Wahlen im alten Rom

Alles was so unter den Römern geprägt wurde.

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Karsten
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Wahlen im alten Rom

Beitrag von Karsten » Mi 28.03.07 22:19

Nach einiger Zeit der Abstinenz melde ich mich mit einem neuen Stück zurück zu deren Darstellung ich so einige Fragen habe. Die Darstellung an sich ist mir schon klar: 'Wahlszene mit einem Beamten, der einem Bürger einen Stimmstein gibt, während ein anderer Bürger seinen in eine Wahlurne wirft', nur wie wurde eine Wahl zu dieser Zeit organisiert und durchgeführt?

Ich denke nicht dass jedem Wahlberechtigten im Voraus die Wahlunterlagen per Post zugeschickt wurden.

Bei der hier dargestellten Wahl dürfte es sich wohl um die Lex agraria von 111 v.Chr. handeln, die dazu diente die Bodenstreitigkeiten beizulegen.

Zur Münz selbst:

P. Licinius Nerva, 113/112 v.Chr., Crw. 292/1 Syd. 548
Gruß,
Karsten

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Peter43
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Beitrag von Peter43 » Mi 28.03.07 23:35

Hallo Karsten!

Bei Deiner Beschreibung stimmt logisch etwas nicht. Wie kann Licinius Nerva bereits 113/112 Münzen prägen für eine Wahl die erst 111 stattgefunden hat? Die Erklärung, daß sich die Rückseite auf die von C. Marius während seines Volkstribunats im Jahre 119 v. Chr. eingebrachte Lex de suffragiis bezieht, kommt mir pausibler vor.

Übrigens ist Deine Münze zusammen mit einer anderen von Cassius Longinus, eine der wenigen Münzen, die sich mit den Wahlen beschäftigen.

Hier eine Beschreibung vom amerikanischen Forum:
Roman Republic (Rome mint 63 BC.), L. Cassius Longinus.
AR Denarius (3.79 g, 19-21 mm).
Obv.: Veiled and diademed head of Vesta l.; to right, two-handled cup (cylix); control mark C to left.
Rev.: LONGIN III V , Roman citizen standing l., casting a vote by dropping tablet marked V (abbreviation for "Vti rogas") into voting urn.
Crawford 413/1 ; Sydenham 935 ; Babelon (Cassia) 10 .

The tablet marked V was used in Rome to cast a favorable vote on legislation; taken in conjunction with the head of Vesta on the obverse, this coin may refer to the law of 113 which set up the special commission, presided over by L. Cassius Longinus Ravilla, for the trial of three delinquent Vestal Virgins. In 137 BC L. Cassius Ravilla proposed a method of voting, known as the Lex Cassia Tabellaria. The reverse celebrates and commemorates that proposal becoming law. One can read the letter "V" on the tabella (ballot). It stands for V[ti] Rogas, or uti rogas a vote in favor of a new law. A vote against a new law was designated by the letter "A" (antiquo); L. (libero) and D. (damno) were used in the case of a public trial. Roman judices expressed their judgements by the letters A. (absolve), C. (condemno) and N.L. (non liquet). L. Cassius Longinus, whose name appears on the coin, was the younger brother of C. Cassius Longinus, one of the assassins of Julius Caesar.

Hier ist ein Link mit viel Informationen zu Deiner Frage http://penelope.uchicago.edu/Thayer/E/R ... mitia.html

Mit freundlichem Gruß
Omnes vulnerant, ultima necat.

Karsten
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Beitrag von Karsten » Do 29.03.07 00:22

Na gratuliere... da hat mir meine Abstinenz doch nicht gut getan... v.Chr. zählen wir ja rückwärts. Die Info mit den Wahlen habe ich aus dem "Rainer Albert, Die Münzen der Römischen Republik".
Zitat:
Der Münzmeister ist wohl P. Licinius Nerva, Praetor 104. Die Wahlszene zeigt die Durchführung der geheimen Wahlen mit Stimmtafeln. Konkreter Anlass ist wohl die Lex agraria von 111, mit der Bodenstreitigkeiten beigelegt werden sollten, die auf die Lex Liciniae Sextiae von 367 zurückgehen.
Gruß,
Karsten

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aquilifer
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Beitrag von aquilifer » Do 29.03.07 12:59

Gibt es eigentlich prosopographische Untersuchungen zu den republikanischen Münzmeistern? Interessant wäre zu wissen, in welcher Beziehung Licinius Nerva zu Marius bzw. zu seinem höchst umstrittenen Wahlgesetz stand - zumal ja rund 9 Jahre zwischen den beiden Ereignissen liegen.

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El Che
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Beitrag von El Che » Mo 02.04.07 12:43

Hallo Karsten,

man mag sich wundern, aber auch bei den Römern lief es mit der Wahl gar nicht so viel anders ab, als bei uns - auch und gerade in Sachen Wahlversprechen und Moralischer Anspruch!

Dies ist eindrucksvoll in dem "Commentariolum petitionis" des Quintus Tullius Cicero - Bruder und nach heutigem Verständnis Wahlkampfmanager des bekannten Marcus T. Cicero - nachzulesen, vgl.

http://www.perseus.tufts.edu/cgi-bin/pt ... 99.02.0016

Interessant an Deiner Münze finde ich vor allem die Darstellung des Wahlgangs; man dürfte hier eine der Abstimmungsbrücken (pontes) sehen, über die die nach Zenturien geordneten, auf dem Marsfeld versammelten Wähler einzeln zu den Urnen schritten. Wie man hier sieht, bekamen Sie erst hier ihren "Wahlzettel", das Täfelchen.
Übrigens durften zwar alle wählen, oft kam es aber gar nicht dazu; da nach Zenturien abgestimmt wurde, reichte es aus, dass 97 Zenturien zustimmten. Da die Aristokratie alleine über 70 und die Ritter 18 Zenturien verfügten (und als erste abstimmen durften), konnte die Wahl vorbei sein, bevor der größte Teil des Volkes zum Zuge kam.
Eine besondere Bedeutung kam bei der Wahl der (jeweils ausgelosten) ersten abstimmenden aristokratischen Zenturie zu, der centuria praerogativa: Da das Abstimmungsverhalten der Zenturien jeweils bekanntgegeben wurde, hatte ihr Votum großen Einfluß auf das Wahlverhalten der nachfolgenden Zenturien - hier gibt es also doch deutliche Unterschiede zu unseren Wahlen!

Ansonsten gab es zwar keine Wahlbenachrichtigung per Post, aber doch eine offizielle Bekanntmachung. Wohl ab dem 2. Jhdt. v. Chr. wurden bei Personenwahlen die Kandidatenlisten nach Ablauf der Einschreibefrist und Prüfung der Formalia auf Bronzetafeln auf dem Forum - dem öffentlichen Ort schlechthin des alten Roms - ausgestellt.

Interessant ist vielleicht noch zu wissen, dass erst die in Peters Link genannte Lex Cassia Tabellaria von 137 v. Chr. eine geheime Wahl vorsah (außer bei Prozessen wegen Hochverrats). Dies war insofern eine Revolution des Wahlrechts, als dass das politische Leben in Rom stark von den Klientelverhältnissen geprägt war. Durch das geheime Verfahren konnte das Abstimmungsverhalten der eigenen Klientel nun aber nicht mehr unmittelbar überprüft werden.

Eine Illustration der Wahl mit Täfelchen (meines Wissens nach waren es Wachstäfelchen), wie sie in dem von Peter angegebenen Text beschrieben wird, findet man auf folgender Münze (leider nicht in meinem Besitz!!!), die, wenn ich es richtig sehe, auch in dem amerikanischen Forum diskutiert wurde; man kann hier auch das "V" für "Vti rogas" erkennen:

http://www.coinarchives.com/a/lotviewer ... 99&Lot=907

Diese Münze wurde übrigens von einem Mitglied des Hauses der Cassier (aus dem auch der Begründer des oben genannten Gesetzes stammte) geprägt. Ich bin mir aber ehrlich gesagt nicht sicher, ob es sich um den bekannten Lucius Cassius Longinus aus der Verschwörung des Catilina handelt - zeitlich würde es passen.

Liebe Grüße,
Uli

Karsten
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Beitrag von Karsten » Di 03.04.07 22:30

Erst einmal ein Dankeschön für Eure Informationen, auch wenn ich bisher noch nicht die Zeit fand mich weiter mit der Materie zu befassen.

Offizielle Bekannmachungen für Wahlen sind noch vorstellbar, nur wie konnte man verhindern dass eine einzelne Person mehrere Stimmen abgab? Denn wenn die Wahltäfelchen erst vor Ort ausgehändigt wurden konnte man sich doch sicherlich ein zweites mal - zu einem späteren Zeitpunkt - wieder anstellen.
Gruß,
Karsten

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Marc
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Beitrag von Marc » Do 05.04.07 05:18

Karsten hat geschrieben:Offizielle Bekannmachungen für Wahlen sind noch vorstellbar, nur wie konnte man verhindern dass eine einzelne Person mehrere Stimmen abgab? Denn wenn die Wahltäfelchen erst vor Ort ausgehändigt wurden konnte man sich doch sicherlich ein zweites mal - zu einem späteren Zeitpunkt - wieder anstellen.
Wie gesagt stimmten nur die wehrbereiten Männer in ihren Zenturien ab.

Diese Militäreinheiten liefen nicht wie ein Hühnerhaufen von 100 Mann auf, sondern militärisch geordnet nach Unterabteilungen und Rängen. Wenn ich mich noch recht erinnere, umfassten die kleinsten Unterabteilungen je 10 Mann. Die kennen sich natürlich alle persönlich, wenn sie über Jahrzehnte (damals waren es ja nicht nur 18 Monate Wehrpflicht) Seite an Seite kämpften. Das Römische Heer war gut strukturiert, da konnte sich kein Soldat noch mal an anderer Position unbemerkt dazustellen.

Letztlich erfolgte ja so auch die Kontrolle ob er überhaut Wahlberechtigt war, denn wenn plötzlich ein Fremder dagestanden hätte, wäre es den Kameraden sofort aufgefallen. Es gab ja keine Wahlbenachrichtigungen etc. das organisierte alles das Heer, welches zur Stimmabgabe in Zenturien militärisch antrat.

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El Che
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Beitrag von El Che » Fr 06.04.07 22:15

Offizielle Bekannmachungen für Wahlen sind noch vorstellbar, nur wie konnte man verhindern dass eine einzelne Person mehrere Stimmen abgab? Denn wenn die Wahltäfelchen erst vor Ort ausgehändigt wurden konnte man sich doch sicherlich ein zweites mal - zu einem späteren Zeitpunkt - wieder anstellen.
Hallo Karsten,

ich denke, ein zweites Mal anstellen war wohl schwierig, da die Versammlung, wie gesagt, auf dem Marsfeld stattfand und man zur Stimmabgabe über die (vermutlich) auf deiner Münze abgebildeten Brücke ging - danach also nicht mehr einfach zurück konnte. Ich gehe davon aus, dass der Zugang zum Marsfeld reguliert wurde. Aber: Ich wüßte nicht, dass es über den genauen Ablauf eine Überlieferung gibt ... (weiss jemand was?)

Ich habe mal gelesen, dass eine Überprüfung an der Brücke (also unmittelbar vor der Ausgabe der Wahltafeln) mittels der Steuerlisten denkbar wäre. Denn die Zenturien verstehen sich hier, wie auch im alten Athen die Phylen (= "Stämme") nicht als wirkliche Zenturien (es kann also keine Kontrolle durch die "Kamaraden" stattfinden), sie sind lediglich eine die Gesellschaft strukturierende Fiktion. Wie gesagt, sehr sehr wenigen Zenturien (Plebs und Rest-Italien nach den Bundesgenossenkriegen), waren sehr sehr viele Bürger zugeteilt. Und durch das oben beschriebene Wahlrecht kamen diese oft gar nicht zur Wahl sondern (nach dem Adel und den Rittern) nur die vermögendsten Zenturien des "Restvolkes".

Mehr kann ich dir leider auch nicht sagen!

Wie gesagt, eine sehr interessante Münze, die du da hast!

Liebe Grüße,
Uli

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