Die Recherche nach dem Wieso, Weshalb, Warum macht antike Objekte so interessant. Bei den Münzen ist es der Prägeanlass und die Deutung des Reversbildes, bei Artefakten die Herkunft und zeitliche Einordnung.
Dieses Boden-Rand-Fragment eines Sigillata-Tellers respektive einer Sigillata-Platte ist so ein Fall.
Solche Teller / Platten wurden schon vor Christi Geburt hergestellt. Die Sigillata-Werkstätten im etrurischen Arretinum (Arezzo) galten lange Zeit als einzige bedeutende Quelle für „arretinische“ Ware. Die Entdeckung von Brennöfen in Lugdunum 1966, wo man anscheinend identische Keramik produziert hat, beweist die Existenz von Zweigwerkstätten, die von einigen Arezzo-Töpfern errichtet wurden Die Analyse der Sigillaten aus dem Legionslager Haltern (7/5 v.Chr. - 9 n.Chr.) zeigt, dass hier 50 % aus der Lugdunumer Werkstatt La Muette, 30 % aus Pisa und nur 10 % auf jeden Fall von Arezzo stammten.
Die hier gezeigte Sigillata-Platte mit dem
Bodenstempel des FIRMVS (Bild unten, 1. Reihe links) stammt aber nicht aus dem 1. Jahrhundert n.Chr. Das erschliesst sich aus dem Fundkontext der beiden nachfolgenden Beispiele:
• Urnengrab Nr. 59 des römischen Friedhofs von Rheinzabern (Ludowici, Urnen-Gräber römischer Töpfer in Rheinzabern, 1908, S. 153) enthielt u.a. Sigillata-Geschirr mit Bodenstempeln VENICARVS, VALENTINI, PROBVS F(ecit),
FIRMVS (Bild unten, 2. Reihe links), B…S F(ecit) und …CA… sowie Bilderstempel COBNERTVS F(ecit). Die Werkstatt des Cobnertus vermutete bereits Ludowici in Rheinzabern (ebd., S. 133). „Die Erzeugnisse aus den Werkstätten von COBNERTVS I bis III werden der Rheinzabern Gruppe IA (150 bis 220 n.Chr.)“ (Ertl / Leitner, Terra Sigillata [Teil 2], in: Almogaren 53/2022, S. 64). Die Figurenstempel von Cobnertus I aus Lezoux kamen „über seine Werkstatt nach Rheinzabern … Aus sicher datierten Fundkomplexen ist kein einziges Stück nach 180 n. Chr. datierbar … Damit ist diese Töpferserie zwischen 160-180 n.Chr. zu datieren. … Der Anteil an Lezoux-Punzen bei Cobnertus II [ist] geringer … als in der Serie I. Daher kann man annehmen, dass die Serie II vielleicht später anzusetzen wäre als die Serie I. … Eine Datierung zwischen 160 und 190 n.Chr. dürfte demnach vertretbar sein. … Die relativ große Serie Cobnertus III ist möglicherweise eine Fortsetzung der Serie II … Aus den datierten Fundorten geht eine den Serien I und II vergleichbare Zeitstellung hervor, … so daß …
160 und 180 n.Chr. vertretbar ist. … Großschriftliche Namenstempel sind nur bei Cobnertus II und III nachweisbar“ (Mees, Organisationsformen römischer Töpfer-Manufakturen am Beispiel von Arezzo und Rheinzabern, in:iMonographien des RGZM, Bd. 52, S. 328 f.).
• Urnengrab Nr. 408, ebenfalls Rheinzabern, enthielt u.a. Sigillata-Geschirr mit Bodenstempeln CATVSFIC,
FIRMVS (Bild unten, 3. Reihe links), …II und …TIALIS sowie Bilderstempel CONSTAENI (Ludowici, Römische Ziegel-Gräber, 1912, S. 177). „Von Cerialis sind nachgewiesen Verknüpfungen mit dem Stempel Constaeni und mit Stabilis. … Mit Beginn des 2. Jahrhunderts hat Janus und etwas später Cobnertus zuerst verziertes Geschirr dort (in Rheinzabern) gemacht. Diesen schlossen sich Reginus und Cerialis an. … Cerialis und Constaeni verknüpft findet sich auch sonst häufig“ (Knorr, Die verzierten Terra-Sigillata-Gefässe von Rottenburg-Sumelocenna, 1910, S. 24 f.). „Die Dekorationsserie Cerialis I ist … eng mit der Serie Ianu I verzahnt. Laut der Liste mit gesichert datierten Fundkomplexen … war er um 180 n.Chr. auf dem Markt. … Muster aus der Serie Cerialis II sind zwar eng mit der Ianu-Gruppe verzahnt, sie verwenden aber bereits abgebrochene Figurenstempel, die noch vollständig bei Ianu I nachweisbar sind. … Die Verberitung der Cerialis II-Erzeugnisse konzentriert sich auf Raetien. …
Nach 180 n.Chr. ist sie nicht mehr in gesicherten Zusammenhängen nachweisbar“. Da Serie Cerialis III abgebrochene Figurenpunzen benutzte, „deren Originalzustände noch bei Cerialis II erhalten sind, sollte sie zumindest teilweise später als Cerialis II gearbeitet haben … Die Serie III hat nicht nur beschädigte Punzen übernommen, die noch intakt bei Ianu I vorkommen, sondern auch ein beschädigtes Stück von Cerialis II, der wiederum eine beschädigte Punze benutzt hat, die bei Ianu I noch vollständig nachweisbar ist. Die Produktionsdauer bzw. der Fundniederschlag des Cerialis III konzentriert sich auf die Zeit zwischen 165 und 200 n.Chr.“ (Mees, ebd., S. 331 f.).
Für eine Datierung in die
Mitte des 2. Jahrhundert n.Chr. spricht auch der Standring (Bild unten, oben rechts der Standfuss des gezeigten Stücks): „Standringe durchlaufen eine Entwicklung von eher.schmalen, kantigen Formen hin zu breiten, runden Ausprägungen. Während in den südgallischen Werkstätten sowie beispielsweise in Chemery, Blickweiler und Heiligenberg
kantige Formen Verwendung fanden, finden sich in Rheinzabern ausschließlich breit ausladende Standringe (Bild unten, unten rechts). ]Ein Ende der Verwendung der schmalen Varianten ist demnach um die
Mitte des 2. Jahrhunderts anzusetzen. Sehr schön zu erkennen an einer Bilderschüssel des Töpfers Primitivus I mit schwerfälligem flachen Standsring, 190 - 220 n.Chr., ausgestellt im Archäologisches Museum Krakau. Eine strenge Regel ist aber, wie allgemein bei Formentwicklungen, … kaum. abzuleiten. Zwischenformen sowie eine gewisse Phase des Übergangs sind anzunehmen“ (Knopf, Ein neuer ostgallischer Töpfer, in: Fundberichte aus Baden-Württemberg, Bd. 20, S. 712 f.).
Im ganzen 2. Jahrhundert n.Chr. beherrschte die Töpferware aus Lezoux (bis zum Niedergang um 200 n.Chr.) den römischen Markt. Zu den Fabrikationen aus rotem Glanzton gehörten sowohl formgetöpferte Bilderschüsseln als auch glatte Keramik (vgl. van Oyen, How things make history, S. 41 und S. 48]). Die Lezouxer Sigillaten gelangten bis nach Britannien, Hispanien und Italien sowie an Rhein und Donau.
Ab 150 n.Chr. stieg dann ostgallische Sigillata, hauptsächlich aus Heiligenberg und Rheinzabern, rasch zur führenden Exportware auf („... aus der obergermanischen Manufaktur in Rheinzabern etwa von 150/160 und verstärkt ab 180 bis 260/270” [Barlovits etc., Erste flächige Vor-untersuchungen auf der ÖBB-Koralmbahn-Trasse in Srejach, 2009]).
Somit lässt sich das Stück ziemlich sicher so einordnen:
150 n.Chr. plus minus 30 Jahre
Manufaktur: Lezoux, Chemery oder Heiligenberg (nicht Rheinzabern)
Allerdings muss zum Bodenstempel angemerkt werden: „Hinsichtlich der sogenannten ,Werkstempel‘ bzw. ,Namensstempel‘ auf Sigillata-Erzeugnissen (am Schüsselboden, im oder unter dem Dekor oder am Rand) ist anzumerken, dass wir nicht immer wissen, wer sich nun hinter dem Namen verbirgt: der Unternehmer und einer seiner Sklaven (wie bei der arretinischen Sigillata) oder der Firmeninhaber oder der Dekorateur oder der Betreiber eines Filialbetriebes? Es ist auch möglich, dass es sich bei den Doppelstempelungen um Unternehmer und Handwerker oder um ein Inhaber/Pächter-Verhältnis handelt“ (Almogaren 53 / 2022, S. 15).