Blei - Marke, Siegel, Gewicht?
Verfasst: Mo 07.07.25 19:07
Dieses Stück aus Blei wurde als Marke, vermutlich des Augustiner Chorherrenstiftes in Kreuzlingen ohne Gewichtsangabe und Literaturangabe verkauft.
ca. 30x30 mm, 15,49 g, Querschnitt trapezoid
Wappen, 3 Punzen (Stern, Rosette) unter dem Loch befindet sich eine Zahl oder ein Symbol
Material Pb
Herkunft
Das war der einfache Teil, da die Vermutung sich als richtig erwies. Schlüssel ist das Wappen, welches sich als das Wappen des Abtes Prosper Donderer (1760-1779) erweist. Im Feld 1 und 4 sieht man das Wappen der Abtei, im Feld 2 und 3 sein persönliches Wappen – einen Blitze schleudernden Zeusadler über 3 Bergspitzen (zumindest diese sind noch klar zu erkennen). Im Herzschild die Mondsichelmadonna mit Kind – also das Wappen der 1638 inkorperierten Probstei Riedern am Wald. Man findet das Wappen prominent über dem schiffseitigen Chorbogen der Kirche, am Chorgestühl, an der Chororgel und als Steinplastik über dem Hauptportal des Prälaturflügels … und damit auch im Internet. Oberhalb des Wappens befindet sich der Stab des Abtes, eine Mitra und ein Kreuz – Die Mitra ist eine Erinnerung, dass Papst Johannes XXIII Anfang des 15. Jahrhundert – als Dank für die Aufnahme zur Zeit des Konstanzer Konzils – dem Abt eine prachtvolle Inful schenkte und die damit nun „infulierten“ Äbte das Recht hatten während der Messe „Pontifikalinsignien“ zu tragen.
Literatur:
Wikipedia: Kloster Kreuzlingen, Kloster Riedern am Wald, Prosper Donderer
https://www.sueddeutscher-barock.ch/In- ... derer.html
Marke?
Zu dem Chorherrenstift Kreuzlingen habe ich keine Literatur finden können, es sind aber Marken von Chorherrenstiften sind bekannt, z.B. Baumburg. Im Falle einer Marke könnte es sich um eine „3“ bei der Zahl/Symbol unter dem Loch handeln und es wäre eine Wertmarke. Ungewöhnlich ist aber die Form: Dick und im Querschnitt trapezoid. In der Regel handelt es sich bei Marken um münzähnliche Objekte – dünne, oft rund – aus Kupfer, Messing oder Blei, teilweise sind auch Silberabschläge bekannt.
Siehe z.B.:
Beierlein, J.P.: Münzen bayerischer Klöster, Wallfahrtsorte und anderer geistlicher Institute, 1857
Mir ist wenig bekannt über die Verwendung von Marken in Chorherrenstiften, von daher hatte ich zwei Herren angeschrieben, Herrn Dr. Michael Mente, Autor des Buches „Essen, Alltag und Verwaltung im Kloster - Das "Kreuzlinger Küchenbuch" von 1716“ (seine Dissertation 2015) und den Kurator Herrn Brenneis vom Hausmuseum des ehemaligen Klosters Kreuzlingen. Diese wandten sich wiederum an andere Experten (ein Archivar der Kirchengemeinde und Lokalhistoriker, ein Mitarbeiter des Kantonmuseums in Thurgau), Daraus ergaben sich zwei andere Ansätze:
Siegel?
Nach Ansicht des Archivars handelt es sich um „ein Bleisiegel, womit zum Beispiel den Lehenverträgen durch den Grundeigentümer die rechtliche Bedeutung zuerkannt wurde. Damit besass der dem Kloster Lehenpflichtige gewissermassen die Berechtigung zur Bewirtschaffung des geliehenen, meist landwirtschaftlichen Gutes. Da gemäss den damaligen Verhältnissen in den einfachen Behausungen der Bauern keine besondere Aufbewahrungsmöglichkeiten vorhanden waren, gelangten an Stelle der Lack- oder Wachssiegel solche Bleisiegel zur Verwendung, sie waren vor der Beschädigung besser geschützt. Das vorliegende Fundstück weist eine Durchlochung auf, womit das Siegel mit der betreffenden Urkunde verbunden wurde.“
Ich bin absoluter Laie auf dem Gebiet von Siegeln. Ich war bisher davon ausgegangen, dass Siegel bei Entfernung der Fäden zerstört werden sollten. Die Klosterverwaltung kannte sicher die Lehennehmer sehr gut, sodass das vielleicht nicht so konsequent gehandhabt wurde. Auf Nachfrage besaß das Archiv leider keine versiegelten Verträge. Auch ist m.E. unklar, was die Zahl/Symbol unter dem Loch bedeuten sollte.
Gewicht?
Nach Ansicht des Mitarbeiters im Kantonmuseums „erinnert der Querschnitt mit seiner Pyramidenstumpfform stark an Münzgewichte bzw. Apothekergewichte der Zeit. Die Wertziffer 3 unter der Lochung könnte auch das Zeichen für eine Drachme für ein Apothekergewicht sein. Nach dem Nürnbergerpfund ausgerichtet - in der Ostschweiz üblich - müsste eine Drachme ca. 3.7 g entsprechen. Das wäre vielleicht zu überprüfen, ob das vorliegende Objekt in etwa diesem Gewicht entspricht. Die Punzierungen könnten dann als Eichzeichen angesehen werden. Möglicherweise handelt es sich um ein Apothekergewicht, dass innerhalb des Klosters selbst hergestellt worden war (Material/Punzierung Abtwappen) und in der Klosterapotheke Verwendung fand?“
Auch hier bin ich ein absoluter Laie. Das Gewicht beträgt unter Berücksichtigung des Loches ca. 15,6 g, womit es für eine halbe Unze im Nürnberger Medizinalsystem (14,9 g) wohl zu schwer ist. Bei Verwendung des Basler Medizinalsystems (1/2 Unze = 15,75 g) oder als kaufmännisches Gewicht (in der Ostschweiz 15,6 g) würde es dagegen passen.
Aber was ist mit der Zahl/Symbol unter dem Loch?
(i) Zeichen für Unze = ℥, dann müsste dort noch ein s (semi) zu finden sein
(ii) Zeichen für Drachme = ʒ - was gut passen würde - dann müsste es dort aber noch eine 4 / iv / iiii geben.
Ich neige zur Gewichtshypothese, mir fehlt aber noch die Deutung des Symbols unter dem Loch.
Und jetzt würde mich Eure Meinung interessieren?
PS:
- Toll wie die angeschrieben Herren direkt und engagiert geantwortet haben. Das hat Spaß gemacht.
- Ich habe versucht für die Recherche auch mit KI zu arbeiten. Dabei fragte ich bei CHAT GTP nach Quellen als Beleg einer von CHAT GTP gemachten Aussagen. Es wurden einige Quellen angeführt. Auf weitere Nachfrage nach den genauen Zitaten kam dann "Es handelt sich um fiktive Quelle, um zu zeigen wie diese ausgesehen haben könnten. Sorry, wenn das zu Verwirrung führte". FAKES ALS ANGEBLICHE BEWEISE! Nie wieder.
ca. 30x30 mm, 15,49 g, Querschnitt trapezoid
Wappen, 3 Punzen (Stern, Rosette) unter dem Loch befindet sich eine Zahl oder ein Symbol
Material Pb
Herkunft
Das war der einfache Teil, da die Vermutung sich als richtig erwies. Schlüssel ist das Wappen, welches sich als das Wappen des Abtes Prosper Donderer (1760-1779) erweist. Im Feld 1 und 4 sieht man das Wappen der Abtei, im Feld 2 und 3 sein persönliches Wappen – einen Blitze schleudernden Zeusadler über 3 Bergspitzen (zumindest diese sind noch klar zu erkennen). Im Herzschild die Mondsichelmadonna mit Kind – also das Wappen der 1638 inkorperierten Probstei Riedern am Wald. Man findet das Wappen prominent über dem schiffseitigen Chorbogen der Kirche, am Chorgestühl, an der Chororgel und als Steinplastik über dem Hauptportal des Prälaturflügels … und damit auch im Internet. Oberhalb des Wappens befindet sich der Stab des Abtes, eine Mitra und ein Kreuz – Die Mitra ist eine Erinnerung, dass Papst Johannes XXIII Anfang des 15. Jahrhundert – als Dank für die Aufnahme zur Zeit des Konstanzer Konzils – dem Abt eine prachtvolle Inful schenkte und die damit nun „infulierten“ Äbte das Recht hatten während der Messe „Pontifikalinsignien“ zu tragen.
Literatur:
Wikipedia: Kloster Kreuzlingen, Kloster Riedern am Wald, Prosper Donderer
https://www.sueddeutscher-barock.ch/In- ... derer.html
Marke?
Zu dem Chorherrenstift Kreuzlingen habe ich keine Literatur finden können, es sind aber Marken von Chorherrenstiften sind bekannt, z.B. Baumburg. Im Falle einer Marke könnte es sich um eine „3“ bei der Zahl/Symbol unter dem Loch handeln und es wäre eine Wertmarke. Ungewöhnlich ist aber die Form: Dick und im Querschnitt trapezoid. In der Regel handelt es sich bei Marken um münzähnliche Objekte – dünne, oft rund – aus Kupfer, Messing oder Blei, teilweise sind auch Silberabschläge bekannt.
Siehe z.B.:
Beierlein, J.P.: Münzen bayerischer Klöster, Wallfahrtsorte und anderer geistlicher Institute, 1857
Mir ist wenig bekannt über die Verwendung von Marken in Chorherrenstiften, von daher hatte ich zwei Herren angeschrieben, Herrn Dr. Michael Mente, Autor des Buches „Essen, Alltag und Verwaltung im Kloster - Das "Kreuzlinger Küchenbuch" von 1716“ (seine Dissertation 2015) und den Kurator Herrn Brenneis vom Hausmuseum des ehemaligen Klosters Kreuzlingen. Diese wandten sich wiederum an andere Experten (ein Archivar der Kirchengemeinde und Lokalhistoriker, ein Mitarbeiter des Kantonmuseums in Thurgau), Daraus ergaben sich zwei andere Ansätze:
Siegel?
Nach Ansicht des Archivars handelt es sich um „ein Bleisiegel, womit zum Beispiel den Lehenverträgen durch den Grundeigentümer die rechtliche Bedeutung zuerkannt wurde. Damit besass der dem Kloster Lehenpflichtige gewissermassen die Berechtigung zur Bewirtschaffung des geliehenen, meist landwirtschaftlichen Gutes. Da gemäss den damaligen Verhältnissen in den einfachen Behausungen der Bauern keine besondere Aufbewahrungsmöglichkeiten vorhanden waren, gelangten an Stelle der Lack- oder Wachssiegel solche Bleisiegel zur Verwendung, sie waren vor der Beschädigung besser geschützt. Das vorliegende Fundstück weist eine Durchlochung auf, womit das Siegel mit der betreffenden Urkunde verbunden wurde.“
Ich bin absoluter Laie auf dem Gebiet von Siegeln. Ich war bisher davon ausgegangen, dass Siegel bei Entfernung der Fäden zerstört werden sollten. Die Klosterverwaltung kannte sicher die Lehennehmer sehr gut, sodass das vielleicht nicht so konsequent gehandhabt wurde. Auf Nachfrage besaß das Archiv leider keine versiegelten Verträge. Auch ist m.E. unklar, was die Zahl/Symbol unter dem Loch bedeuten sollte.
Gewicht?
Nach Ansicht des Mitarbeiters im Kantonmuseums „erinnert der Querschnitt mit seiner Pyramidenstumpfform stark an Münzgewichte bzw. Apothekergewichte der Zeit. Die Wertziffer 3 unter der Lochung könnte auch das Zeichen für eine Drachme für ein Apothekergewicht sein. Nach dem Nürnbergerpfund ausgerichtet - in der Ostschweiz üblich - müsste eine Drachme ca. 3.7 g entsprechen. Das wäre vielleicht zu überprüfen, ob das vorliegende Objekt in etwa diesem Gewicht entspricht. Die Punzierungen könnten dann als Eichzeichen angesehen werden. Möglicherweise handelt es sich um ein Apothekergewicht, dass innerhalb des Klosters selbst hergestellt worden war (Material/Punzierung Abtwappen) und in der Klosterapotheke Verwendung fand?“
Auch hier bin ich ein absoluter Laie. Das Gewicht beträgt unter Berücksichtigung des Loches ca. 15,6 g, womit es für eine halbe Unze im Nürnberger Medizinalsystem (14,9 g) wohl zu schwer ist. Bei Verwendung des Basler Medizinalsystems (1/2 Unze = 15,75 g) oder als kaufmännisches Gewicht (in der Ostschweiz 15,6 g) würde es dagegen passen.
Aber was ist mit der Zahl/Symbol unter dem Loch?
(i) Zeichen für Unze = ℥, dann müsste dort noch ein s (semi) zu finden sein
(ii) Zeichen für Drachme = ʒ - was gut passen würde - dann müsste es dort aber noch eine 4 / iv / iiii geben.
Ich neige zur Gewichtshypothese, mir fehlt aber noch die Deutung des Symbols unter dem Loch.
Und jetzt würde mich Eure Meinung interessieren?
PS:
- Toll wie die angeschrieben Herren direkt und engagiert geantwortet haben. Das hat Spaß gemacht.
- Ich habe versucht für die Recherche auch mit KI zu arbeiten. Dabei fragte ich bei CHAT GTP nach Quellen als Beleg einer von CHAT GTP gemachten Aussagen. Es wurden einige Quellen angeführt. Auf weitere Nachfrage nach den genauen Zitaten kam dann "Es handelt sich um fiktive Quelle, um zu zeigen wie diese ausgesehen haben könnten. Sorry, wenn das zu Verwirrung führte". FAKES ALS ANGEBLICHE BEWEISE! Nie wieder.