Pilgermedaille oder Kitsch?

Diskussionen rund um Medaillen, Medailleure, Jetons, Rechenpfennige

Moderator: Lutz12

Antworten
Benutzeravatar
Lutz12
Moderator
Beiträge: 2735
Registriert: Fr 10.01.03 11:24
Wohnort: Leipzig
Hat sich bedankt: 13 Mal
Danksagung erhalten: 49 Mal

Pilgermedaille oder Kitsch?

Beitrag von Lutz12 » Mo 18.06.07 21:42

Hallo,
Danke erstmal für die nette Hilfe bei den Bestimmungen einiger meiner Stücke in den letzten Tagen. Es harren noch einige Stücke der Enträtselung.
Hier eine kleine Messing-Medaille (?) die mir vom Motiv irgendwie bekannt vorkommt, aber mit den lateinischen Umschriften bin ich regelmäßig überfordert.
Wäre nett wenn Ihr mir ein paar Hinweise geben könntet.
Angaben zum Stück:
Messing, welliger Rand, 19,6 mm, 1,6 g
Danke
Lutz
Dateianhänge
Joannes.jpg
"Wenn Sie glauben, mich verstanden zu haben, dann habe ich mich falsch ausgedrückt" ( Alan Greenspan)

mfr
Beiträge: 6393
Registriert: Fr 26.04.02 13:22
Hat sich bedankt: 0
Danksagung erhalten: 2 Mal

Re: Pilgermedaille oder Kitsch?

Beitrag von mfr » Mo 18.06.07 21:53

Lutz12 hat geschrieben:...die mir vom Motiv irgendwie bekannt vorkommt...
Hallo Lutz,
so ging es mir auch gerade. Das Design scheint im weitesten Sinne an venetianische Zecchinen angelehnt zu sein. Siehe hier: http://www.coinarchives.com/w/results.p ... d+zecchino

Die Umschriften machen für mich allerdings keinen Sinn.
Vielleicht eine Art Spielgeld ?

Benutzeravatar
Lutz12
Moderator
Beiträge: 2735
Registriert: Fr 10.01.03 11:24
Wohnort: Leipzig
Hat sich bedankt: 13 Mal
Danksagung erhalten: 49 Mal

Beitrag von Lutz12 » Mo 18.06.07 22:00

Ja das war die Erinnerung :D ,
die Schrift der VS macht mit deutschen Buchstaben für mich keine Sinn, die RS-Schrift will ich hier mal noch ergänzen:
JOANNES ILLE COQVVS SVI PILITQVE
Die Motivdarstellung ist schon arg "barbarisiert", und so richtig alt wirkt das Stück auch nicht.
Lutz12
"Wenn Sie glauben, mich verstanden zu haben, dann habe ich mich falsch ausgedrückt" ( Alan Greenspan)

Benutzeravatar
mumde
Beiträge: 1507
Registriert: Mo 06.05.02 23:08
Wohnort: Weil am Rhein
Hat sich bedankt: 0
Danksagung erhalten: 18 Mal

Beitrag von mumde » Mo 18.06.07 22:31

Hallo Lutz, ich zitiere H. E. Ives, The Venetian Gold Ducat and its Imitations, New York 1954, S. 32: “Gilt Copper Ducat Tokens. … A later and apparently final form of these tokens has the same obverse and reverse type and the same obverse legend, but with the reverse legend altered to JOANNES. ILLE. COQVVS. SUI FILIIQUE. These tokens, which are of two sizes and are usually gilt, are reputed to have been struck by London merchants named John Cook and Sons in the nineteenth century for the East African trade.”

Demnach wurde dieses Stück als Imitation einer venezianischen Zecchine von Londoner Kaufleuten im 19. Jh. für den Handel mit Ostafrika geprägt. Ähnliche Stücke mit ähnlich abstrahierten Darstellungen Christi, des Dogen und des hl. Markus, aber aus Gold, kennt man aus Indien. Im östlichen Mittelmeerraum waren die venezianischen Zecchinen ja lange Zeit gängiges Zahlungsmittel und wurden dort schon oft imitiert.

Ives schreibt noch: „With these shoddy tokens the long line of ducats, which flourished for over five hundred years as a ‚universal’ coinage of high esteem, comes to an end.“, also sinngemäß: “Mit diesen schäbigen Token endet die lange Reihe von Dukaten, die mehr als 500 Jahre lang als ‘universelles’ Geld von hohem Ansehen beliebt waren.“

Münzgeschichtlich ist das Stück als Ende einer langen Reihe demnach durchaus interessant, sozusagen ein Eckstück, auch wenn es nicht den Wert anderer numismatischer Eckstücke wie des Augustalis oder des ersten Talers oder des ersten Dicken hat. :wink:
Gruß mumde

Benutzeravatar
Lutz12
Moderator
Beiträge: 2735
Registriert: Fr 10.01.03 11:24
Wohnort: Leipzig
Hat sich bedankt: 13 Mal
Danksagung erhalten: 49 Mal

Beitrag von Lutz12 » Mo 18.06.07 22:58

Wow, das Stück ist ja doch ein richtiges Stück Historie. Interessant solche Hintergründe zu erfahren - hatte noch nie davon gehört.
Zumindest hat dieser Token jetzt einen Stammplatz in meiner Sammlung sicher :D
Lutz
"Wenn Sie glauben, mich verstanden zu haben, dann habe ich mich falsch ausgedrückt" ( Alan Greenspan)

Benutzeravatar
KarlAntonMartini
Moderator
Beiträge: 7988
Registriert: Fr 26.04.02 15:13
Wohnort: Dresden
Hat sich bedankt: 385 Mal
Danksagung erhalten: 956 Mal

Beitrag von KarlAntonMartini » Di 19.06.07 00:20

Diese Stücke sind von Rayner auch katalogisiert, morgen kann ich dir Näheres sagen. Grüße, KAM
Tokens forever!

diwidat
Beiträge: 2187
Registriert: Mi 27.04.05 20:29
Wohnort: bei Karlsruhe
Hat sich bedankt: 0
Danksagung erhalten: 1 Mal

Beitrag von diwidat » Di 19.06.07 22:12

Meiner hat von seiner Dukaten Abstammung nicht mehr viel auf dem Leib, aber eine variierende Rückseiten Umschrift.
Dateianhänge
Dukat-Imitat.jpg

Benutzeravatar
KarlAntonMartini
Moderator
Beiträge: 7988
Registriert: Fr 26.04.02 15:13
Wohnort: Dresden
Hat sich bedankt: 385 Mal
Danksagung erhalten: 956 Mal

Beitrag von KarlAntonMartini » Mi 20.06.07 21:26

Mumde hat ja schon einen der wichtigen Autoren zu dem Thema zitiert. Vom anderen, Hawkins, ist folgendes nachzutragen: Das Vorbild dieser Marke ist ein Zecchino des Dogen Aloysius Mocenigo III: (1722-32). Diese wurden in Afrika von einheimischen Kräften in Kupfer nachgeahmt, diese Marken gelangten auch nach England. Nachdem dort ja solche Anregungen fremder Märkte schnell aufgegriffen wurden, produzierte die schon zitierte Londoner Fa. John Cook & Son, die eigentlich Siegellack und Schreibwaren herstellte, diese Marken mit der vulgärlatinisierten Reklameinschrift Johannes Ille Coquus Sui Filiique. Es folgten zahlreiche weitere Kopien, vermutlich von Birminghamer Herstellern, die damit wiederum Afrika belieferten und die dann auch im Inland wie Spielmarken Verwendung fanden. Diese natürlich ohne die Cook-Reklame, sondern wieder ganz nach afrikanischem Vorbild. Eine numismatische Dreiecksgeschichte also. Grüße, KarlAntonMartini
Tokens forever!

Antworten

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 8 Gäste