Die Lupa Romana
Die römische Wölfin ist wohl das bekannteste
Symbol für die Stadt Rom. Ungebrochen seit der römischen Zeit verkörpert die Lupa Romana die göttliche Herkunft des Stadtgründers Romulus, den Sohn des Kriegsgottes Mars, sowie des Ewigkeitsanspruchs, der aeternitas, der Stadt und des Imperiums. Sie ist nicht nur ein ausserordentlich beliebtes Motiv auf Münzen und Medaillen, sondern wurde auch als Propaganda von Mussolini verwandt und diente als Emblem den olympischen Spielen 1960. Allgegenwärtig ist das Muttertier beim Säugen von Romulus und Remus im Stadtbild Roms: an den Lieferwagen des Frischmilchvertriebs von Lazio, als Emblem an den Eimern der städtischen Müllabfuhr und an den Schals und Tattoos der Tifosi von SR Roma.
Die Lupa Romana steht eng mit der
mythologischen Stadtgründung in Verbindung, von der es einige Versionen gibt. Die bekannteste erzählt Fabius Pictor, wonach die beiden Zwillinge Romulus und Remus in einem Floß auf dem Tiber ausgesetzt wurden, das schliesslich am Palatin strandete. Ein Wölfin, ein dem Mars heiliges Tier, fand die beiden und säugte sie, bis sie schliesslich von dem Hirten Faustulus und dessen Frau aufgezogen wurden. Als sie erwachsen waren, gründeten sie eine neue Stadt. Da sie sich friedlich nicht einigen konnten, wer die Stadt regieren sollte, tötete Romulus seinen Bruder im Laufe eines Streits. König der neuen Stadt wurde Romulus, nach dem die Stadt Rom benannt ist.
Die kapitolinische Wölfin
Der aufmerksame Romreisende wird sicherlich an jene
Bronzegruppe denken, die er beim Besuch des Kapitols und der
Kapitolinischen Museen entdeckt hat. Die bildgewordene Rom-Gründung, das Sinnbild der Romanità hat allerdings einen Haken. Noch vor wenigen Jahren galt die Kapitolinische Wölfin unbestritten als etruskisches Werk. Zweifel tauchten auf, als die Lupa für das Jubeljahr 2000 im neuen Glanz erstrahlen sollte. Die Restauratoren entdeckten, dass die Bronze nicht antik sein kann, weil es sich um ein Wachsschmelzverfahren in einem Guss handelt; eine Technik, die erst im christlichen Mittelalter aufkam. Aufschluss über das tatsächliche Alter der Figur gab dann 2012 eine Radiokarbon-Untersuchung:
Die Bronzeskulptur entstand erst im 11. oder 12. Jahrhundert.
Aber wer ist dann diese Wölfin, die uns so unverwandt und zähnebleckend entgegenblickt?
Es könnte sich um das Wappentier der Grafen von Tusculum handeln, die im Hochmittelalter zu Roms führenden Patriziern gehörten. Acht Päpste stellte die Familie, die es darüber hinaus verstand, die Kurie über Mätressenwirtschaft gefügig zu halten. Dieser Typ von Nobilität war der geborene Feind republikanisch gesinnter Bürger. 1191 griffen römische Bürgermilizen die Stadt Tusculum an und zerstörten sie zusammen mit der Burg der Grafen. Die Kapitolinische Wölfin, in der wir das ehrwürdige Symbol von Senat und Republik von Rom verehren, könnte also eine Kriegstrophäe von Bürgern sein, die einen Adelssitz geplündert hatten.
Eine andere These mit politischem Hintergrund besagt, dass die Römer die Statue selbst gegossen haben sollen. In den Jahren 1143/1144 kam es in Rom zu Aufständen der Stadtbevölkerung gegen die Stadtherrschaft des Papstes. Die römischen Bürger besonnen sich ihrer antiken Vergangenheit und errichteten einen neuen Senat, der von nun an vom Kapitol aus die Geschicke der Stadt lenken sollte. Die mittelalterliche Nachbildung der Wölfin war damit ein klares Signal an den Papst: Die Römer sahen sich als Nachfahren von Romulus und Remus, als freie und selbstbestimmte Bürger.
Dass die Zwillinge unter den Zitzen der Lupa aus der Renaissance stammen, hatte man schon länger gewusst. Sie entstanden im Auftrag von Papst Sixtus IV, der die Bronze im Jahr 1471 auf das Kapitol versetzen ließ. Damit bekräftigte der Pontifex, dass er nicht nur der Oberhirte über die Christen auf dem Erdkreis, sondern auch der weltliche Herrscher Roms sei.
Die antike Lupa-Zwillinge-Gruppe
Und was ist mit jener Bronzewölfin, von der Titus Livius, Cicero, Dionysios von Halikarnass und andere berichten? In der Tat hatte mindestens eine im alten Rom gestanden. Nach einer literarisch bezeugten Weihung durch ogulnische Aedile im Jahre 296 v.Chr. befand sich ein
Monument der Lupa-Zwillinge-Gruppe im Lupercal, einer Höhle am Fusse des Palatin, neben der Ficus Ruminalis. Diese Statuensetzung ist der erste chronologisch ganz sichere Anhaltspunkt für die Verbreitung der Zwillingslegende in Rom überhaupt. Derselbe Quintus Ogulnius Gallus, der zusammen mit seinem Bruder als Aedil die Aufstellung der Statuengruppe veranwortet hatte, liess wohl als Konsul im Jahre 269 v.Chr. die erste römische Silbermünze mit dem Bild der die Zwillinge säugende Wölfin schmücken. (vgl. auch unten: "Die römische Wölfin auf den Münzen")
Ebenfalls soll auf dem
Comitium am Forum Romanum eine solche Gruppe gestanden haben, wie Plinius erzählt. Weiterhin berichtet Cicero von der Statue einer Wölfin, die im Jahr 65 v. Chr. von einem Blitz getroffen wurde. Nach den antiken Zeugnissen wendet sich das mütterliche Tier stets besorgt nach den Kleinen um, und sieht damit ganz anders aus als die oben erwähnte Kapitolinische Wölfin. Ob es sich tatsächlich um zwei verschiedene Monumente gehandelt hat, oder ob die Gruppe im Laufe der Zeit ihren Standort gewechselt hat, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden.
Nach Klaus Stefan Freyberger (Das Forum Romanum) stand die Gruppe auf dem Comitium in unmittelbarer Nähe zur Ficus Ruminalis und der Statue des Marsyas. So wird der ein oder andere gleich an die
Abbildung auf den plutei traiani denken. Hier sind nur die erwähnten beiden abgebildet, doch das Fehlen der Lupa-Zwillinge-Gruppe bedeutet nicht, dass sie nicht auch zu trajanischer Zeit dort stand. Es fällt auf, dass die Kulisse des Forum Romanums zwar baulich korrekt wiedergegeben ist, aber aus der ungeheueren Fülle von Monumenten, die in trajanischer Zeit auf der Platzanlage standen, nur Marsyas und der Feigenbaum abgebildet sind. Diese zeugen von Libertas und Liberalitas und stehen damit im Kontext der gesamten Darstellung, die in ihrem Hauptmotiv die Alimentatio Italiae und die Adlocutio beschreiben. Die Abbildung der Wölfin mit den Zwillingen als Sinnbild der Stadtgründung hätte bei diesem politisch propagandistischen Hintergrund keinen Sinn ergeben.
Über den Verbleib der originalen lupa-Zwillinge-Gruppe trägt Maria Radnoti-Alföldi Indizien zusammen, wonach sie zunächst 455 n.Chr. von den Vandalen geraubt und nach Karthago verbracht worden, nach der Rückeroberung Nordafrikas in Belisars Triumph nach Konstantinopel gekommen sei, wo sie, zusammen mit vielen anderen antiken Monumenten, im Hippodrom gestanden habe - bis sie 1204 der Eroberung durch die westlichen Kreuzfahrer zum Opfer fiel. Sie soll im Schmelzofen gelandet sein, um daraus Kupfermünzen zu schlagen.
"La Lupa del Campidoglio"
Es gab sogar noch eine weitere römische Wölfin, von deren Existenz die meisten jedoch nichts wissen, da sie schon in der zweiten Hälfte der 1950'er verschwand. Am 28. August 1872 beschloss der Stadtrat von Rom unter dem Vorsitz des Bürgermeisters Pietro Venturi, eine
lebende Wölfin als Wahrzeichen Roms auf dem Kapitolshügel in einer speziellen Hütte unterzubringen und sogar die Kosten für ihren Unterhalt festzulegen; 23,50 Lire pro Monat. Er stellte dafür einen Hausmeister ein, der nicht weit entfernt eine Wohnung hatte.
Das war nicht das erste Mal, dass ein lebendes Wildtier als Symbolträger Einzug in die ewige Stadt fand. Bereits zu Beginn des fünfzehnten Jahrhunderts wurde auf dem Kapitol ein Exemplar eines Löwen, damals das Symbol der Stadt, aufbewahrt. Es dauerte nicht lange, bis es dem Tier an einem Sonntagmorgen im Jahr 1414 gelang, die Freiheit zu erlangen und mehrere Kinder zu töten oder zu verstümmeln.
Die Wölfin wurde sofort zu einer Attraktion, vor allem für die Kleinen, die stehen blieben, um sie beim Hin- und Hergehen in dem engen, feuchten und dunklen Käfig zu beobachten. Sein Verhalten ist der Ursprung des Ausdrucks "me pari la lupa der Campidojo", der in Rom von einem ruhelosen Menschen, der nicht stillstehen kann, verwendet wird.
Anfänglich hatte der Wolf sein Domizil gleich neben der
Cordonata, der grossen Freitreppe Michelangelos, die zum Kapitolsplatz führt. Der Platz war in etwa dort, wo heute die Rienzi-Statue steht.
https://www.romasparita.eu/foto-roma-sp ... pitolina-2
1935 verlegte man den Käfig dann direkt an die
Via Teatro di Marcello am Abhang des Tarpejischen Felsens, wo die arme Kreatur nun auch noch dem Verkehrslärm der grossen Strasse ausgesetzt war. Zu allem Überfluss kam jetzt auch noch ein Adler hinzu, der in einem weiteren Käfig zur Schau gestellt wurde. Der Ort liegt in etwa zwischen dem Kapitol und dem Marcellustheater. Grundsätzlich steht eine Unmenge an Stadtbussen nebst einer grossen Anzahl hektischer Passanten genau davor, so dass man meist achtlos vorübergeht.
https://www.romasparita.eu/storia-cultu ... ila-romana
Es sollte bis 1954 dauern, als eine gerade mal dreijährige Wölfin nach kurzer Qual und trotz der Fürsorge des Zootierarztes Dr. Bartolino verendete und heftige Diskussionen in der Stadt auslöste. Trotz der zahlreichen Inventionen wurde nur der Käfig vergrössert und artgerechter ausgestattet; statt der Wölfin fiel die Wahl nunmehr auf ein männliches Tier. Doch einige Jahre später endete der Brauch dann glücklicherweise endgültig, und der leere Käfig wurde von einem Baum beschattet, den Prinz Baldassarre Odescalchi 1911 aus Argentinien mitbrachte.
https://www.google.de/maps/@41.893169,1 ... 312!8i6656
Die Ficus Ruminalis
Der Legende nach Plutarch zufolge wurden Romulus und Remus unter einem
Feigenbaum am Tiber gefunden, wo sie die Wölfin fand und säugte - der Name wird meist von (alt)lateinisch rumis ("Zitze") abgeleitet. Eine andere These berücksichtigt die jüngere lateinische Übersetzung mit "Mamma". Beides meint nicht die Brüste, sondern nur die Brustknospe. In Verbindung mit Feigengewächsen hatte das schon im alten Ägypten seine Bedeutung. Ritzt oder schneidet man sie, läuft weisser Milchsaft aus. Feigenbäume wurden als nährende Mütter gesehen. Ist die Ficus also ein säugender Baum, ein "Zitzenbaum"? Kein Wort davon - die Säugende ist ja die Wölfin, aber sie wird nicht "ruminalis" genannt!
Ebenso wie die Statuengruppe der Wölfin mit den Zwillingen ist auch für die Ficus Ruminalis der
Standort des Comitiums überliefert. Dieser ist auf den
plutei traiani abgebildet.
"Mit Verehrung gepflegt wird ein Feigenbaum, der auf dem Forum selbst, und zwar auf dem Versammlungsplatz (comitium) gewachsen ist, [...] daneben ist ein Wunderbild in Erz geweiht, als wäre der Feigenbaum selbst zum Versammlungsplatz gekommen, wobei Attus Navius Augur war." (Plinius)
Auch soll eine
Ficus Ruminalis am Lupercal gestanden haben, wie Ovid berichtet. Nach Wisemann bildeten die beiden Bäume möglicherweise sogar die Endpunkte des Luperkalienlaufes und standen somit auch in einer rituellen Beziehung.
Wenn der Baum einging, wie nach Tacitus Überlieferung in der Regierungszeit Neros geschehen war, galt das als ausserordentlich schlechtes Omen und sorgte für entsprechende Unruhe. Die Priester hatten dann schnell einen neuen Setzling auszubringen. Plinius beschreibt diese Neupflanzung als eine übliche Praxis. Die rituelle Neupflanzung verdeutlicht die zentrale Bedeutung des Baumes als Symbol der Fortdauer des römischen Staates.
Im 20. Jahrhundert wurden auf dem Comitium wieder drei Feigenbäume am mutmaßlichen Standort angepflanzt.
Die römische Wölfin auf den Münzen
Das Beste natürlich zum Schluss. Zahlreich sind die Münzabbildungen der Lupa Romana mit den Zwillingen auf den Prägungen der römischen Zeit, die von der Republik bis in die späte Kaiserzeit reichen. Die älteste Darstellung finden sich auf
republikanischen Didrachmen von ca. 269 v.Chr. Diese in Anlehnung an die hellenistische Welt geschaffenen Silbermünzen begünstigten den Aufstieg Roms zu einem wichtigen Handelszentrum der antiken Welt. Geprägt wurden sie auf Betreiben des Konsuls Quintus Ogulnius Gallus, der als als kurulischer Ädil aus Strafgeldern für Wucher 296 v.Chr. das bronzene Denkmal der Lupa-Zwillinge-Gruppe 296 errichten liess. (Vgl. oben: "Die antike Lupa-Zwillinge-Gruppe")
Abb.: H. Luckenbach, Kunst und Geschichte. Große Ausgabe, 1. Teil: Altertum. München/Berlin 9. Aufl. 1913, 108.
Eine der interessantesten Prägungen stammt aus dem Jahr 137 v.Chr. Ein
republikanischer Denar des Münzmeisters Sextus Pompeius Faustulus zeigt auf seiner rückseitigen Darstellung das gesamte Ensemble der römischen Wölfin mit den Zwillingen nebst der Ficus Ruminalis. Am linken Rand kann man gerade noch den Hirten Faustulus erkennen, der als Urahne der Familie des Monetarius gilt. Dieser gehörte der gens Pompeia an, die aus Picenum nordöstlich von Rom stammte. Der Name der Landschaft wird von picus (Specht), dem Mars heiligen Vogel, abgeleitet, und so ist es nicht abwegig zu behaupten, dass auf dem Feigenbaum auch ein ebensolcher Vogel zu erkennen ist. Somit vermittelt die Münze nicht nur einen Eindruck des Monumentes, sondern erzählt einen Teil der mythologischen Gründungsgeschichte Roms und verweist nebenbei noch auf die Herkunft des Münzmeisters. Mehr kann man auf einem gut 19 Milimeter kleinen Silberstück wohl kaum abbilden.
Sextus Pompeius Faustulus
Denar
Rom
137 v. Chr.
Av.: Kopf der Roma n.r., rechts X, links Kanne
Rev. Lupa Romana und die Zwillinge, links Faustulus, im Hintergrund die Ficus Ruminalis mit Specht, rechts SEX.PO [FOSTLVS], im Abschnitt ROMA
3,87 Gr.
Cr. 235/1
Syd. 461
Übrigens, eine Darstellung der Lupa-Zwillinge-Gruppe findet sich auch auf auf der Hafenszene des berühmten Torlonia-Reliefs. Das Orginal ist vom 04.04.2020 bis zum 10.01.2021 im Kapitolinischen Museum in Rom im Rahmen der Sonderausstellung "The Torlonia Marbles - Collecting Masterpieces" zu bewundern.
http://www.museicapitolini.org/en/node/1006712
Roma bella mi appare...