Balbinus bei CNG

Alles was so unter den Römern geprägt wurde.

Moderator: Homer J. Simpson

Dietemann
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Beitrag von Dietemann » Mi 16.05.07 23:24

nicht dass ich viel Ahnung vom Münsterland hätte, aber Raten macht Spaß (und immerhin hatte ich eine Großmutter aus dem Norden)

"Lütt" ist der Kleine und in tüdder steckt das Wort tatrig? Also der kleine Tatrige, ein Windelkind????

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beachcomber
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Beitrag von beachcomber » Mi 16.05.07 23:26

tüderlütt, hiess bei uns soviel wie: 'etwas wirr im kopf, vergesslich' !
grüsse
frank

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Peter43
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Beitrag von Peter43 » Do 17.05.07 00:27

Frank ist näher dran! Ich habe Tüdderlüt hier stehen als Mensch, der nur langsam in die Gänge kommt, entschlußloser Mensch. Aber, wie gesagt, es handelt sich um familiär gebrauchte Ausdrücke!

Mit freundlichem Gruß
Omnes vulnerant, ultima necat.

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Wurzel
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Beitrag von Wurzel » Do 17.05.07 00:54

Ein Beispiel für die Problematik mit den Dialekten:

Wir hatten letzte Woche ein ca. 85 Jahre alte Patientin bei uns Stationär in Behandlung, da in der häuslichen Umgebung gestürzt. Sie hatte zum Glück keine ernstlichen Verletzungen sondern "lediglich" größere Prellungen, welche allerdings enorme Schmerzen bereiten können.

Aufnamediagnosen waren:
Multiple Prellungen
Senile Demenz (redet Wirr)

Tatsächlich habe ich und alle anderen diese Frau nicht verstanden, und wunderten uns wiederholt, was sie uns Mitzuteilen versuchte.
Das Rätsel löste sich, als meine Kollegin, die als Kind im tiefsten Hunsrück aufgewachsen ist, dazu kam und uns aufklärte: "Die möchte nur auf Toilette"........
Nachdem wir jemanden hatten, der "Übersetzen" konnte erwies sich die Frau als vollkommen Normal.

So schnell kann man Dement werden 8O

Micha
http://www.wuppertaler-muenzfreunde.de/

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Peter43
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Beitrag von Peter43 » Do 17.05.07 01:32

Ich kam vor fast 30 Jahren aus Norddeutschland ins tiefste Schwaben. Es war ein Kulturschock, von dem ich mich bis heute nicht richtig erholt habe. In der 1.Woche habe ich bei einer über 80jährigen eine Periduralanästhesie gemacht. Zur Überprüfung der Wirkung hatten wir in Göttingen immer eine feine Nadel genommen, den Patienten leicht gepiekst und gefragt "Ist es stumpf?". Als ich das bei dieser Patienten auch machte, sagte sie auf jede Frage jedesmal "Ja!". Ok, die Op konnte beginnen, doch als der Chirurg mit dem Hautschnitt begann, schrie sie auf und rief "Ich habe doch gesagt, daß es stupft!" O mein Gott, ich mußte sie sofort in Vollnarkose versetzen und dann ging es weiter. Das Wort 'stupfen' war mir bis dato unbekannt gewesen! Das ist die Gefahr von Mundarten! Das Hochdeutsche ist ja eine künstliche Sprache, die sich verbreitet hat, damit man sich miteinander verständigen kann! Allerdings meinte Talleyrand ja, die Sprache sei dazu da, seine Gedanken zu verbergen!

Mit freundlichem Gruß
Omnes vulnerant, ultima necat.

Dietemann
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Beitrag von Dietemann » Do 17.05.07 11:37

Wurzel hat geschrieben:Ein Beispiel für die Problematik mit den Dialekten:
Das Rätsel löste sich, als meine Kollegin, die als Kind im tiefsten Hunsrück aufgewachsen ist, dazu kam und uns aufklärte: "Die möchte nur auf Toilette"........Micha
(Vorsicht Witz) Hat Sie das Wort "bronzen" verwendet und Du hast an das Münzmetall gedacht? :lol:
(Ich habe heute noch Schwierigkeiten bei dem Wort Bronze nicht an einen hellgelben warmen Wasserstrahl zu denken :wink: , sondern eine dunkle kalte Legierung, weil ich das erstere zuerst gehört habe.
Zur Erklärung: Das Wort Bronze kam aus dem arabischen über Venedig im 16. oder 17. Jahrhundert zu uns, das Wort bronzen ist eine altgermanische Ableitung des Wortes Brunnen = bewegtes Wasser.)

Ich habe mich köstlich amüsiert, als mir der Zusammenhang in den Sinn kam, auch wenn es nicht stimmen muss, schön ist er allemal.

Nichts für ungut Dietemann

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chinamul
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Beitrag von chinamul » Do 17.05.07 12:04

Hochinteressante Diskussion für einen Philologen. Wir sollten dabei aber einen Aspekt, den ich für entscheidend wichtig halte, nicht aus den Augen verlieren: Differenziertes und differenzierendes Denken steht und fällt mit der Fähigkeit, es auch adäquat in Sprache zu fassen. Wir können eben nur in Begriffen denken, alles andere ist wohl eher ein dumpfes Ahnen. Wie der Gebrauch der Hand durch den Frühmenschen seine Denkfähigkeit beförderte - er konnte komplexe Manipulationen ausführen und mußte diese planen, überdenken und hinterher kritisch bewerten - , so tat das spätere Hinzutreten der Sprache das in ungleich stärkerem Maße.
Nur wenn ich meine Gedanken zu verbalisieren versuche, bin ich gezwungen, mir über die Stichhaltigkeit meiner Denkergebnisse Rechenschaft abzulegen.
Ich behaupte daher, daß eine verkümmernde Ausdrucksfähigkeit immer auch mit einer Einbuße an kritischem Denkvermögen einhergeht.

Gruß

chinamul
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kollboy
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Beitrag von kollboy » Do 17.05.07 12:21

ad: brunzen

das ist eine intensivbildung von brunen (wovon unser wort brunnen kommt)

bairisch:
analog dazu hatschen (hinken), eigentlich hakezen = hakenförmig gehen;
krepfazn (rülpsen) kröpfezen = ein starkes kropf (=kehlkopf)geräusch machen; himlazen (=blitzen), etc etc

aber es gibt auch im standarddeutschen noch einige solche wörter:
ächzen von mhd ahezen (ah, dem stöhnlaut)
hopsen von hopen = hüpfen
grinsen von grinezen
etctec.

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El Che
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Beitrag von El Che » Do 17.05.07 12:28

Ich behaupte daher, daß eine verkümmernde Ausdrucksfähigkeit immer auch mit einer Einbuße an kritischem Denkvermögen einhergeht.
Hallo Chinamul,

die Frage ist, ob es bei Muttersprachlern wirklich zu einer solchen Verkümmerung kommt.
Historisch äußerst interessant ist hier die Geschichte der Kreolsprachen, d.h reiner Kontaktsprachen, die in Situationen entstanden, in denen zwei Bevölkerungsgruppen begrenzt miteinander kommunizieren mußten, ohne ein gemeinsame Sprache zu sprechen, besonders in der Karibik bedingt durch die Sklaverei (aber einige Linguisten diskutieren auch, ob Englisch eine solche Kreolsprache aus Franko-Normannisch und Sächsisch ist...). Hier entwickelt sich oft ein strukturell und lexikalisch vereinfachtes Pidgin, das in der Tat eine Verarmung des Ausdrucksvermögens darstellt. ABER: Wenn diese Situation über Generation anhält, wird das Pidgin für Neugeborene ja zur Muttersprache (die alten Sprachen wurden aufgrund der hohen Fluktuation der Sklaven vergessen, die Hochsprache konnte wegen mangelnden Sprachkontakts nicht erlernt werden). Das Interessante ist nun, dass in dieser Situation das reduzierte Pidgin zu einer vollwertigen Sprache, mit ebenso differenzierten Ausdrucksmöglichkeiten ausgebaut wird, wie die anderen Sprachen. Noch interessanter ist, dass diese Kreols, weltweit und unabhängig voneinander sehr ähnliche Strukturen bilden. Es gibt radikale Kreolisten, die daraus ableiten, dass die Kreolsprachen der Ausdruck der menschlichen Hirn angelegten logischen Strukturen sind. Ich denke also, bei muttersprachlichem Spracherwerb gibt es keine wirkliche Verarmung, die Menschen schaffen sich immer ihre sprachlichen Mittel, um die relevante Kommunikation zu bewältigen.
Ein Riesenproblem ist dagegen die doppelte Halbsprachlichkeit: Das sind Menschen, die bilingual aufgewachsen sind, bei denen die biliguale Erziehung aber schief gegangen ist. Ergebnis: keine wirkliche Muttersprache.
Leider ist das allerdings ein immer häufigerer Befund, über dessen Implikationen man trefflich streiten kann.

Liebe Grüße,
Uli
Zuletzt geändert von El Che am Do 17.05.07 12:33, insgesamt 2-mal geändert.

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Homer J. Simpson
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Beitrag von Homer J. Simpson » Do 17.05.07 12:29

Etymologie ist was HOCHinteressantes, ich habe als Klo-Lektüre (wenn nicht gerade mal wieder jemand aufgeräumt hat, grmbl...) oft das Etymologische Wörterbuch auf dem Örtchen liegen, da kann ich prima drin schmökern (schmökern ist z.B. Intensivform zu niederdeutsch schmöken = rauchen, vgl. to smoke).
Zur kulturellen Macht der Sprache fällt mir immer der alte Witz ein:

"Ich strafe meine Frau mit guten Worten", sagte der Pfarrer und warf ihr das Gesangbuch nach.

Homer
Wo is'n des Hirn? --- Do, wo's hiig'hört! --- Des glaab' i ned!

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chinamul
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Beitrag von chinamul » Do 17.05.07 13:05

Hallo Uli!

Es ist wohl ein Unterschied, ob man, durch die Umstände gezwungen, zur Verständigung über Sprachgrenzen hinweg eine neue Sprache entwickelt, oder ob man als Muttersprachler eine hochentwickelte und überaus differenzierte Sprache wie das Deutsche im täglichen Umgang mit ihr gedankenlos verludern läßt.
Was aus dem ursprünglichen Pidgin im Laufe der Zeit gemacht wurde, ist sicher eine höchst bemerkenswerte kulturelle Leistung, wobei allerdings offenbleibt, ob sich damit auch komplexere und abstrakte Sachverhalte angemessen ausdrücken lassen.
Was ich in erster Linie beklage, ist eine allgemeine Gleichgültigkeit gegenüber der eigenen Sprache. Es gilt überhaupt nicht mehr als Makel, wenn man im Deutschen nicht mehr zu Hause ist. Peter43 hat schon recht, wenn er auf die zunehmende Beliebigkeit beim Sprechen und Schreiben verweist, wie überhaupt eine schleichende Erosion gesellschaftlicher Normen auf allen Gebieten des Zusammenlebens festzustellen ist.

Gruß

chinamul
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Beitrag von El Che » Do 17.05.07 13:49

Peter43 hat schon recht, wenn er auf die zunehmende Beliebigkeit beim Sprechen und Schreiben verweist, wie überhaupt eine schleichende Erosion gesellschaftlicher Normen auf allen Gebieten des Zusammenlebens festzustellen ist.
Hallo chinamul,

ich denke genau wie Du, dass dies das Kernproblem ist, denn - wie gesagt:
die Menschen schaffen sich immer ihre sprachlichen Mittel, um die relevante Kommunikation zu bewältigen.
WAS aber relevante Kommunikation ist, wird ja eben durch gesellschaftliche Normen festgelegt und deren Verfall beklage ich ebenso wie Du - als Lehrer ist man diesbezüglich letztlich "am Puls der Zeit" und macht sich über so einiges Gedanken...

Andererseits - und darauf zielte mein Hinweis in Sachen "Demokratie" ab - haben wir ja eben alle Einfluß darauf, v.a. wenn wir täglich entscheiden, was wir ökonomisch unterstützen (Welche Bücher kaufe ich? Welche schwachsinnigen Fernsehsendungen schaue ich mir an? Für welche Software gebe ich Geld aus?). Ich finde es ebenso wie du bedauerlich, wenn die Mehrheit hier andere Normen setzt, letztlich muss man es aber eben hinnehmen, ebenso wie bei einer Wahl.

Ich denke übrigens auch - anders als ihr - dass die Forderung nach einer einheitlichen, verbindlichen Hochsprache (inklusive klarer Rechtschreibung etc.) historisch eine originär linke Forderung ist. Sie wurde z.B. in der Französischen Revolution im Zeichen der Gleichheit von den Radikalen blutig in den Provinzen durchgesetzt. Denn nicht die in öffentlichen Schulen unterrichtete verbindliche Hochsprache ist ein soziales Machtinstrument (sie ist ein Selektionsinstrument nach LEISTUNG, nicht nach HERKUNFT, wie es in der bürgerlichen Leistungsgesellschaft sein sollte!), sondern eben Dialekt/Soziolekt, der sofort auf eine Herkunft verweist und somit den Zugang zu gewissen Funktionen ausschließt.

So, das wars jetzt aber auch zur eigentlich schon lange Off-Topic-Diskussion,
Liebe Grüße,
Uli

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Beitrag von chinamul » Do 17.05.07 14:27

Trotzdem war es gut, daß wir mal drüber geredet haben.

Gruß

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Beitrag von kollboy » Do 17.05.07 20:54

als dialektliebhaber MUSS ich nochmal meinen senf dazugeben:
nicht der dialekt disqualifiziert den sprecher fuer eine gesellschaftliche position, sondern das niedrige ansehen, das diesem in verkennung seiner wichtigkeit und massgeblichkeit und wohl auch als folge eines gewissen "bildungs"snobismus von vielen entgegengebracht wird!

lebende und lebendige sprachen naehren und entwickeln sich nicht aus der kuenstlichen und eigentlich toten, verschriftlichten hochform heraus, sondern aus dem theod-isc (= deutsch, von theod = volk, isc= unsere adjektivierende endung -isch), also aus der volkssprache heraus.
und sprache kommt von sprechen, nicht von schreiben! verschriftlichung ist immer nur eine hilfsfunktion, eine konserve von gesagtem, quasi wie das ausstopfen von tieren im naturkundlichen museum. die eigentliche sprache, das lebendige und fruchtbare aber ist das, was uns auf der strasse entgegenschallt.

und mit unseren neuen medien, die nicht mehr der schrift beduerfen, um sprache orts- und zeitunabhängig verfuegbar zu machen, kratzen wir lediglich wieder die kurve zu einem zustand, der seit der entwicklung der sprache nur fuer eine ein paar jahrhunderte dauernde episode der dominanz der schrift zurückgedrängt wurde: es gilt wieder wie eh und je das gesprochene wort!

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Beitrag von Peter43 » Do 17.05.07 22:35

Na ja! Soviel spricht die SMS-Generation ja auch nicht miteinander! Und in vielen Familien breitet sich leider auch eine Verstummung aus. Vor einem halben Jahr begegnete mir ein ca. 20jähriger Patient, der nicht einmal mehr die Namen für alle seine Finger wußte. Aber wozu braucht man die noch in einer sich wandelnden Welt? :wink:
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