“, meint Korfmann – und die Kulturhoheit der Länder tat ein übriges. So gelten zwischen den armen Lieferanten und den reichen Abnehmern auch weiterhin allein die Gesetze des Markts.
JÖRG HÄNTZSCHEL