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Verfasst: Do 13.10.05 18:03
von chinamul
Hallo Curtis!

Du hast geschrieben:
Die Ankunft eines Kaisers in einer Stadt wird aber sehr oft auf Münzen dargestellt.
Stimmt! Aber in keinem der vielen mir bekannten Fälle ist ein Handkuß dabei. Die ikonographischen Topoi scheinen ziemlich festgelegt zu sein und wirken in ihrer Gleichförmigkeit recht stereotyp (Kaiser reitet ein und grüßt mir erhobener Hand, Soldat - oder wie in der Münze von Jahr 14 Alexandria - grüßt Kaiser, der in Quadriga einfährt). Da wäre es doch geradezu verwunderlich, wenn mit dem Verlassen der eingefahrenen Bildersprache nicht auch eine besondere Aussage verbunden gewesen wäre.
Mir scheint aber, daß wir die Argumente für und gegen meine Theorie einstweilen so stehen lassen müssen, bis wir vielleicht eines Tages weitere Anhaltspunkte für die Bilddeutung finden. Jedenfalls bleibt auch Vogt uns letztlich einen Beweis für seine Version schuldig.

Gruß

chinamul

Verfasst: Do 13.10.05 18:32
von curtislclay
Meiner Meinung nach hat Vogts Version ganz bestimmt die Wahrscheinlichkeit für sich! Kondolenz ist, wie ich glaube, kein passendes Thema für einen Münztyp. Ein Handkuss in der antiken Welt drückte, wenn ich mich nicht irre, nicht Anteilnahme, sondern ehrfürchtige Begrüssung aus.
Man sollte aber vielleicht überlegen, ob der Typ nicht die ZWEITE Ankunft des Kaisers in Alexandrien, nach der Nilfahrt und dem Tod des Antinoos, darstellen könnte.

Verfasst: Fr 14.10.05 17:24
von chinamul
Auch für die von dir vermutete zweite Ankunft gibt es Münzen aus dem Jahr 15 mit konventionellen, formeller wirkenden Begrüßungsbildern (s. 1. und 2. Abb.).
Der Tod des Antinous könnte auch zur Prägung von Münze 3 geführt haben, auf der Hadrian verschleiert ein Opfer zelebriert (3. Abb.).
hadr.opfer jpg.jpg
HADRIANUS 117 - 138
AE Drachme Alexandria 130/131 (Jahr 15)
Av.: ΑΥΤ ΚΑΙ ΤΡΑΙ ΑΔΡΙΑ CЄΒ - Belorbeerte, geharnischte und drapierte Büste rechts, halb von hinten gesehen
Rv.: Hadrianus in langsamer Quadriga nach rechts fahrend; die Rechte ausgestreckt, in der Linken Adlerzepter; vor der Quadriga den Kaiser mit erhobener Rechter und Vexillum in der Linken begrüßende Alexandria mit Elefantenskalp
Im Abschnitt: L IE (= Jahr 15)
Geißen 1037; Datt. 1595; BMC 868; Milne 1314 - 23,97 g

hadr.ank.j.15jpg.jpg
HADRIANUS 117 - 138
BI Tetradrachme Alexandria 130/131 (Jahr 15)
Av.: wie bei Münze 1
Rv.: Hadrianus in Toga nach links stehend, die Rechte ausgestreckt und Zepter in der Linken; ihm gegenüber die Stadtgöttin Alexandria mit Elefantenskalp auf dem Kopf und in kurzem Chiton, die dem Kaiser mit der Rechten zwei Kornähren überreicht und in der Linken Vexillum hält
Links und zwischen beiden im Feld: L - IE (= Jahr 15)
Geißen 1028; BMC 669 - 12,00 g

hadr.ankunft j.jpg
HADRIANUS 117 - 138
AE Hemidrachme Alexandria 130/131 (Jahr 15)
Av.: wie bei Münze 1
Rv.: Hadrianus verschleiert (capite velato) und in Toga nach links stehend; in der Rechten Patera über Altar haltend, in der Linken Adlerzepter
Links und rechts im Feld: L I - E (= Jahr 15)
Geißen 1033; Datt. 1581; Milne 1318; Slg. Frankf. 452; SNG Cop. 363 - 11,11 g

Gruß

chinamul

Verfasst: Mo 14.11.05 20:42
von chinamul
Harpokrates

Der ägyptische Gott Seth tötet und zerstückelt seinen Bruder Osiris und, um ihm jede Chance auf eine Auferstehung zu nehmen, verstreut er dessen Leichenteile im ganzen Land. Seine Schwester und Gemahlin Isis jedoch sammelt sie ein, und es gelingt ihr dadurch, ihn wieder zum Leben zu erwecken.
Osiris zeugt daraufhin mit Isis den Horus, der als Kind Heru-Pa-Khret, d. h. „Horus das Kind“ genannt wird, was die Griechen dann zu Harpokrates machen. Dargestellt wird er häufig als Säugling auf dem Schoß seiner Mutter Isis sitzend, die ihn, worauf ausdrücklich hingewiesen wird, aus ihrer linken Brust stillt.
Als Knabe trägt er die für dieses Alter seinerzeit typische Seitenlocke an seinem ansonsten kahlgeschorenen Schädel, und als besonderes Merkmal steckt er den Zeigefinger in den Mund. Dies wird zwar häufig als Geste des Schweigens gedeutet, muß aber wohl eher als Ausdruck seiner Kindlichkeit und Naivität gesehen werden.
Reliefs zeigen Harpokrates oft auf Krokodilen stehend, und diese Affinität zu den Reptilien in Verbindung mit einer bisweilen berichteten Verkrüppelung seiner unteren Extremitäten - sein Vater Osiris ist schließlich als eine Art Untoter gewissermaßen genetisch geschädigt - führt auch zum ersten der unten dargestellten Münzbilder.
Als Erwachsener rächt Horus sich schließlich an Seth, indem er ihn tötet.

isis m.jpg
TRAJANUS 98 – 117
AE Drachme Alexandria 111/112 (Jahr 15)
Av.: AYT TPAIAN CЄB ΓЄPM ΔAKIK - Belorbeerte und auf der linken Schulter leicht drapierte Büste rechts
Rv.: Harpokrates von Kanopos mit Skhent nach links auf Basis stehend; die Rechte zum Mund geführt und Füllhorn in der Linken; als Unterkörper Krokodilleib; vor ihm kleiner ägyptischer Altar
Rechts im Feld: L I E (= Jahr 15)
Geißen - ; Förschner 290 - 23,15 g

harpokrates.jpg
HADRIANUS 117 - 138
AE Drachme Alexandria 134/135 (Jahr 19)
Av.: AYT KAIC TPAIAN AΔPIANOC CЄB- Belorbeerte, geharnischte und drapierte Büste rechts
Rv.: Harpokrates von Herakleopolis verschleiert und mit Kalathos auf dem Kopf in Chiton und Himation nach links stehend; mit der Rechten auf seinen Mund deutend, in der Linken Keule; links vor ihm kleiner Altar
Rundum: L ЄNNЄ - AK Δ (Jahr 19)
Geißen 1176; Milne 1472 - 21,10 g

harpo kroko.jpg
ANTONINUS PIUS 138 - 161
AE Drachme Alexandria 148/149 (Jahr 12)
Av.: AYT K T AIΛ AΔP ANTΩNINOC CЄB ЄYC - Belorbeerte, geharnischte und drapierte Büste rechts
Rv.: Isis in zweisäuligem Tempel mit halbrundem Giebel (darin Scheibe mit zwei Uraei) nach rechts sitzend; auf dem Schoß Harpokrates mit Lotos und Skhent
Im Abschnitt: L , rundum: ΔΩΔЄ - KATOY (= Jahr 12)
Geißen 1610 - 26,75 g

Gruß

chinamul

Verfasst: So 27.11.05 20:53
von gorostiza
Herzlichen Dank, chinamul, für Deine interessanten Ausführungen und natürlich für die prächtigen Münzen, die Du uns zeigst. In meiner Sammlung stecken ein paar wenige (35 Stück) Alexandriner, die meisten davon spätrömisch. Das hier gezeigte Stück ist aus mehr oder weniger gutem Silber, Tetradrachme von Hadrian, 21/24 mm, 13.1 gr. Kennst Du die Münze? Könntest Du eventuell die Legende und die Zeichen auflösen? Wer ist auf der Rückseite abgebildet?

Vielen Dank für Deine Mühe

Gruss

goro

Verfasst: So 27.11.05 23:12
von chinamul
Es ist mir ein Vergnügen!

HADRIANUS 117 - 138
BI Tetradrachme Alexandria 131/132 (Jahr 16)
Av.: AYT KAI TRAI AΔPIA CЄB - Belorbeerte, geharnischte und drapierte Büste rechts
Rv.: Sarapis in Himation und mit Kalathos auf dem Kopf nach links sitzend; die Rechte über Kerberos zu seinen Füßen ausgestreckt, in der Linken Zepter
Links und rechts im Feld: L I - S (= Jahr 16)
Geißen 1042f.; Datt. 1478; SNG Cop. 366

Gruß

chinamul

Verfasst: Di 29.11.05 08:50
von gorostiza
Herzlichen Dank, chinamul, jetzt kann ich die Münze wenigstens korrekt einordnen und verzeichnen. Du hast Dir viel Arbeit gemacht und sogar die Referenzen angegeben - das war sehr lieb.

Viele Grüsse
Roland

Verfasst: Di 29.11.05 10:03
von chinamul
Wenn schon, denn schon, goro. Die Literaturzitate gehören zu einem kompletten Service einfach dazu.

Gruß

chinamul

Verfasst: Mi 30.11.05 21:00
von Peter43
Zum Thema Harpokrates noch ein Beispiel aus der nordgriechischen Provinz. Es ist ein AE16 des Septimius Severus aus Nikopolis ad Istrum aus Untermösien.

Av.: AY KL C[EP] - CEYHPOC
belorbeerte Büste n.r.
Rv.: NIKOPOL - PROC IC / [?]
Harpokrates, nackt(?), steht n.l., hält Cornucopiae im li Arm und re
Hand vor den Mund.
unpubliziert, weder für Nikopolis noch für Septimius Severus ist mir ein Harpokrates bekannt. Harpokrates ist sowieso selten in Nordgriechenland.
S/SS

Dies ist eine kleine, nicht schöne Münze, aber die Identifizierung des Harpokrates ist klar durch die Geste mit der re Hand. Sie kommt frisch aus Bulgarien.

MfG

Hadrian aus Alexandria

Verfasst: Fr 16.12.05 16:40
von Philae
Hallo!
Mal der nächste Beitrag: Wieder mal ein Hadrian aus Alexandria, diesmal mit ägyptischer Königskobra, Sonnenscheibe und Sistrum. Römischer Kaiser, griechische Inschrift, ägyptische Symbole. Eine super Mischung, oder?

.... hier die Rückseite

Verfasst: Fr 16.12.05 16:41
von Philae
die Rückseite der Münze

Verfasst: Fr 16.12.05 18:02
von chinamul
Hallo Philae!

Dieses Nebeneinander von Elementen aus drei Kulturen macht eben den besonderen Reiz der Alexandriner aus.
Falls dir zu dieser Münze noch Angaben fehlen, bin ich gerne bereit, sie dir zu liefern.

Gruß

chinamul

Verfasst: Sa 17.12.05 15:04
von Philae
Oh, ja, das wäre ganz prima, bin für jede Info dankbar! Wie hoch ist dafür ca der Marktwert? Wie könnte ich die relativ ausgeprägte grüne Patina schonend entfernen? Danke schon mal!

Verfasst: Sa 17.12.05 16:37
von chinamul
Auch wenn man bei Alexandrinern bezüglich der Erhaltung in aller Regel etwas toleranter als bei Reichsmünzen sein muß, ist der Marktwert deiner Münze leider nicht sehr hoch. Ich würde ihn auf höchstens 20 bis 25 Euro taxieren. Jedenfalls würde ich persönlich nicht mehr dafür anlegen, obwohl ich ebenfalls Stücke dieses Erhaltungsgrades in meiner Sammlung habe, die aber auch nie mehr als die erwähnten 20 bis 25 Euro gekostet haben.

Deine Münze ist die folgende:

HADRIANUS 117 - 138
AE Diobol Alexandria 126/127 (Jahr 11)
Av.: AYT KAI TPAI AΔPIA CЄB - Belorbeerte und auf der linken Schulter leicht drapierte Büste rechts
Rv.: Aufgerichtete Uraeusschlange mit Hörnern und Scheibe auf dem Kopf, die Kornähre links und Sistrum rechts umschlingt
Rundum: L ENΔ - EKATOY (= Jahr 11)
BMC 839 (mein Exemplar wiegt 7,66 g)

Was die Reinigung angeht, so müßte man die Münze genauer untersuchen, bevor man da einen Rat geben kann.

Gruß

chinamul

Verfasst: Sa 17.12.05 21:28
von Peter43
Die Alexandriner sind nicht mein Sammelgebiet, aber hier habe ich eine Tetradrachme von Philipp I., die gerade im amerikanischen Forum eingestellt wurde. Das auffällige an ihr ist die Rückseite, wo die abgebildete Alexandria eine Beinprothese trägt! Es wird doch wohl nicht der Leuchtturm von Alexandria sein? :wink:

Ich hoffe, daß Chinamul uns das erklären kann!

MfG