In einem Essay aus den Siebzigern dachte der griechische Nobelpreisträger Giorgos Seferis darüber nach, was er einem guten Freund raten würde, der anfangen wollte, sich mit der Architektur der alten Griechen zu beschäftigen. An diesen Essay musste ich die Tage denken, als hier jemand Rat für das Sammeln griechischer Münzen suchte und natürlich auch kompetent Auskunft bekam.
In diesem farbigen Thread fehlt es deutlich an Grüntönen. Eine der ersten antiken Münzen, die den Weg in unsere Sammlung fand, kann da zum Glück liefern:
Thrakischer Chersonesos, Gemeinschaftsprägung, 4. Jh. , AE12, 2,25 g, SNG Copenhagen 844ff.
Münzen dieses Typs hatten, wenn ich richtig gesucht habe,
2012 ihr Debut hier im Forum.
Thrakischer Chersonesos, diese Ortsbezeichnung ist vielleicht ein wenig irreführend, wenn man die Geographie der griechischen Welt nicht direkt parat hat. Das ist einfach die Halbinsel auf der europäischen Seite der Dardanellen. Hier ließ der persische Großkönig Xerxes das Meer peitschen, bevor er und seine Soldaten sich weiter im Westen eine blutige Nase holten. Hier schlugen die Türken unter dem Befehl Otto Liman von Sanders eine der berühmtesten und blutigsten Schlachten des Ersten Weltkriegs. Ein Kommandeur aus Thessaloniki namens Mustafa Kemal machte sich dabei verdient, bevor er Staatsmann wurde...
Die kleinen Poleis hier trugen Namen wie Kallipoli (Gallipoli, Gelibolu),
Kardia oder
Paktye. Ihre Nachbarn in der Troas auf der anderen Seite des Hellesponts waren ihnen sicher näher, als irgendeine Polis im thrakischen Hinterland und größere Spuren in der Geschichtsschreibung hinterliessen sie nicht.
Wenn man heute in Keşan von der Via Egnatia rechts abbiegt, kommt man zunächst durch ein bergiges, bewaldetes Naturschutzgebiet, bevor man die Halbinsel erreicht. Von der Fruchtbarkeit dieses Landstriches erzählt das auf der Münze abgebildete Korn. Wie ertragreich der Boden gewesen sein muss, lehren die weitaus häufigeren und bekannteren Silbermünzen mit dem Löwen. Heute stehen in den Feldern noch überwucherte und mit Graffitti besprühte Bunkerruinen. Zur Erntezeit stauen sich die LKW kilometerweit vor den Fähranlegern von Gelibolu und Eceabat. Das abgebildete Korn ist fast eine ebenso schöne Bilderfindung wie die Ähre aus Metapont am anderen Ende der griechischen Welt.
Wie üblich, hatten die Milesier auch bei den Polisgründungen am Hellespont ihre Finger im Spiel. Der Löwe auf dem Avers könnte also nach Ionien weisen, aber sicher waren die Städte hier auch willkommene Stationen auf dem Weg zum und vom Schwarzen Meer.
Schönen Restsonntag und einen guten Wochenstart,
Atalaya
Giorgios Seferis, Alles voller Götter. Essays (Leipzig 1989).