Historisch interessante Münzen

Alles was so unter den Römern geprägt wurde.

Moderator: Homer J. Simpson

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chinamul
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Historisch interessante Münzen

Beitrag von chinamul » Di 27.07.04 21:21

Sollten wir im Römerforum nicht öfter mal historisch interessante Münzen vorstellen, die man nicht alle Tage antrifft? Besonders unsere neuen Sammlerfreunde dürften das eine oder andere Stück noch nie gesehen haben.

Ich fange heute mal an mit einem Dupondius, den Caligula zu Ehren seines im Jahr 19 gestorbenen Vaters Germanicus prägen ließ. Die Münze bezieht sich auf den Triumphzug, der dem Germanicus im Jahr 17 gewährt wurde, nachdem er in einem sonst nur mäßig erfolgreichen Feldzug gegen die Germanen zwei der drei im Jahr 9 in der Varusschlacht verlorengegangenen Feldzeichen (Legionsadler) der 17., 18. und 19. Legion zurückerobert hatte. Bei diesem Besuch der Stätte einer der empfindlichsten Niederlagen des römischen Heeres ließ Germanicus auch die sterblichen Überreste der dort gefallenen römischen Legionäre bestatten und errichtete ihnen ein Grabmal.
signis recept devictis germ.jpg
Die Vorderseite zeigt Germanicus in der Quadriga triumphalis mit einem Relief der Victoria am Wagenkasten. In der Hand hält er ein Adlerzepter. Oben in zwei Zeilen: GERMANICVS / CAESAR

Auf der Rückseite steht Germanicus in Rednerpose mit erhobener rechter Hand und Adlerzepter. Interessant, besonders für Altphilologen, ist die zweizeilige Aufschrift links und rechts von ihm. Sie lautet SIGNIS RECEPT(is) / DEVICTIS GERM(anis), wobei die Zeilen jeweils durch die Figur des Germanicus geteilt sind. Dadurch wird die Überkreuzkonstruktion der Inschrift (Chiasmus) besonders deutlich, und es darf unterstellt werden, daß das Absicht war. Übersetzen könnte man die Legende etwa so: Die Feldzeichen sind zurückerobert worden, vernichtend geschlagen sind die Germanen. Die Subjekte (hier allerdings im Ablativ, weil als ablativus absolutus konstruiert) stehen außen, die Verben innen, eben ein Chiasmus. Dieses Stilmittel wird übrigens durchaus auch im Deutschen benutzt. Man denke nur mal an das Lied „Mein Hut der hat drei Ecken, drei Ecken hat mein Hut.“

Literaturzitate: RIC 57; Cohen 36; Kampmann 9.5
Zuletzt geändert von chinamul am Fr 01.05.09 10:30, insgesamt 2-mal geändert.
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antoninus1
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Beitrag von antoninus1 » Mi 28.07.04 15:52

Hallo chinamul,
eine gute Idee! Gerade die Tatsache, dass die Münzen damals aktuelle Propagandamittel waren und heute historische Dokumente, machen sie so interessant.

Ich möchte euch auch eine Münze vorstellen, die auf den ersten Blick gewöhnlich erscheint, aber um so interessanter wird, wenn man den Grund ihrer Ausgabe kennt.

Es ist eine äußerst seltene Bronze des Hadrian aus Aelia Capitolina (Jerusalem).
Auf dem Av. sieht man sein Portrait. Auf dem Rv. sieht man die Inschrift COL AEL für Colonia Aelia und 3 Gestalten. Rechts und links eine Säule, darüber ein Dach.
Was ist dargestellt?
Es handelt sich um die capitolinische Trias, Jupiter, Juno und Minerva.
Dargestellt sind sie in einem bestimmten Tempel.
Hadrian reiste 130 n. Chr. nach Judäa (und später weiter nach Syrien und Ägypten) und ging in Gaza an Land. 60 Jahre zuvor hatte Titus Jerusalem mit dem Neuen Tempel zerstört und Judäa unterworfen. Eine zeitlang herrschte Ruhe, aber seit Traian hatte es wieder zu gären begonnen.
In dieser Situation beschloss Hadrian, an der Stelle des zerstörten jüdischen Tempels einen neuen errichten zu lassen, der den höchsten römischen Göttern geweiht sein sollte und die Stadt Jerusalem als Aelia Capitolina neu zu gründen.
Es war natürlich eine unglaubliche Demütigung und in den Augen der Juden ein großes Verbrechen, an ihrer heiligsten Stätte einen heidnischen Tempel zu errichten. Ich denke, dass alte Leute sicher noch den jüdischen Tempel mit eigenen Augen gesehen hatten.
Cassius Dio schreibt, dass dieser Tempelbau der auslösende Funke für den Aufstand des Bar Kochba im Jahr 132 gewesen sei. Dieser Krieg dauerte bis ca. 135/136 und endete mit der vollständigen Zerstörung Judäas. Lt. Cassius Dio sollen 95 Städte und ca. 900 größere Siedlungen zerstört und ca. 500000 Juden getötet worden seien. Der überlebende Rest wurde in viele Länder vertrieben, also der Beginn der Diaspora (mit ihren schrecklichen Folgen) und der Ursprung der Probleme, die wir heute noch im Nahen Osten haben.

Diese Münze zeigt also nicht in der hundertsten Variation römische Götter in einem Tempel, sondern ist zu einem bestimmten Anlass von Hadrian ausgegeben worden. Die Juden mussten mit Geld bezahlen, das den Triumph des Besatzers und die Zerstörung ihres Heiligsten feierte. Die Münze dokumentiert ein Ereignis, das die Weltgeschichte bis heute beeinflusst.
Dateianhänge
aelia.jpg
Gruß,
antoninus1

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Beitrag von corrado26 » Mi 28.07.04 20:16

Beiden Autoren herzlichen Dank, beide Texte habe ich mit größtem Interesse gelesen. Dieses Forum ist wirklich hervorragend, oder wo bekommt man sonst derart gute Historien zu lesen?
Gruß
corrado26 :wink:
Scio me nescire sed tamen censeo cogitare necesse esse

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Beitrag von richard55-47 » Mi 28.07.04 20:20

Zu Germanicus:
Die bisherige Lehre war, dass Augustus nach der Varusschlacht im Jahre 9 den Rückzug hinter den Rhein anordnete, von wenigen Vorstößen unter ihm und Tiberius (Strafexpeditionen) abgesehen. Kürzlich las ich eine neue Meinung, nach der nach dem Jahre 9 ein erbitterter Krieg über ein Jahrzehnt lang geführt wurde, dem etwa 50.000 römische Soldaten zum Opfer fielen. Die Römer wurden trotz überlegener Technik und riesigen Resourcen nicht Herr der Lage, weil die Germanen sich auf die Guerillataktik verlegten und und einer offenen Feldschlacht auswichen. So dumm waren sie nicht. Tiberius ließ dann zum endgültigen Rückzug blasen, er hatte die Nase voll. Schade für Germanien mit seinem späteren finsteren Mittelalter.
do ut des.

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Beitrag von chinamul » Mi 28.07.04 23:02

richard55-47 hat geschrieben: Die Römer wurden trotz überlegener Technik und riesigen Resourcen nicht Herr der Lage (chinamuls Unterstreichung), weil die Germanen sich auf die Guerillataktik verlegten und und einer offenen Feldschlacht auswichen. So dumm waren sie nicht. Tiberius ließ dann zum endgültigen Rückzug blasen, er hatte die Nase voll.
Geschichte wiederholt sich eben manchmal doch! Diese Situation kommt mir jedenfalls seltsam bekannt vor. Man darf gespannt sein, ob jemand heute auch irgendwann einmal die Nase voll hat und sich zurückzieht.

Übrigens: Ich freue mich, daß sich andere Forumsmitglieder für solche Beiträge erwärmen können und @antoninus1 ebenfalls eine sehr interessante Münze vorgestellt hat.

Gruß

chinamul

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Beitrag von Zwerg » Mi 28.07.04 23:21

Nur nebenbei
ich habe als Student seinerzeit (verrate ich nicht wann) eine Weiterbildungsveranstaltung für Geschichts- und Lateinlehrer im Großraum Düsseldorf mitbetreut - Thema Antike Numismatik
Für einige Zeit war die von Chinamul vorgestellte Münze ein Paradebeispiel bei den Lateinlehrern für den ABL ABS
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Beitrag von B.A. » Do 29.07.04 00:55

Moin, moin

Entschuldigt die "dumme" Frage, aber ich wüsste gerne mehr über die Münze zu ehren des Ises-Festes. Ich muss erst mal schauen unter welchen Kaiser sie geprägt wurde ( ich glaube unter einem der Constantin I-Nachfolger) Ich meine ab Constantin I waren die RV der Münzen "langweilig" (das ist meine Meinung) da keine Götter mehr abgebildet wurden, und die Leute wohl selber nicht ganz wussten was sie abbliden sollten :wink:
Ich sage bloß Reitersturz, Victoria oder der Kaiser selber mit nem Gefangenem ................
Wenn ich morgen Zeit finde stell ich den Beitrag auch selber ein, aber ich lese lieber als das ich schreibe :D :wink: :D :wink: :D :wink: 8)

Mfg
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Re: Historisch interessante Münze

Beitrag von DER_Schorsch » Do 29.07.04 02:47

chinamul hat geschrieben:Sollten wir im Römerforum nicht öfter mal historisch interessante Münzen vorstellen, die man nicht alle Tage antrifft? Besonders unsere neuen Sammlerfreunde dürften das eine oder andere Stück noch nie gesehen haben.
Vielen Dank chinamul (und auch antoninus1), sowohl für die Idee, als auch für die ersten Beiträge.
Auch wenn man andere Sammelgebiete hat, stöbert man doch gern auch in "Nachbars Garten" (zumal, wenn man noch neu dabei ist) und schaut sich die Beiträge anderer Foren an. Und dann erinnert man sich, den einen oder anderen Namen doch schon mal gehört zu haben (nämlich im Geschichtsunterricht, der schon selbst Geschichte ist), nur in welchem Zusammenhang?
Deshalb finde ich es einfach prima, den Anlaß der Prägung und das betreffende (geschichtliche) Umfeld etwas aus dem Dunklen an das Tageslicht zu zerren. Schon dämmerts auch bei mir ein wenig und ich stelle fest, daß die Information, die die Münzen ihrerzeit verbreiten sollten, auch heute noch ankommen.
Ich werde die (hoffentlich!) weiteren Beiträge im Auge behalten und hoffe, mich nicht anzustecken an dem Virus, der Euch römische Münzen sammeln läßt. (Sonst bin ich in nullkommanichts pleite)
In diesem Sinne,
DER_Schorsch

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Beitrag von richard55-47 » Do 29.07.04 19:18

@DER_Schorsch

Stellvertretend für alle; erst mal: herzlich willkommen. Geschichte ist und bleibt - da erlebt - lebendig, zumindest für den, der wach durch die Gegend läuft.
Das Sammeln von Münzen ist hierfür nicht unbedingt erforderlich, aber gibt immer wieder Anstöße, ohne dass der Gerichtsvollzieher ständiger Gast ist. Ich habe mir vor einigen Tagen den dritten Caligula Rv Vesta (Kampmann 11.9) in s bis ss (schön bis sehr schön) für insgesamt 23,62 € zugelegt. Das geht doch, oder? Man muss nicht immer den Katalogpreis (250 - 500 €) hinlegen. Also: fang an.
do ut des.

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Beitrag von donolli » Do 29.07.04 20:03

@richard55-47

eben eben. ich denke, dass bei dem sammelgebiet römer für jeden geldbeutel etwas dabei ist. wenn man sich z.b. einen gordian in vz für 20 euro bei ebay zulegt, so hat man zwar nicht unbedingt die seltenste münze, aber auch ein beinahe 1800 jahre altes historisches zeugnis von großer künstlerischer schönheit, bei dessen anblick einem schon ganz warm ums herz werden kann... :wink:

cheers donolli
Natura semina nobis scientiae dedit, scientiam non dedit. (Seneca)

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Beitrag von richard55-47 » Do 29.07.04 20:12

@donolli

Schön ausgedrückt, so geht es mir auch immer wieder. Nicht nur beim Neukauf, sondern auch beim Blättern, Suchen und Betrachten meiner Münzen.
do ut des.

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Beitrag von chinamul » Fr 30.07.04 13:02

Hallo Freunde! Noch eine interessante Münze.
Ich hoffe, Euch mit meinem folgenden Aufsatz nicht zu sehr zu strapazieren oder gar für immer abzuschrecken! Er ist gegenüber der ursprünglichen Fassung bereits etwas eingedampft worden.

Zur Auflösung einer abgekürzten Inschrift auf einem Denar des Augustus (1)
augustus viae munitae sunt.jpg
Der Cippus auf dem Revers dieser Münze trägt die folgende sechszeilige Inschrift:
S.P.Q.R. / IMP.CAE / QVOD.V / MSEX / EAPQIS / ADADE,
für die der neue erste Band des RIC-Katalogs (2) diese althergebrachte (3) und sehr einleuchtende Auflösung anbietet:
Senatus PopulusQue Romanus IMPeratori CAEsari QVOD Viae Munitae Sunt EX EA Pecunia Quam IS AD Aerarium Detulit“, was zu übersetzen ist mit „Der Senat und das römische Volk (widmen diese Inschrift) dem Imperator und Caesar, weil die Straßen befestigt worden sind von dem Geld, das er (Augustus) an den Staatsschatz abgeführt hat.“
Am selben Ort zitiert RIC jedoch noch eine andere Lesung, nämlich diejenige, die J.-B. Giard (4) vorschlägt. Dieser liest, wobei er der vorgenannten Auflösung des ersten Teils der Inschrift bis einschließlich „EX EA Pecunia“ folgt, dann weiter: „ ... Quae Iussu Senatus AD Aerarium Delata Est“, also etwa: „ ... von dem Geld, das (von wem auch immer – Verf.) auf Anordnung des Senats an den Staatsschatz übertragen worden ist“.
Gegen diese zweite Version gibt es, wenngleich sie grammatisch zweifellos korrekt wäre, schwerwiegende logische und inhaltliche Einwände.
Die Lesung des ersten Teils der Inschrift ist offenbar unstrittig. Die anschließende Version Giards jedoch läßt keinen zwingenden Kausalzusammenhang zwischen der dem Kaiser von Senat und Volk zuteilgewordenen Ehrung und dem Straßenbau aus irgendwelchen dem Staatsschatz zugeflossenen Mitteln erkennen. Und selbst wenn Giard bei diesen Geldern tatsächlich persönliche Zahlungen des Augustus gemeint haben sollte, wogegen jedoch die den Handelnden nicht nennende Passivkonstruktion (delata est) spricht, macht ein iussu senatus (= „auf Anordnung des Senats“) eine solche Zahlung zu einer unfreiwilligen Abgabe, zu der sich Augustus aber kaum hätte heranziehen lassen, und die wohl auch nicht zu einer öffentlichen Ehrung geführt hätte.
Es ist zwar historisch gesichert, daß Augustus, um seiner Herrschaft den Anschein von Legitimität zu geben und auch um nicht als Usurpator und Feind der Republik das Schicksal Caesars teilen zu müssen, dem Senat gewisse Befugnisse beließ.
Dennoch ist es eher unwahrscheinlich, daß Augustus hier, quasi als eine Art captatio benevolentiae, so tut, als folge er nach bester republikanischer Tradition den Weisungen des Senats bis hin zu Zahlungen an den Aerar. Es ist zudem schwer vorstellbar, daß Augustus sich den zweifachen Propagandaeffekt einer großzügigen und dazu noch freiwilligen Spende an den Staatsschatz hätte entgehen lassen, der zu jener Zeit, zumindest nominell, unter der Kontrolle zweier im Jahr 28 v. Chr. von ihm selbst eingesetzter Prätoren stand.
Die Res Gestae Divi Augusti, auch als Index Rerum Gestarum oder, nach ihrem Fundort bei Ankara, als Monumentum Ancyranum bekannt, sein Rechenschaftsbericht über seine Tätigkeit als republikanischer Politiker, als Feldherr und schließlich als Princeps, enthalten ebenfalls keinerlei Hinweis darauf, daß er sich vom Senat irgendetwas wirklich hätte vorschreiben lassen. Vielmehr legte er größten Wert darauf, als zwar mildtätiger und bescheidener, aber auch als ein aus eigenem Antrieb großzügiger und vor allen Dingen stets auf das Staatswohl bedachter Friedensherrscher in die Geschichte einzugehen.
Theodor Mommsen zitiert die folgende, in diesem Zusammenhang sehr bezeichnende Inschrift aus dem Jahr 27 v. Chr. auf einem Bogen in Ariminum (Rimini) (5):
SENATVS POPVLVSQVE ROMANVS IMP CAESARI DIVI F AVGVSTO IMP SEPT COS SEPT DESIGNAT OCTAVOM VIA FLAMINIA ET RELIQVEIS CELEBERRIMEIS ITALIAE VIEIS CONSILIO ET SUMPTIBVS EIVS MUNITEIS (einige Fehlstellen ergänzt)
Wichtig sind hier die letzten fünf Worte, die übersetzt bedeuten: „ ... sind befestigt worden auf seinen Entschluß hin und auf seine Kosten“. Augustus selbst hat also entschieden, aus seinem Vermögen Mittel für die Modernisierung der wichtigsten Straßen des Reiches bereitzustellen. Von einer entsprechenden Aufforderung durch den Senat ist also schon zu Beginn seiner Herrschaft, als man noch am ehesten republikanisch wirkende Gesten von ihm hätte erwarten können, keine Rede. Um so weniger wahrscheinlich sind sie über zehn Jahre später, zu der Zeit also, als unser Denar geprägt wurde (16/15 v. Chr.).
Die einzige Aussage des Augustus, daß er etwas „iussu populi et senatus“, also „im Auftrag von Volk und Senat“ getan habe, bezieht sich auf eine Erhöhung der Zahl der Patrizier im Jahr 29 v. Chr. noch vor seiner Proklamation zum Augustus und hat nichts zu tun mit Zahlungen seinerseits. Ein anderer, späterer Quasiauftrag des Senats an ihn betrifft seine Pflichten als Inhaber der tribunizischen Gewalt, aber auch dies formuliert er so, daß sich daraus keineswegs eine Macht des Senats über seine Handlungen ablesen läßt: „Quae tum per me geri senatus voluit, per tribuniciam potestatem perfeci, ...“ Durch den passivischen acc. cum inf. in Verbindung mit per me und dem schwächeren voluit statt iussit und dem abschließenden Hinweis auf seine sehr weitreichende tribunizische Gewalt läßt Augustus den Senat hier eher wie einen Bittsteller denn wie einen Auftraggeber aussehen, und das um so mehr, als er fortfährt: „ ... , cuius potestatis conlegam et ipse ultro quinquiens a senatu depoposci et accepi.“ Er hat also von sich aus in fünf Fällen einen Mitinhaber der tribunizischen Gewalt gefordert (depoposci) und nicht etwa darum gebeten. Und selbstverständlich hat der Senat dieser Forderung auch entsprochen.
Da mithin kein einziger der in den Res gestae erwähnten Senatsbeschlüsse irgendwelche Abgaben aus dem Privatvermögen des Augustus betraf und auch keiner entscheidend in seine Machtbefugnisse eingriff, spricht wenig dafür, sich der Lesung Giards für den Text auf dem Cippus anzuschließen, zumal die andere Auflösung offenbar einer jahrhundertelangen wissenschaftlichen Diskussion standgehalten hat.
Möglicherweise ließ sich der Franzose Giard zu seiner Version durch eine Münzbeschreibung in einem alten französischen Werk (6) anregen, das ihm eventuell bekannt war. Dort wird eine Variante des Augustusdenars beschrieben, die es den neueren Katalogen zufolge gar nicht gibt. Sie trägt bis auf das fehlende IS die gleiche Cippusinschrift wie das hier behandelte Stück, und der damalige Verfasser liest den Text wie Giard, hat aber nicht wie dieser das Problem, eine sinnvolle Lesart für das bei ihm gar nicht vorhandene IS finden zu müssen (7). Vor allem aus Giards Zusatz Iussu Senatus aber ergibt sich die oben dargestellte Problematik.
____________________________

1 Augustus 27 v. – 14 n. Chr.; AR Denar, Rom, 16/15 v. Chr., Münzmeister L. Vinucius;
Av.: AVGVSTVS – TR POT VIII / Kopf rechts barhaupt
Rv.: L VINVCIVS – L F IIIVIR / Cippus, darauf in sechs Zeilen
S..P.Q.R. / IMP.CAE / QVOD.V / MSEX / EAPQIS / ADADE - BMC 79; RIC 360

2 Sutherland, C. H. V., The Roman Imperial Coinage, Vol. I (Revised Edition), London 1984, Anmerkung zu Nr. 360, p. 681

3 Diese Lesung findet sich auch schon in der Samlung von Erleuterungsschriften und Zusätzen zur algemeinen Welthistorie, Hg. Johann Salomon Semler, Halle 1761, in einem Beitrag von Johann Ludwig Schulz mit dem Titel Erleuterung der Römischen Geschichte aus Münzen, p. 375.

4 Giard, J.-B., CBN (Bibliothèque nationale: Catalogue des monnaies de l’empire romain, Bd. I, Paris 1976

5 In dem von ihm herausgegebenen Band IX des Corpus Inscriptionum Latinarum mit dem Titel Inscriptiones Calabriae Apuliae Samnii Sabinorum Piceni Latinae, 1883 (CIL IX 365)

6 Vaillant, Jean, Numismata Imperatorum Romanorum Praestantiora, a Iulio Caesare ad Postumum et Tyrannos, Bd. II: De Aureis et Argenteis, Paris 1674, p. 17

7 Vaillant löst (mit Ausnahme des von ihm gar nicht erwähnten IS) seine Inschrift wie Giard auf, liest jedoch statt munitae sunt den Konjunktiv munitae sint, was indessen in diesem Zusammenhang unwesentlich erscheint.

payler
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Beitrag von payler » Fr 30.07.04 14:10

SUPER Beiträge!
Danke dafür, das lockert die alltäglichen Fragen (die aber auch wichtig sind!), was isn das? was Wert? etc. auf!

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quintus
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Beitrag von quintus » So 01.08.04 17:57

an payler:
Ich lese solche Diskussionen mit großem Interesse.
Ich bin aber auch der Meinung dass es die Aufgabe der Moderatoren
sein sollte interessanten Beiträge anzuregen.

Leider passiert hier diesbezüglich kaum etwas und gut gemeinte
Ansätze werden durch "Bitte um Bestimmung! meines 20. Reitersturzes"-Beiträge
schnell auf die 2. Seite verbannt.

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Beitrag von amigobutzi » Mo 02.08.04 19:33

chinamul hat geschrieben:Hallo Freunde! Noch eine interessante Münze.
Ich hoffe, Euch mit meinem folgenden Aufsatz nicht zu sehr zu strapazieren oder gar für immer abzuschrecken!
danke für Deine immer sehr informativen Beiträge.
Ich lerne immer reichlich dazu. Und das kann ja nicht schaden. :D :D

Gruß, amigobutzi

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