Zwei bemerkenswerte „Reiterstürze“

Alles was so unter den Römern geprägt wurde.

Moderator: Homer J. Simpson

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chinamul
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Zwei bemerkenswerte „Reiterstürze“

Beitrag von chinamul » Mo 04.03.13 12:50

Nachdem ich schon seit langer Zeit Ausschau nach einem Reitersturz mit einem neben seinem Pferd sitzenden gestürzten Reiter gehalten hatte, gelang mir letzthin in kurzem Abstand der Erwerb von gleich zweien dieser offenbar nicht so häufigen und daher wohl auch gesuchten Münzen. Zunächst ersteigerte ich bei Lanz ein Stück für mäßige € 21 brutto (jeweils linke Münze) und wenige Tage später bei Gitbud & Neumann ein 2er-Lot für ganze € 11,50, das eine weitere Münze dieses Typs enthielt.
reitersturz sitzend a.jpg
reitersturz sitzend b.jpg
CONSTANTIUS II 337 – 361
Æ 2 Thessalonica 348 – 350
Av.: D N CONSTAN - TIVS P F AVG - Geharnischte und drapierte Büste rechts mit Perldiadem
Links im Feld: A
Rv.: FEL TEMP REPARATIO - Soldat mit Schild am linken Arm nach links mit Lanze auf mit erhobenen Armen neben seinem Pferd am Boden sitzenden Reiter einstechend, dessen Schild rechts steht
Links im Feld: A
Im Abschnitt: TSA
RIC VIII p. 412, Nr. 123
Gewichte: 5,74 g und 5,37 g

Als ich beide Münzen erhalten hatte und sie einer genaueren Untersuchung unterzog, stellte ich einige in meinen Augen bemerkenswerte Tatsachen fest:
1. Die Stücke sind offenbar antike Originale mit allen relevanten Kriterien.
2. Die Münzen sind beidseitig stempelgleich.
3. Sie weisen zudem noch dieselbe Stempelstellung auf, nämlich 11 Uhr.
4. Ein weiteres gemeinsames Merkmal ist eine gewisse Prägeschwäche im Kopfbereich des Soldaten mit der Lanze.
Da eine moderne Fälschung meiner Meinung nach ausscheidet (s. Punkt 1), mußte für die Feststellungen unter Punkt 2 und 3, besonders aber für die identische Prägeschwäche unter Punkt 4 eine einleuchtende Erklärung gefunden werden.
Diese liegt vermutlich darin, daß wir es hier mit einer Zangenprägung (s. Abb. ganz unten) zu tun haben, was die Punkte 2 und 3 hinreichend erklären würde.
Was nun aber die unter Punkt 4 angesprochene identische Prägeschwäche betrifft, so stellt eine Zangenprägung gewisse Anforderung an die Beschaffenheit der benutzten Prägezange: Die Prägeflächen von Av.- und Rv.-Stempel mußten zur Erzeugung eines voll ausgeprägten Münzbildes beim Prägevorgang einsehbar genau parallel zueinander liegen, wobei auch noch die jeweilige Schrötlingsdicke zu berücksichtigen war. Es läßt sich leicht denken, daß diese doch recht delikate Ausrichtung der Stempelflächen im Laufe eines längeren Gebrauchs der Prägezange sich allmählich veränderte – womöglich auch durch nicht immer genau senkrecht ausgeführte Hammerschläge – was dann schließlich zu den an den beiden Münzen zu beobachtenden Erscheinungen führte.
Praegezange[1].jpg
Gruß

chinamul
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Re: Zwei bemerkenswerte „Reiterstürze“

Beitrag von antoninus1 » Mo 04.03.13 13:03

Hm, ist es auch eine erwähnenswerte Übereinstimmung, dass bei bestimmten Buchstaben (z.B. FEL auf dem Rv. und C von CONSTANTIVS auf dem Av.) die gleichen "Strahlen" oder besser Verlängerungen zum Perlkreis gehen?
Gruß,
antoninus1

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Homer J. Simpson
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Re: Zwei bemerkenswerte „Reiterstürze“

Beitrag von Homer J. Simpson » Mo 04.03.13 13:26

Das halte ich für Stempelerosionen bei längerem Gebrauch durch nach außen "fließendes" Metall.

Homer
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justus
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Re: Zwei bemerkenswerte „Reiterstürze“

Beitrag von justus » Sa 04.01.14 11:56

Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich seinerzeit mit großem Interesse diesen interessanten Beitrag von chinamul gelesen und die beiden augenscheinlich stempelgleichen „Reiterstürze“ bewundert habe. Nun, wie das Schicksal es so will, sind auch mir vor kurzem zwei vergleichbare Stücke ins Netz gegangen, welche ich euch gerne ebenfalls vorstellen möchte. Erstens um auch hier eine Stempelgleichheit vorzustellen – wobei ich zumindest bei den Vorderseiten von einer Stempelgleichheit ausgehen möchte - und natürlich zweitens, um eine Lanze für die Schönheit spätrömischer Folles zu brechen. :wink:
RST.21 av.jpg
RST.21 rv.jpg
CONSTANTIUS II.
Æ1 Follis (Maiorina), geprägt in Thessalonica 350 n. Chr.
Av. DN CONSTAN – TIVS PF AVG / Drapierte, gepanzerte Büste mit Perlendiadem n. r. Dahinter A.
Rv. FEL TEMP RE – PARATIO / Reitersturz. Soldat stößt mit Speer nach vom Pferd gestürztem Reiter. Reiter sitzt neben gestürztem Pferd auf dem Boden und hebt flehentlich beide Hände zum Himmel. Im Feld l. A. Im Abschnitt TSΔ.
Gewicht: 5,31 g. Durchmesser: 23 mm. Achse: 11 Uhr.
Ref. Thessalonica RIC VIII 129. Nach Carson/Hill/Kent Typus FH2 („sitting“ - Reiter sitzt neben Pferd). Vorderseite stempelgleich mit RST.22.
RST.22 av.jpg
RST.22 rv.jpg
CONSTANTIUS II.
Æ1 Follis (Maiorina), geprägt in Thessalonica 350 n. Chr.
Av. DN CONSTAN – TIVS PF AVG / Drapierte, gepanzerte Büste mit Perlendiadem n. r. Dahinter A.
Rv. FEL TEMP RE – PARATIO / Reitersturz (Typus ). Soldat stößt mit Speer nach vom Pferd gestürztem Reiter. Reiter sitzt neben gestürztem Pferd auf dem Boden und hebt flehentlich beide Hände zum Himmel. Im Feld l. A. Im Abschnitt TSΔ.
Gewicht: 4,94 g. Durchmesser: 24 mm. Achse: 5 Uhr.
Ref. Thessalonica RIC VIII 129. Nach Carson/Hill/Kent Typus FH2 („sitting“ - Reiter sitzt neben Pferd). Vorderseite stempelgleich mit RST.21.

Ich will nicht verhehlen, dass seine Vermutung, die Punkte 2 und 3 könnten auf eine „Zangenprägung“ zurückzuführen sein, auch für mich einen gewissen Charme besitzt. Allerdings war mir diese besondere Form der „Hammerprägung“ bis dato nur aus der modernen Münzenproduktion des 18. und 19. Jahrhunderts bekannt.

Was die Stempelstellungen von Vorder- und Rückseiten spätrömischer Münzen anbetrifft, so scheinen sich die Achsen doch auffallend häufig zwischen 11 und 1 Uhr oder aber 5 und 7 Uhr zu bewegen. Abweichungen davon treten nach meiner Erfahrung seltener auf. Ob dies mit den für einen geordneten Ablauf von solch ungeheuren Massenproduktionen an Bronzemünzen notwendigen, immer gleichen Positionen der drei beteiligten Münzarbeiter, nämlich dem „suppostor“ (Münzarbeiter, der den Schrötling über den Unterseitenstempel hält), dem „aequator“ (Münzarbeiter, der für die Justierung von Prägestempeln und Münzschrötlingen zuständig war) und dem „malleator monetae“ (Münzarbeiter, der mit dem Hammer auf die Münzstempel schlägt) zusammenhängt, mag ich nicht abschließend beurteilen. Vgl. Abb. 3 - Münzprägung in einer officina.
Abb. 3 - Münzprägung in einer officina.jpg
Anmerkung: Inwieweit sich Ähnlichkeiten zwischen chinamuls und meinen Stücken feststellen lassen, dass möchte ich euren geschulten Blicken überlassen.

P.S. Stimmen meine Literaturangaben/Referenzen ?
mit freundlichem Gruß

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Re: Zwei bemerkenswerte „Reiterstürze“

Beitrag von shanxi » Sa 04.01.14 13:27

So wie ich das sehe ist die untere beidseitig Stempelgleich mit chinamuls Stücken, die obere nur im Avers Stempelgleich. Bei der Rückseite ist z.B. der Umhang unter dem Schild deutlich unterschiedlich.

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Re: Zwei bemerkenswerte „Reiterstürze“

Beitrag von Peter43 » Sa 04.01.14 23:33

Vom Typ FH 2 (sitting) gibt es verschiedene Varianten. Bei euren Münzen sitzt der vom Pferd gefallene Reiter mit dem Gesäß auf dem Boden. Eine andere Variante zeigt ihn mit dem Gesäß in der Luft schwebend, sozusagen noch im Fallen. Aber auch hier streckt er beide Hände dem Soldaten entgegen, was für diesen Typ typisch ist (Constantius II., Arles 140, aus dem Bridgnorth Hoard 2007)

Die seltenste Type ist allerdings FH 1 (kneeling), bei der der gefallene Reiter auf den Knien n.l. liegt. Diese Type gab es nur zu Beginn der Prägungen. Aus kompositorischen Gründen wurde sie schnell fallen gelassen (Constantius II., Aquileia 96)

Hinweisen möchte ich auch auf den alten Thread "Neues vom 'Reitersturz'" http://www.numismatikforum.de/viewtopic ... eitersturz

Mit freundlichem Gruß
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Re: Zwei bemerkenswerte „Reiterstürze“

Beitrag von justus » So 05.01.14 16:01

Danke für die recht informative Ergänzung zum Typus FH2 (sitting), Jochen. Das zweite Beispiel war mir bisher unbekannt. Noch eine Frage: Soweit ich mich erinnern kann, wurde vor einiger Zeit im amerikanischen Forum ein neuer, bisher unbekannter Typus (?) des Reitersturzes vorgestellt. Kniend nach rechts gewendet ? Kannst du mir zufälligerweise den entsprechenden Link zum FAC mitteilen ? ich wäre sehr dankbar dafür ! :D
Zuletzt geändert von justus am So 05.01.14 16:43, insgesamt 1-mal geändert.
mit freundlichem Gruß

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Re: Zwei bemerkenswerte „Reiterstürze“

Beitrag von Peter43 » So 05.01.14 16:40

O, da muß ich aber schwer suchen!
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Re: Zwei bemerkenswerte „Reiterstürze“

Beitrag von Peter43 » So 05.01.14 16:53

Ich vermute, daß es diese Münze ist. Die kenne ich nur von einem einzigen Exemplar.
Link: http://www.forumancientcoins.com/board/ ... #msg164369

Im oben angeführten Thread über den Reitersturz, hatte ich bereits gesagt, daß die Typeneinteilung im RIC und auch die von Carson/Hill/Kent nur beschränkt gültig ist. Sie berücksichtigen nicht die Vielfalt der Varianten. Helvetica allein unterscheidet 18 verschiedene Typen!

Mit freundlichem Gruß
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Re: Zwei bemerkenswerte „Reiterstürze“

Beitrag von justus » So 05.01.14 17:12

Danke für den Link, Jochen. Scheint ja wirklich ein "Wahnsinnsstück" zu sein. Sind hiervon eigentlich zwischenzeitlich weitere Stücke bekannt geworden ?
mit freundlichem Gruß

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Re: Zwei bemerkenswerte „Reiterstürze“

Beitrag von Peter43 » So 05.01.14 19:02

Mir ist das nicht bekannt. Aber vielleicht weiß jemand anderes mehr?

Jochen
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