Seltsame Besonderheiten
Verfasst: Do 07.03.24 11:50
Liebe Sammler antiker Münzen!
Daß die Stempelschneider der Antike Wert auf Ästhetik gelegt haben, weiß jeder Sammler. Dabei spielt die Symmetrie in den abendländisch geprägten Kulturen eine überragende Rolle, was sie von den alten Griechen übernommen haben (im Gegensatz z.B. zu den Japanern, denen Symmetrie ein Gräuel ist, worüber sich schon viele GO-Spieler gewundert haben!). Das erkennt man schon an der gleichmäßigen Verteilung der Legenden, die uns so selbstverständlich ist, daß wir uns keine Gedanken darüber machen. Und die Darstellungen orientieren sich oft an Statuen, die aufgrund ihrer allgemein anerkannten Schönheit berühmt waren und auch sonst, z. B. mit ihrem Kontapost (Stand- und Spielbein), dem Schönheitskanon folgten. Hier aber meine ich etwas anderes. Mir ist aufgefallen, daß es auf einigen Münzen Abweichungen von den Darstellungen gibt, die nicht allein der üblichen Sorgfalt geschuldet sind, sondern bei denen sich der Stempelschneider etwas anderes gedacht haben muß. Mein schönstes Beispiel dafür ist die folgende Münze: Münze #1:
Moesia inferior, Nikopolis ad Istrum, Gordian III., 238-234
geprägt unter dem Statthalter Sabinius Modestus
Hristova/Hoeft/Jekov (2023) 8.36.22.2
Wenn wir davon ausgehen, daß zuerst das Bild geschnitten wurde, dann hat der Legendenschneider hier die Mähne der Glykonschlange aufgenommen, um sie weiterzuführen mit der Legende NIKOΠOΛEITΩN. Man erkennt das an der gebogenen Linienführung der beiden Buchstaben NI, die beide den Punktkreis am Rand verlassen haben. Dem N hat er sogar noch 2 Punkte hinzugegeben, die auch die Mähnenhaare zieren! Daran sieht man, daß es sich nicht um einen Zufall handelt, sondern daß der Legendenschneider bewußt gehandelt haben muß. Leider wissen wir nicht, warum er es getan hat.
Ich bin darauf meine Münzen durchgegangen auf der Suche nach ähnlichen Phänomen und habe mehrere gefunden, die, wie ich glaube, ebenfalls in diese Gruppe gehören.
Münze #2:
Moesia inferior, Nikopolis ad Istrum, Elagabal, 218-222
geprägt unter dem Statthalter Novius Rufus
Hristova/Hoeft/Jekov (2023) 8.26.10.7
Ich hatte zunächst Schwierigkeiten, diesen geflügelten Gott zu erkennen. Aber das Kerykeion über seiner li. Schulter macht ihn zu Hermes. Hier hatte der Legendenschneider den Namen des Statthalters gebrochen und seinen Familiennamen POV- ΦOV quer über das Feld geschrieben. Dadurch macht Hermes den Eindruck einer geflügelten Gottheit!
Über diese Münze wissen wir etwas mehr. Es war ein Rs.-Stempel von Longinus, der später für Novius Rufus geändert wurde. Ursprünglich war die Legende VΠ CTA ΛONGINOV NI - KO usw. ΛONGINOV wurde dann umgeschnitten zu ΛONOBIOV, wobei die ersten beiden Buchstaben eventuell ausradiert wurden. Dann kam POV - ΦOV zusätzlich ins Feld, und schon konnte man den Stempel für Elagabal verwenden. Der letzte Statthalter unter Macrinus war Marcus Agrippa. So hat der Stempel einige Monate überlebt. Vielleicht taucht er noch einmal auf, oder es war ein Stempel, der nie verwendet wurde (Curtis Clay).
Münze #3:
Moesia inferior, Nikopolis ad Istrum, Macrinus, 217-218
geprägt unter dem Statthalter Marcus Agrippa
Hristova/Hoeft/Jekov (2023) 8.23.38.1
Auf den ersten Blick sieht der Kalathos der Tyche wie ein I aus. Er fügt sich zwanglos wie ein Buchstabe in die Legende ein. Dazu tragen auch die beiden Punkte li. und re. neben dem Kalathos bei, mit denen üblicherweise Buchstaben abgetrennt werden.
Münze #4:
Moesia inferior, Nikopolis ad Istrum, Elagabal, 218-222
geprägt unter dem Statthalter Novius Rufus
Hristova/Hoeft/Jekov (2023) 8.26.3.4 var.
Hier haben wir das umgekehrte Phänomen. Das V von POVΦOV ist der Felicitas so auf den Kopf gesetzt worden, daß es aussieht, als trage sie einen Kalathos!
Ein letztes Beispiel zeigt die nächste Münze. Münze #5:
Moesia inferior, Nikopolis ad Istrum, Macrinus, 217-218
geprägt unter dem Statthalter Statius Longinus
Hristova/Hoeft/Jekov (2023) 8.23.6.1
Hier geht es nicht um Serapis, sondern um die Vs. der Münze. Macrinus ist cürassiert, er trägt einen Schuppenpanzer. Aber der Legendenschneider hat die Buchstaben AVT so gesetzt, daß sie sich auf den ersten Blick wie Schuppen des Panzers in die Darstellung einfügen. Ich habe zahlreiche Exemplare dieses Typs untersucht. Dieses ist das einzige, deas diese Besonderheit aufweist. Ich glaube wieder nicht, daß es sich dabei nur um einen Zufall handelt.
Ich hätte gerne gewußt, was ihr zu diesen Auffälligkeiten meint. Habt ihr eine Erklärung dafür? Haltet ihr das überhaupt für Auffälligkeiten? Und insbesondere bin ich neugierig zu erfahren, ob ihr ähnliche Beobachtungen auf Münzen in eurer Sammlung gemacht habt.
Liebe Grüße
Jochen
Daß die Stempelschneider der Antike Wert auf Ästhetik gelegt haben, weiß jeder Sammler. Dabei spielt die Symmetrie in den abendländisch geprägten Kulturen eine überragende Rolle, was sie von den alten Griechen übernommen haben (im Gegensatz z.B. zu den Japanern, denen Symmetrie ein Gräuel ist, worüber sich schon viele GO-Spieler gewundert haben!). Das erkennt man schon an der gleichmäßigen Verteilung der Legenden, die uns so selbstverständlich ist, daß wir uns keine Gedanken darüber machen. Und die Darstellungen orientieren sich oft an Statuen, die aufgrund ihrer allgemein anerkannten Schönheit berühmt waren und auch sonst, z. B. mit ihrem Kontapost (Stand- und Spielbein), dem Schönheitskanon folgten. Hier aber meine ich etwas anderes. Mir ist aufgefallen, daß es auf einigen Münzen Abweichungen von den Darstellungen gibt, die nicht allein der üblichen Sorgfalt geschuldet sind, sondern bei denen sich der Stempelschneider etwas anderes gedacht haben muß. Mein schönstes Beispiel dafür ist die folgende Münze: Münze #1:
Moesia inferior, Nikopolis ad Istrum, Gordian III., 238-234
geprägt unter dem Statthalter Sabinius Modestus
Hristova/Hoeft/Jekov (2023) 8.36.22.2
Wenn wir davon ausgehen, daß zuerst das Bild geschnitten wurde, dann hat der Legendenschneider hier die Mähne der Glykonschlange aufgenommen, um sie weiterzuführen mit der Legende NIKOΠOΛEITΩN. Man erkennt das an der gebogenen Linienführung der beiden Buchstaben NI, die beide den Punktkreis am Rand verlassen haben. Dem N hat er sogar noch 2 Punkte hinzugegeben, die auch die Mähnenhaare zieren! Daran sieht man, daß es sich nicht um einen Zufall handelt, sondern daß der Legendenschneider bewußt gehandelt haben muß. Leider wissen wir nicht, warum er es getan hat.
Ich bin darauf meine Münzen durchgegangen auf der Suche nach ähnlichen Phänomen und habe mehrere gefunden, die, wie ich glaube, ebenfalls in diese Gruppe gehören.
Münze #2:
Moesia inferior, Nikopolis ad Istrum, Elagabal, 218-222
geprägt unter dem Statthalter Novius Rufus
Hristova/Hoeft/Jekov (2023) 8.26.10.7
Ich hatte zunächst Schwierigkeiten, diesen geflügelten Gott zu erkennen. Aber das Kerykeion über seiner li. Schulter macht ihn zu Hermes. Hier hatte der Legendenschneider den Namen des Statthalters gebrochen und seinen Familiennamen POV- ΦOV quer über das Feld geschrieben. Dadurch macht Hermes den Eindruck einer geflügelten Gottheit!
Über diese Münze wissen wir etwas mehr. Es war ein Rs.-Stempel von Longinus, der später für Novius Rufus geändert wurde. Ursprünglich war die Legende VΠ CTA ΛONGINOV NI - KO usw. ΛONGINOV wurde dann umgeschnitten zu ΛONOBIOV, wobei die ersten beiden Buchstaben eventuell ausradiert wurden. Dann kam POV - ΦOV zusätzlich ins Feld, und schon konnte man den Stempel für Elagabal verwenden. Der letzte Statthalter unter Macrinus war Marcus Agrippa. So hat der Stempel einige Monate überlebt. Vielleicht taucht er noch einmal auf, oder es war ein Stempel, der nie verwendet wurde (Curtis Clay).
Münze #3:
Moesia inferior, Nikopolis ad Istrum, Macrinus, 217-218
geprägt unter dem Statthalter Marcus Agrippa
Hristova/Hoeft/Jekov (2023) 8.23.38.1
Auf den ersten Blick sieht der Kalathos der Tyche wie ein I aus. Er fügt sich zwanglos wie ein Buchstabe in die Legende ein. Dazu tragen auch die beiden Punkte li. und re. neben dem Kalathos bei, mit denen üblicherweise Buchstaben abgetrennt werden.
Münze #4:
Moesia inferior, Nikopolis ad Istrum, Elagabal, 218-222
geprägt unter dem Statthalter Novius Rufus
Hristova/Hoeft/Jekov (2023) 8.26.3.4 var.
Hier haben wir das umgekehrte Phänomen. Das V von POVΦOV ist der Felicitas so auf den Kopf gesetzt worden, daß es aussieht, als trage sie einen Kalathos!
Ein letztes Beispiel zeigt die nächste Münze. Münze #5:
Moesia inferior, Nikopolis ad Istrum, Macrinus, 217-218
geprägt unter dem Statthalter Statius Longinus
Hristova/Hoeft/Jekov (2023) 8.23.6.1
Hier geht es nicht um Serapis, sondern um die Vs. der Münze. Macrinus ist cürassiert, er trägt einen Schuppenpanzer. Aber der Legendenschneider hat die Buchstaben AVT so gesetzt, daß sie sich auf den ersten Blick wie Schuppen des Panzers in die Darstellung einfügen. Ich habe zahlreiche Exemplare dieses Typs untersucht. Dieses ist das einzige, deas diese Besonderheit aufweist. Ich glaube wieder nicht, daß es sich dabei nur um einen Zufall handelt.
Ich hätte gerne gewußt, was ihr zu diesen Auffälligkeiten meint. Habt ihr eine Erklärung dafür? Haltet ihr das überhaupt für Auffälligkeiten? Und insbesondere bin ich neugierig zu erfahren, ob ihr ähnliche Beobachtungen auf Münzen in eurer Sammlung gemacht habt.
Liebe Grüße
Jochen