Hallo Freunde! Noch eine interessante Münze.
Ich hoffe, Euch mit meinem folgenden Aufsatz nicht zu sehr zu strapazieren oder gar für immer abzuschrecken! Er ist gegenüber der ursprünglichen Fassung bereits etwas eingedampft worden.
Zur Auflösung einer abgekürzten Inschrift auf einem Denar des Augustus (1)
Der Cippus auf dem Revers dieser Münze trägt die folgende sechszeilige Inschrift:
S.P.Q.R. / IMP.CAE / QVOD.V / MSEX / EAPQIS / ADADE,
für die der neue erste Band des RIC-Katalogs (2) diese althergebrachte (3) und sehr einleuchtende Auflösung anbietet:
„
Senatus
Populus
Que
Romanus
IMPeratori
CAEsari
QVOD Viae
Munitae
Sunt
EX EA Pecunia
Quam
IS AD Aerarium
Detulit“, was zu übersetzen ist mit „Der Senat und das römische Volk (widmen diese Inschrift) dem Imperator und Caesar, weil die Straßen befestigt worden sind von dem Geld, das er (Augustus) an den Staatsschatz abgeführt hat.“
Am selben Ort zitiert RIC jedoch noch eine andere Lesung, nämlich diejenige, die J.-B. Giard (4) vorschlägt. Dieser liest, wobei er der vorgenannten Auflösung des ersten Teils der Inschrift bis einschließlich „EX EA Pecunia“ folgt, dann weiter: „ ... Quae Iussu Senatus AD Aerarium Delata Est“, also etwa: „ ... von dem Geld, das (von wem auch immer – Verf.) auf Anordnung des Senats an den Staatsschatz übertragen worden ist“.
Gegen diese zweite Version gibt es, wenngleich sie grammatisch zweifellos korrekt wäre, schwerwiegende logische und inhaltliche Einwände.
Die Lesung des ersten Teils der Inschrift ist offenbar unstrittig. Die anschließende Version Giards jedoch läßt keinen zwingenden Kausalzusammenhang zwischen der dem Kaiser von Senat und Volk zuteilgewordenen Ehrung und dem Straßenbau aus irgendwelchen dem Staatsschatz zugeflossenen Mitteln erkennen. Und selbst wenn Giard bei diesen Geldern tatsächlich persönliche Zahlungen des Augustus gemeint haben sollte, wogegen jedoch die den Handelnden nicht nennende Passivkonstruktion (
delata est) spricht, macht ein
iussu senatus (= „auf Anordnung des Senats“) eine solche Zahlung zu einer unfreiwilligen Abgabe, zu der sich Augustus aber kaum hätte heranziehen lassen, und die wohl auch nicht zu einer öffentlichen Ehrung geführt hätte.
Es ist zwar historisch gesichert, daß Augustus, um seiner Herrschaft den Anschein von Legitimität zu geben und auch um nicht als Usurpator und Feind der Republik das Schicksal Caesars teilen zu müssen, dem Senat gewisse Befugnisse beließ.
Dennoch ist es eher unwahrscheinlich, daß Augustus hier, quasi als eine Art
captatio benevolentiae, so tut, als folge er nach bester republikanischer Tradition den Weisungen des Senats bis hin zu Zahlungen an den Aerar. Es ist zudem schwer vorstellbar, daß Augustus sich den zweifachen Propagandaeffekt einer großzügigen und dazu noch freiwilligen Spende an den Staatsschatz hätte entgehen lassen, der zu jener Zeit, zumindest nominell, unter der Kontrolle zweier im Jahr 28 v. Chr. von ihm selbst eingesetzter Prätoren stand.
Die
Res Gestae Divi Augusti, auch als
Index Rerum Gestarum oder, nach ihrem Fundort bei Ankara, als
Monumentum Ancyranum bekannt, sein Rechenschaftsbericht über seine Tätigkeit als republikanischer Politiker, als Feldherr und schließlich als Princeps, enthalten ebenfalls keinerlei Hinweis darauf, daß er sich vom Senat irgendetwas wirklich hätte vorschreiben lassen. Vielmehr legte er größten Wert darauf, als zwar mildtätiger und bescheidener, aber auch als ein aus eigenem Antrieb großzügiger und vor allen Dingen stets auf das Staatswohl bedachter Friedensherrscher in die Geschichte einzugehen.
Theodor Mommsen zitiert die folgende, in diesem Zusammenhang sehr bezeichnende Inschrift aus dem Jahr 27 v. Chr. auf einem Bogen in Ariminum (Rimini) (5):
SENATVS POPVLVSQVE ROMANVS IMP CAESARI DIVI F AVGVSTO IMP SEPT COS SEPT DESIGNAT OCTAVOM VIA FLAMINIA ET RELIQVEIS CELEBERRIMEIS ITALIAE VIEIS CONSILIO ET SUMPTIBVS EIVS MUNITEIS (einige Fehlstellen ergänzt)
Wichtig sind hier die letzten fünf Worte, die übersetzt bedeuten: „ ... sind befestigt worden auf seinen Entschluß hin und auf seine Kosten“. Augustus selbst hat also entschieden, aus seinem Vermögen Mittel für die Modernisierung der wichtigsten Straßen des Reiches bereitzustellen. Von einer entsprechenden Aufforderung durch den Senat ist also schon zu Beginn seiner Herrschaft, als man noch am ehesten republikanisch wirkende Gesten von ihm hätte erwarten können, keine Rede. Um so weniger wahrscheinlich sind sie über zehn Jahre später, zu der Zeit also, als unser Denar geprägt wurde (16/15 v. Chr.).
Die einzige Aussage des Augustus, daß er etwas „
iussu populi et senatus“, also „im Auftrag von Volk und Senat“ getan habe, bezieht sich auf eine Erhöhung der Zahl der Patrizier im Jahr 29 v. Chr. noch vor seiner Proklamation zum Augustus und hat nichts zu tun mit Zahlungen seinerseits. Ein anderer, späterer Quasiauftrag des Senats an ihn betrifft seine Pflichten als Inhaber der tribunizischen Gewalt, aber auch dies formuliert er so, daß sich daraus keineswegs eine Macht des Senats über seine Handlungen ablesen läßt: „
Quae tum per me geri senatus voluit, per tribuniciam potestatem perfeci, ...“ Durch den passivischen
acc. cum inf. in Verbindung mit
per me und dem schwächeren
voluit statt
iussit und dem abschließenden Hinweis auf seine sehr weitreichende tribunizische Gewalt läßt Augustus den Senat hier eher wie einen Bittsteller denn wie einen Auftraggeber aussehen, und das um so mehr, als er fortfährt: „ ... ,
cuius potestatis conlegam et ipse ultro quinquiens a senatu depoposci et accepi.“ Er hat also von sich aus in fünf Fällen einen Mitinhaber der tribunizischen Gewalt gefordert (
depoposci) und nicht etwa darum gebeten. Und selbstverständlich hat der Senat dieser Forderung auch entsprochen.
Da mithin kein einziger der in den
Res gestae erwähnten Senatsbeschlüsse irgendwelche Abgaben aus dem Privatvermögen des Augustus betraf und auch keiner entscheidend in seine Machtbefugnisse eingriff, spricht wenig dafür, sich der Lesung Giards für den Text auf dem Cippus anzuschließen, zumal die andere Auflösung offenbar einer jahrhundertelangen wissenschaftlichen Diskussion standgehalten hat.
Möglicherweise ließ sich der Franzose Giard zu seiner Version durch eine Münzbeschreibung in einem alten französischen Werk (6) anregen, das ihm eventuell bekannt war. Dort wird eine Variante des Augustusdenars beschrieben, die es den neueren Katalogen zufolge gar nicht gibt. Sie trägt bis auf das fehlende IS die gleiche Cippusinschrift wie das hier behandelte Stück, und der damalige Verfasser liest den Text wie Giard, hat aber nicht wie dieser das Problem, eine sinnvolle Lesart für das bei ihm gar nicht vorhandene
IS finden zu müssen (7). Vor allem aus Giards Zusatz
Iussu Senatus aber ergibt sich die oben dargestellte Problematik.
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1 Augustus 27 v. – 14 n. Chr.; AR Denar, Rom, 16/15 v. Chr., Münzmeister L. Vinucius;
Av.: AVGVSTVS – TR POT VIII / Kopf rechts barhaupt
Rv.: L VINVCIVS – L F IIIVIR / Cippus, darauf in sechs Zeilen
S..P.Q.R. / IMP.CAE / QVOD.V / MSEX / EAPQIS / ADADE - BMC 79; RIC 360
2 Sutherland, C. H. V., The Roman Imperial Coinage, Vol. I (Revised Edition), London 1984, Anmerkung zu Nr. 360, p. 681
3 Diese Lesung findet sich auch schon in der Samlung von Erleuterungsschriften und Zusätzen zur algemeinen Welthistorie, Hg. Johann Salomon Semler, Halle 1761, in einem Beitrag von Johann Ludwig Schulz mit dem Titel Erleuterung der Römischen Geschichte aus Münzen, p. 375.
4 Giard, J.-B., CBN (Bibliothèque nationale: Catalogue des monnaies de l’empire romain, Bd. I, Paris 1976
5 In dem von ihm herausgegebenen Band IX des Corpus Inscriptionum Latinarum mit dem Titel Inscriptiones Calabriae Apuliae Samnii Sabinorum Piceni Latinae, 1883 (CIL IX 365)
6 Vaillant, Jean, Numismata Imperatorum Romanorum Praestantiora, a Iulio Caesare ad Postumum et Tyrannos, Bd. II: De Aureis et Argenteis, Paris 1674, p. 17
7 Vaillant löst (mit Ausnahme des von ihm gar nicht erwähnten IS) seine Inschrift wie Giard auf, liest jedoch statt munitae sunt den Konjunktiv munitae sint, was indessen in diesem Zusammenhang unwesentlich erscheint.