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Für Lateinpuristen
Verfasst: So 16.04.06 18:12
von Chippi
Da ich den Beitrag nicht mehr finden kann, eröffne ich mal ein neues Thema.
Es ging darum, dass man nicht Jesum Christum sagt bzw. ungebräuchlich ist.
Aber so ungebräuchlich war es mal gar nicht.
Siehe:
Johann Friedrich Starck (1680-1756)
Tägliches Handbuch
in guten und bösen Tagen,...
Neu=Ruppin, o.J.
Druck und Verlag von F. W. Bergemann
S.47:
Ich habe Jesum angezogen
Schon längst in meiner heil´gen Tauf,
Du bist mir daher auch gewogen,
Hast mich zum Kind genommen auf,
Mein Gott! Ich bitt´durch Christi Blut,
Mach´s nur mit meinem Ende gut. Amen.
Gruß Chippi
Verfasst: So 16.04.06 18:24
von Peter43
Jesum = Akkusativ sing. auf die Frage: Wen habe ich angezogen?
Christi = Genitiv sing. auf die Frage: Wessen Blut?
Mfg
Verfasst: So 16.04.06 18:37
von richard55-47
Verfasst: So 16.04.06 19:13
von Chippi
Danke, den beitrag hab ich gesucht. Ich selber kann kein Latein, wollte nur sagen, dass es durchaus gebräuchlich war.
Gruß Chippi
Verfasst: So 16.04.06 23:29
von chinamul
Wobei der Ton auf "war" liegt. Fälle wurden einstmals gebildet, als man noch eine allgemeine Kenntnis des Lateinischen voraussetzen konnte, was vor allem für die Geistlichkeit zutraf. Dekliniert wird heute jedoch nur noch in der Kirche, nicht aber im täglichen Sprachgebrauch. Oder hat schon mal jemand beispielsweise in einer Untersuchung über Nero die Formen Neronis, Neroni oder Neronem angetroffen?
Gruß
chinamul
Verfasst: Mo 17.04.06 00:28
von Peter43
Na ja, mit Jesus gibt es das Problem mit dem s am Ende. "Neros Mutter war Agrippina die Jüngere" ist grammatisch korrekt. Bei Jesus müßte es korrekt heißen "Jesus' Mutter war Maria", doch das Apostroph nach Jesus sieht man nie! Ist es vielleicht politisch nicht korrekt, Jesus grammatisch korrekt zu behandeln? Dagegen ist "Jesu Mutter war Maria" noch gang und gäbe!
MfG
Verfasst: Mo 17.04.06 09:26
von antoninus1
Wenn das Wort Jesus zur u-Deklination gehört, müsste der Genitiv doch korrekt auch auf -us enden (mit langem u), es müsste also auch Jesus heißen.
Möglicherweise hat man es später zur besseren Unterscheidung von der Nominativform oder wegen der flüssigeren Aussprache zu Jesu verkürzt.
Verfasst: Mo 17.04.06 23:07
von richard55-47
Da Latein und Altgriechisch wieder im Kommen sind - deo gratia sit - habe ich Hoffnung, dass unsere Nachfahren die Feinheiten in ihren Sprachgebrauch aufnehmen werden. Aber glauben, glauben tue (modus rhenanius linguae) ich das nicht.
Ich wollte damals mit meinem Hinweis praeceptorum linguae latinae fori - eius servus oboediens sum - (hoffentlich alles richtig) zu einer Äußerung veranlassen, aber keinen Krieg vom Zaun brechen.
Verfasst: Di 18.04.06 11:08
von chinamul
Hallo richard55-47!
Um gleich einmal eines klarzustellen: Du hast eine Diskussion ausgelöst, und was sollte daran schlecht sein? Die Formen der Höflichkeit und der gegenseitige Respekt sind jedenfalls gewahrt geblieben, was bei einem Krieg wohl eher nicht der Fall gewesen wäre, und so kann man getrost konstatieren: Gut, daß wir mal drüber gesprochen haben!
Zu Deinem offenbar meine Person betreffenden lateinischen Ausdruck erlaube ich mir in aller gebotenen Demut einige Emendata. Ich würde vielleicht so formulieren: huius fori praeceptorem linguae latinae, cuius oboediens servus sum. Das Problem liegt bei dieser Formulierung darin, daß das Beziehungswort des Relativsatzes (praeceptorem) eigentlich unmittelbar vor diesem stehen sollte. Faßt man aber den praeceptor linguae latinae als einen zusammengehörigen Begriff auf, so mag diese Stellung akzeptabel sein.
Deine Zweifel bezüglich einer Renaissance der Kasusendungen muß ich angesichts der grassierenden Sprachverwilderung (horribile dictu auch in diesem Forum!) leider teilen. Ich fürchte vielmehr, daß die Fälle mehr und mehr durch Präpositionen ausgedrückt werden ("die Leiden von Jesus" oder gar "Jesus seine Leiden"). Dann teilen die Kasūs, besonders der arme Genitiv, endgültig "dem Konjunktiv sein Schicksal".
Gruß
chinamul
Verfasst: Di 18.04.06 12:08
von Peter43
Hallo Chinamul!
Ich glaube, daß unsere Gesellschaft zerfallen wird in eine Mehrheit, der die deutsche Sprache völlig gleichgültig ist, soweit sie nur für SMS geeignet ist, und eine kleine 'Elite', die um ihre Bedeutung weiß.
Für die Zukunft der Kasus befürchte ich auch das Schlimmste. Inzwischen geht es sogar den Präpositionen an den Kragen. Während man früher noch gesagt hat 'Ich gehe nach Karstadt', heißt es heute oft nur 'Ich gehe Karstadt'!
Mfg
Verfasst: Di 18.04.06 19:26
von beachcomber
wahrscheinlich deshalb, weil man dann nicht mehr überlegen muss, ob es nun 'nach' oder 'zu' heisst!

Verfasst: Mi 19.04.06 08:56
von antoninus1
Kennt ihr den Witz:
Fragt einer einen Pasanten: Wo geht´s denn hier nach Aldi?
Antwort:
Zu Aldi
Gegenfrage: Was, schon so spät

Verfasst: Mi 19.04.06 09:12
von vMadai
@antoninus:
Jesu Deklination ist nicht u-Deklination, sondern polyglott.
Der Genitiv Iesou ist GRIECHISCH!
Der Akkusativ Jesum wieder lateinisch.
"Christus" dagegen (obwohl auch ein griechisches Wort) wird durchgehend lateinisch dekliniert.
Warum? da fällt mir leider auch keine gute Antwort ein.
Mit pastoralen Grüßen,
Corbulo
Verfasst: Mi 19.04.06 18:08
von antoninus1
@corbulo
das wusste ich nicht, vielen Dank (so ein Durcheinander

)
Verfasst: Mi 19.04.06 19:00
von Homer J. Simpson
Zum Sprachver- oder -zerfall paßt hervorragend der heutige Zwiebelfisch (sehr zu empfehlen!):
http://www.spiegel.de/unispiegel/schule ... 58,00.html
Iesou als Genitiv ist doch aber auch Küchenlatein, äh, -griechisch?!? Da müßte doch der Nominativ Iesos heißen, und das tut er doch garantiert nicht... Gibt's noch ähnlich endende grch. Wörter? Mir fällt nur pous, Gen. podos "Fuß" (und natürlich Oidipous, Oidipodos) ein; wie bous "Rind" und nous "Verstand" dekliniert werden, ist leider im Sand der 25 Jahre, seit ich mal Griechisch gelernt habe, hängengeblieben. Weiß wer weiter?
Homer