Das Kolosseum
Rom - ein Sommermärchen
„Unter den meisten Taten des Kaisers (Titus) befindet sich nichts, was eine besondere Erwähnung verdiente, nur bei der Einweihung des Amphitheaters und des Bades, das seinen Namen trug, ließ er eine Menge bemerkenswerter Schauspiele veranstalten. Da gab es einen Kampf zwischen Kranichen und vier Elefanten, weiterhin wurden gegen neuntausend zahme und wilde Tiere getötet, und selbst Frauen - freilich nicht aus besseren Kreisen - beteiligten sich an deren Hinschlachtung. Zahlreiche Männer fochten als Einzelkämpfer, und nicht wenige Gruppen rangen in Land- und Seeschlachten miteinander. Denn Titus ließ eben jenes Theater plötzlich mit Wasser füllen und Pferde, Stiere und sonstige zahme Tiere hereinbringen, die dazu abgerichtet waren, sich im Wasser genau so wie auf dem Trockenen zu betragen. Hinzu kamen auch noch Leute auf Schiffen. Diese führten dort in der Rolle von Korkyräern und Korinthern eine Seeschlacht [...] Dies waren die Schauspiele, die man den Augen darbot, und sie dauerten einhundert Tage.“
Cassius Dio bietet uns eine Zusammenfassung der Ereignisse, die im Jahre 80 n.Chr. anlässlich der Einweihung wohl eines der berühmtesten, aber auch berüchtigsten Monumentalbauten der Antike dem römischen Volk dargeboten wurden. Das
Amphitheatrum Novum, wie es wohl nach dem überlieferten Text einer Bauinschrift wirklich hiess, wurde an der Stelle, an der Nero zuvor einen künstlichen See anlegen liess, unter Vespasian erbaut und von seinem Sohn Titus eingeweiht. Die Bezeichnung ,novum' wäre mit neu sicherlich nur unzureichend übersetzt, denn der später nach dem kolossalen Standbild des Nero Kolosseum genannte Bau setzte neue Massstäbe gegenüber älteren Amphitheatern und wurde vorbildhaft für viele weitere der römischen Welt. Die Neuartigkeit lag zum einen in der monumentalen Grösse - immerhin fasste es bis zu 50.000 Zuschauer, aber auch in den realisierten Substruktionen, der logistischen Meisterleistung und der Ausstattung, die Vorführungen erlaubte, die herkömmliche Tier- und Gladiatorenkämpfe deutlich in den Schatten stellte. Zwar war schon zu Augustus' Zeiten ein Amphitheater aus Stein errichtet worden (temporäre Bauten aus Holz hatte es schon öfter gegeben), doch war dies beim Brand Roms 64 n. Chr. zerstört worden.
Das Kolosseum verfügte über ein ausgeklügeltes System von Zu- und Ausgängen, hatte unterirdische Gänge und Magazine mit Aufzügen für die Gladiatoren und Tiere, anfänglich konnte es sogar geflutet werden, um die berühmten Seeschlachten vergangener Zeiten nachzustellen. Grosse ausklappbare Sonnensegel machten die größte Mittagshitze erträglich. Mit anderen Worten: Das Kolosseum war
ein großer architektonischer Wurf, dessen Zeitgeist sich bis in die Gegenwart erhalten hat. Es ist das Wahrzeichen der ewigen Stadt; denkt man an Rom, schiesst einem als erstes ein Bild des gewaltigen Amphitheaters in den Kopf.
Ich möchte mich aber hier nicht in Konstruktionsdetails verlieren, sondern das Bauwerk mit den zeitgenössischen Meistern erkunden und auch, wenn ein Cassius Dio hier und da sicher etwas übertreibt und die Historia Augusta bekanntermassen mit Vorsicht zu geniessen ist, lesen sich so manche Augenzeugenberichte spannender als die blosse Aneinanderreihung nüchterner Namen und Zahlen. Zugegeben fällt es nicht leicht, in würziger Kürze einen Überblick des Monumentes zu geben, das schon unzählige vor mir hochgejubelt und sogar als Pizza gebacken haben.
Wie Dio berichtet auch
Sueton von den Ereignissen, die sich bei der Einweihung des Amphitheaters den Zuschauern boten:
"Trotzdem stand er (Titus) der Freigiebigkeit seiner Vorgänger in nichts nach, denn bei der Einweihung des Amphitheaters, neben dem er noch in aller Eile Bäder errichten liess, gab er ein prächtiges reiches Schauspiel. Er veranstaltete ein Seegefecht und liess Gladiatorenkämpfe und eine Jagd stattfinden, bei der an einem Tag 5000 wilde Tiere zu sehen waren."
Hier möchte ich dann mit einer
Münze des Kaisers Titus einhaken. Ein Denar, der im Jahr 80 n.Chr. geprägt wurde, und auf das "Sommermärchen" verweist. Geprägt zu Ehren der Festspiele der Einweihung des Amphitheaters.
Natürlich kann man auch einen Sesterzen nicht vorenthalten, der tatsächlich das Kolosseum zeigt, aber für die meisten Sammler nur ein Traum bleibt. Hier möchte ich aber noch das "Beiwerk" im Feld links der Rückseite erwähnen - den Meta Sudans.
(Natürlich nicht aus meiner Sammlung!)
Im Zusammenhang mit dem Ausbau der Via dell'Impero verschwanden ebenfalls die Reste einer antiken Brunnenanlage. Der
Meta Sudans ist auf alten Fotos noch deutlich zu erkennen, heute sieht man die wenigen Fragmente seines Fundaments direkt vor dem Triumphbogen des Konstantin nur noch von einem erhöhten Standpunkt aus. Man vermutet, dass der Brunnen zu Zeiten des Augustus als Markierungspunkt zwischen den Stadtbezirken diente. Der Name der Brunnenanlage entlehnt sich an der Bezeichnung
meta für eine kegelförmige Wendemarke in einem Circus. Sobald von seinem höchsten Punkt aus das Wasser in das darunter liegende Becken läuft, scheint es so, als würde der Stein schwitzen, wovon die Bezeichnung
sudans (schwitzend) stammt.
Aber zurück zum Kolosseum - es war der Dichter
Martial, der als einziger Augenzeuge die Ereignisse wohl am umfangreichsten und poetischsten in seinem ,de spectaculis liber' überlieferte. Gleich das erste Epigramm der Sammlung macht deutlich: Das neue Amphitheater war ein neues Weltwunder, das alle anderen sieben der Antike in den Schatten stellte:
"Das barbarische Memphis schweige von den Wundern der Pyramiden, assyrische Leistungsfähigkeit rühme sich nicht Babylons, und die verweichlichten Ionier lobe man nicht wegen des Tempels der Trivia, der aus vielen Hörnern aufgeschichtete Altar bezeichne nicht Delos und die Karer sollen nicht in maßlosen Lobeshymnen das in luftigem Raum schwebende Mausoleum zu den Sternen erheben. Alle diese Mühe steht zurück vor dem Amphitheater des Kaisers, ein einziges Werk soll fortan für alle gerühmt werden."
Weiter beschreibt er nicht nur sehr genau den Ort des Geschehens, sondern vermittelt auch den damaligen Zeitgeist, der das Ende der feudalen Tyrannenherrschaft des Nero bejubelte:
„Hier, wo das Kolossalbild des Sonnengottes die Sterne aus größerer Nähe sieht und mitten auf der Straße die Baugerüste in die Höhe wachsen, strahlten zuvor die verhaßten Hallen des grausamen Regenten, und nur noch ein einziger Palast stand in der ganzen Stadt. Hier, wo der ehrwürdige Bau des eindrucksvollen Amphitheaters sich erhebt, lagen Neros künstliche Teiche.“
"Rom ist jetzt endlich wieder Rom" freut sich Martial weiter,
"und unter deiner Obhut, Kaiser, genießt das Volk, was zuvor der Tyrann genoss."
Vormittags Tierhatzen, nachmittags Gladiatorenkämpfe - sozusagen im kollektiven Rudelrausch frönten die Zuschauer einem tagfüllenden Programm voll mit Animationen, und das kostenlos, denn der Eintritt war im allgemeinen für jedermann frei. Aus heutiger Sicht hielt sich der Bespassungsfaktor allerdings in Grenzen: Blut floss reichlich und so mancher Kaiser überschritt mit dem Buhlen um die Gunst des Volkes die Grenze der Geschmackslosigkeit erheblich. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass der allgemein bekannte Ausdruck "Brot und Spiele" für einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung weit mehr bedeutete als die blosse Verfolgung der grausamen Darbietungen in der Arena. So mancher arme Schlupp konnte dort seinen knurrenden Magen füllen oder sogar einen weit grösseren Teil vom grossen „Kuchen“ abbekommen.
Nicht nur Brot; regelmässig wurden auch wertvollere Geschenke verteilt oder in die Menge geworfen, ja sogar Tombolas veranstaltet und so manch' einer konnte mit etwas Glück einen der kostbaren Gutscheine ergattern, den er anschliessend gegen eine Kuh oder vielleicht sogar gegen einen Sklaven eintauschen konnte. Durch Aktionen wie diese wird der euergetische Aspekt untermauert: Der Kaiser baut ausdrücklich für das Volk, der Kaiser inszeniert und sponsort die Schauspiele für das Volk. Seine Person steht eindeutig im Mittelpunkt; einerseits zwar fern ab des Mobs in der Sicherheit seiner kaiserlichen Loge, andererseits aber auch volksnah durch seine Anwesenheit mitten im Geschehen. Es gab sogar Kaiser - der berühmteste unter ihnen war wohl Commodus, die selbst aktiv an den Kämpfen teilnahmen.
Das Eingreifen des Kaisers in den Ablauf der Spiele wurde vom Publikum sogar erwartet. War beispielsweise ein Kampf zwischen zwei Tieren oder zwei Gladiatoren unentschieden, gab das Volk durch Rufen und Handzeichen seine Meinung kund, wer der Gewinner sein soll. Das letzte Wort hatte allerdings der Kaiser. Dies konnte er strategisch nutzen, um dem Volk zu gefallen oder seinen Machtanspruch durchzusetzen und gegen die Meinung des Volkes zu entscheiden.
Martial kommentiert einen unentschiedenen Kampf folgendermassen:
„Als Priscus und Verus den Kampf immer
noch in die Länge zogen, und beider
Kampf lange unentschieden war, da
forderte man mit lauten und wiederholten
Rufen für die Männer ein Ende. .
Schließlich fand sich ein Ende des unentschiedenen
Kampfes: Genau gleich hatten
sie gekämpft, genau gleich gaben sie auf.
Beiden schickte der Kaiser das hölzerne
Rapier, beiden die Siegespalme: Dies war
der Preis für außergewöhnliche Tapferkeit.
Das konnte nur unter Deiner Herrschaft,
Kaiser, geschehen: Obwohl zwei
gegeneinander kämpften, waren alle beide
Sieger.“
Die Tiere für die Darbietungen in der Arena kamen von weit her aus allen Teilen des Reiches; genau wie die Religionen war Exotisches in der Hauptstadt schwer in Mode und so mancher Reeder hat sich am Import der 'Bestien' krumm und dusselig verdient. Von der Jagd, aber auch vom Transport der possierlichen Tierchen zeugen zahlreiche Mosaiken - ganz besonders schöne kann man in der
Villa Romana del Casala auf
Sizilien bewundern. Hier ist auch nochmals deutlich zu erkennen, dass die Haut des Dickhäuters rautenförmig dargestellt ist, und auch als Vorlage für die Abbildung auf den Münzen diente.
Es ist historisch nicht gesichert, jedoch wahrscheinlich, dass im Kolosseum auch diejenigen, die nach der römischen Rechtsprechung eines Verbrechens schuldig gesprochen waren, den Tod fanden. Entweder wurden sie durch wilde Tiere
(damnatio ad bestias) in den Hades geschickt oder gezwungen, gegeneinander bis zum Tode zu kämpfen, was der damnatio ad ferrum entsprach. Die verbreitete Annahme, dass im Rahmen von Christenverfolgungen zahlreiche Märtyrer im Kolosseum auf diese Weise den Tod gefunden hätten, ist ebenfalls nicht durch antike Quellen belegt, und viele Forscher vermuten, dass die Hinrichtungen an anderer Stelle stattfanden.
Der Untergang - Das Kolosseum im Mittelalter
Während man von den Frühzeiten des Kolosseums beinahe alles zu wissen glaubt, hüllen sich die weiteren Jahre in Schweigen, und ich möchte hier versuchen, auch diese historisch schwierige Zeit ein wenig zu erleuchten.
Nachdem sich im Laufe der Christianisierung die Kaiser aus Rom zurückzogen und ihre Residenz in andere Städte verlegten, verlor das Kolosseum mehr und mehr an Bedeutung. Gladiatorenkämpfe wurden noch bis zu ihrem endgültigen Verbot Mitte des 5. Jahrhunderts von reichen Senatoren gesponsort, die Tierhetzen sind noch nach dem Ende des Weströmischen Reiches unter den Ostgoten nachweisbar, bis der massive Bevölkerungsrückgang auch diese überflüssig machte.
Die Mitte des 6. Jahrhunderts markierte den Beginn des Mittelalters und damit das Ende der Antike. Während der Rückeroberungskriege unter Kaiser Justinian erlitt Rom schwere Zerstörungen; das Kolosseum wurde nicht wieder renoviert und war damit endgültig dem schleichenden Verfall preisgegeben. Schon Ende des 6. Jahrhunderts richteten Bürger der Stadt in den Gängen und Arkaden des Kolosseums ihre Wohnungen und Geschäftsräume ein. Karl der Grosse konnte den Bau noch fast unversehrt bewundern. Selbst ein schweres Erdbeben im Jahre 847 liess seine Grundmauern nicht wanken, bis der Normannenherzog Robert Guiscard in die Stadt einzog und alles in Schutt und Asche legte. Nach dieser Zeit diente das
Kolosseum der Familie der Frangipani als Burg; überliefert ist noch, dass bei der Anwesenheit Ludwig's des Bayers 1332 dort noch ein grossartiges Stiergefecht stattfand. Im 14. Jahrhundert diente ein Teil des Gebäudes als Hospital und in dieser Zeit waren auch die Marmorsitze bereits verschwunden; im 15. Jahrhundert gehörte es eine Zeit lang dem Kloster S. Maria Nova (später S. Francesca Romana). In dieser Zeit wurde die Arena zu Passionsspielen benutzt, was ein (am Ende des 19. Jh. noch vorhanden gewesenen) Wandgemälde im westlichen Portal mit einer Planabbildung Jerusalems bezeugen soll.
In den Gängen der dem Lateran zugewandten Seite war ein der
schmerzhaften Mutter geweihtes Kirchlein gebaut worden, wo sich angeblich die Aufführung der Passionsspiele am Karfreitag noch bis in das 17. Jahrhundert abgespielt haben. Dabei sollen sich die Schauspieler zuvor in einer nahe gelegenen Kirche bis aufs Blut gegeisselt haben, um anschliessend unter heiligen Gesängen zur Bühne zu ziehen.
Was die Barbaren nicht schafften, schafften die Barberini
In der Folge wurde das Kolosseum durch die römischen Adelsfamilien und den Klerus mehr und mehr ausgeschlachtet. Die Erbauer der Palazzi Venezia, Cancellaria, Farnese und anderer Bauwerke haben von dort ihr Material bezogen. Nach einem weiteren Erdbeben Anfang des 18. Jahrhunderts dienten die dabei zerstörten Bogensteine zum Bau des Hafens Ripetta.
Erst der als grosser Modernisierer Roms bekannte
Papst Benedikt XIV. gebot weiteren Plünderungen Einhalt und ordnete 1744 per Edikt den Erhalt des Kolosseums an. Hintergrund war der damals gängige Glauben, die Arena wäre der Ort gewesen, an dem so viele Christen den Märtyrertod gefunden hätten. So liess er dort einen Kreuzweg mit den 14 Stationen errichten und in der Mitte ein einfaches Kreuz aufstellen. Aufzeichnungen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts berichten ferner von einer Kanzel, wo jeden Freitag und Sonntag, zwei Stunden vor dem Ave Maria, ein Franziskaner für die Bruderschaft der Via Crucis eine Predigt hielt.
Anfang des 19. Jahrhunderts erkannte man endlich die archäologische Bedeutung des Bauwerks und man begann, die übriggebliebenen Reste gegen den weiteren Verfall zu sichern: Der mächtige Strebepfeiler auf der Ostseite ist Papst Pius VII. zu verdanken, 1811 begann man mit der Freilegung des antiken Bodens, bis kurz darauf auch die ersten umfangreichen Ausgrabungen auf dem Forum Romanum begannen. Diese Massnahmen sollten in den kommenden Jahrzehnten für einen ersten touristischen Aufschwung sorgen; nicht nur bequemere Reisemöglichkeiten, sondern vor allem das aufkeimende historische Verständnis und Interesse an den 'alten Steinen' zog Wissenschaftler, Pilger, Reiselustige und andere Neugierige von Nah und Fern magisch an.
So berichtet der „Rompilger“ von 1905 sogar von einer abendlichen Beleuchtung des Kolosseums:
„ Der Eindruck ist zumal bei Vollmond ein überwältigender; man kann auf die obersten Galerien emporsteigen. Beleuchtung mit bengalischem Feuer am 21. April, dem Jahrestage der Gründung Roms, und wohl auch sonst bei starkem Fremdenbesuch. Durch farbige Mauerplakate angekündigt.“
Das Kolosseum - Sinnbild für Brot und Spiele, für wilde Tiere und Gladiatoren, ein Synonym für Grösse, Macht und Reichtum des römischen Imperiums. So lange das Kolosseum steht, steht Rom; fällt das Kolosseum, so fällt Rom; fällt Rom, so fällt die Welt.
Roma bella mi appare
Rainer