Lieber Anastasius.
ghost of anastasius hat geschrieben:
Wenn Lilije ... der Meinung ist, es gäbe Byzanz gar nicht, wie kann er sich dann selbst für einen Byzantinisten halten und Bücher über "Byzanz" schreiben ?

Weil sonst niemand versteht, was er meint?

Da halte ich mich aber mal raus, denn ich kenne den Autor nicht...
ghost of anastasius hat geschrieben:
Wenn alles in der Geschichte nach der Eigenbezeichnung der Betreffenden Subjekte beurteilt würde, müssten wir die Geschichte mehr oder weniger komplett neu schreiben. Was ist mit dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nationen ? Waren das dann auch noch Römer ? Oder sind wir gar über den Umweg des Preussischen Kaisertums, des Deutschen Reiches als Rechtsnachfolger immer noch Römer.
Unsere Gesetzgebung basiert ja doch auf dem Römischen Recht.
Da hast Du völlig recht, so einfach kann man sich das nicht machen. Lasse uns deine Einwände mal differenzieren.
Die Übernahme von Rechtstraditionen begründet sicher keine Nachfolge, sonst wäre Japan ja ein Nachfolgestaat Preußens.
(Während der Meiji-Zeit (1868-1912) übernahm Japan von Deutschland zahlreiche Teile des Rechts, der Staatsmann Ito Hirobumi nahm sich für die erste moderne Verfassung Japans die Preußische
Verfassung zum Vorbild.) Die Byzantiner übernahmen das römische Recht nicht wie die Japaner das deutsche, sondern entwickelten es weiter. Was ich meinte war: Das Recht war einfach schon da. Es gehörte (zu) ihnen. Justinian faßte die römischen Rechtstexte bloß im "Corpus Iuris Civilis" zusammen.
Etwas ganz anderes ist die Frage der Rechtsnachfolge, und da kenne ich mich nicht so gut aus. Aber wenn ein deutscher Kaiser den Rechtstitel einer Herrschaft über irgendein Volk am Mittelmeer hatte, dann werden ja nicht die Deutschen zu deren Nachfolgern oder aus den Völkern eines?!
Fraglos waren aber West- und Ostrom beide die Fortsetzung des römischen Reiches. Westrom verschwand, als der letzte Kaiser mit einer kleinen Rente nach Hause geschickt wurde (die nach heutigen Maßstäben fürstlich wäre). Ostrom war der verbleibende Rest des alten Reiches.
Das "vorbyzantinische" Römische Reich war keineswegs ein homogenes Gebilde. Die einzelnen Städte und Provinzen behielten in vielen Fragen ihre Selbstverwaltung, ihre Sprachen, Traditionen und Götter, auch wenn sie sich im Laufe der Zeit der römischen Kultur gezwungen und freiwillig annäherten. Bei Münzen sieht man das besonders deutlich an denen aus der ägyptischen Provinz. Die olympischen Spiele fanden z.B. bis 393 n. Chr. statt, auch wenn sich ihr Charakter sehr verändert hatte. Aber sie drehten sich als religiöses Fest noch immer um Zeus.
Daß sich "das Römische" in Ostrom zunehmend aus den verbliebenen (u.a. griechischen) Quellen speiste und sich zugleich eine neue christliche Welt entwickelte, kann nicht als Begründung dafür herhalten, dass nach dem Wegfall Westroms nun auch der ostliche Teil seine Wurzeln kappen müßte.
Etwas ganz anderes ist es, wenn man sich die Geschichte von heute aus betrachtet. Dann lassen sich viele Merkmale feststellen, die das römische Reich von 900 oder 1300 n. Chr. von dem Augustus oder Hadrians prägnant unterscheiden. Und man kann ja der Auffassung sein, dass die Unterschiede so groß sind, dass es keinen Sinn macht darin eine Einheit zu sehen. Am ehesten wird dies im Diskurs der Wissenschaftsdisziplinen geschehen. Da hat Anastasius recht: es ist zuallererst eine akademische Frage.
Aber nicht nur, denn aus dem Diskurs der Historiker, durch Bedeutungssucht und Machtlegitimation des westlichen Adels, durch das Schisma der Kirchen sowie durch die Aufklärung, die sich immer fragte, ob sie die Fortsetzung oder Wiedergeburt (Renaissance) der Antike ist, enstand die späte und nicht völlig zweckfreie Vorstellung, bei diesem "verderbten", "sittenlosen" Staat mit Haupstadt Konstantinopel könne es sich nur um etwas anderes handeln, als um das römische Reich eines Ciceros oder Seneca, zumal im wirklichen Rom ja auch noch der gute Papa logiert. Ging und geht es vielleicht
auch darum Geschichte als die eigene zu besetzen?
In diesem Sinne meine Antwort auf die den Thread leitende Frage:
Die Erfindung von Byzanz ist der wirkliche Anfang von Byzanz.
Liebe Grüße
Truben
PS:
Ich sehe gerade Wurzels Beitrag - das hast Du wirklich sehr schön geschrieben und ich stimme Deiner Methapher zu - außer hier: "Staat, der aus dem römsichen Reich entstanden ist". Er
ist das römische Reich, dem für die Zeit (etwa) ab dem Ende Westroms im Nachhinein und nicht nur in guter Absicht ein anderer Name gegeben wurde. Aber vielleicht meintest Du das ja.