Minos
Wie fast immer in diesem Thread ist die abgebildete Münze nur der Aufhänger, der dem Einstieg in das eigentliche Thema dient. So auch hier. Die abgebildete Münze ist leider in einem sehr schlechten Zustand. Aber sie ist sehr selten und die Inschrift und die wesentlichen Attribute sind noch zu erkennen.
Münze
Phönikien, Gaza, pseudoautonom, Zeit des Hadrian
AE 13, 3.01g, 12.86mm, 0°
geprägt 131/132 n.Chr.
Av.: Minos in kurzem Chiton, frontal stehend, Kopf n.l., in der erhobenen Rechten langen
Zweig, im li Arm Speer
re MEINW
Rv.: Heiliger Baum
li [GAZA G], re E.BYR
im re unteren Feld phönikisch Mem (Symbol für Marnas, Stadtgott von Gaza)
Selten, noch S
Ref.: Yashin no.312; SNG ANS Palestine 913 var.
Pedigree:
ex Coin Galleries NYC Mail Bid 22.2.1992, Lot 244
Zur Datierung:
Gaza benutzte 2 verschiedene Datierungen:
(1) die Datierung nach der Ära von Gaza. Der Beginn war 61 v.Chr., nach der Reise des Pompejus durch Palaestina im September 61, also eine Variante der pompejanischen Ära.
(2) die Datierung nach dem Besuch (epidemia) des Hadrian 129 n.Chr.
Zur Zeit des Hadrian befinden sich häufig beide Datierungen auf der Münze, die 2. in der Regel mit EPI bezeichnet.
Auf dieser Münze ist die Datierung nur schwierig zu identifizieren. Beim Abgleich mit den Beschreibungen von Yashin, S.72, spricht vieles für E.BYR. E ist die Abkürzung von EPI, BYR ist 192. Dabei ist das Y eine andere Schreibweise für das Koppa, dem griech. 100. Dann ist es 192 = 131/132 n.Chr., was ich für diese Münze übernommen habe. Das Gamma für die 3. Epidemia des Hadrian ist leider nicht zu erkennen.
Mythologie:
Es kann gut sein, daß es tatsächlich zwei verschiedene Personen mit dem Namen Minos gibt: Minos I, den Großvater, und Minos II, den Enkel. Indiz dafür ist, daß sie zwei völlig verschiedene Charaktere haben, die fast unvereinbar erscheinen. Es ist aber auch möglich, daß die späteren Mythen, die einen charakterlich eher zweifelhaften Charakter schildern, aus der Sicht der Athener stammen, die aus Gründen, die wir kennenlernen werden, interessiert daran waren, Minos nicht zu gut davonkommenzulassen. Ich habe mich der Übersichtlichkeit wegen dazu entschieden, der Auffassung von Hederich und Roscher zu folgen, und Minos in zwei verschiedene Personen aufzuspalten.
Minos der Ältere:
Minos war nach Homer ein Sohn des Zeus und der Europa. Er war der erste dieses Namens und nicht zu verwechseln mit Minos dem Jüngeren, seinem Enkel. Er herrschte in Apollonia auf Kreta. Ob er selbst aus Kreta stammte oder von außerhalb auf diese Insel gekommen ist, ist streitig. Jedenfalls war er König von Kreta und vermählt mit Itone, der Tochter des Lykos. Er war Vater des Lykastos und der Akakallis, in die sich Apollo und Hermes verliebten. Er war berühmt wegen seiner guten und gerechten Gesetze, mit der er seine Untertanen regierte. Diese Gesetze will er von Zeus selbst empfangen haben. Alle neun Jahre stieg er dazu in eine tiefe Höhle. Diese soll sich im Ida-Gebirge befunden haben. Als er starb wurde auf sein Grab geschrieben ΜΙΝΟΣ ΤΟΥ ΔΙΟΣ ΤΑΦΟΣ. Als der Name Minos mit der Zeit verschwand und nur noch ΤΟΥ ΔΙΟΣ ΤΑΦΟΣ übrigblieb, behaupteten die Kreter, daß bei ihnen Zeus begraben sei.
Nach seinem Tode wurde er wegen seiner Gerechtigkeit zusammen mit seinen Brüdern Rhadamanthys und Aiakos als Totenrichter eingesetzt. Er aber war der vornehmste unter ihnen, der bei Streitigkeiten die Entscheidung fällte. Er thront dort mit einem Szepter in der Hand und richtet über die Taten der Schatten. Die Bösen müssen in den Tartaros, die Guten schickt er zu den eleysinischen Gefilden. Eine Urne in der Hand enthält ihre Schicksale.
Allerdings halten ihn einige für nicht so gerecht, weil er die Britomartis mit seiner Leidenschaft verfolgte. Britomartis war eine Nymphe und Jägerin auf Kreta, die von Artemis besonders geliebt wurde. In diese verliebte sich Minos und verfolgte sie durch die Berge und Eichenwälder Kretas. Nach einer neunmonatigen Jagd hatte er sie auf einer Klippe im Diktegebirge gestellt. Da sprang sie von der Höhe hinab ins Meer, wo sie von Fischern in ihren Netzen gerettet wurde. Artemis erhob sie zur Göttin. Dies könnte aber auch Minos der Jüngere gewesen sein, von dem bekannt ist, daß er jungen Mädchen nachstellte.
Minos der Jüngere:
Minos der Jüngere war der Sohn des Lykastes und damit der Enkel des älteren Minos, obwohl ihn einige auch für einen Sohn des Zeus halten. Jedenfalls war es dieser Minos, der Pasiphae, die Tochter des Helios, zur Frau hatte. Seine Kinder waren Androgeos, Deukalion, Glaukos, Phaidra, Ariadne u.a. Zum Zeichen, daß ihm die Regierung von den Göttern gegeben sei, behauptete er, daß sie ihm jede seiner Bitten erfüllten. Und er bat den Poseidon um einen Stier zum Opfern. Dieser erfüllte seine Bitte und schickte ihm einen ungewöhnlich schönen Stier, den Minos aber behielt und ihm dafür einen geringeren opferte. Um sich zu rächen, erweckte Poseidon in Pasiphae eine leidenschaftliche Liebe zu diesem Stier. Minos hatte den berühmten Künstler und Erfinder Daidalos nach seiner Verbannung aus Athen bei sich aufgenommen. Der baute für Pasiphae eine Kuhattrappe, so daß es zu einer Vereinigung mit dem Stier kommen konnte, aus der das Ungeheuer Minotaurus hervorging. Um den Minotauros wegzusperren, baute Daidalos dem Minos das berühmte Labyrinth. Als aber Minos dahinterkam, daß Daidalos an der Kuppelei beteiligt war, ließ er ihn zusammen mit seinem Sohn Ikaros in einem Turm einschließen. Aus diesem konnten sie sich befreien, indem Daidalos Flügel baute, mit denen sie davonflogen.
Androgeos, der Sohn des Minos, hatte sich nach Athen begeben, um an den dortigen Kampfspielen teilzunehmen. Zu der Zeit war Aigaios König in Athen. Weil nun Androgeos dort alle Kämpfe gewann taten sich die Söhne des Pallas mit ihm zusammen. Pallas, ein Sohn des Aigaios, war einst von seinem Bruder aus Athen vertrieben worden war. Da bekam Aigaios Angst um seinen Thron und ließ ihn ermorden. Das führte zu einem schweren Krieg mit Minos. Minos kam mit einer großen Flotte aus Kreta nach Griechenland und belagerte zunächst die Stadt Nisa, bei deren Eroberung ihm Skylla, die Tochter des Königs Nisos, half (übrigens eine andere Skylla als die odysseische!). Athen selbst zu erobern gelang ihm nicht. Da rief er die Götter zu hilfe und die schickten Hunger und Pest, sodaß die Athener kapitulierten. Zur Strafe für den Mord mußten sie von da an jedes Jahr sieben Knaben und sieben Mädchen dem Minotauros zum Verschlingen schicken, bis Theseus dem grausamen Tribut ein Ende setzte.
Minos herrschte in Knossos und mithilfe seiner Seemacht über große Teile des Mittelmeeres. So wird er auch zur Gründerfigur von Gaza geworden sein, das nach ihm auch Minoa genannt wurde.
Er war berüchtigt dafür, daß er jungen Mädchen nachstellte. Aber Pasiphae hatte ihm aus Eifersucht das Sperma vergiftet, sodaß es nur aus Ottern und Skorpionen bestand und alle seine Liebschaften qualvoll starben. Einzig Prokris überlebte.
Die Beleidigung, die ihm durch Daidalos angetan worden war, konnte er nie vergessen. So machte er sich endlich mit einer mächtigen Flotte auf die Suche nach ihm, der inzwischen bei König Kokalos auf Sizilien lebte. Dazu hatte sich Minos einen Trick ausgedacht. Er führte eine Tritonsmuschel (eigentlich eine Meeresschnecke) mit sich und versprach demjenigen großen Lohn, dem es gelänge, einen Leinenfaden durch diese Muschel zu ziehen. Als er nach Kaminos zu König Kokalos auf Sizilien kam, gab dieser die Muschel dem Daidalos. Der bohrte ein kleines Loch in die Spitze, bestrich den Spiralengang mit Honig und ließ eine Ameise einen Seidenfaden durch die Muschel ziehen, an dessen Ende ein Leinenfaden geknüpft war. Da wußte Minos, daß er jetzt Daidalos gefunden hatte, und verlangte seine Herausgabe. Doch die Töchter des Kokalos wollten Daidalos nicht herausgeben, weil er ihnen schöne Spielzeuge gemacht hatte, und deshalb erstickten sie Minos mit heißem Wasserdampf, als der im Bad saß. Er wurde prunkvoll beerdigt und fand seine letzte Ruhe im Tempel der Aphrodite in Kaminos, wurde aber später nach Kreta gebracht.
Hintergründe:
Minos war ein sagenberühmter kretischer König, nach dem die Archäologen zurecht die kretische Kultur des 3.Jt. bis zum Ende des 2.Jt. als minoisch bezeichnen. Ob Minos aber wirklich der Name eines Königs gewesen ist, oder eine Art von Königstitel, da es mehrere Könige mit diesem Namen gab, ist nicht endgültig geklärt. Er galt in der Antike als Idealtyp eines Königs (bezieht sich natürlich auf den älteren Minos!), der durch die immer wiederkehrenden Gespräche mit Zeus zur sittlichen Tüchtigkeit erzogen wurde, was sich in seiner Gesetzgebung gegenüber seinen Untertanen widerspiegelte. Als Ort der Zusammenkunft wird meistens die Zeusgrotte auf dem Ida genannt.
Minos war im Besitz einer großen Flotte und galt als erster Seebeherrscher. Ihm gelang es, die karischen Seeräuber von den Kykladen zu vertreiben, er besiedelte viele Inseln und setzte seine Söhne als Statthalter ein. Er beherrschte nicht nur die Aegeis, sondern viele Gründungen mit dem Namen Minoa deuten auch auf Gebiete außerhalb der Kykladen.
Die Mythologie um Minos bewahrt das Andenken an die Bedeutung der minoischen Kultur für Kreta und Griechenland. Ein vollständiges Gesamtbild kann sie aber nicht liefern. So findet sich z.B. keine Spur von dem femininen, phäakenhaften Wesen der minoischen Welt (Pauly). Die Feldzüge nach Attika oder Sizilien brauchen keine sagenhaften Erfindungen zu sein. Sie zeigen die Bedeutung der Thalassokratie, die kein geschlossenes Reich benötigt. Athen, der große Gegenspieler Kretas, nahm den Künstler Daidalos, der sicherlich eine kretische Figur ist, für sich in Anspruch und suchte auch sonst durch die Betonung grausamer Handlungen den Ruf seiner hohen Gerechtigkeit abzuwerten, was ihm aber nicht endgültig gelang, was seine Rolle als Totenrichter beweist (Pauly).
Minos und Gaza
Gaza rühmte sich einer engen Beziehung zu Minos. Nach Stephanos von Byzanz machten Minos, Aiakos und Rhadamanthys von Kreta aus einen Zug nach Phönikien, nahmen dabei Gaza ein und nannten es um in Minoa. Es gibt allerdings auch die Behauptung, daß Minoa vom aramäischen 'marlu' (= Hafen) stammen soll.
Die Beziehung zu Griechenland wird auch gestützt durch die Übernahme des attischen Münzstandards. Die abgebildete Münze zeigt auf der Rs. einen heiligen Baum. Nach Yashin ist es die immergrüne Platane von Gortyna in Kreta. Unter der fand der Sage nach die Vereinigung des Zeus mit Europa statt. So soll auch Marnas, der Stadtgott von Gaza, mit Zeus verschmolzen sein. Dabei handelte es sich um Zeus Kretagenes, den kretischen Zeus.
Kunstgeschichte:
Hinzugefügt habe ich das Bild des Minos von Michelangelo aus der Sixtinischen Kapelle. Was auffällt ist, daß Minos von einer Schlange umwunden wird. Das hat folgende Bewandtnis: Baigio da Cesena, der päpstliche Zeremonienmeister hatte Michelangelos Werk kritisiert, indem er sagte, daß nackte Figuren keinen Platz an einem solch heiligen Platz hätten, sondern eher in eine öffentliche Kneipe paßten. Als er sich beim Papst beklagte, antwortete der, er sei nicht der Richter über die Hölle und das Gemälde habe so zu bleiben. Daraufhin porträtierte Michelangelo ihn als Minos mit Eselsohren und von einer Schlange umwunden. Die Anzahl der Windungen zeigt den Kreis der Hölle an, in dem der Betroffene sich befindet. Der Biß der Schlange nach den Genitalien des de Cesena zeigt Michelangelos Ablehnung des Baigio und natürlich wird der wütend gewesen sein.
Das zweite Bild zeigt den sog. Thron des Minos in Knossos.
Quellen:
- Homer, Odyssee XI, 568-571
- Apollodor, Bibliotheka III, 3-20, 197-211; IV, 7-15
- Ovid, Metamorphosen VII 456-490; VIII, 6-292
- Stephanos von Byzanz, Ethnika
Literatur:
- Benjamin Hederich, Gründliches Mythologisches Lexikon
- Karl Kerenyi, Die Mythologie der Griechen
- Robert von Ranke-Graves, Griechische Mythologie
- Roscher, Mythologie
- Der Kleine Pauly
- Chaim Yashin, From Ascalon to Raphia, 2007
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