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Genkmuenze "Die schwarze Schande/Schmach", 1920 u.

Verfasst: Mo 23.05.05 01:34
von Eva Blome
Hallo zusammen,
ich bin neu hier im Forum und kenne mich mit Muenzen leider gar nicht aus.
Ich bin im Rahmen meiner Dissertation, in der es eigentlich um Kolonialliteratur geht, aber auf etwas gestossen, zu dem ich gerne mehr wuesste.
Und zwar gibt es eine - extrem rassistische - nach einem Stich von Karl Goetz gestaltete Medaille des bayerischen Hauptmuenzamtes von 1920 zur "Wacht am Rhein", die auf der einen Seite eine Verkoerperung eines schwarzen franzoesischen Soldaten und auf der anderen Seite eine nackte, an einen erigierten Penis gefesselte Frau und die Aufschrift "Die schwarze Schande" zeigt. Es gibt aber noch eine weitere Muenze von 1921, auf der der Penis zu einem Gedenkstein oder Grabstein geworden ist und die Aufschrift "Die schwarze Schmach" lautet. Ich wuesste gerne mehr ueber diese Veraenderung. Gibt es dazu Literatur? Welche Ueberlegungen standen dahinter?
Dies ist ohne Frage ein Thema, das auf Grund des rassistischen Materials mit grosser Vorsicht zu behandeln ist, aber ich hoffe, dass die Beschaeftigung damit Aufschluss ueber die kolonialrevisitionistischen und rassistischen Bilder und Strategien der 20er Jahre geben kann.

Fuer Hinweise waere ich sehr dankbar.
Eva Blome

Verfasst: Mo 23.05.05 06:53
von Lutz12
Hallo Eva Blome,
Der geniale Karl Goetz ist anhand seiner Medaillen allein schon in der Lage die Stimmung im Kriegs- und besonders Nachkriegsdeutschland treffend wiederzugeben. Es lohnt sich ALLE seine Medaillen genauestens zu betrachten. Hier ein links dazu:
http://www.karlgoetz.com/
Herzlichen Gruß
Lutz12

Verfasst: Mo 23.05.05 10:49
von KarlAntonMartini
Ja, Karl Goetz ist als Künstler ein Medailleur ersten Ranges, was auch von zeitgenössischen Kritikern (zB FORRER) anerkannt wurde. Andrerseits hat er die deutsche Position während des ersten WK schon mit zahlreichen Werken unkritisch begleitet und nach dem Krieg in der Tat einiges produziert, was aus heutiger Sicht als rassistisch zu bezeichnen ist. Das angesprochene Motiv mit der gefesselten Frau ist das krasseste Beispiel, es gibt auch Motive mit wulstlippigen schwarzen französischen Soldaten. Ob Goetz mit dem Penis-Motiv Ärger bekommen hat in der doch noch recht sittenstrengen Zeit ("Zwickelerlaß") wüßte ich auch gern. Eine umfassende Biografie über Karl Goetz ist mir auch nicht bekannt, weiß jemand mehr? Grüße, KAM.

Verfasst: Mo 23.05.05 11:25
von klaupo
Hintergrundinfos hab ich auch noch nicht gefunden, dafür kann ich auf Anschauungsmaterial verweisen. Den Link dorthin hat dankenswerterweise @Canadian Coins in einem anderen Beitrag dieses Forums vorgestellt: http://www.karlgoetz.com/

Die angesprochenen Medaillen sind dort unter den Nr. 262 - 263 abgebildet.

Gruß klaupo

P.S. Sorry, da hab ich an @Lutz12 vorbeigelesen!

Verfasst: Mo 23.05.05 13:23
von mumde
Die Medaille mit Penis ist 1920 datiert. Die Medaille mit dem Obelisk ist 1921 datiert, und es ist am Fuß des Obelisken ein Baby hinzugefügt. Wahrscheinlich soll Ursache und ein Jahr später die Auswirkung dargestellt sein.

Verfasst: Mo 23.05.05 18:41
von KarlAntonMartini
Das Gesamtwerk von Karl Goetz ist schon merkwürdig: einerseits wird Hitler verherrlicht und die Erfolge der Wehrmacht, und dann mit Nr. 619 ein sudetendeutscher Sozialdemokrat geehrt, der 1944 aus dem Gefängnis entlassen wurde. Nr. 632 zum Kriegsende 1945 paßt auch nicht so recht in die Reihe. Also ein "unpolitischer" Künstler, der alles zum Sujet nahm, wofür man ihn bezahlte oder ein deutschnationaler Völkischer, der zum Schluß geläutert wurde? Grüße, KAM.

Verfasst: Mo 23.05.05 20:00
von mfr
Mit der schwarzen Schande sind die von Frankreich im besetzten Rheinland eingesetzten afrikanischen Soldaten bzw. ihre Übergriffe auf die heimische Bevölkerung gemeint.
Die schwarze Schmach ist das Resultat davon: mehrere tausend farbige "Besatzungskinder".

Verfasst: Mo 23.05.05 21:07
von Eva Blome
Hallo zusammen,
vielen Dank fuer die Antworten zu meiner Frage nach den Muenzen von Karl Goetz. Das hilft mir schon weiter!
Eva

Verfasst: Di 24.05.05 09:48
von Canadian Coins
KarlAntonMartini hat geschrieben:Ob Goetz mit dem Penis-Motiv Ärger bekommen hat in der doch noch recht sittenstrengen Zeit ("Zwickelerlaß") wüßte ich auch gern.
Vorstellbar wäre es. Es könnte zumindest eine Begründung für die Änderung des Penis-Motives sein.
Wie auf http://www.karlgoetz.com/ zu sehen ist, gibt es insgesamt 3 Medaillen, die dieses Thema aufgreifen.

Die Nummer 262 ist dabei die Medaille, die unter Umständen mit der Darstellung des Geschlechtsteils öffentlich anstößig wirkte.
Mit der Nummer 262(a) wurde das Geschlechtsteil in einen Baumstumpf umgewandelt, der im Detail vergleichsweise keine Ähnlichkeit mehr mit der Darstellung des ursprünglichen Motives hat.
Entsprechend befasst sich Nummer 263, wie bereits o.a. mit den Folgen aus der Thematik der Motive 262/262(a).

Als "deutschnationalen Völkischen" würde ich Karl Goetz nicht charakterisieren wollen.
Ich habe mir noch nicht alle seine Werke im Detail angeschaut, aber wie KAM erwähnt, gibt es auch Stücke, die dem Dritten Reich offensichtlich mehr oder weniger positiv gegenüberstehen.
Man findet in Berichten zu Karl Goetz den Begriff Medaillenkünstler in direkter Kombination mit dem Begriff Geschäftsmann.
Ein Medaillenkünstler, der sich mit Themen- und Motivwahl seiner Medaillen strickt am aktuellen politischen und gesellschaftlichen Zeitgeschehen orientierte und daher auch mit der Vermarktung seiner Kunstobjekte entsprechend erfolgreich war.

Hierzu wird in einer Pressemeldung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden zu einem Vortrag von Dr. Markus Wesche erwähnt, dass sich ..."Karl Goetz bei den Nazis durch seine satirischen Medaillen unbeliebt gemacht und den politischen Stil der neuen Machthaber offensichtlich nicht gemocht hat".
http://www.skd-dresden.de/de/presse/pre ... html?id=40

Schöne Grüße.
CC

Verfasst: Di 24.05.05 18:55
von KarlAntonMartini
Zu blöd, da ist mal ein interessanter Vortrag vor Ort und dann geht das an einem vorbei. Also hat er die Führermedaillen machen "müssen", um sich nicht als NS-Gegner zu outen? Das ist jetzt ein wenig polemisch, aber eine nähere Betrachtung lohnte das THema schon. Es gibt übrigens bei der Graphik einen ähnlichen Fall: Richard Müller. Grüße, KAM.

Goetz Medaillen

Verfasst: Do 26.05.05 14:47
von research
@ Eva Blome,

Das Medaillenwerk von Karl Goetz wurde in dem Buch von Gunter W. Kienast dargestellt:

The medals of Karl Goetz.
Cleveland/Ohio 1967

Es gibt dazu auch noch einen Ergänzungsband. Vielleicht hat sich Kienast mit der von Ihnen aufgeworfenen Frage etwas näher beschäftigt.
Leider besitze ich das Buch nicht, da mich die Goetz Medaillen nur zur von mir gesammelten Thematik interessieren.
Wenn man das Gesamtwerk von Goetz betrachtet, so findet man in der politischen Darstellung einige Widersprüche. Dies belegt die schon zuvor geäußerte Meinung, dass er sein Werk der jeweils geltenden Volksmeinung angepasst hat.
Das Buch müsste aber in jeder besseren Bibliothek zu finden sein, notfalls per Fernleihe.
Mit bestem Gruß
RESEARCH
Homepage über Kunstmedaillen

Verfasst: Di 21.06.05 10:42
von Eva Blome
Hallo zusammen,
komme jetzt erst dazu, mich mit besten Dank für alle Antworten zurückzumelden. Ich bin immer noch an dem Thema dran. Was ich jetzt gerne wuesste ist, welche der drei Medaillen (von Münzen spricht man in diesem Fall wohl nicht, oder?) überhaupt in Umlauf gebracht wurden. Sie wurden ja für das Bayerische Hauptmünzamt entworrfen. Kann man da irgendwo nachfragen oder so?
Eva

Verfasst: Di 21.06.05 10:57
von Eva Blome
... und ich habe noch was vergessen: kann mir noch jemand mit der Pyramide (Freimaurersymbolik?) und dem Gegenstand links (zerbrochene Leier, Anspielung auf Lorelei?) weiterhelfen?
Besten Dank im Voraus
Eva

Verfasst: Di 21.06.05 11:13
von finemedals
Ja, es handelt sich dabei um Gedenkmedaillen, die sich von Münzen dadurch abgrenzen, dass letztere Zahlungsmittel waren. Diese Medaillen wurden alle in Umlauf gebracht und waren im Endeffekt Propagandablätter in Bronzeform.

Zu der "Pyramide": beim "Allsehenden Auge in einem Dreieck" handelt es sich um ein ein altes christliches Symbol für den dreieinigen Gott, das später auch von der Freimaurern verwendet wurde. In abgewandelter Form (Auge über einer Pyramide, der die Spitze fehlt) ist es auch auf dem Siegelring der USA präsent.
Eine Auswahl möglicher Interpretationen:
1) Gott sieht alles, die auf der Medaille dargestellten Untaten werden nicht ungesühnt bleiben
2) die Freimaurer stecken hinter der Sache
3) die USA sind die Anstifter

Die Leier ist das Zeichen des Gottes Apollon und gilt als Symbol für Musik und Poesie. Ihr Zustand soll wohl noch einmal plastisch die Schändung des Volkes der "Dichter und Denker" darstellen oder die Friedlichkeit der Frau untermalen.

Viele Grüße,
finemedals

Verfasst: Di 21.06.05 11:52
von Eva Blome
Danke für die Hinweise und Interpretationen - besonders Nr. 3 finde ich interessant!