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Münzen aus Nazi-Beute nach dem 2. WK in Wien versteigert?

Verfasst: Mi 01.11.23 16:31
von Lackland
Hallo,

kürzlich zeigte mir ein sehr alter Sammlerfreund einen Taler von Kaiser Franz Stefan (1745 - 1765) und erzählte mir dazu, das Stück haben er und sein Vater kurz nach dem 2. Weltkrieg in Wien ersteigert. Damals sei von staatlicher Seite Nazi-Beutekunst (und dabei auch viele Münzen) aus jüdischem Besitz versteigert worden.
Man erkenne die Münzen (bei heutigen Auktionen) sehr leicht an ihrer fast schwarzen Patina.

Stimmt diese Geschichte? Und wenn ja: Gibt es Literatur darüber?

Über Informationen würde ich mich sehr freuen!

Viele Grüße

Lackland

Re: Münzen aus Nazi-Beute nach dem 2. WK in Wien versteigert?

Verfasst: Mi 01.11.23 17:02
von Numis-Student
Hallo,

das klingt für mich eher nach "Gschichtln", und zwar gleich aus mehreren Gründen:

Von staatlicher Seite wurde Raubkunst aus jüdischem Besitz BIS 1945 versteigert, die Kataloge sind ja teilweise sogar gekennzeichnet mit "im Auftrag einer Reichsbehörde" oder so ähnlich; ich glaube, ich habe in meinen Beständen auch so einen rumfliegen. Danach wurden ja erstmal die Verkäufe gestoppt; in erster Linie, um Museums- und Klosterbesitz etc. zu identifizieren und zu restituieren.

Die Patinafarbe ist ja von den Lagerungsbedingungen der Münzen abhängig. Und damit die geraubten Münzen alle eine gleichartige Patina ausbilden, müsste es entweder "jüdische Lagerungsbedingungen" geben (die sich dann noch so von "arischen" so unterscheiden müssten, dass diese NIE eine fast schwarze Patina ausbilden) ODER die beschlagnahmten Münzen müssten Jahre bis Jahrzehnte zusammen gelagert werden, so dass diese charakteristische schwarze Patina alle unterschiedlichen historisch gewachsenen Patinaarten und -Farben vollständig einheitlich überdeckt.

Was natürlich immer möglich ist: Das geraubte Münzen aus "Auktionen vor 1945" nach 1945 wieder irgendwo versteigert wurden und werden (sei es, weil die Käufer Sammler waren und die Erben diese Sammlungen wieder versteigern lassen; sei es, weil der Käufer/Sammler das Stück durch ein schöneres ersetzen konnte, sei es, weil die Käufer entweder Händler oder Spekulanten waren...); aber da ist dann eine sichere Identifikation nur über die Fototafeln der Kataloge vor 1945 möglich.

Schöne Grüße,
MR

Re: Münzen aus Nazi-Beute nach dem 2. WK in Wien versteigert?

Verfasst: Mi 01.11.23 17:13
von Andechser
Hallo,
als Ergänzung zu Maltes Beitrag noch ein Link zu einer aktuellen Dissertation von Emanuele Sbardella die sich mit der Rolle des Geldmuseums der Deutschen Reichsbank im numsmatischen Leben der NS-Zeit beschäftigt und auch die Verstrickung von Reichsbank und Münzhandel beleuchtet:
http://dx.doi.org/10.14279/depositonce-12586

Beste Grüße
Andechser

Re: Münzen aus Nazi-Beute nach dem 2. WK in Wien versteigert?

Verfasst: Mi 01.11.23 17:20
von Lackland
Hallo,

ich entschuldige mich für historische Ungenauigkeiten! Ich möchte tatsächlich nicht ausschließen, dass mein 93jähriger Sammlerfreund da etwas durcheinander bringt. Ich habe nun nochmals gegoogelt und einen Zeitungsartikel von 1996 gefunden, der die Aussagen meines Sammlerfreundes teilweise untermauert. Wenn auch 1996 definitiv nicht unmittelbar nach dem Krieg war…

https://taz.de/Beute-unterm-Hammer/!1431095/

Viele Grüße

Lackland

Re: Münzen aus Nazi-Beute nach dem 2. WK in Wien versteigert?

Verfasst: Mi 01.11.23 17:26
von Andechser
Hallo Lackland,
der Fall von 1996 ist aber ja doch deutlich anders gelagert, als der von deinem Sammlerfreund geschilderte Fall. Es gab in der Folge der NS-Zeit viele enteignete Wertsachen und Kulturgüter die nicht mehr restituiert werden konnten, weil keine berechtigen Verwandten mehr am Leben waren oder die Überlebenden nichts von den beschlagnahmten Gütern wussten. Da stellt sich dann irgendwann die Frage, was man mit diesen Gütern macht, die eigentlich restituiert werden müssten, man aber niemanden hat, an den man sie restituieren könnte. In dieser Situation hat mich sich in Wien 1996 eben für die im Artikel beschriebene Lösung entschieden.

Beste Grüße
Andechser

Re: Münzen aus Nazi-Beute nach dem 2. WK in Wien versteigert?

Verfasst: Fr 31.05.24 14:30
von Reinhard Wien
Andechser hat geschrieben:
Mi 01.11.23 17:26
Hallo Lackland,
der Fall von 1996 ist aber ja doch deutlich anders gelagert, als der von deinem Sammlerfreund geschilderte Fall. Es gab in der Folge der NS-Zeit viele enteignete Wertsachen und Kulturgüter die nicht mehr restituiert werden konnten, weil keine berechtigen Verwandten mehr am Leben waren oder die Überlebenden nichts von den beschlagnahmten Gütern wussten.

Beste Grüße
Andechser
Ich war bei der Auktion anwesend, das internationale Interesse enorm.

Die wenigen antiken Gegenstände (in erster Linie römische Marmorköpfe) erzielten völlig jenseitige Preise.

Re: Münzen aus Nazi-Beute nach dem 2. WK in Wien versteigert?

Verfasst: So 02.06.24 19:43
von Mynter
Zum Thema Münzhandel im Dritten Reich erschien im September 2022 bei den GN ein Sonderheft, in dem auch das Thema Auktionshandel ausführlich besprochen wird. Vielleicht kann man bei der GIG noch ein Exemplar bekommen ?

Re: Münzen aus Nazi-Beute nach dem 2. WK in Wien versteigert?

Verfasst: So 02.06.24 20:43
von Lackland
Mynter hat geschrieben:
So 02.06.24 19:43
Zum Thema Münzhandel im Dritten Reich erschien im September 2022 bei den GN ein Sonderheft, in dem auch das Thema Auktionshandel ausführlich besprochen wird. Vielleicht kann man bei der GIG noch ein Exemplar bekommen ?
Sehr gute Idee! Danke für den Tipp!