Annona oder Providentia?

Alles was so unter den Römern geprägt wurde.

Moderator: Homer J. Simpson

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chinamul
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Annona oder Providentia?

Beitrag von chinamul » Do 12.03.09 17:04

Annona oder Providentia?

Diese Frage wurde schon vor einiger Zeit im Forum thematisiert. Dabei wurde festgestellt, daß es sich bei der Gottheit mit den Ähren über Modius in der Rechten und Füllhorn im linken Arm in jedem Fall um die Annona handelt, auch wenn die Legende sie als Providentia bezeichnet.
Dazu habe ich mir inzwischen einige Gedanken gemacht, die ich hier einmal zur Diskussion stellen möchte.
Könnte es sein, daß Annona und Providentia, wenn sie in gleicher Weise dargestellt werden, zwei unterschiedliche Aspekte ein und desselben Vorgangs verkörpern?
Dann stünde die Annona für die konkrete Nahrungsmittelversorgung einschließlich der Beschaffung, des Transportes und der anschließenden Verteilung, während mit der Providentia der eher abstrakte Sachverhalt der klugen Vorsorge des Kaisers für das leibliche Wohl seiner Bürger gemeint wäre.
Die oben erwähnte Annahme, daß in den gleichen Darstellungen ungeachtet der unterschiedlichen Legenden stets die Annona zu sehen ist, wird noch gestützt durch das Vorhandensein eines speziellen Typus, der die Providentia mit Globus zu ihren Füßen zeigt. Auf diesen Globus deutet sie dann entweder mit einem Stab oder mit der bloßen Hand.

1. Sesterz Antoninus Pius – Annona mit Ähren über Modius und Anker – ANNONA AVG
2. Sesterz Severus Alexander mit der gleichen Darstellung, aber PROVIDENTIA AVG
3. Sesterz Philippus I Arabs – Annona mit Füllhorn statt Anker – Legende ANNONA AVGG
4. Sesterz Severus Alexander mit der gleichen Darstellung, aber PROVIDENTIA AVG
5. Sesterz Maximinus Thrax mit Bild der Providentia wie oben beschrieben – PROVIDENTIA AVG

Gruß

chinamul
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drakenumi1
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Beitrag von drakenumi1 » Sa 14.03.09 21:21

Hallo, chinamul,
ich kann sehr gut Deiner Argumentation folgen und habe überhaupt keine Einwände. Meine Gedanken gehen dahin, daß den Römern der Gesamtkomplex einer funktionierenden Versorgung mit Getreide sehr am Herzen lag. Entsprechend dicht ist er auch mit einem vielfältigen "Netz" von Gottheiten abgesichert, aus dem das Bemühen herausschaut, auf einer Münze durch möglichst viele Attribute ihre Beeinflussungsmöglichkeiten zum Ausdruck zu bringen. Aber, wie Du es schon bemerktest, gibt es ja die materiellen Faktoren, die den Ausgang der Ernte beeinflussen können und auch den Überseetransport mit seinen Gefahren auf der einen Seite und auf der anderen Seite die ideellen Faktoren der Umsicht und Fürsorge des Kaisers, seiner Gutwilligkeit und Kraft, sich und das Reich insgesamt florieren zu lassen, Gefahren abzuwenden, seien es Kriege oder Verschwörungen usw.usw.
Dazu waren tatsächlich Universalgötter von nöten! Eine Annona allein konnte das nicht leisten. Und bildlich war sie auch nur unvollkommen in der Lage, die ideellen Faktoren auszudrücken, die materiellen schon. Ergo kombinierte man die bildliche Aussage (Korn, modius, Füllhorn, Anker, Schiffsbug und Globus) mit der verbalen "PROVIDENTIA AVG" in der Erwartung, daß im Volke deren "Leistungen" weitgehend verstanden werden, gab es doch sogar seit Augustus für sie einen Tempel in Rom.
Und so entstand das Reversbild der Annona mit Providentia - Umschrift.
Wie überaus wichtig den Römern damals das Anliegen einer fünktionierenden Kornversorgung war, beweisen nicht nur diese beiden Göttinnen; auch die Ceres und Fortuna hatten sich "arbeitsteilig und umschichtig" damit zu befassen: Ceres als die ursprüngliche Göttin und Beschützerin der fruchtbaren Erde nahm wohl die Annona unter Nero als Abgesandte in ihre Dienste, unter Vitellius verschmelzen sie teilweise zu einer gemeinsamen Personifikation und unter Domit. ist Annona völlig mit Ceres verschmolzen. Unter Hadrian dann tauchen auf Münzen mit der Annona erstmalig der Modius auf und auch das Steuerruder, dieses als Attribut der Fortuna.
Übrigens: Wem das unbekannt sein sollte: Der Mensch ist in der Lage, sich über Jahre, wenn nicht sogar lebenslang ALLEIN von Korn und seinen schonend bearbeiteten Produkten ausreichend zu ernähren. Und das geschah auch, damals und bis in 16./17. Jahrhundert, ganz besonders und zielgerichtet bei den Heeren.

Grüße von

drakenumi1
Man kann, was man will, und wenn man sagt, man kann nicht, dann will man auch nicht.
(Baltzer von Platen/a. Rügen)

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Beitrag von richard55-47 » Sa 14.03.09 21:39

drakenumi1 hat geschrieben:Hallo, chinamul,
Meine Gedanken gehen dahin, daß den Römern der Gesamtkomplex einer funktionierenden Versorgung mit Getreide sehr am Herzen lag.
Drakenumis Aussage insgesamt kann ich nur beipflichten. Den o. zitierten Satz halte ich allerdngs für untertrieben. "Panis et circensis" lag "den Römern" nicht nur "sehr am Herzen", sondern war dem Herrscherhaus das Mittel zur Entrevolutionierung der Massen, quasi "Opium für das Volk", wie Karl Marx in anderem Zusammenhang formulierte.

Die Kombination Providentia mit Annona kann auch m. E. nur bedeuten, dass der Kaiser durch kluge Voraussicht und entsprechende Maßnahmen die Versorgung der Bevölkerung mit den elementaren Dingen des täglichen Lebens sicherstellt.
do ut des.

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Homer J. Simpson
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Beitrag von Homer J. Simpson » Sa 14.03.09 22:15

Klar - voller Bauch macht keine Revolution. Daher konnten anläßlich des Eintreffens der Getreideflotte aus Nordafrika Bevölkerung und Kaiser von Herzen gemeinsam feiern.

Das sind interessante Bilder von Annona mit ihren verschiedenen Attributen, insbesondere auch mit dem Anker der Laetitia. Mir ist es vor ein paar Jahren gelungen, ein Exemplar des seltenen Sesterzen von Antoninus Pius (RIC 757) zu ergattern, auf dem Annona neben dem Leuchtturm von Pharos steht und zusätzlich noch das Steuerruder der Fortuna trägt. Auf den besser erhaltenen Münzen dieses Typs sind links neben dem Modius noch zwei Schiffe zu erkennen. Das Objekt, das Annona in der emporgereckten rechten Hand hält, ist übrigens meines Wissens nicht sicher identifiziert. Es sieht aus wie ein Täfelchen mit einem runden Knopf obendran.

Viele Grüße,

Homer
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Peter43
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Beitrag von Peter43 » Sa 14.03.09 22:47

Ist wohl die Liste mit der Anzahl der Getreideamphoren! :D
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Beitrag von curtislclay » So 15.03.09 07:48

richard55-47 hat geschrieben:Die Kombination Providentia mit Annona kann auch m. E. nur bedeuten, dass der Kaiser durch kluge Voraussicht und entsprechende Maßnahmen die Versorgung der Bevölkerung mit den elementaren Dingen des täglichen Lebens sicherstellt.
Richtig. Es stimmt nicht, wie chinamul annimmt, dass die Legende Annona "als Providentia bezeichnet". Der Typ von Annona zeigt nur das Gebeit an, auf dem der Kaiser seine Voraussicht ausüben wird. Der Kaiser, der gerade damals weg von Rom auf Feldzügen im Osten und dann im Norden war, versichert, dass er sich trotzdem um Roms Getreideversorgung bemühen wird.

Das Täfelchen mit rundem Kopf obendran auf Homers Sesterz ist, nach D. van Berchem, Les distributions de blé et d'argent a la plebe romaine, Genf 1939, S. 92-95, ohne Zweifel die tessera frumentaria, die der Empfänger vorweisen musste, um sein Recht auf kostenloses Getreide nachzuweisen. Auf einer Wandmalerlei in Ostia und auf einer Basis im Vatikan wird die Annona mit demselben Attribut dargestellt. Ganz ähnliche Gegenstände aus Knochen oder Elfenbein sind auf uns gekommen und werden als Spieljetons identifiziert. Die tesserae frumentariae waren dagegen aus Holz und kein Exemplar davon ist auf uns gekommen.

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Beitrag von beachcomber » Mo 16.03.09 13:21

was deutlich zeigt, dass annona und liberalitas zusammengehören,die eine für getreidespenden des kaisers, die andere für geldspenden,während providentia allgemein die vorsorge des kaiser für das volk zu sorgen, darstellt.
grüsse
frank

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Beitrag von Peter43 » Mo 16.03.09 15:20

Bitte nicht vergessen, daß Providentia auch die Vorsorge des Herrschers für seine eigene Dynastie bedeutete. Deshalb gibt es viele Providentia-Münzen, wenn ihm ein Stammhalter geboren wurde.

Mir freundlichem Gruß
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