Spottmedaille 1850 - ein seltsamer Käfer

Diskussionen rund um Medaillen, Medailleure, Jetons, Rechenpfennige

Moderator: Lutz12

klaupo
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Spottmedaille 1850 - ein seltsamer Käfer

Beitrag von klaupo » Do 01.09.05 21:22

Hallo mal wieder,

das abgebildete Stück mißt 44 mm und ist aus Zinn. Es zeigt eine bekannte Persönlichkeit in recht eigenwilliger Darstellung. Die Herkunft ist für mich jedoch nicht so eindeutig, wie es zunächst den Anschein haben mag. Die Medaille wurde zwar in Frankreich erworben, befand sich jedoch in einem Lot, das zu etwa gleichen Teilen überwiegend aus älteren französischen und britischen Stücken bestand. Signiert ist es natürlich leider nicht.

Von den Inschriften auf der Bildseite konnte ich nur in etwa entziffern - Salory auf der Flasche, als unteres Wort auf dem Säulenfragment (mehr geraten!) Fressegir und auf dem Napf unten M.... de Dijon, wobei ich nicht glaube, daß M.... für Miel / Honig steht (ein Punkt zu viel!).

Mich würde nun interessieren, in welchem Winkel der Welt man im Jahr 1850 einen Anlaß hatte, den längst verblichenen großen Korsen in dieser despektierlichen Form zu verewigen. Zwar gab es zu dieser Zeit in Frankreich eine satirische Zeitschrift mit dem Namen Hanneton (Maikäfer), aber eine Verbindung in diese Richtung habe ich nicht in Erfahrung bringen können.

Infos und Vermutungen, was es mit diesem Teil auf sich haben könnte, wären hoch willkommen - ich finde es nämlich ausgesprochen lustig! :D

Gruß klaupo
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nap1850d.jpg
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KarlAntonMartini
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Beitrag von KarlAntonMartini » Fr 02.09.05 09:24

Witziges Stück. Der Index des Forrer führt es nicht auf, aber ein Stück, das den Hintergrund vielleicht etwas erhellt: Der offenbar wenig bekannte frz. Medailleur Mathieu Justin produzierte 1841 eine Medaille The genius of France bringing from St. Helena the remains of Napoleon. Pro-napoleonische Medaillen gab es auch danach noch jede Menge. Zu Dijon fällt mir moutard ein, aber das Wort ist wohl zu lang.
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Napoleon III - Satirische Medaille

Beitrag von klaupo » Do 22.02.07 20:56

Ich habe diesen Thread mal wieder hochgeholt - zum einen, weil mir die Idee kam, es müsse sich bei der oben abgebildeten Medaille nicht zwangsläufig um einen Seitenhieb auf den "großen Korsen" sondern könne sich ebenso gut um seinen Nachfahren Napoléon III handeln. Der hatte 1850 (Datum der Medaille) bereits die Römische Republik beseitigt und war mit der Nationalversammlung in Konflikt geraten. 1851 folgte dann der Staatsstreich ... und 1870 kam dann das Ende - zusammen mit einer ganzen Serie von Medaillen ähnlichen Typs wie unten abgebildet.

Eine davon möchte ich vorstellen, die mir recht interessant scheint. Natürlich könnte ich das Teil als Frage verkleiden, aber ich habe bereits Einiges dazu gefunden, z. B. die folgende Auktionsbeschreibung, die ich aus dem Französischen übertragen hier wiedergebe:

France - Médaille satirique Napoléon III 1870 -71
Hintergrund der Medaille ist der Krieg 1870 - 71, der mit der Niederlage Frankreichs und der Absetzung Napoleons III. endete. Danach erschien als Folge des Volkszorns eine Flut von satirischen Medaillen, die vielfach ähnlich gestaltet sind: Sie zeigen Napoleon mit Pickelhaube und greifen damit auf die „schmähliche“ Kapitulation von Sedan zurück, daher auch die Legende NAPOLEON III LE MISERABLE - 80000 PRISONNIERS. Der kaiserliche Adler auf dem Revers ist durch eine Eule oder einen ähnlichen Nachtvogel ersetzt, und die Legende EMPIRE FRANÇAIS wurde in VAMPIRE FRANÇAIS umgeschrieben. Auktion Maison Platt, Dez. 1999 250 FF. Erh. vf / TB


In der Gestaltung greift der Jeton (Abb. oben) auf das zeitgleich kursierende 10 Centimes Stück (Abb. unten) als Vorlage zurück und variiert sowohl Münzbild als auch Legende. Er ist geringfügig größer als die Münze (32 mm / 30 mm), scheint häufig und sogar umgelaufen zu sein. Über die Herkunft der Prägung habe ich allerdings nichts in Erfahrung bringen können. Vielleicht weiß jemand mehr?

Gruß klaupo
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Beitrag von mumde » Do 22.02.07 21:48

Hallo Klaupo, in der Reihe der Kleinen Hefte der Münzsammlung an der Ruhr-Universität Bochum erschien 1980 ein Heft von Wolfgang-Georg Schulze mit dem Titel: Spottmünzen und -medaillen auf Napoleon III. Demnach fing die Sache nach der französischen Niederlage bei Sedan an mit umgravierten 10-Centimes-Stücken, und da Nachfrage nach diesen Stücken bestand, produzierten mehrere Hersteller ab Frühjahr 1871 entsprechende geprägte Stücke. Schulze bildet ungefähr 10 verschiedene ab, aber es gibt sicher noch mehr.
Gruß mumde

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Beitrag von bertl » Sa 24.02.07 01:42

mumde hat geschrieben:Hallo Klaupo, in der Reihe der Kleinen Hefte der Münzsammlung an der Ruhr-Universität Bochum erschien 1980 ein Heft von Wolfgang-Georg Schulze mit dem Titel: Spottmünzen und -medaillen auf Napoleon III. Demnach fing die Sache nach der französischen Niederlage bei Sedan an mit umgravierten 10-Centimes-Stücken, und da Nachfrage nach diesen Stücken bestand, produzierten mehrere Hersteller ab Frühjahr 1871 entsprechende geprägte Stücke. Schulze bildet ungefähr 10 verschiedene ab, aber es gibt sicher noch mehr.
Hallo,

zwei umgearbeitete Münzen befinden sich bei mir in der Sammlung. Habe ich als Ergänzung zu meinen Medaillen bezüglich des 1870/71 Krieges.

mfg bertl
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Frankreich 10 Centimes 1854, eingeritzte Pickelhaube - VS.JPG
Frankreich 10 Centimes 1854, eingeritzte Pickelhaube - RS.JPG
Frankreich 10 Centimes 1856, Gegenstempel SEDAN - VS.JPG
Frankreich 10 Centimes 1856, Gegenstempel SEDAN - RS.JPG

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Beitrag von klaupo » So 25.02.07 16:26

Hallo bertl, interessante Handarbeiten! Vielleicht solltest du die Bilder ein wenig aufhellen, dann kommen sie besser.

Hallo mumde, danke für die Infos. Mich würde mal interessieren, wann derartige Satiren bzw. satirische Manipulationen erstmals auftauchen? Ich vermute in der Renaissance bzw. im Zuge der Reformation, jedenfalls zu einem Zeitpunkt, als weltliche und geistliche Autoritäten in Frage gestellt wurden. Bekannt sind mir aus dieser Zeit verfremdete Medaillen mit Papstportrait, die bei Drehung um 180 Grad den Teufel darstellten oder auch ein dämonisierter Attila. Leider kann ich kein solches Stück als Anschauungsmaterial vorstellen. Spottmünzen sind ebenfalls aus dem 16. Jh. bekannt. Aber früher?

Gruß klaupo

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Beitrag von mumde » Fr 20.07.07 22:11

Hallo klaupo, in einer Gruppe von Medaillen mit Bezug auf Napoleon I., die ich bei mir liegen habe, fand ich einen Maikäfer, der Deinem zwar ähnlich sieht. Aber es ist doch eine andere Medaille. Leider trägt sie nichts zur Lösung bei, denn auch sie ist unsigniert, und über den Anlaß ihrer Prägung habe ich noch nichts herausgefunden.
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Maikäfer.jpg
Gruß mumde

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Hanneton - der Maikäfer

Beitrag von klaupo » Fr 20.07.07 23:13

Hallo mumde,

einen Ansatz habe ich möglicherweise zu der Medaille gefunden, nämlich wer hier angesprochen ist. Neben deiner und meiner gibt es mindestens noch eine weitere Medaille dieses Typs, die in einer Ausstellung in Ajaccio im Jahr 2004 im Inventar aufgeführt ist:
n°83
Anonyme
Avers : LOUIS-NAPOLEON BONAPARTE « HANNETON »
Revers : « ARRETEZ DONC CE HANNETON »
Médaille en étain
Ajaccio, musée Fesch, inv MNA 974.1.144


n°84
Anonyme
Avers : LOUIS-NAPOLEON BONAPARTE « HANNETON »
Revers : « HONNEUR AU COURAGE MALHEUREUX, STRASBOURG-BOULOGNE 1850 »
Médaille en étain
Ajaccio, musée Fesch, inv MNA 974.1.145
Wenn ich dazu noch meine Medaille nehme ...

Anonyme
Avers : LOUIS-NAPOLEON BONAPARTE « HANNETON »
Revers : « UN GENIE DU SIÉCLE NON CONSTITUTIONNEL 1850 »
Médaille en étain


... haben wir zweimal das Jahr 1850 und dreimal den Namen LOUIS-NAPOLEON BONAPARTE. Ich denke, diese Medaillen nehmen Bezug auf den Staatsstreich des Jahres 1849, und in Strasbourg und Boulogne muß es zu Widerstand und gewaltsamen Zusammenstößen gekommen sein.

Ich stelle mein Stück noch einmal zum Vergleich neben / unter deins. Ein wenig näher dürften wir nun an der Sache sein.

Gruß klaupo
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nap_1850n.jpg

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Beitrag von KarlAntonMartini » Fr 20.07.07 23:24

Hier: http://www.musee-fesch.com/html/exposit ... illes.html findet sich unter Nrn. 83 ff. ähnliches Material; und wenn ich das hier: http://petitsamisdelacommune.chez-alice.fr/page9.html richtig verstehe, bezieht sich der Maikäfer auf den Kriegsminister Napoleons III. Leboeuf. Grüße, KarlAntonMartini
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Beitrag von mumde » Sa 21.07.07 00:12

Lieber KAM, das würde zwar gut passen:
"Son imprévoyance et son optimiste exagéré, « l’armée prussienne n’existe pas. Je la nie ! » lui vaudront, après la défaite, le surnom de « glorieux hanneton »."
Klaupos Medaille ist aber von 1850. Da war Leboeuf noch nicht Kriegsminister. Also bezieht sich das "hanneton" wohl auf Napoleon III.
Mein Wörterbuch sagt, daß "hanneton" nicht nur "Maikäfer" heißt, sondern umgangssprachlich auch einen Leichtfuß bezeichnet.
Zuletzt geändert von mumde am Sa 21.07.07 00:26, insgesamt 1-mal geändert.
Gruß mumde

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Beitrag von KarlAntonMartini » Sa 21.07.07 00:24

Ja, das hat mich auch verwirrt. Aber vielleicht wurde ein älterer Stempel recycelt? Grüße, KarlAntonMartini
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Beitrag von mumde » Sa 21.07.07 00:29

Hallo @KAM: Tut mir leid, ich war gerade beim Überarbeiten meines letzten Kommentars, und jetzt ist wohl der Text weg, auf den Du Dich beziehst. Aber den Sinn kriegen wir noch irgendwie hin.
Gruß mumde

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Beitrag von KarlAntonMartini » Sa 21.07.07 00:35

Nein, das paßt schon, denn die Jahreszahl 1850 stört ja die Vermutung, daß die Medaille sich auf den Krieg 1870/71 bezieht. Jetzt kenne ich halt aus England das Verhalten von Medaillenediteuren, wenn möglichst schnell auf Aktuelles reagiert werden mußte und wenn dann ein Stempel plötzlich kaputtging, hat man dann oft auf Vorhandenes zurückgegriffen. Auch die Maikäferstempel sehen ja sehr ähnlich aus, nur die zusätzlichen Gefäße fehlen. Grüße, KarlAntonMartini
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Beitrag von klaupo » Sa 21.07.07 10:51

Einen Rückgriff auf alte Stempel halte ich in diesem Fall für unwahrscheinlich. Die dritte Medaille dieser Reihe, von der wir nur die Beschreibung kennen (Strasboug / Boulogne, s. oben), nennt ebenfalls das Jahr 1850 und bezieht sich auf Ereignisse, die Karl Marx in "Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte" u.a. wie folgt beschrieben hat:

... So bei seinem Zug nach Straßburg, wo ein geschulter Schweizer Geier den napoleonischen Adler vorstellt. Für seinen Einfall in Boulogne steckte er einige Londoner Lakaien in französische Uniform. Sie stellen die Armee vor. ...

An anderer Stelle schreibt er über die Gesellschaft vom 10. Dezember und den Picknickhelden von St. Maur und Satory ...

Satory ist auf der Flasche meiner Medaille zu lesen.

Ich denke schon, daß diese Medaillenfolge im aktuellen Zeitrahmen steht, der auch auf ihnen genannt wird, nämlich 1850.

Gruß klaupo

P.S. Wenn man weiß, wonach man suchen muß, ist es nicht mehr so schwierig. Auf meiner Medaille ist auf dem Postament des Säulenfragments zu lesen "Strasbourg / Boulogne".

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Beitrag von KarlAntonMartini » Sa 21.07.07 13:51

Ich kenne zwar von Engels: Die Lage der arbeitenden Klasse in England, aber, daß es von Marx nicht nur Theorie gibt, war mir bisher entgangen. - Von N. III wußte ich eigentlich auch nur, daß er mit Schimpf und Schande davongejagt wurde,..., wieder was gelernt. Danke allen. Grüße, KarlAntonMartini
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