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von chinamul » Mi 10.01.07 13:37
Um die schönste Kaiserin küren zu können, müssen wir uns wohl erst einmal einigen, was Schönheit denn ist. Man sagt, daß Schönheit im Auge des Betrachters liege. Das ist auch gut so, denn sonst würden die heftigsten Hahnenkämpfe um eine geringe Zahl "schöner" Frauen entbrennen, wobei die überwiegende Mehrzahl der anderen dann wohl unbemannt durchs Leben gehen müßte. Glücklicherweise ist dem aber nicht so, und deshalb findet fast jede Frau einen Partner, der ihr Aussehen passabel genug findet.
Wenn man den Porträts der Kleopatra (Abb. 1) glauben darf, entsprach sie nicht 100%ig unserem gängigen Schönheitsideal. Dennoch gelang es ihr, die mächtigsten Männer ihrer Zeit zu betören, ja einen sogar restlos um den Verstand zu bringen (s. Marcus Antonius). Offenbar ging ihre Wirkung auf Männer nicht in erster Linie von ihrem Aussehen aus, sondern eher von ihrem Charme, Geist und vielleicht auch von ihren Liebeskünsten.
Meinem Eindruck nach geht es in dieser Diskussion, die ja in die Wahl einer Miss Augusta münden soll, allzusehr eher um Liebreiz und Niedlichkeit als um echte Schönheit (s. Faustina II und meine Abb. 2 von Plautilla und Julia Paula). Schönheit, wie ich sie verstehe, ist immer ein Produkt gelebten Lebens. Schulmädchen zwischen 10 und 18 Jahren - und auf diesem Gebiet kenne ich mich als ehemaliger Gymnasialpauker aus - sind daher niemals schön im eigentlichen Sinne. Sie sind allenfalls entzückend, niedlich, hübsch, reizend und manche mögen durchaus für später einmal wirkliche Schönheiten zu werden versprechen.
Aus all diesen Gründen ist und bleibt Faustina I (Abb. 3) meine Favoritin, zumal sie die Gattin des von mir geschätzten Antoninus Pius war.
Wir sollten indessen auch die Schönheit des Alters nicht aus dem Auge verlieren. Beim Betrachten von Münzen der Julia Maesa (Abb. 4) etwa werde ich immer an die Kohlezeichnung Dürers von seiner 63jährigen Mutter erinnert (Abb. 5). Die alte Frau wirkt zwar auf den ersten Blick eher abstoßend, aber der Künstler hat hier mit viel Empathie und Sohnesliebe das gezeichnet, was er in diesem Gesicht sah: die tiefen Spuren eines - für damalige Verhältnisse - langen und offenbar beschwerlichen Lebens, das vermutlich auch von Entbehrungen und Krankheiten gekennzeichnet war.
Auch Julia Maesa ist eine alte Dame, die es, anders als Augustus, ohne übertriebene Eitelkeit immerhin zugelassen hat, daß man sie so porträtierte, wie sie eben aussah. Jetzt wirkt sie - ganz egal wie sie im Leben wirklich war - wie eine liebe Oma, und wer wollte leugnen, daß auch an einer solchen durchaus Schönheit zu finden sein kann.
Gruß
chinamul
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