Rätselhafter Vitellius

Alles was so unter den Römern geprägt wurde.

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chinamul
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Rätselhafter Vitellius

Beitrag von chinamul » Mo 10.10.05 15:40

Dieser As des Vitellius ist eine Münze, die mich umtreibt, seit ich sie vor zehn Jahren gekauft habe. Beim Kauf nahm ich an, daß das fehlende S C auf dem Rv. schwach ausgeprägt war und sich dann im Laufe der Zeit restlos abgeschliffen hätte, obwohl die Höhe der Buchstaben beim EXERCITVVM und der unten ebenfalls noch sichtbare Perlrand eigentlich dagegen sprachen. Ausgesprochen stutzig wurde ich aber, als ich vor einiger Zeit bei einem befreundeten Händler aus Ülzen einem weiteren Exemplar ohne S C begegnete. Und heute finde ich beim Recherchieren im Internet ein drittes derartiges Stück. Allen drei Münzen ist gemeinsam, daß unterhalb des Schriftzuges EXERCITVVM reichlich Raum gewesen wäre für das fehlende S C, wodurch die leere Fläche recht unmotiviert wirkt.
Das Auftauchen eines dritten As dieses Typs ohne S C macht es mir inzwischen fast unmöglich, weiter an eine Abnutzung des S C zu glauben.
Ich bin sehr gespannt auf Eure Kommentare!
vilell as ohne sc.jpg

VITELLIUS 69
Æ As Hispania (Tarraco?)
Av.: A VITELLIUS IMP GERMAN - Belorbeerter Kopf links (an der Spitze des Halsabschnittes Kugel)
Rv.: FIDES / EXERCITVVM in zwei Zeilen über und unter zwei Händen im Handschlag ; kein S C im Abschnitt! (verschliffen? eradiert??)
RIC2 42; BMC 103; C. 34 (alle mit S C)
Ø 26 - 28 mm / 10,20 g ; Stempelstellung 7 h

Ein weiteres Exemplar dieses Münztyps ohne SC in der University of Saskatchewan, Museum of Antiquities

Gruß

chinamul
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Beitrag von Chippi » Mo 10.10.05 18:23

Hallo chinamul,

ich bin zwar kein Experte, aber S C heißt doch soviel wie "auf Beschluss des Senates". Demnach würde ich einfach mal so behaupten, dass diese Münzen ohne Beschluss geprägt wurden. Wäre eine Möglichkeit gewesen in den Bürgerkriegswirren. Weiß aber nicht, ob sowas tatsächlich möglich war.
Soll ja nur als Denkanlass dienen.

Gruß Chippi
Wurzel hat geschrieben:@ Chippi: Wirklich gute Arbeit! Hiermit wirst du zum Byzantiner ehrenhalber ernannt! ;-)
Münz-Goofy hat geschrieben: Hallo Chippi, wenn du... kannst, wirst Du zusätzlich zum "Ottomanen ehrenhalber" ernannt.

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richard55-47
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Beitrag von richard55-47 » Mo 10.10.05 19:09

Kampmann zeigt mit Bezug auf RIC 42 ein Bild der Münze des Vitellius mit dem Rv FIDES EXERCITUUM. Eindeutig ist das obligatorische SC vorhanden. Vitellius wurde am 02.01.69 von seinen Truppen als Kaiser ausgerufen. Der Senat erkannte ihn erst am 19.04.69 an. Ich nehme an, dass Chinamuls Münze vor dem 19.04.69 und nicht SENATUS CONSULTO gprägt wurde, während die im Kampmann abgebildete erst nach diesem Zeitpunkt geprägt wurde. Als Münzstätte für Chinamuls Exemplar kämen demnach nur Tarraco und Lugdunum in Frage.
An partiell konzentrierte Abnutzung glaube ich nicht.
do ut des.

n.......s
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Beitrag von n.......s » Mo 10.10.05 19:52

,,,ein interessantes Stück - an der Echtheit bestehen sicher keine Zweifel
(zumindest dem Bild nach zu urteieln) . Ich denke auch ,daß es sich um ein sehr frühes Stück (noch vor der offiziellen Anerkennung) handelt .
Gruß
Torsten

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chinamul
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Beitrag von chinamul » Mo 10.10.05 20:18

richard55-47 hat geschrieben:Ich nehme an, dass Chinamuls Münze vor dem 19.04.69 und nicht SENATUS CONSULTO gprägt wurde, während die im Kampmann abgebildete erst nach diesem Zeitpunkt geprägt wurde.
Das könnte eine Erklärung sein, aber dann stellen sich natürlich weitere Fragen:
1. Wieso hat man denn schon vorher soviel Platz für das noch fehlende SC gelassen? Einen neuen Stempel zu schneiden, wäre ja kein großes Hindernis gewesen. Außerdem konnte kein Mensch wissen, daß die AE-Prägung überhaupt einmal durch den Senat sanktioniert werden würde.

2. Wieso findet sich nirgendwo in der Literatur - jedenfalls soweit ich sie überblicke - ein Hinweis darauf, daß es solche Prägungen gibt. Das wäre doch ein numismatischer Leckerbissen gewesen!

Theodor Mommsen in Römisches Münzwesen, p. 745:
"Dagegen bleibt das Recht der Kupferprägung dem Senate und zwar als ausschließliches, wie bekanntlich von den Kaisern, die der römische Senat nicht anerkannt hat, wie Otho und Pescennius Niger, es keine Kupfermünzen giebt; eine Usurpation desselben von Seiten der Kaiser scheint nur ein einziges Mal (meine Unterstreichung) unter Nero vorgekommen zu sein. Fortan also ist es das charakteristische Kennzeichen der Reichskupfermünze, daß in großer und auffälliger Schrift darauf S.C steht - offenbar zu dem Zweck die bei der Werthmünze von selbst wegfallende, beim Kupfer aber an sich leicht mögliche Verwechselung der Reichs- mit der Provinzial- und Localkupfermünze zu verhindern."

Also findet sich auch bei der Autorität Mommsen keine Erwähnung von Asses des Vitellius ohne SC.

Was immerhin denkbar wäre, ist, daß Prägungen von Tarraco zunächst nicht als Reichsmünzen betrachtet wurden und es deshalb eines Senatsbeschlusses für eine Kupferprägung nicht bedurfte.

Wie so oft bewegen wir uns aber auch hier wieder einmal im Nebel der Spekulation!

Gruß

chinamul
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Beitrag von Pscipio » Mo 10.10.05 20:39

Bei Coinarchives fand ich nur eine einzige Münze mit dieser Variante, aus der Lanz Auktion 109 (ich gehe davon aus, dass es dasjenige Stück ist, das chinamul bei seinen Recherchen fand), hier wird auf BMC S. 389, Anmerkung 103 verwiesen; vielleicht kann das jemand nachschlagen, der den BMC besitzt?

Ich hab mir mal ein paar Gedanken gemacht und mir eine "Theorie" zurecht gelegt.... Ich glaube nicht so sehr daran, dass man in einer Bürgerkriegssituation, in der derjenige die Macht erhalten würde, der sich als der militärisch Stärkere erweisen sollte und Rom in seinen Besitz bringen konnte, bei Ausbruch des Krieges grosse Rücksicht auf das Prägevorrecht des fernen römischen Senates nehmen würde. So lange Otho Rom beherrschte, konnte man doch nicht ernsthaft auf eine Bestätigung durch den Senat hoffen, aber der Bedarf nach Kleingeld war in Vorbereitung auf den Kriegszug sicher vorhanden. Also schlug man Münzen und dabei wurde bei dem einen oder anderen Stempel auf das S C verzichtet, man nahm es damit wohl nicht sehr genau. Bekanntlicherweise existieren von Vitellius auch Denare mit dieser Rückseite, logischerweise ohne S C, und zwar auch aus der spanischen Münzstätte (Tarraco?), dies mag den wenigen Assen ohne S C Vorschub geleistet haben. Mag es sich um frühe, bewusst ohne S C geprägte Stempel handeln, oder aber um einzelne Fehler der Stempelschneider, so tragisch wäre das in beiden Fällen nicht gewesen, denn was hatte man schon zu befürchten? Gewann man den Krieg, war man aus dem Schneider, verlor man ihn, so hatte ein vormals fehlendes S C auch keine Bedeutung mehr.

Ich kann natürlich auch vollkommen daneben liegen...

Gruss, Pscipio
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Beitrag von curtislclay » Mo 10.10.05 20:51

Weitere Exemplare dieses As ohne S C:
Sammlung Brera, Mailand, nach BNS 1884, S. 129 und BMC, Anm. zu Nr. 103. Dieses Stück müsste in der Mailander Sylloge aufscheinen, ich kann heute abend nachschauen.
Auktion I. Vecchi 16, 1999, 436. "Wirklich ohne S C" notierte ich, aber zum Stempelvergleich mit den zwei oben abgebildeten Exemplaren finde ich den Katalog leider nicht gleich wieder.
Das fehlende S C auf diesen Assen würde ich als blosses Versehen des Stempelschneiders erklären, ohne organisatorische oder chronologische Bedeutung. Meiner Meinung nach hat die spanische Münzstätte diese Buchstaben nur von früheren römischen Bronzemünzen kopiert, nicht etwa die Übermittlung eines Senatsbeschlusses aus Rom abgewartet.
Zuletzt geändert von curtislclay am Mo 10.10.05 21:49, insgesamt 1-mal geändert.

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Beitrag von Zwerg » Mo 10.10.05 20:58

Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal auf diesen Thread verweisen und feststellen, daß der Senat mit dem Prägen von Münzen nichts zu tun hatte.

Aber eine Erklärung habe ich auch nicht, mir ist auch keine neuere Untersuchung zur Prägung des Vitellius bekannt - das mag aber an mir liegen.

Interessant wäre ein Stempelvergleich. Wenn alle Rückseitenstempel gleich sind, dann hat der Stempelschneider geschlafen - meine Meinung.
Ich zitiere dabei immer einen Denar der Julia Domna (?) in der ANS mit der Rückseite VINO REGINA. Darüber ließe sich auch löblich diskutieren - Einflußnachme der Weinbauern beim 'a rationibus'

Grüße
Zwerg

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Beitrag von Pscipio » Mo 10.10.05 21:04

Zwerg hat geschrieben:Wenn alle Rückseitenstempel gleich sind, dann hat der Stempelschneider geschlafen - meine Meinung.
Hier noch das Stück aus der Lanz Auktion... in meinen Augen drei verschiedene Rückseitenstempel.
Dateianhänge
00339q00.jpg
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Beitrag von richard55-47 » Mo 10.10.05 21:32

Als weitere Spekulation kann ich anbieten, dass schlicht und einfach der Aureus RIC 52 bzw. der Denar RIC 27ff, 47, 53f, 67 (alle Fundstellen lt. Kampmann), bei denen auch viel Platz nach unten gelassen ist, abgekupfert worden sind.

Ich gebe gerne zu, dass einer, der mit der Absicht der feindlichen Übernahme nach Rom zieht, keine Rücksicht auf (angebliche) senatorische Rechte nimmt. Ob mit oder ohne "SC", Hauptsache, es ist genügend Geld da. Das spricht für die Vermutung von Curtis Clay. Gleichwohl schließt das nicht aus, dass nach der Eroberung Roms strategisch denkende Seelen den guten Vitellius darauf hingewiesen haben, dass ein Kaiser, der im Osten den Konkurrenten herannahen sieht, sich besser an die von Augustus eingeführten Gepflogenheiten hält, um bei dem Senat gut Wetter zu machen. Das spricht für meine zeitliche Einordnung, wobei der Grund des Weglassens des "SC" natürlich weiterhin ungeklärt ist.

Warum dieser "numismatische Leckerbissen" (Chinamul) offensichtlich noch nie ausgiebig diskutiert worden ist, weiß ich auch nicht. Curtis Clay hat mit dem Kommentar zu der benannten Auktion ("wirklich ohne SC") seine Verwunderung ausgedrückt, ohne nachzuhaken. Anderen Koryphäen ist die Problematik wahrscheinlich ebenso wenig bewusst gewesen bzw. sie hatten noch gar nicht die Möglichkeit, dieses Rv mit fehlendem "SC" zu kennen. Jetzt kann aber keiner mehr entkommen.
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Beitrag von curtislclay » Mo 10.10.05 23:35

Wie gesagt, ist meiner Meinung nach das Weglassen des SC auf diesen paar spanischen Assen wahrscheinlich nur das Versehen eines provincialen Stempelschneiders, das sonst nichts zu bedeuten hat!
Auch auf vereinzelten stadtrömischen Bronzemünzen fehlt das SC, so auf einem Dupondius von Septimius Severus in meiner Sammlung, dann häufiger unter Valerianus I. und Gallienus.
Ein echtes Problem, das deswegen auch reichlich diskutiert, aber noch nicht erklärt worden ist, ist das Weglassen von SC in nur einem von den Sesterztypen von Caligula, nämlich in dem Typ ADLOCVT COH.
Zuletzt geändert von curtislclay am Di 11.10.05 00:48, insgesamt 3-mal geändert.

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Beitrag von Zwerg » Mo 10.10.05 23:48

Dem ist wirklich nichts mehr hinzuzufügen.
Man sollte sich hüten, hinter jedem "Prägefehler" eine Verschwörung zu entdecken

Güße
Zwerg
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Beitrag von antoninus1 » Di 11.10.05 08:26

Mir gefällt die Formulierung von Richard55-47:

Einen Aureus abkupfern :)

Das ist aber immerhin besser, als einen Aureus zu versilbern (prust, der war gut, oder?)
Genug gescherzt, an die Arbeit, der Chef ruft :(
Gruß,
antoninus1

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Beitrag von chinamul » Di 11.10.05 09:40

curtislclay hat geschrieben:Wie gesagt, ist meiner Meinung nach das Weglassen des SC auf diesen paar spanischen Assen wahrscheinlich nur das Versehen eines provincialen Stempelschneiders, das sonst nichts zu bedeuten hat!
Dann fragt sich aber, wieso ein solches Versehen sich auf unterschiedlichen Stempeln findet. Vielleicht kann man ja durch eine Stilanalyse (besonders des Porträts) herauszufinden versuchen, ob die Stempel alle von einer Hand stammen.

Gruß

chinamul
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