Historisch interessante Münzen

Alles was so unter den Römern geprägt wurde.

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Peter43
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Re: Historisch interessante Münzen

Beitrag von Peter43 » So 08.10.17 17:53

Das seltsame EIOVLI

Pick kannte eine Kleinmünze der Julia Domna aus Nikopolis ad Istrum, AMNG I/1 1486, mit der Legende IOVΛI[A - ΔO]MN[A] CЄ und der Rs. NIKOΠOΛIT ΠPOC ICTPON, Mondsichel und darüber ein Stern, unter der Mondsichel ein zweiter, kleinerer Stern. Er schreibt dazu: "Auf der Vs. scheint vor IOVΛI[A] ein E zu stehen; ob aber wirklich ЄIOVΛI[A] zu lesen ist, bleibt zweifelhaft." Leider ist die Münze nicht abgebildet. Sie scheint selten zu sein, da er sie nur in einem Ex. aus Bukarest kennt.

Pick kannte nur diesen einen Typ. Inzwischen kennen wir 4 verschiedene Typen, die aber alle mit dem selben Vs.-Stempel geprägt wurden.

Die Münzen:

(1)
Nikopolis ad Istrum, Julia Domna, 193-217
AE 17, 3.74g, 16.85mm, 195°
Av.: ЄIOVΛI - [Δ]OMN CЄ
drapierte Büste n. r.
Rv.: NIKOΠOΛIT ΠPOC ICTPON
Mondsichel mit 2 Sternen: ein Stern in der Höhlung, ein zweiter unter der Mondsichel
Ref.: a) AMNG I/1, 1486 corr. (schreibt IOVΛIA und ΔOMNA; 1 Ex., Bukarest)
b) Varbanov 2848 corr. (= AMNG 1486)
c) Hristova/Hoeft/Jekov (2017) No. 8.17.48.3 (diese Münze)
selten, fast SS, dunkelgrüne Patina
Pedigree:
ex CNG Electronic Auction 283, Lot 161

Dies ist der Typ, den Pick kannte. Die Legende der Vs. konnte er nur teilweise lesen. Er schreibt zwar IOVΛI[A - ΔO]MN[A] CЄ, es heißt hier aber deutlich und unzweifelhaft ЄIOVΛI - ΔOMN CЄ!

(2)
Nikopolis ad Istrum, Julia Domna, 193-211
AE 17, 3.15g, 16.95mm, 0°
Av.: ЄIOVΛI - [ΔOMN] CЄ
drapierte Büste n.r.
Rv.: NI[KOΠOΛI]T ΠPOC ICTPO
Großer 8-strahliger Stern mit Punkten an den Spitzen
Ref.: a) nicht in AMNG
b) nicht in Varbanov
c) Hristova/Hoeft/Jekov (2017) No. 8.17.48.6 (diese Münze)
sehr selten, S/S+, dunkelgrüne Patina, Legenden nur teilweise lesbar

(3)
Nikopolis ad Istrum, Julia Domna, 193-217
AE 17, 3.01g, 16.56mm, 225°
Av.: ЄIOVΛI - [Δ]OM[N] C[Є]
drapierte Büste n.r.
Rv.: NIKOΠO[ΛIT ΠPO]C ICTPON
Großer 8-strahliger Stern mit Punkten an den Spitzen
Ref.: a) nicht in AMNG
b) nicht in Varbanov
c) Hristova/Hoeft/Jekov (2017) No. 8.17.48.7 (diese Münze)
sehr selten, S/S+, dunkelgrüne Patina, Legenden nur teilweise lesbar

(4)
Moesia inferior, Nikopolis ad Istrum, Julia Domna, 193-211
AE 17, 2.65g, 17.34mm, 45°
Av.: ЄIOVΛI - [ΔOMN] CЄ
drapierte Büste n.r.
Rv.: NIKOΠOΛIT ΠPOC ICTPON
Korb mit Henkel, gefüllt mit Früchten (Äpfel?)
Ref.: a) nicht in AMNG
b) nicht in Varbanov
c) Hristova/Hoeft/Jekov (2017) No. 8.17.52.3 (diese Münze)
selten, S+, Rs. mit zentralem Patinaschaden wahrscheinlich durch Reinigung mit Drahtbürste

Dieses Phänomen gibt es auch in anderen Zusammenhängen. So zeigen z.B. einige Münzen des Commodus aus Nikopolis anstelle von ΠPOC ICTP das seltene ΠPOC ЄICTP (AMNG I/1, 1242), oder die Stadt ICTPOC am Schwarzen Meer wird zu ЄICTPOC. Da ich aber nicht weiß, ob es sich hierbei um griechische Nebenformen handelt, beschränke ich mich auf das ЄIOVΛIA.

Die Frage ist natürlich: Was bedeutet das Є? Ist es auch nur eine griechische Variante von IOVΛIA wie z.B. NЄIKOΠOΛITΩN anstatt NIKOΠOΛITΩN? Oder steckt mehr dahinter?

Zur Erklärung müssen wir einen Abstecher in die Linguistik, bzw. in die Sozio-Linguistik machen.

Übergeneralisierung:
Der Oberbegriff zu diesem Phänomen wird als Übergeneralisierung bezeichnet. Diese Phase wird beim Erlernen der Mutterspache von Kindern durchlaufen. Am häufigsten tritt sie auf, wenn starke, also unregelmäßige Verben grammatisch mit schwachen, regelmäßigen gemischt werden, z.B. "fliegte" oderr "trinkte". Bekannt ist ein Satz, den der Wissenschaftler Els Oksaar zitiert: "Opa hat gesitzt und gelest." Auch bei der Bildung von Pluralformen tritt sie auf. Ich werde nie vergessen, als ich im Medizinpraktikum neben dem Bett eines 3jährigen stand, der ein Bilderbuch betrachtete. Ich zeigte dann auf ein Bild und fragte ihn, was das seien. Er antwortete "Schäfe". Als ich ihn korrigierte "Schafe", belehrte er mich, daß das natürlich "Schäfe" seien. Und hatte er nicht recht? Beim Schwan sind es doch auch "Schwäne", beim Hahn "Hähne" und bei der Gans "Gänse".

Hyperkorrektur:
Das, was der Stempelschneider bei der Münze der Julia Domna mit ЄIOVLI gemacht hat, nennt sich Hyperkorrektur und wird als eine Form der Übergeneralisierung betrachtet. Es ist der Versuch, sich der herrschenden Sprachform anzupassen. Der Stempelschneider hatte in Erinnerung, daß die Griechen das lateinische I oft in ЄI verändern, daß sie z.B. Antiochia zu Antiocheia, Nicomedia zu Nikomedeia oder Seleucia zu Seleukeia machen usw. Also machte er I-OVΛIA zu ЄI-OVΛIA. Charakteristisch dabei ist, daß dieses Phänomen eine ausgesprochen soziale Komponente besitzt. Der Sprecher oder Schreiber will nicht als ungebildet auffallen und paßt sich an, hier dem Griechischen, so wie er es sieht. Hyperkorrektur wird typischerweise bei sozial Aufstiegswilligen beobachtet, die sich dem als Norm empfundenen Sprachgebrauch höherer Schichten anzupassen bemühen (Wikipedia). Aber er schießt dabei über das Ziel hinaus, es ist eben eine Hyperkorrektur. Und aus der Sicht der für vorbildlich gehaltenen Sprachnorm stellt dies einen Fehler dar (Wikipedia).

Etwas ähnliches habe ich persönlich bei der Aussprache deutscher Wörter beobachten können. Ich bin in Norddeutschland geboren worden und dort aufgewachsen, sozialisiert worden, wier man heute sagt. Dann hat es mich beruflich nach Süddeutschland verschlagen, und zwar in das Land der Schwaben. Das war schon ein Kulturschock. Lustig war es allerdings, als mir schwäbische Kollegen klarmachen wollten, daß ich einige deutsche Wörter nicht korrekt aussprechen würde, wobei doch die Norddeutschen so stolz auf ihr Hochdeutsch seien. Tatsächlich hat im Schwäbischen jemand, der Hochdeutsch spricht, einen arroganten Touch. Umso mehr freuten sie sich, mir klarmachen zu können, daß "Städte" mit "ä" geschrieben werden und deshalb auch mit "offenem" ä ausgesprochen werden müßten, und nicht mit "breitem" ee. Das gelte z.B. auch für die Aussprache von "Bären" und "Beeren". So ist es aber nicht. Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Aussprachen geschieht üblicherweise schon über den Sinn des Satzes (Wikipedia). Auch sie waren auf den Fehler der Hyperkorrektur hereingefallen.

Literatur:
(1) Pick, AMNG I/1, 1898
(2) Hristova/Hoeft/Jekov, Nicopolis ad Istrum, 2017
(3) Wikipedia
Dateianhänge
nikopolis_domna_HrHJ(2017)8.17.48.3.jpg
nikopolis_domna_HrHJ(2017)8.17.48.6.jpg
nikopolis_domna_HrHJ(2017)8.17.48.7.jpg
nikopolis_domna_HrHJ(2017)8.17.52.3.jpg
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Re: Historisch interessante Münzen

Beitrag von Peter43 » Di 23.01.18 20:53

Stesichoros, der Dichter

Es gibt eine Reihe antiker Münzen, auf denen berühmte Dichter, Philosophen und Wissenschaftler abgebildet sind. Am bekanntesten sind wohl die Münzen mit Homer, aber es gibt auch welche mit Hipparch, Pythagoras, Chrysipp, Hippokrates oder seltener mit Anakreon. Nachdem antoninus1 seine Münze aus Soloi Pompeiopolis mit Aratos vorgestellt hat, habe ich das Glück gehabt, daß mir Stesichoros über den Weg gelaufen ist, eine Neuentdeckung, die ich euch nicht vorenthalten will.

Obwohl er einer der bedeutendsten antiken Dichter ist, war er mir bisher unbekannt. Bei Bruno Snell, den ich sehr verehre - nicht nur weil er von meiner Schule, dem Johanneum Lüneburg, stammt, kommt er 1946 nur in einem kürzeren Abschnitt vor als bukolischer Dichter. Ja, ein Wissenschaftler hat einmal gesagt: "Kein anderer lyrischer Dichter ist von der Zeit so unfreundlich behandelt worden wie Stesichoros!". Dies hat seinen Grund darin, daß er in der Poetik des Aristoteles, in der dieser
die Entwicklung der Tragödie behandelt, keine Rolle spielt. Und dessen Bücher haben die abendländische Wissenschaft für mehrere Jahrhunderte entscheidend beeinflußt. Aber inzwischen ist er "wiederentdeckt" worden, auch durch bisher unbekannte Texte in den Oxyrhynchus Papyri, sowie dem Lille Papyrus, und seit den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts beschäftigen sich die Wissenschaftler vermehrt mit ihm, so daß er die ihm gebührende Stellung hoffentlich wieder erhalten wird. Aus diesen Gründen wird dieser Artikel etwas umfangreicher werden. Doch zunächst

Die Münze:
Sizilien, Thermai Himeraiai, spätes 2. - frühes 1. Jh. v.Chr.
AE 26, 12.56g, 90°
Av.: Büste der Tyche, verschleiert und mit Mauerkrone, n.r., dahinter Cornucopiae
Rv.: ΘEPMITAN IMEPAIΩN
Der Dichter Stesichoros, in Himation, n.r. stehend, schreibt mit der re. Hand ein
Gedicht auf eine Wachstafel in der li. Hand; ein langer Stab gegen seine re.
Schulter gelehnt.
Ref.: Calciati I S.120, 18; BMC Sicily S.84, 9; HGC 2 1616 (R2); nicht in SNG ANS,
SNG Copenhagen, SNG München, SNG Morcom
äußerst selten, S+, dunkelgrüne Patina, etwas porös, leichte Korrosion
Pedigree:
ex Roma Numismatics e-sale 2 (2. Nov. 2013), Lot 28
ex Forum Ancient Coins

Anm.:
Romolo Calciati, Corpus Nummorum Siculorum (CNS), The Bronze Coinage, Vol. I: Nordost-Sizilien, Westsizilien. 1983
Calciati schreibt, dieser Typ sei selten und ganz besonders in besserem Zustand, weil er - wie auch viele andere sizilische Ausgaben der römischen Zeit - geprägt wurde auf Metall von minderer Qualität, das von Korrosion bedroht ist.

Sein Leben:
Stesichoros, wurde um 630 v.Chr. in Metauros/Kalabrien geboren und starb 555 in Katane (heute Catania) in Sizilien. Er war damit ein Zeitgenosse der Sappho. In Catania gibt es noch heute die Piazza Stesicoro. Daß als sein Geburtsort manchmal Himera angegeben wird, hat seinen Grund darin, daß er später in seinem Leben von Metauros nach Himera zog. Als die Karthager 409 v.Chr. Himera zerstörten, gründeten die Überlebenden nicht weit davon entfernt den Ort Thermai Himeraia. Auch hier und noch unter den Römern galt Stesichoros als ihr berühmtester Bürger. Sein eigentlicher Name war Tisia. Stesichoros wurde er erst später genannt.

Lyrik:
Stesichoros schrieb vorwiegend in Dorisch, wie es in Magna Graecia und Sizilien üblich war, nahm aber auch ionische Einflüsse auf. Die Alten verglichen seine lyrischen Qualitäten mit der Stimme einer Nachtigall, die sich bei seiner Geburt auf seine Lippen gesetzt und ihm diese Gabe geschenkt haben soll Diese Geschichte wurde noch von Plinius dem Älteren wiederholt. Hieronymus schreibt, daß seine Gedichte am Ende seines Lebens immer süßer und einem Schwanengesang ähnlicher geworden seien. Von seinen Gedichten habe ich nur eins gefunden bei poemhunter.com und in Englisch. Aber ich war begeistert. Hier ist die Übersetzung:

Vergeßt die Kriege
Es ist Zeit zu singen
Holt heraus die Flöte aus Phrygien
und erinnert euch an die Lieder unserer blonden Grazien.

Der Lärm der zwitschernden Schwalben:
Es ist schon Frühling.


Die Alexandriner zählten ihn zum Kanon der 9 bedeutendsten lyrischen Dichter. An dessen Spitze stand zwar Pindar, aber Stesichoros hatte einen bedeutenden Platz inne.

Mit seinem Werk über den Hirten Daphnis war er der Begründer der bukolischen Lyrik. Darunter versteht man eine Art von Lyrik, die unter Hirten in einer romantischen Naturlandschaft, meist Arkadien, spielt, und den Gegensatz zum alltäglichen Leben betont. Einer der bekanntesten bukolischen Dichter war später Theokrit.

Epik:
Aber am meisten hat Stesichoros durch seine epischen Fähigkeiten beeindruckt. Er übte einen bedeutenden Einfluß aus auf die Darstellung der Mythologie im 6. Jahrhundert und auf die Entwicklung der attischen dramatischen Dichtung. Er kennzeichnet am deutlichsten den Übergang vom Vortrag des Rhapsoden, wie er z.B. zu Homer gehört, zum Chorgesang in den Tragödien (Pauly).

Nach der Suda hat er 26 Rollen geschrieben, von denen leider nur Fragmente auf uns gekommen sind. Seine Schriftstücke behandeln vor allem den trojanischen Krieg und verschiedene Heroenmythen, insbesondere die von Herakles. Er widmete sich aber auch den Sagen und Mythen seiner eigenen Zeit und zeitgenössischen Ereignissen. Aristoteles berichtet z.B., daß er eine Rede gegen die Ambitionen des Phalaris auf die Tyrannis gehalten habe.

Von seinen Werken möchte ich nur auf 2 näher eingehen: Seine Helena und die Palinodie, die beide in Zusammenhang zu sehen sind. In Helena schmäht er sie für ihren schlechten Charakter. Er tadelt sie wegen ihres Ehebruchs, so wie ihn Homer und Hesiod beschrieben haben, und den durch ihre Unmoral verursachten Untergang von Troja. Das war zu seiner Zeit üblich, kam z.B auch vor bei Sappho und Alkaios. Das Schlimmste aber war, daß er sie als Dreimalverheiratete (τριγαμος) bezeichnet hatte! Wegen dieser Blasphemie habe Helena ihn geblendet. Pausanias erzählt, daß Helena aber später einen Pilger zu ihm geschickt habe, der ihn über diese Zusammenhänge aufklärte. Daraufhin beschloß, er einen Widerruf zu schreiben, eben die Palinodie. Darin nimmt er alles zurück, was er vorher über sie geschrieben hatte, und behauptete nun, daß sie nie in Troja gewesen sei, sondern daß Paris nur ein Phantom nach Troja entführt habe, um das dann schwer gekämpft wurde. Die wahre Helena aber sei nach Ägypten gebracht worden, wo sie Menelaos nach Ende des Trojanischen Krieges wiedergefunden habe. Daraufhin habe er seine Sehkraft zurückerhalten. Grossardt meint, daß das Motiv von Blendung und Heilung hier von Isis auf Helena übertragen worden sei. Wahrscheinlich aber ist dieses Ereignis, von dem Stesichoros selbst schreibt, nur allegorisch gemeint ("Da war ich wohl mit Blindheit geschlagen!"), und Stesichoros hat den Widerruf aus Rücksicht auf Sparta geschrieben, wo Helena als Gottheit sehr verehrt wurde. Die Palinodie habe auch aus 2 Teilen bestanden: Im ersten habe er Homer wegen seiner verleumderischen Texte getadelt, im zweiten Hesiod.

Die Palinodie, der Widerruf, wurde ein wichtiges Stilmittel der griechischen Dichtung und Literatur. Das Griechische liebte ja schon von der Sprache her das μην - δε (= zwar - aber), das Denken in Gegensätzen. Platon setzte es in seinem Phaidros ein, wo Sokrates sich erst verächtlich ausläßt über den "Wahnsinn" des Eros und die schändliche Rolle, die er bei den Liebesaffären der Menschen spielt, um dann im 2. Teil (der "Palinode des Sokrates") den Eros zu preisen als Ergriffenheit der Seele und göttlichen Ursprungs.

Der Lille Papyus:
Am meisten über seinen Stil haben wir aus dem Papyrus erfahren, der 1976 als Verpackungsmaterial in einer Mumienkiste im Museum von Lille gefunden wurde, und nach dem Fundort Papyrus Lille genannt wird. Der Inhalt beschäftigt sich mit den Sagen von Theben und der bedeutendste Teil ist die Rede der Königin Jokaste zu ihren Söhnen Eteokles und Polyneikes. Um den gegenseitigen Brudermord zu verhindern, der ihnen prophezeit worden war, bietet sie dem einen den Palast von Theben an, dem anderen ihren Reichtum und die Herden, dies alles in lyrisch ausgefeilten Sätzen. Ödipus ist zu diesem Zeitpunkt augenscheinlich schon tot. Indem Stesichoros aber Ödipus zum Vater ihrer Söhne macht, ist er wohl der erste, der das Thema der inzestuösen Vaterschaft in diese Mythe einführt. Euripides übernimmt von Stesichoros das Motiv, daß Jokaste versucht, den Streit ihrer beiden Söhne zu schlichten, allerdings vergeblich. Die hier gefundenen Texte bestätigen seine Rolle als Bindeglied zwischen der epischen Erzählkunst des Homer und der Lyrik von Pindar. Er wurde deshalb auch der "lyrische Homer" genannt.

Einfluß auf die Tragödie:
Von großer Bedeutung war er auch für die Entwicklung der Tragödie. Besonders deutlich zeigt dies seine Orestie in zwei Büchern, die Euripides als Vorlage dienten.
Die Einteilung der Chorlieder in die 3 Teile Strophe, Antistrophe und Epode (Schlußgesang), die sog. triadische Struktur, wurde von den Griechen dem Stesichoros zugeschrieben, obwohl sie wohl bereits von Archilochos eingeführt worden war. Unter Bakchylides und dann unter Pindar erreichte sie die höchste Blüte. Stesichoros war überhaupt der erste, der die Gesänge zur Kithara durch einen Chor begleiten ließ. Das ist auch die genaue Bedeutung seines Namens: Derjenige, der der Kithara einen Gesangschor hinzugestellt hat.

Die Tabulae Iliacae:
Die kleinen Reliefs stammen aus der Zeit des Augustus und zeigen Darstellungen aus der Ilias. Die bedeutendste, die Tabula Iliaca Capitolina, wurde 1683 gefunden und befindet sich heute im Kapitolinischen Museum in Rom. In der Mitte zeigt sie einen eng beschriebenen Pfeiler, links die Darstellung der Zerstörung Trojas, das Grab Hektors, das Schiffslager und die Flucht des Aeneas, rechts Szenen aus dem Trojanischen Krieg. Es findet sich auf ihr die griechische Inschrift: "Die Plünderung von Troja nach Stesichoros". Die Tabulae Iliacae gaben wohl alexandrinisches Wissen wieder und dienten der Bildung der Bürger. Sie sind wichtig, weil sie die sog. pseudo-homerische Mythologie behandeln, bei der es um die Zeit nach dem Fall Trojas geht, und die zum größten Teil verloren ist.

Bilder:
(1) Münze
(2) Büste des Stesichoros aus Catania
(3) Tabula Iliaca Capitolina
(4) Fragmente der Papyri Oxyrhinchus
(5) Fragmente des Papyrus Lille

Quellen:
(1) Homer, Ilias
(2) Hesiod, Theogonie
(3) Archilochos, Gedichte, Tusculum
(4) Sappho, Lieder, Tusculum
(5) Eclogae Poetarum Graecorum, Teubner
(7) Plato, Phaidros
(8) Strabo, Geographica
(9) Plinius der Ältere, Naturgeschichte

Literatur:
(1) Peter Grossardt, Stesichoros zwischen kultischer Praxis, mythischer Tradition und
eigenem Kunstanspruch, Zur Behandlung des Helenamythos im Werk des
Dichters aus Himera, Leipziger Studien zur klassischen Philologie 9, Tübingen
2012
(2) Meyers Enzyklopädisches Lexikon
(3) Der Kleine Pauly, dtv
(4) Bruno Snell, Die Entdeckung des Geistes, Studien zur Entstehung des
europäischen Denkens bei den Griechen, Claassen&Goverts Hamburg 1946
(5) J. Vurtheim, Stesichoros, Lyrik und Biographie, Leyden 1919 (Reprint)

Online-Quellen:
(1) Google Bilder
(2) Wikipedia
(3) Enzyclopaedia Britannica
(4) Roger Aluja, Reexamining the Lille Stesichorus about the Theban Version of
Stesich, über http://www.academia.edu
(5) http://www.poemhunter.com

Mit freundlichem Gruß
Dateianhänge
Teisias_BMC9_2.jpg
Thermai Himeraiai BMC 9
Stesichorus.jpg
Büste des Stesichoros aus Catania
TI capitolina_#2.jpg
Tabula Iliaca Capitolina
POxy Stesichorus fragment_2.jpg
Fragmente der Papyri Oxyrhinchus
papyrus Lille #1.jpg
Fragmente des Papyrus Lille
Zuletzt geändert von Peter43 am Do 15.02.18 21:32, insgesamt 7-mal geändert.
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Re: Historisch interessante Münzen

Beitrag von ischbierra » Di 23.01.18 21:42

Sehr interessant; vielen Dank für Deinen Beitrag.

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Re: Historisch interessante Münzen

Beitrag von Peter43 » Do 15.02.18 21:34

Herzlichen Dank für Deinen Kommentar. Selbst wenn es nur der einzige ist, ich schreibe diese Artikel immer auch für mich selbst!

Jochen
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Re: Historisch interessante Münzen

Beitrag von rosmoe » Do 15.02.18 22:17

Ich lese deine interessanten Beiträge auch mit Freude, vor allem, da sie sich nicht nur auf das Sammeln und Vorzeigen von Münzen beschränken, sondern deren historischen Kontext aufzeigen. Chapeau! :wink:
Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden. (Immanuel Kant)

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Re: Historisch interessante Münzen

Beitrag von Peter43 » Sa 17.02.18 15:08

Der Eros des Praxiteles aus Parium

Das wertvollste Kunstwerk, das je in Nikopolis ad Istrum gefunden wurde, ist mit Sicherheit die Statue des Eros, die sich heute im Archäologischen Museum in Sofia befindet. Sie stammt aus dem 2.Jh. n.Chr. und wird für eine römische Kopie des Eros von Parium des Praxiteles aus dem 4.Jh gehalten, dem man hier aber einen Baumstumpf hinzugefügt hat, an dem sein geschlossener Köcher lehnt.

Dieser Eros war bereits in der Antike sehr berühmt und Praxiteles selbst hielt sie für sein bedeutendstens Werk. Obwohl in Nikopolis eine große Zahl von Münzen mit Abbildungen des Eros geprägt worden ist, befindet sich eigenartigerweise keine darunter, die diese Statue zeigt, im Gegensatz zur Statue des Apollo Sauroktonos, ebenfalls von Praxiteles, von der in Nikopolis eine Kopie gestanden hat.

Leider ist uns dieser Eros nicht erhalten geblieben. Aber er wird von Plinius dem Älteren in seiner Naturalis Historia erwähnt (NH 36.4), wo er als nackt beschrieben wird.

Eine weitere Statue, die am Monte Cavallo in Rom gefunden wurde, wird ebenfalls als römische Kopie identifiziert, der Eros Borghese. Diese Statue gehörte ursprünglich Domenico Biondo, einem Angestellten von Papst Paul V. Borghese, und kam 1608 in die Borghese Sammlung. Sie wurde früher auch Genius Borghese genannt und Arme, Beine und Flügel sind moderne Nachbildungen. Diese Statue gehört zu den sieben bedeutendsten Stücken der Borghese Sammlung, die Frankreich 1807 erworben hat, und befindet sich heute im Louvre.

Die genaueste Darstellung jedoch findet sich auf den Münzen von Parium selbst. Parium war neben Thespiae der Hauptort der eigentlich in griechischer Zeit ungewöhnlichen Verehrung des Eros als Gott. Diese Verehrung ist vorgriechisch und stammt sicherlich aus pelasgischer Zeit. Das alte Idol scheint hermenförmig gewesen zu sein, wie es auch auf den Münzen dargestellt ist (Roscher). Ich stelle hier 3 Münzen aus meiner Sammlung vor.

1. Münze:
Mysien, Parium, Severus Alexander, 222-235
AE - AE 20, 6.15g, mm, °
Av.: IMP SEV - ALE - XANDER AVG
Kopf mit Strahlenkrone n.r.
Rv.: DEO CVPIDIN - I COL IC IL A(?) PA
Eros, nackt, mit ausgebreiteten Flügeln halblinks stehen, Chlamys über dem li. Arm, die
li. Hand auf die Hüfte gestützt, die re. Hand ausgestreckt über eine kleine Säule mit
Hermeskopf (Herme)
Ref.: RPC IV online temp 3886 (3 Ex., alle vom selben Stempel); nicht in BMC Mysia, nicht in
SNG Copenhagen, von Aulock, France, Tübingen, Canakkale, Leypold
extrem selten, SS, gut zentriert, etwas schmaler Schrötling
Hier finden wir die ungewöhnliche, sonst nicht bekannte Legende DEO CVPIDINI: dem Gott Cupidus.

2. Münze:
Mysien, Parium, Aemilianus, 253
AE - AE 21, 4.6g
Av.: IMP M AEM AEMILIANVS.A
Büste, drapiert und cürassiert, belorbeert, n.r.
Rv.: CGI - HP
Eros, nackt, mit ausgebreiteten Flügeln halblinks stehen, Chlamys über dem li. Arm, die
li. Hand auf die Hüfte gestützt, die re. Hand ausgestreckt über eine kleine Säule mit
Hermeskopf (Herme)
Ref.: RPC IX, 377; SNG France 1515
Pedigree: ex Numismatik Naumann Auction 43, 1. May 2016, Lot 632
CGIHP = Colonia Gemella Iulia Hadriana Pariana

Am deutlichsten aber sieht man - trotz der hier schlechten Erhaltung - die laszive Haltung des Eros, die typisch praxitelische S-Form, und seine Kopfneigung nach hinten und oben, die von der RE als "erotisch sehnsüchtig" bezeichnet wird, auf den Münzen des Commodus:

3. Münze:
Mysien, Parium, Commodus, 177-192
AE - AE 25, 7.31g, 24.69mm, 180°
Av.: M CAE L AV - COMODVS
Büste, bartlos, drapiert und cürassiert, belorbeert, n.r.
Rv.: [DEO CV]PIDINI - [COLON IVL HAD PA]
Eros, nackt, mit ausgebreiteten Flügeln halblinks stehen, Chlamys über dem li. Arm, die
li. Hand auf die Hüfte gestützt, die re. Hand ausgestreckt über eine kleine Säule mit
Hermeskopf (Herme)
Ref.: RPC IV 3151
Diese Statue hatte - wie man auch hier sieht - einen homoerotischen Touch und der Rhodier Alchidas oder Alketas soll sich an ihr vergangen haben, was durch verräterische Spuren bewiesen wurde. Eine solche Geschichte wird auch von der Knidischen Aphrodite des Praxiteles erzählt.

Einen Disput gibt es um die Chlamys, die Eros auf den Münzen über dem li. Arm trägt. Plinius schreibt, daß die Statue nackt war. Deshalb wurde diese Chlamys zunächst als Stützsäule beschrieben (Roscher). Dieser Beschreibung widersprechen aber alle Münzbilder, die klar eine Chlamys zeigen. Vielleicht hat die Chlamys eine dahinter stehende Stützsäule verborgen (Jarman).

Parium:
Parium, griech. Parion, war in der Antike eine größere Hafenstadt der Adrasteia an der südlichen Küste der Dardanellen in der Nähe von Lampsakos. Die Adrasteia war eine Ebene in Mysien, durch die der Granykos floß, an dem 334 v.Chr. die erste große Schlacht stattfand, in der Alexander der Große die Perser besiegte. Gegründet wurde Parium wahrscheinlich von Bewohnern der Insel Paros. Es gehörte später zum Reich der Attaliden von Pergamon und wurde unter Augustus zur Colonia Iulia Augusta Pariana. Es hatte immer enge Beziehungen zu Thrakien und Asia minor und besaß in römischer Zeit 2 Häfen. Seine Bedeutung lag darin, daß es den Schiffsverkehr vom Bosporus in die Ägäis kontrollierte. Parium prägte eine große Anzahl von Münzen, von denen die bekanntesten Typen das Gorgoneion zeigen.

Praxiteles:
Praxiteles, der Sohn des Kephisodotos des Älteren, ebenfalls eines Bildhauers, war neben Skopas und Lysipp der wohl berühmteste griechische Bildhauer der Spätklassik im 4. Jahrhundert v.Chr. Seine genauen Lebensdaten sind nicht bekannt, aber 364 war nach Plinius das Jahr seiner größten Werke. Seine Bedeutung liegt darin, daß er die erhabene Strenge des Phidias ablöste durch eine Darstellung, die mehr das Menschliche betonte. Die Götter stiegen sozusagen vom Himmel herab auf die Erde. Er arbeitete in der Regel mit Marmor und war bekannt durch eine unglaublich feine Oberflächenbehandlung , die den Marmor wie lebende Haut aussehen ließ. So hoben sich seine Göttergestalten allein durch ihre Schönheit und Anmut von den Sterblichen ab. Sie waren aber nicht weiß, sondern er ließ sie oft von Nikias bemalen. Zur Dynamik der Körperrhytmik trug auch die S-förmige Körperhaltung bei, die man praxitelisch nannte. Dabei verlängerte er seine Gestalten oft, so daß man manchmal auch von einem spätklassischen Manierismus spricht.

In der Antike wurden ihm über 50 Werke zugeschrieben. Das berühmteste ist wohl die Aphrodite von Knidos. Sie war das überhaupt erste lebensnahe Abbild einer nackten Frau. Damit führte Praxiteles die weibliche Aktfigur als eines ihrer Hauptthemen in die Kunst ein. Für diese Plastik soll ihm seine Geliebte, die Hetäre Phryne, Modell gestanden haben. Die bekannteste römische Kopie - die Nachbildung einer hellenistischen Umformung aus dem 2. Jh. v.Chr. - ist die Kapitolinische Venus im Kapitolinischen Museum in Rom.

Hoch gefeiert waren die Statuen des Eros von Thespiae und des Eros von Parium. Den Apollo Sauroktonos (den Eidechsentöter) haben wir schon öfter besprochen. Nikopolis ad Istrum wird wohl eine Kopie besessen haben und scheint darauf sehr stolz gewesen zu sein, denn er erscheint häufig auf ihren Münzen. Das gilt ebenso für den Apollo Lykeios aus Markianopolis, der wahrscheinlich von Praxiteles stammt, obwohl auch Euphranor genannt wird.

Alle seine Werke kennen wir nur aus Beschreibungen und von römischen Kopien, mit einer Ausnahme: 1877 wurde im Heratempel von Olympia die Statue eines Hermes mit dem kleinen Dionysos gefunden, die sich heute im Museum in Olympia befindet. Sie gilt heute allgemein als Original des Praxiteles, nicht nur wegen ihrer Oberflächenbearbeitung, sondern auch deswegen, weil sie genau an der Stelle gefunden wurde, die Pausanias im 2. Jh. n.Chr. in seinen Reisebescheibungen genannt hatte.

Literatur:
(1) Plinius, Naturgeschichte, übersetzt von Gottfried Große, 11. Band, Frankfurt am Mayn 1787
(2) Pausanias , Reisebeschreibungen
(3) Wilhelm Heinrich Roscher, Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen
Mythologie, Leipzig 1884
(4) Realenzyklopädie (RE)
(5) Wikipedia
(6) Francis Jarman, Eros on Roman Provincial Coinage

Hinzugefügt habe ich:
(1) ein Bild der Statue des Eros aus Nikopolis, jetzt im Archäologischen Museum Sofia
(2) ein Bild der Statue des Eros Borghese, jetzt im Louvre
(3) ein Bild der Münze des Severus Alexander
(4) ein Bild der Münze des Aemilianus
(5) ein Bild der Münze des Commodus

Mit freundlichem Gruß
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Eros_Nicopolis Sofia.jpg
Eros Nikopolis
Eros_Borghese_Louvre.jpg
Eros Borghese
parium_sev_alex_RPCIVonline_temp3886.jpg
Parium, Severus Alexander
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Parium, Aemilanus
parium_commodus_RPCIV3151.jpg
Parium, Commodus
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Re: Historisch interessante Münzen

Beitrag von Peter43 » Do 27.12.18 22:47

Liebe Freunde der Provinzialmünzen!

Heute möchte ich euch eine meiner Lieblingsmünzen vorstellen und dazu einige Ergebnisse meiner Recherchen.

Münze:
Moesia inferior, Tomis, Philipp II. & Serapis, 247-249
AE 26, 13.84g
Av.: M IOVΛIOC ΦIΛIΠΠOC / KAICAP
Die sich gegenüberstehenden Büsten des Philipp II., drapiert und cürassiert, barhäuptig, n.r., und des Serapis, drapiert und mit Kalathos, n.l.
Rv.: MHTPOΠ ΠONT - O - V TOMEΩC
Hera, in Chiton und Himation, frontal stehend, nach li. blickend, stützt sich mit der erhobenen Linken auf langes Szepter und hält in der
vorgestreckten Rechten Patera
Ref.: a) AMNG I/2, 3591 (1 ex., Odessa Mus.)
b) Varbanov 5813 (zitiert AMNG 3591)
Selten, SS, konzentrische Kreise als Reste der Glättung

Die Darstellung der Hera auf der Rs. ist außerordentlich ungewöhnlich. In ihrem fast durchsichtigen Chiton sieht sie eher aus wie Aphrodite als die verehrenswürdige Königin des Himmels. Nach Pat Lawrence ist es möglich, daß die Rs. eine Variante der Hera Borghese darstellt. Bei dieser Statue wurde auch lange darüber diskutiert, ob sie Hera oder Aphrodite darstellt. So wurde z.B. vermutet, daß sie eine Kopie der Aphrodite Euploia von Amyklai sei.

Kunstgeschichte:
Der Archetyp der sog. Hera Borghese wurde 1834 in der Villa dei Bruttii Praesentes am Monte Calvo in den Sabinerbergen gefunden und danach in der Villa Borghese in Rom ausgestellt. Daher ihr Beiname. Bei ihr handelt es sich um die römische Marmorkopie eines griechischen Bronzeoriginals. Es ist ja bekannt, daß die Griechen üblicherweise ihre Statuen in Bronze gossen, während die Römer eine Vorliebe für Marmor hatten und ihn auch für ihre Kopien der griech. Bronzestatuen benutzten. 1803 wurde sie von Napoleon in den Louvre verbracht. Nach ihrer Rückgabe wurde sie 1890 von Helbig für die Ny Carlsberg Glyptothek in Kopenhagen gekauft. Andere Gipsabformungen finden sich auch in den Vatikanischen Museen (Museo Chiaramonti), im Museo Palatino und im Castello Aragonese Museum in Baiae.

Nach Mette Moltensen stammt die römische Kopie aus dem 2.Jh. n.Chr. Das griechische Original stammt aus der 2.Hälfte de 5.Jh. v.Chr., wie kunsthistorische Untersuchungen ergeben haben:

(1) Körper und Gewand sind gleichgewichtig. Das Gewand wird nicht besonders betont, sondern fällt locker, seiner natürlichen Schwerkraft folgend, nach unten. Es ist
von der gleichen schwingenden Bewegung erfaßt wie der Körper. Dies entspricht den Vorstellungen der Hochklassik in der 2. Hälfte des 5. Jhs. v.Chr. Die Vermutung spricht vom Umkreis der Schule des Phidias.

(2) Das Gewand ist ihr von der Schulter gerutscht. Sie trägt nur einen dünnen Chiton, der die weiblichen Körperformen deutlich hervorhebt. Dieser erotische Touch ist der Hauptgrund dafür, daß die neuere Forschung sie als Bild der Aphrodite deutet. Die teilweise Entblößung der Aphrodite steht der Entstehungszeit nicht entgegen. Ende des 5. Jhs. war dies bereits möglich.

(3) Das Schwingen und die hochklassische S-Form, die wir bei der Hera Borghese noch sehen können, wurde in der Mitte des 4. Jhs. abgelöst von einem System der Gegensätzlichkeit. Die Rhythmisierung wird zwischen Ober- und Unterkörper gebrochen. Dabei übernimmt das Gewand die Gliederung in Form eines querliegenden Bausches, der nicht mehr organisch durch die Körperbewegung verursacht ist, sondern von außen aufgelegt ist.

(4) Um diese neuere Sicht zu verdeutlichen, habe ich ein Bild der Hera Barberini hinzugefügt. Diese Statue wurde im späten 17. Jh. auf dem Viminal in Rom gefunden und erhielt ihren Namen nach dem ersten Eigentümer, dem Kardinal Francesco Barberini. Heute steht sie in den Vatikanischen Museen (Museo Pio-Clementino). Man sieht, wie hier das Gewand eine viel stärkere Betonung bekommen hat, als bei der Hera Borghese. Auch der Bausch, der Ober- und Unterkörper gliedert, findet sich hier bereits. Man vermutet, daß das griechische Original von Alkamenes (gest. um 400 v.Chr.) stammt, einem Schüler des Phidias, der bedeutende Bildwerke für Athen und Olympia geschaffen hat. Mit ihm befinden wir uns bereits in der Zeit nach der Hochklassik.

Anmerkungen:
Derr deutsche Archäologe Wolfgang Helbig (1839-1915) war 25 Jahre lang in Rom der Vertreter des dänischen Brauers Carl Jacobsen, des Begründers der Ny Carlsberg Glyptothek. In dieser Zeit kaufte er mehr als 950 Skulpturen und Altertümer für dessen Sammlungen in Kopenhagen. Die Zeit war günstig dafür, weil durch die großen Bauvorhaben nach der italienischen Einigung bedeutende antike Funde gemacht wurden und gleichzeitig hochverschuldete adlige Familien ihre Sammlungen verkauften.

Literatur:
(1) Ina Altripp, Athenastatuen der Spätklassik und des Hellenismus, Arbeiten zur Archäologie, Böhlau Verlag Köln 2010
(2) Adolf B.Borbein, Die griechische Statue des 4.Jh. n.Chr. Form-analytische Untersuchungen zur Kunst der Nachklassik, in "Jahrbuch drer deutschen
Archaeologischen Instituts, Bd. 88, 1973, books.google.de
(3) A. Delivorrias, Der statuarische Typus der sog. Hera Borghese in: H. Beck – P. C. Bol (Hrsg.), Polykletforschungen (Berlin 1993), 221ff., Abb. 4, 7, 9 Zenon
(4) Mette Moltesen, Catalogue Imperial Rome II. Statues. Ny Carlsberg Glyptothek (2002), 42f., Kat.Nr. 1 Zenon
(5) R. Neudecker, Die Skulpturenausstattung römischer Villen in Italien (Mainz 1988), 181, Kat.Nr. 35, 2 Zenon
(6) Karen Schoch, Die doppelte Aphrodite - alt und neu bei griechischen Kultbilden, Universitätsverlag Göttingen 2009 books.google.de
(7) Wikipedia

Hinzugefügt habe ich
(1) Das Bild der Hera Borghese aus der Ny Carlsberg Glyptothek in Kopenhagen
(2) Das Bild der Hera Barberini aus den Vatikanischen Museen (Museo Pio-Clementino)

Mit freundlichem Gruß
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Hera Borghese Kopenhagen.jpg
Hera Borghese Kopenhagen
Hera Barberini.jpg
Hera Barberini
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Re: Historisch interessante Münzen

Beitrag von quinctilius » Do 16.05.19 14:28

Hallo,

diese beiden Quadrantes von Caligula habe ich mir gegönnt. Die Inschrift :

PON • M TR • P • III • P • P • COS • TERT

datiert die Münzen in das Jahr 40, als Caligula zum 3. mal die tribunizische Amtsgewalt erhielt.
Weiss jemand, wie der Pileus zwischen dem S.C. zu deuten ist ? Traditionell wurde diese Kopfbedeckung
bei den Römern als Symbol für Befreiung oder Freiheit verwendet. Vgl. den Pileus auf den Denaren des Brutus und Galba (Libertas)
Caligula hatte ja ein gestörtes Verhältnis zum Senat -um es vorsichtig zu formulieren- und viele seiner Verrückheiten (Lieblingspferd als Konsul etc.) waren
bösartige Angriffe auf die Würde des Senats.
Hat jemand eine Idee ?

VG
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Re: Historisch interessante Münzen

Beitrag von Mynter » Do 16.05.19 20:24

Einem Artikel zu diesen Quadranten zufolge ,bezieht sich die Verwendung des Pileus auf die Befreiung von der 0,5 % Steuer auf Auktoinserloese. Befreiung ist danach als Befreiung von einen oekonomischen Joch zu verstehen.

Edit: Artikel gefunden : https://www.academia.edu/7653234/_Taxes ... 14_111-117
Zuletzt geändert von Mynter am Do 16.05.19 21:30, insgesamt 1-mal geändert.
Grüsse, Mynter

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Re: Historisch interessante Münzen

Beitrag von quinctilius » Do 16.05.19 21:14

...ah danke, das ist plausibel.
Na ja, ein Jahr später erfolgte dann die Befreiung von Caligula :-)

VG
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Re: Historisch interessante Münzen

Beitrag von Homer J. Simpson » Do 16.05.19 22:03

Na ja, die römische Geschichtsschreibung bestand schon damals großenteils aus Fake News. Die meisten Geschichtsschreiber waren Senatoren oder auf der Seite des Senats, d.h. ein "guter" Kaiser war einer, der möglichst wenig Eigenleben oder eigene Ideen hatte und hauptsächlich den Senat machen ließ. Von Volk und (später) Militär wurden viele Kaiser ganz anders beurteilt als von den heute überlieferten Historikern.

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Re: Historisch interessante Münzen

Beitrag von quinctilius » Do 16.05.19 22:29

Homer J. Simpson hat geschrieben:Na ja, die römische Geschichtsschreibung bestand schon damals großenteils aus Fake News.
Homer
stimmt und der angebliche "Caesarenwahn" Caligulas ist ja auch eher fraglich. Viele seiner Aktionen sind durchaus logische Versuche, sich den verhassten Senat vom Hals zu schaffen
und beim Volk dürfte ihn das nicht unbedingt unbeliebt gemacht haben.

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Re: Historisch interessante Münzen

Beitrag von richard55-47 » Fr 17.05.19 09:20

Wer sich über Caligula ein Bild machen will, den bitte ich um die Lektüre von "Caligula" von Aloys Winterling, erschienen im verlag C.H.Beck, ISBN 3 406 50206 7.
Ich fand die Biographie interessant.
do ut des.

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Re: Historisch interessante Münzen

Beitrag von quinctilius » Fr 17.05.19 10:16

...danke für den Tipp, das werd ich lesen.

VG
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Re: Historisch interessante Münzen

Beitrag von quinctilius » So 30.06.19 18:10

Hallo
gestern habe ich mal Schwein gehabt bei Ebay.
Die obere (ex Savoca) hat mich 12 EUR gekostet, die untere EUR 35 per Sofortkauf bei Ebay.com.

Vgl.

https://www.acsearch.info/search.html?t ... d&company=

GRIECHISCHE MÜNZEN UNTER RÖMISCHER HERRSCHAFT
SYRIEN
ANTIOCHIA AM ORONTES
Augustus, 27 v. Chr. -14 n. Chr.
Bronze, Ära des Actium Jahr 27, 5/4 v. Chr. Prägung des Quinctilius Varus als Statthalter für Augustus. Kopf des bärtigen Zeus mit L. n. r. Rv. (ANTIOXEΩN) EΠI OΥAΡOΥ Tyche n. r. thronend, Palme haltend; zu ihren Füßen Flussgott Orontes, im Felde r. ZK (= Jahr 5/4 v. Chr.). 6,91 g. RPC I, 4252, BMC 59; siehe S. 158, SNG Cop. 92, McAlee 88,87. Dezentriert.
Knapp sehr schön P. Quinctilius Sex. f. Varus war legatus von Syrien 7-4 v. Chr. Später starb er im Kampf gegen die Cherusker in der Schlacht im Teutoburger Wald im Jahr 9 n. Chr.


Beide Verkäufer wussten nicht was sie da hatten, Glück für mich :-)

Das EΠI ist ein griechisches Präfix und bedeutet (übertragen) auf Grund, zu dem Zweck, darüber, hinzu
Also die Antiochier auf Grund (einer Veranlassung) des Varus oder ähnlich.
Was den Legaten der Provinz Syrien veranlasst hat in seinem Namen Münzen prägen zu lassen, ist unbekannt. Auch spätere Legaten haben das noch gemacht (z.B. Silanus)
Denkbar wäre Entlohnung von Truppen o.ä, reine Freundlichkeit war es sicher nicht. :-)

VG
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