Meine Münze des Jahres 2021 ist natürlich ein Grieche
, und zwar diese kleine, nicht mehr sonderlich ansehnliche Bronzemünze aus Motya ganz am Westrand von Sizilien.
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Avers: Kopf einer Nymphe mit wehenden Haaren, dreiviertel nach rechts blickend
Revers: männlicher bartloser Kopf nach links
2,7 g, 12 mm, 400-397 v. Chr.
BMC Sicily, Seite 245, Nummer 20, allerdings Motya nur mit einem Fragezeichen zugeordnet und ohne Datierung:
https://archive.org/details/cataloguegr ... 8/mode/2up
Jean Babelon, "Catalogue de la collection de Luynes - monnaies grecques - I Italie et Sicilie", Paris 1924, Seite 205, Nummern 1052-55 mit Kopf auf dem Revers nach rechts, Tafel XXXVIII:
https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k ... /f223.item
Diese Exemplare wurden auf der Insel San Pantaleone (so heißt Motya heute) erworben, womit die Zuordnung zu Motya klar ist.
Alberto Campana, "SICILIA: MOTYA (425-397 a.C.)", Panorama Numismatico 135/1999 und 139-140/2000, S. 367-394, Nummer 27:
https://www.academia.edu/26925712/CNAI_ ... 25_397_a_C_
Gekauft hab' ich die Münze im Oktober auf der Münzmesse in Karlsruhe. Ich bin dort hingefahren, um überhaupt mal wieder auf eine Münzbörse zu kommen. Da Karlsruhe eher eine von den kleineren ist, waren meine Erwartungen aber gar nicht allzu groß.
Wie ich da von Tisch zu Tisch geschlendert bin (immer schön mit der Maske auf der Nase, es galt 3G
) stand ich auf einmal vor einem recht großen Wühlhaufen, in dem sich vom abgelutschten Spätrömer bis hin zur gegenwärtigen Heiligenmedaille von allem etwas fand, was die Numismatik der letzten zwei Jahrtausende zu bieten hatte, je Stück für 5 €. Nach kurzem Zögern, ob ich da überhaupt reinschauen will, hab' ich dann doch zu wühlen begonnen und bin schnell auf die Münze hier gestoßen. Ich hatte keine Ahnung, was das für eine war, sie sah aber interessant genug aus und 5 € sind dann auch kein Vermögen
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Zu Hause hab' ich mich dann etwa eine Woche lang immer wieder abgemüht herauszufinden, woher diese Münze denn stammt. Wenn so rein gar nichts draufsteht, ist das nicht immer leicht
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Durch Zufall bin ich dann auf ein Auktionsangebot gestoßen, bei dem es genau um den Typ hier ging:
https://www.biddr.com/auctions/mmgmbh/b ... &l=2283045
Wenn es das nicht gegeben hätte, wüßte ich vielleicht heute noch nicht, was ich da habe.
Motya war eine phönizische Gründung aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. (
https://de.wikipedia.org/wiki/Mozia) und lag auf einer etwa 45 Hektar großen Insel in Festlandnähe (ganz grob 700 Meter breit, 850 Meter lang), die in der Blütezeit der Stadt wohl vollständig überbaut war. Es gab auch einen künstlichen Damm zum Festland, dessen unter Wasser liegende Überreste man noch heute aus der Luft sehen kann (vom nördlichen Ufer nach Norden hoch verlaufend):
https://www.google.de/maps/@37.8743586, ... !1e3?hl=de
550 v. Chr. fiel Motya an Karthago, 397 v. Chr. wurde es von Dionysios I von Syrakus erobert und zerstört (fiel aber kurz danach wieder an Karthago). Danach lebten zwar weiterhin Menschen auf der Insel, der Siedlungsschwerpunkt verlagerte sich aber ans Festland in das neugegründete Lilybaion, das heutige Marsala.
Letzteres ist das Stichwort für die Ausgrabungsgeschichte von Motya
. Die beginnt in gewisser Weise im 19. Jahrhundert in Yorkshire mit der Familie Ingham, die durch den Handel mit Marsala zu Wohlstand gekommen war (das ist ein sizilianischer Süßwein, ähnlich dem von den Briten gleichermaßen geschätzten Portwein). Ein Teil der Familie zog dann zur Beförderung der Geschäfte direkt nach Sizilien, wo 1850 Joseph Whitaker geboren wurde (
https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Whitaker).
Joseph Whitakers Neigung war vor allem die Ornithologie, er veröffentlichte eine Reihe wissenschaftlicher Aufsätze darüber und besaß eine angeblich fast vollständige Sammlung aller auf Sizilien vorkommender Vogelarten (ausgestopft natürlich
).
Um die Vogelwelt auf Motya in Ruhe studieren zu können, kaufte er 1888 kurzerhand die gesamte Insel
. Dort stieß er dann auf antike Überreste und begann zu graben, archäologische Untersuchungen gab es seither bis in unsere Zeit.
Seine Nachfahren brachten sein Vermögen mitsamt der Insel Motya dann in die Stiftung "Fondazione Whitaker" ein (
https://www.fondazionewhitaker.it/?lang=en), der die Insel heute noch gehört.
So bin ich also mit dieser kleinen 5€-Münze von der phönizischen Besiedlung Siziliens, über die britische Vorliebe zu mediterranen Süßweinen sowie erstaunliche Lebensläufe aus dem 19. Jahrhundert bis hin zum Betätigungsfeld heutiger Stiftungen gekommen. So weit trägt mich nicht jede meiner Münzen
. (Und nein, eine Flasche Marsala hab' ich mir noch keine gekauft
.)
Gruß
Altamura