Antike Münzen aus Mehrfachstempeln

Keltische Münzen

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Altamura2
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Antike Münzen aus Mehrfachstempeln

Beitrag von Altamura2 » So 11.02.24 15:53

Kürzlich hab' ich mir eine keltische Münze gekauft, die zwar nicht sonderlich gut aussieht :? , aber deutliche Spuren der Verwendung eines Mehrfachstempels aufweist :D . Dem wollte ich mal nachgehen, und da ich auf mehr gestoßen bin, als ich erwartet hatte, will ich das hier mal kurz zusammenfassen (na ja, ganz so kurz ist es jetzt nicht geworden 8) ). Das Thema geht zwar quer durch einen Großteil der antiken Münzprägung, da mein Anstoß aber eine keltische Münze war, pack' ich das hier bei den Kelten rein :D .
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Biturigen.jpg
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Die Zuordnung der Münze selbst ist bis heute nicht einvernehmlich geklärt. Sie ist Teil einer Serie, die auf dem Avers einen sogenannten "aquitanischen Kopf" aufweist, der durch drei große, flächige Locken oder Haarwellen charakterisiert ist. Auf dem Revers sieht man ein Pferd, meist nach links, über und unter dem sich allerlei Symbole befinden.
Diese Serie zerfällt grob in zwei Gruppen. Auf einer befindet sich auf dem Revers über oder unter dem Pferd ein kleiner abgetrennter Kopf (in der französischen Literatur heißt das teilweise wirklich so martialisch "tête séparée" 8O ). Bei der zweiten Gruppe befindet sich über dem Pferd ein Schwert, eine Art Baumstruktur oder ein Wildschwein und unter dem Pferd weitere Symbole, meist ein kleiner Kreis. In der zweiten Gruppe gibt es auch Münzen mit einer kurzen Legende. Diese zwei Gruppen unterscheiden sich im Gewicht, die erste liegt etwa bei 2,2 g, die zweite bei 1,9 g.

Die erste Gruppe wurde schon sehr früh den Lemoviken (https://de.wikipedia.org/wiki/Lemoviken) zugeordnet, bei der zweiten Gruppe gibt es bis heute neben den Lemoviken auch die Zuweisung zu den Bituriges Cubi (https://de.wikipedia.org/wiki/Biturigen).
Die Zuordnung erfolgt aber immer hauptsächlich über die geografische Fundverteilung, ist also auch immer von der aktuellen Fundlage abhängig.

Schon in Ernest Muret und M.A. Chabouillet, "Catalogue des monnaies gauloises de la Bibliothèque nationale", Paris 1889, werden die anepigraphen Stücke der zweiten Gruppe dieser Serie ab Seite 91 unter den Nummern 4092 bis 4111 beschrieben und den Biturigen zugeordnet: https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k ... /f118.item
Man findet diese Münzen heute in der BnF in Paris, immer noch mit den Nummern aus Muret und Chabouillet, hier mal zwei Beispiele (mit deutlich besseren Bildern als meines :D ):
https://catalogue.bnf.fr/ark:/12148/cb44802658v - https://catalogue.bnf.fr/ark:/12148/cb44802661r

Jean-Baptiste Colbert de Beaulieu und P.D. Labarrière haben dann in "Les monnaies d'argent de la trouvaille de Moulins-sur-Céphons", RBN 103, 1957, S. 31-46, einen Hortfund vorgestellt, der größtenteils Münzen aus dieser Serie enthält: http://www.numisbel.be/1957_3.pdf
Ein starkes Dutzend der vorgestellten Münzen weist Spuren aus Mehrfachstempeln auf, was von Colbert de Beaulieu und Labarrière explizit thematisiert, aber nicht im Detail untersucht wird.

In Daphne Nash, "Settlement and Coinage in Central Gaul c.200-50 B.C.", Oxford 1978, wird diese Serie getrennt nach den zwei Gruppen behandelt. Diejenige mit den abgetrennten Köpfen nennt sie "severed head group", sie wird ab Seite 285 diskutiert, die Gruppe ohne Köpfe auf dem Revers wird nach dem häufigsten Symbol über dem Pferd "sword group" genannt und ab Seit 210 behandelt.
Die "severed head group" ordnet Nash mit Bezug auf Colbert de Beaulieu den Lemoviken zu, aufgrund der Fundverteilung wird die Gruppe mit Schwert den Bituriges Cubi zugeschrieben, ohne dass dies aber im Detail diskutiert würde. Als Prägezeit sieht sie vor allem die Zeit des Gallischen Kriegs.

In neueren Veröffentlichungen werden die Münzen der "sword group" überwiegend den Bituriges Cubi zugeordnet, nur in Georges Depeyrot, "Le Numéraire Celtique", acht Bände, Wetteren 2002-2005, wird diese Serie wieder den Lemoviken zugeschrieben, wie man z.B. dem Artikel von Cédric Lopez von 2017 entnehmen kann (s.u.).


Nun aber zu den Mehrfachstempeln (für die aber auch andere Begriffe wie "Großstempel" verwendet werden). Darunter versteht man Unterstempel (die beim Prägen unten in einer Art Amboss eingelassen waren), in die mehrere Münzbilder nebeneinander eingraviert wurden. Wenn diese Münzbilder entsprechend dicht nebeneinander lagen und ein Schrötling nicht sorgfältig platziert wurde, dann konnten auf dem Avers der Münze Teile von zwei der nebeneinander eingravierten Bilder sichtbar sein. An meiner Münze oben sieht man das an den zwei sich fast berührenden Segmenten des Perlkreises. Da man als Reversstempel wohl immer nur solche mit einem einzigen eingravierten Bild verwendet hat, sieht man solche Spuren nur auf den Aversen.

Münzen mit Spuren von Mehrfachstempeln wurden schon recht früh dokumentiert, bereits in Louis De La Saussaye, "Numismatique de la Gaule Narbonnaise", Paris 1842, wird auf Tafel XX als Nummer 35 ein Exemplar eines Dupondius von Nîmes gezeigt, das Spuren eines Mehrfachstempels zeigt: https://www.digitale-sammlungen.de/de/v ... 1?page=311
Im Katalog wird es allerdings als "Médaille surfrappée" bezeichnet, also als Überprägung. Auf Seite 173 ist bei dieser und anderen Anomalien dann die Rede davon, dass sie vom Prägepersonal durch Trickserei aus Spaß produziert worden seien, was theoretisch in diesem Fall vielleicht auch sein könnte.
Eine solche Münze befindet sich heute in der BnF: https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b11284645g

George F. Hill stellt in "Ancient methods of coining", Numismatic Chronicle 1922, S. 1-42, einige Fälle von Mehrfachstempeln vor:
https://archive.org/details/in.gov.ignc ... 3/mode/2up (Text)
https://archive.org/details/in.gov.ignc ... 3/mode/2up (Tafel)
Die Beispiele stammen alle im weiteren Sinne aus der griechischen Münzprägung, das geht von Judäa über Sizilien bis Lykien. Ein paar seiner Beispiele kann man online nachvollziehen:
Judäa unter Alexander Jannäus: https://www.britishmuseum.org/collectio ... 8-0110-122
Segesta auf Sizilien: https://www.britishmuseum.org/collectio ... 46B-14-Seg
Alyzia in Akarnanien: https://www.acsearch.info/search.html?id=409254

Einen schönen Überblick über die Verwendung von Mehrfachstempeln (der für mich auch der Einstieg in dieses Thema war) gibt Bernhard Woytek in "Die Verwendung von Mehrfachstempeln in der antiken Münzprägung und die "Elefantendenare" Iulius Caesars (RRC 443/I)", SNR 85, 2006, S. 69-90: https://www.e-periodica.ch/cntmng?pid=s ... 5%3A%3A263
Er zeigt weitere Beispiele an persischen Sigloi und auch parthischen Münzen, insbesondere aber zwei Exemplare der Elefantendenare Caesars mit Spuren von Mehrfachstempeln, die beide der Gruppe "schlechten Stils" zuzurechnen sind. Eines dieser Exemplare kann man hier sehen: https://www.acsearch.info/search.html?id=261006
Da die Verwendung von Mehrfachstempeln in Gallien häufig anzutreffen ist, zieht Woytek den Schluss, dass dies auch die Annahme bestätigt, dass die Münzen schlechten Stils in Gallien hergestellt wurden (und nebenbei auch diejenige, dass die Seite mit dem Elefanten der Avers ist).

Woytek verweist insbesondere auch auf Veröffentlichungen von Bernward Ziegaus, in denen zwei Hortfunde mit keltischen Unterstempeln beschrieben werden, in die zwei Münzbilder nebeneinander eingraviert waren, siehe beispielsweise Bernward Ziegaus, "Die Werkzeuge der keltischen Münzmeister", in Michael Alram et al. (Hrsg.), "Akten des 5. Österreichischen Numismatikertages, Enns, 21.-22. Juni 2012", Enns - Linz 2014, S. 3-29: https://www.academia.edu/8188791/Die_We ... _2014_3_29
Die Münzbilder sind hier allerdings soweit im Stempel vertieft, dass die damit geprägten Münzen eher keine Spuren des Mehrfachstempels zeigen konnten.

In letzter Zeit hat sich Cédric Lopez mit diesem Thema befasst, vor allem in "Les coins à empreintes multiples - Quid des Gaulois?", RBN CLXIII, 2017, S. 27-51: http://www.numisbel.be/2017_2.pdf
Er stellt hier eine ganze Reihe an Beispielen einer Verwendung von Mehrfachstempeln in der Münzprägung Galliens zusammen und zeigt auch mit einem computerunterstützt erstellten Bild, wie ein solcher Mehrfachstempel ausgesehen haben könnte.

Dann gibt es noch einen Artikel von Cédric Peguin, "Une émission d'As de Nîmes issue de coins de droit à empreintes multiples : solution
technique aux rares spécimens tête-bêche et têtes affrontées", der 2023 auf academia.edu veröffentlicht wurde:
https://www.academia.edu/112338301/Une_ ... w=26552119
Dort wird die Verwendung von Mehrfachstempeln bei den Dupondien von Nîmes untersucht. Sie kommt wohl nur bei einer bestimmten Gruppe vor, so dass man annehmen kann, dass diese in einer gallischen Werkstatt durch gallisches Personal hergestellt wurde.
Und wenn man hier anfängt zu suchen, dann findet man eine ganze Menge Exemplare die mehr oder weniger deutlich aus solchen Mehrfachstempeln stammen :D :
https://www.acsearch.info/search.html?id=10922867 (bei Peguin erwähnt)
https://www.acsearch.info/search.html?id=9168934
https://www.acsearch.info/search.html?id=8435354
https://www.acsearch.info/search.html?id=4055427
https://www.acsearch.info/search.html?id=3477313
https://www.acsearch.info/search.html?id=4013190
https://www.acsearch.info/search.html?id=1769225
https://ikmk.smb.museum/object?lang=de&id=18215376 (wobei die Platzierung schon merkwürdig aussieht)

Seltsamerweise befindet sich der angrenzende Perlkreis fast immer auf der rechten Seite der Münze, was aber an der Anordnung der Münzbilder auf dem Mehrfachstempel liegen könnte. Der Anteil an der Gesamtprägung der Krokodilsmünzen kann auch nicht sehr hoch gewesen sein. Ich hab' hier bei acsearch mit "nemausus crocodile" gesucht, 1002 Treffer erhalten und die sieben Exemplare oben gefunden. Das wäre weniger als ein Prozent.

Vielleicht habt Ihr ja auch solche Münzen mit Verdacht auf Mehrfachstemepel, dann könntet Ihr die ja hier mal zeigen :D .

Gruß

Altamura
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