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Taman Imitationen

Verfasst: Mi 27.01.16 19:58
von Tejas552
Hier mal was ganz esoterisches - Taman Imitationen, oder Münzen des Unbekannten Volkes oder Münzen der Krimgoten oder wie auch immer man sie in der Literatur bezeichnet. Diese Münzen imitieren einen einzigen Typ Denar von Marcus Aurelius mit dem Bild des "gehenden Mars" auf der Rückseite.

Das Wirrwarr auf der Vorderseite ist also der Kopf von Marcus Aurelius nach unzähligen Iterationen von Imitationen ohne das den Stempelschneidern noch ein Original vorlag. Die Rückseite zeigt ein Männchen mit merkwürdigen Dreiecken als Arme. Eigentlich sind es die Arme, die eine Lanze quer vor dem Körper halten. Daneben ist ein Kreuz und ein Kreis. Die Kreuz und Kreis-Kombinationen wechseln ständig und hatten, so wird vermutet eine bestimmte Bedeutung.

Diese Münzen wurden vom Anfang des 3. Jahrhunderts bis zur Mitte des 4. Jahrhunderts geprägt. Sie wurden in grosser Zahl in Schatzfunden auf der Krim und der Taman-Halbinsel zutage gefördert. Trotzdem sind sie im westlichen Handel kaum zu bekommen (und wenn wird sie wohl auch niemand (ausser mir) wollen). Ich habe eine ganze Sammlung von 26 Exemplaren und kann mir kaum vorstellen, das irgendjemand im Westen mehr dieser "hässlichen" Münzen hat.

Die vorliegende Münze gehört wohl in die Mitte des 3. Jahrhunderts.

Gruss
Dirk

Re: Taman Imitationen

Verfasst: Mi 27.01.16 20:01
von beachcomber
erinnert stark an die münzen der kelten!
grüsse
frank

Re: Taman Imitationen

Verfasst: Mi 27.01.16 20:04
von Peter43
Hochinteressant, danke! Krimgotisch wurde übrigens noch bis ins 17./18. Jahrhundert gesprochen.

Jochen

Re: Taman Imitationen

Verfasst: Mi 27.01.16 20:09
von Tejas552
Hallo Frank,

ja, stimmt. Sie sehen keltisch aus, aber Zeitstellung und Ort des Auftretens schliessen die Kelten als Urheber aus. In der russischen Literatur heissen sie "Münzen des unbekannten Volkes". In den letzten Jahren werden sie zunehmend den Krimgoten zugeordnet. Ich halte diese Zuweisung aber für fragwürdig. Schliesslich hatten die Goten zum Zeitpunkt des ersten Auftretens dieser Münzen die Taman-Halbinsel noch nicht erreicht. Für die Goten, oder zumindest ein Volk aus dem Westen sprechen allerdings einige andere Indizien. So ganz wird man das wohl nie lösen können.

Hier ist ein zweites Stück, dass wohl ganz grob gesagt an den Anfang des 4. Jh. gehöhrt. Immer noch der Kopf von Marcus Aurelius und der gehende Mars mit Lanze, aber praktisch nicht mehr erkennbar.

Gruss
Dirk

Re: Taman Imitationen

Verfasst: Mi 27.01.16 20:17
von Tejas552
Peter43 hat geschrieben:Hochinteressant, danke! Krimgotisch wurde übrigens noch bis ins 17./18. Jahrhundert gesprochen.

Jochen
Hallo Jochen,

der letzte Nachweis des Krimgotischen datiert ins 16. Jahrhundert. Ein flämischer Diplomat in Konstantinopel traf dort auf einen Krimgoten und einen Griechen von der Krim, die ihm einige Wörter und Sätze mitteilten. Allerdings war die Sprache wohl schon zu diesem Zeitpunkt nur noch wenig verbreitet. Der Krimgote selber sprach gar kein Gotisch mehr. Nur der Grieche wusste noch einige Wörter. Die letzten Christen wurden am Ende des 18. Jh. durch Katharina der Grossen von der Krim evakuiert. Darunter wohl auch die letzten Krimgoten, von denen einige zu diesem Zeitpunkt tatsächlich noch eine germanische Sprache gesprochen haben sollen.

Gruss
Dirk

Re: Taman Imitationen

Verfasst: Mi 27.01.16 20:39
von Peter43
Danke für diese detaillierte Information. Ich hatte mich mal für die Krimgoten interessiert, aber das ist schon lange her. Ich habe nur noch in Erinnerung, daß sich jemand, der sich für Gotisch interessiert, mit dem Finnischen beschäftigen muß.

Jochrn

Re: Taman Imitationen

Verfasst: Mi 27.01.16 22:03
von Posa
... naja, besser wäre es da, sich mit dem Gotischen zu beschäftigen :wink: Im Ernst, da das eine eine germanische Sprache und das andere eine finno-ugrische gibt es ein paar grammatische Parallelen (aber mehr gravierende Unterschiede) und ein paar germanische Lehnwörter im Finnischen, aber das wars dann auch schon.

Ich hatte Gotisch an der Uni. Da ist die erste Hürde das richtig Lesen, wenn das geschafft ist, wird es bedeutend leichter, da die Text quasi nur Bibelstellen sind, bei denen sich der Großteil des Wortschatzes dauernd wiederholt und viele Sätze immer gleich aufgebaut sind.

Hier mal ein schönes PDF zum "Vaterunser" http://www.fb10.uni-bremen.de/khwagner/ ... otisch.pdf Da kann man ziemlich viel erschließen...

Gruß Posa

P.S.: Großartige Münzen Dirk, danke fürs Zeigen!

Re: Taman Imitationen

Verfasst: Mi 27.01.16 22:37
von Tejas552
Besser als Gotisch lesen ist Gotisch hören. Hier ist die, meiner Meinung nach beste Lesung eines Gotischen Textes:

https://www.youtube.com/watch?v=zkYJYrYFVz8

Gruß
Dirk

Re: Taman Imitationen

Verfasst: Do 28.01.16 05:24
von Posa
Jep, der kann das richtig flüssig! Respekt.

.. aber warum zum Kukuck sieht der gotische Priester aus wie Obi-Wan? Oder ist es etwa anders rum? :D

Gruß Posa

Re: Taman Imitationen

Verfasst: Do 28.01.16 07:50
von justus
beachcomber hat geschrieben:erinnert stark an die münzen der kelten!
grüsse
frank
Dem möchte ich doch widersprechen. Die strichmännchenhaften Zeichen der „Taman-Imitationen“ mit der kulturell hochstehenden, fast schon an moderne abstrakte Kunst erinnernden Symbolik auf Münzen der Kelten (Kernland = Süddeutschland, Gallien etc.) zu vergleichen erscheint mir etwas fragwürdig. Mich erinnern diese (zweifellos sehr interessanten) Imitationen stilistisch eher an die barbarisierten „VLPP-Imitationen“ aus dem Balkanraum.

Re: Taman Imitationen

Verfasst: Do 28.01.16 08:29
von Tejas552
Posa hat geschrieben:Jep, der kann das richtig flüssig! Respekt.

.. aber warum zum Kukuck sieht der gotische Priester aus wie Obi-Wan? Oder ist es etwa anders rum? :D

Gruß Posa
Der Vergleich mit Obi-Wan ist gut. Ich hatte den selben Gedanken :-)

Die Zuordnung zu den Goten, bzw. Krimgoten wird zunehmend akzeptiert. Dabei wird in Auktionskatalogen sogar immer auf einen Artikel verwiesen, den ich 2006 im Celator Magazin dazu veröffentlicht habe. Allerdings habe ich diese Zuweisung in meinem Artikel eher in Frage gestellt. Das wichtigste Gegenargument ist die Zeitstellung. Nach Archäologenmeinung hatten die Goten die südliche Krim, geschweige denn Taman Anfang des 3. Jh. noch nicht erreicht. Zudem ist der Fundschwerpunkt Taman und nicht die Krim. Allerdings gibt es Faktoren die für die Goten (oder vielleicht eher Sarmaten oder Alanen aus dem Nordwesten) sprechen.
Funde von Taman-Imitationen sind nie mit den Statern des bosporanischen Reiches vermischt. Sie haben auch keinen Bezug zu den bosporanischen Münzen und wirken in ihrem Umfeld völlig fremd. Der Bezug zu den Denaren des Marcus Aurelius lässt sich auch nördlich des Schwarzen Meeres erkennen. Diese Münzen waren bei den dortigen Völkern sehr beliebt und wurden fleissig imitiert. Im Raum Krim-Taman existiert ansonsten keine Tradition von Imitationen römischer Münzen. Möglich also, dass eine kleine gruppe von Goten, Sarmaten oder Alanen römische Denare des Marcus Aurelius in die Region brachte und diese dann, ohne weiteren Kontakt zu römischen Münzen, über einen langen Zeitraum von fast 200 Jahren bis zur völligen Unkenntlichkeit imitierten.

Gruss
Dirk

Re: Taman Imitationen

Verfasst: Do 28.01.16 08:47
von harald
Ein hochinteressantes und faszinierendes Sammelgebiet, wo es sicher noch weitaus mehr zu entdecken gibt, als bei den Kelten.
So wie Justus erinnern sie mich auch sehr an die barbarisierten VLPP-Imitationen aus dem unteren Donauraum.
Die Gemeinsamkeit zu den Kelten besteht sicher darin, dass die Stempel offensictlich mehrmals umgeschnitten wurden, ohne dass der Stempelschneider den Erststempel kannte und auf diese Weise der Grad der Stilisierung ständig größer wurde.

Welche Legierung wurde verwendet.
War es möglicherweise auch zu Beginn eine Kupferlegierung mit Silberanteil, oder sogar reines Silber, dessen Anteil später zunehmend verringert wurde?

Grüße
Harald

Re: Taman Imitationen

Verfasst: Do 28.01.16 10:07
von Tejas552
Hallo Harald,

die Serie lässt sich tatsächlich in mehrere Gruppen unterteilen. Über die Zeit wurden die Legierungen immer schlechter und die Darstellungen immer barbarisierter. Die erste Gruppe aus relativ gutem Silber und einigermassen realistischen Darstellungen ist sehr selten. Ich habe selber kein Exemplar. Es folgten Prägungen in Billon (die erste Münze oben) und die bei weitem Grösste Zahl wurde in Bronze, Kupfer und zum Teil auch Messing geprägt. Ich werde in den nächsten Tagen noch Beispiele zeigen. Bei der vermutlich letzten Gruppe ist der Schrötling um die Hälfte geschrumpft, die Darstellungen sind völlig aufgelöst und das Metall ist Bronze. Die Datierung dieser Münzen beruht übrigens auf mehreren Schatzfunden, die von Archaeologen gehoben werden konnten.

Gruss
Dirk

Re: Taman Imitationen

Verfasst: Do 28.01.16 10:41
von harald
Hallo Dirk!

Vielen Dank für die Info´s.
Also eine weitere Parallele zu den Prägungen der Kelten, wo der Feingehalt mit zunehmender Dauer ständig sank und die frühesten Exemplare aus hochwertigem Silber und Gold wohl infolge ihres Feingehalts eineschmolzen wurden und deshalb sehr selten sind.

Grüße
Harald

Re: Taman Imitationen

Verfasst: Mo 21.03.16 21:06
von Tejas552
Falls sich hier jemand für Taman-Imitationen interessiert. Ich habe meinen Artikel dazu auf Academia.edu hochgeladen


https://www.academia.edu/23523766/Taman ... own_People_

Gruss
Dirk