Die Villa Publica
Die meisten Rombesucher kennen sicherlich
Berninis berühmten Elefantenobelisk auf der Piazza della Minerva inmitten des städtischen Zentrums.
Hier befand sich einst das Zentrum eines der grössten und wichtigsten öffentlichen Gebäudes des republikanischen Roms, der
Villa Publica. Obwohl heute keinerlei Reste mehr sichtbar sind, ist ihre Lage ziemlich genau bekannt. Cicero, Varro und Plutarch beschreiben sie
angrenzend an die Saepta, den Circus Flaminius und den Bellona-Tempel. Darüber hinaus ist sie zumindest fragmentarisch auf jenem antiken Stadtplan erhalten, den man als
Forma Urbis Severiana kennt. An ihrem südlichen Ende stiess sie annähernd an die vier republikanischen Tempel des Largo Argentina, besser bekannt als das „Katzenforum“.
(Quelle:
https://www.quondam.com/e30/3098.htm / Platner)
Die Villa Publica war
das erste öffentliche Gebäude auf dem Marsfeld (
Campus Martius) und das einzige, das vor dem Ende der Republik errichtet wurde. Nach Livius fand der erste Bau 435 v.Chr. statt. Zunächst befasste sich der Ort mit Menschen und Schafen, denn das primitive Leben in der frühen Republik war grösstenteils von der Landwirtschaft geprägt. So wird das Gebäude in Einheit mit der angrenzenden Saepta mit zwei antiken Vegetations- und Herdengöttinnen in Verbindung gebracht: Pales und Flora. Pales war eine antike bäuerliche Gottheit und Beschützerin der Bauern und des Viehs, Flora war die Göttin der (Getreide)blüte. Am 21. April wurde Pales zu Ehren das Fest der Reinigung der Herden, die
Palilia oder
Parilia, gefeiert und am 28. April das der Göttin Flora. Angrenzend an das Gebäude befand sich der eingezäunte Bereich, die Saepta, in dem sich die
comitia centuriata zur Abstimmung versammelte. Die Unterteilung dieses Bereichs in kleinere Abschnitte für Stämme und Jahrhunderte führte dazu, dass er einem Schafstall ähnelte, und daher wurde er oft
ovile (Pferch) genannt.
Zunächst fanden hier die
Schätzungen der Besitztümer statt, wobei der Reichtum der Bürger durch die Anzahl der Schafe gemessen wurde. Als erstes wurde die Zählung durchgeführt und dann die
lustratio, d.h. die Segnung und Reinigung der Herden, die am Fest der Pales stattfand. Livius berichtet, dass die Villa Publica auch von Anfang an für den
census populi, die
Volkszählung, verwandt wurde.
Überliefert ist, dass das Gebäude im Jahr 194 v.Chr. vergrössert wurde. Der Konsul Titus Didius ließ sie im Jahr 98 v.Chr. nochmals restaurieren. Im Zuge der Baumassnahmen wuchs sie zu stattlicher und imposanter Grösse heran. Auf einer Münze des Fonteius aus dem Jahre 55 v.Chr. ist die Villa Publica als ummauerte Anlage dargestellt, innerhalb derer sich ein Platz mit einem zweistöckigen Gebäude befand, von dem das untere mit einer Reihe von Bögen nach außen geöffnet war. Es war von großer Schönheit, wie Varro bezeugt, geschmückt mit Gemälden und Statuen.
Im Laufe der Jahrhunderte fielen dem repräsentativen Gebäude weitere Aufgaben zu. So diente es auch als
Unterkunft für Offiziere, die zur Volkszählung oder zur Rekrutierung von Legionären angeheuert wurden, aber auch für
ausländische Botschafter, wie 202 v.Chr. für die karthagischen Botschafter und 197 v.Chr. für die Makedonier.
Die Villa Publica war aber ebenfalls jener wichtige Ort, an dem sich die Generäle niederließen, während sie auf ihren Triumph warteten, da sie als Oberbefehlshaber eines Heeres das Pomerium der Stadt nicht überschreiten durften. Die Römer hatten dieses Gesetz geschaffen, um eine Wiederherstellung der Monarchie durch einen siegreichen und ehrgeizigen Feldherrn zu verhindern. So musste Caius Julius Caesar 60 v.Chr., als er mit einem Teil seines Heeres von der iberischen Halbinsel zurückkehrte auf die Feier seines Triumphes verzichten, um nach Rom zu gelangen und seine Kandidatur für das Konsulat persönlich vorzustellen.
Ferner befand sich in der Villa Publica der
Sitz der Zensoren, und auch die Einberufungen fanden dort statt. Unter Caesar wurden die Gebäude für die Wahlen eingerichtet, sowohl die Saepta Iulia, die später von Augustus fertiggestellt wurde, als auch die Villa Publica.
Die Bedeutung der Villa Publica für die römische Gesellschaft bestand vor allem in den strategischen Vorteilen ihrer Lage. Außerhalb der Stadt und im Bereich der römischen Armee bot die ummauerte und hochsichere Villa Publica den perfekten Ort, um politische und militärische Persönlichkeiten zu beherbergen, ohne Gefahr zu laufen, dass diese mit den eigenen Streitkräften oder denen der Verbündeten, die sich möglicherweise außerhalb befanden, korrespondierten. Außerdem konnten sie von römischer Seite überwacht werden, während sie gleichzeitig in einer scheinbar prestigeträchtigen Villa untergebracht waren, was ihrer Eitelkeit schmeichelte.
Livius, Strabo und Dio schildern das wohl historisch berühmteste Ereignis der Villa Publica als Beispiel für Grausamkeit, begangen von dem im Bürgerkrieg siegreichen Diktator Sulla. Demnach sollen auf seinen Befehl hin im Jahre 82 v.Chr.
nach der Schlacht an der Porta Collina mehrere tausend samnitische Soldaten in das Gebäude gebracht und dort abgeschlachtet worden sein.Es heißt, dass die Schreie noch im Tempel der Bellona zu hören waren, wo sich der Senat versammelt hatte, um einer Rede Sullas zu lauschen. Diese Schilderung überlieferte aber auch für die spätere Forschung wichtige Hinweise zur genauen Lokalisation.
Als Agrippa die Saepta Iulia im Jahre 26 v.Chr. fertigstellen liess, wurde die Villa Publica wahrscheinlich teilweise in die neue prächtige Säulenhalle integriert. Nach der schriftlichen Überlieferung waren es zuletzt Vespasian und Titus, die in der Villa Publica auf ihren Einzug in die Stadt anlässlich des Triumphes für den Sieg im Jüdischen Krieg warten mussten. Ende des 1. Jahrhunderts n.Chr. verliert sich dann die Spur des Gebäudes, und ein Fortbestehen bzw. die Weiternutzung als wichtiges öffentliches Gebäude kann nicht mehr angenommen werden. Auf den betreffenden Fragmenten der
Forma Urbis Severiana ist ersichtlich, dass sich in ihrem Inneren lediglich noch ein kleiner Tempel befand, der der Göttin Flora gewidmet war, die vom 28. April bis zum 9. Mai mit der Floraria gefeiert wurde.
Trotz des Fehlens jeglicher archäologischer Spuren haben wir dank der antiken Geschichtsschreiber doch ein recht genaues Bild des ehemals so wichtigen Gebäudes. Und als plastische Überlieferung existiert immerhin der nachfolgende
Denar von 55 v.Chr., die auf ihrem Revers zwar nicht die komplette Anlage der Villa mit ihren Details beschreibt, aber doch eine ungefähre Vorstellung über die wesentliche Struktur des Baus zulässt.
P. Fonteius P. f. Capito
Denar
55 v.Chr.
Rom
Av.: Verschleierte Concordiabüste mit Diadem n.r. - P FONTEIVS CAPITO III VIR CONCORDIA
Rev.: Frontalansicht der Villa Publica - links T DIDI, rechts VIL PVB, unten IMP
3,67 Gr.
Cr. 429/2
Zum Hintergrund dieser Münzprägung gibt es unterschiedliche Meinungen. Nach der Auffassung von
Crawford könnte der Münzmeister der Adoptivvater von Publius Clodius Pulcher sein, unterstreicht aber, dass es dafür keinen Beweis gibt. Letzterer war mit Cicero verfeindet, aber andererseits galten die Fonteii als Freunde des grossen Redners. So deutet er die Darstellung der Concordia als „gutes Einvernehmen“ zwischen den
novi homines und der
nobiles in dem Fall, dass man eine Freundschaft mit Cicero unterstellt. Die rückseitige Münzdarstellung der Villa Publica soll nach Crawford auf eine Verbindung der Familie des Münzmeisters mit T. Didius, der das Gebäude im Jahr 98 v.Chr. restaurieren liess, hinweisen.
Es gibt jedoch auch anderweitige Deutungen, die unbedingt Beachtung finden sollten. So spielt
Giuseppe Zecchini (Die öffentlichen Räume des Dictators Caesar) auf das umfangreiche Städtebauprogramm an, das Pompeius und Caesar seit Beginn der 50er Jahre verfolgten. Beide investierten grosse Summen, die sie bei ihren Feldzügen einbringen konnten, in die Erneuerung vieler öffentlicher Gebäude bzw. in ihren Neubau. Einer der Höhepunkte war, als im Herbst 55 v.Chr. das neue Theater des Pompeius eingeweiht wurde, dem ferner noch ein Tempel und eine neue Kurie angeschlossen war. Dieser „Inbesitznahme“ des Marsfeldes durch Pompeius wollte Caesar natürlich etwas entgegensetzen, so dass dieser u.a. die Baumassnahmen an der Villa Publica und den Bau der neuen Saepta Iulia übernahm.
Nach Zecchini ist die Deutung der Concordia dementsprechend auszulegen, dass sie die Eintracht der Triumvirn verdeutlichen soll. Und hier sollte man tatsächlich tief in die Geschichte eintauchen, und das Jahr 55 v.Chr. durchleuchten. Schon ein Jahr zuvor trafen sich die Triumvirn am „runden Tisch“, der von Plutarch und Appian als „Konferenz von Luca“ und mit der Anwesenheit von mindestens 200 Senatoren umschrieben wird. Die Forschung ist sich allerdings einig, dass das Zusammentreffen der Triumvirn höchstwahrscheinlich etappenweise abgelaufen ist. Viel wichtiger als der äussere Ablauf war jedoch der Inhalt; man war sich einig über das Konsulat für 55 v.Chr. und die gemeinsame Politik der nächsten Jahre. Dabei sollten die nächsten Konsulatswahlen so lange hinausgezögert werden, bis auch Caesar seine Anhänger aus dem Heer, deren Stimmen dann auf der Wahlversammlung den Ausschlag geben sollten, beisammen hatte. So fand die Veranstaltung erst im Januar statt, ging aber nicht so reibunslos über die Bühne, wie sich die Triumvirn das gewünscht hatten. Nur mit roher Gewalt konnte man den Gegenkandidaten L. D. Ahenobarbus ausschalten, und Pompeius verhinderte letztendlich noch die Wahl Catos zum Prätor. Doch dann verlief es nach Wunsch: Pompeius erhielt die beiden Spanien, Crassus Syrien, und gleichzeitig wurde auch – wie vorgesehen – das Imperium Caesars um fünf Jahre verlängert. Nach einem stürmischen Beginn verlief dann nicht nur das zweite gemeinsame Konsulat des Pompeius und Crassus ruhig, sondern das Jahr stand auch unter einer harmonischen Eintracht der Triumvirn. So könnte man also die Darstellung der Concordia auf der Münze ebenfalls passend deuten.
Letztendlich ist aber noch eine
Darstellung der Villa Publica aus dem Jahr 1627 von Lauro Laurus interessant. Der
Rekonstruktionsversuch zeigt den Bau mit einer großen und verzierten Treppe, die zur Dachterrasse hinaufführt, mit einem rotundenähnlichen Dach auf einem Vorsprung des Gebäudes ganz links und mit Statuen (3 abgebildet; vermutlich insgesamt 4; eine für jede Ecke), die die oberste Ebene schmücken. An der Seite der Treppe befindet sich außerdem ein ziemlich aufwändiges Relief, das möglicherweise Mars darstellt, dem der Campus Martius geweiht war.
Roma bella mi appare...