Wer hebt den Schatz im Kalle-Kai ?

Wie zahlten unsere Vorfahren? Was war überhaupt das Geld wert? Vormünzliche Zahlungsmittel

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mfr
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Wer hebt den Schatz im Kalle-Kai ?

Beitrag von mfr » Fr 31.03.06 20:21

Wer hebt den Schatz im Kalle-Kai?
Tausende Karolinger-Münzen im Millionenwert flogen vor 85 Jahren achtlos in den Beton

Vom 31.03.2006

Von

Kurt Buchholz

Siebzig Meter lang, viel Beton, Gleisreste einer alten Werksbahn davor, die einst in die nahe gelegene Fabrik Kalle führte. Parallel zum Damm die Biebricher Rheingaustraße mit der alten Rheinkaserne. Und in der Mitte des Stromes die grünen Freizeitparadiese Rettbergsau und Petersau. Autofahrer, wenn sie einen kurzen Halt einlegen und von Biebrich aus hinüberschauen zu den Rheininseln, parken gern in der Nähe. Ob sie wohl ahnen, was sich unter ihnen, in der Tiefe des aufgeschütteten Damms verbirgt? Wissen sie, dass im Kern des alten Verlade-Kais, an dem einst Rheinfrachtschiffe anlegten, ein Schatz versunken ist, der nur darauf wartet, gehoben zu werden? Ein Münzschatz von so immensem Wert, dass Numismatiker und Wissenschaftler blanke Augen bekommen, wenn von ihm die Rede ist. Alle Versuche, einen der bedeutendsten Münzfunde in Hessen aus grauer Vorzeit zu bergen, sind bisher gescheitert.

Bis zu zwanzig Millionen Euro soll sein ideeller Wert betragen. Eine für Münz-Raritäten gewaltige Summe, die Schatzsucher und Insider seit Jahren antreibt, ihr Glück zu versuchen. Doch alles umsonst. Selbst moderne technische Ortungsgeräte, die man einsetzte, führten nicht zum gewünschten Erfolg. Sie sprachen nicht auf den über tausend Jahre alten Silberschatz aus der Zeit Karls des Großen an, sondern registrierten statt dessen die Vielzahl der Eisenarmierungen, mit denen der einstige Kalle-Kai in Biebrich gespickt ist. Selbst die Numismatische Kommission der Länder, die vor 44 Jahren den Versuch unternahm, das Schatzgeheimnis zu lüften, biss sich an der Kaimauer die Zähne aus.

Wie aber kamen die Münzen, wie kam der unermessliche Schatz von 5000 bis 6000 wertvollsten Silber-Denaren in die Kai-Anlage? Rückblende in die Zeit vor 85 Jahren, ins Jahr 1921. Es ist die Zeit der Aufbruchphase nach dem Ersten Weltkrieg. Kalle lässt seine Kai-Anlagen zu einem Verlade-Hafen ausbauen, um den Warenumschlag zu beschleunigen. Die Darmstädter Firma, die den Zuschlag erhalten hat, steht unter Zeitdruck, denn das Frühjahrshochwasser naht. Wenigstens die Fundamente sollen bis dahin stehen. Ein Schaufelradbagger, der die Anlegestelle am Rheinufer vertiefen soll, ist rund um die Uhr im Einsatz.

Dann ein Morgen im Februar: Das laut ratternde Becherwerk des Baggers fördert außer Schlick und Schlamm einen tristen Gegenstand zutage: Einen unansehnlichen Ledersack, der plötzlich an einer der Schaufeln hängt. Acht bis zehn Kilogramm schwer, von brauner Farbe, an einer Seite aufgerissen. Schmutzverkrustete blitzende Metallscheiben fallen in den Schlamm. "Was ist das?" fragt einer der Arbeiter den Polier. Doch der winkt ab und gibt eine Erklärung, die überliefert ist: "Das sind Plättchen fürs Elektrische", klärt der Vorarbeiter auf. "Schmeißt den Krempel einfach in den Beton." So geschieht es.

Niemand, der zu diesem Zeitpunkt auch nur ahnen kann, dass der Sack den wohl bedeutendsten Münzfund aus der Karolingerzeit am gesamten Rhein enthält. Das erweist sich erst später, als einige der "Plättchen" auf dem freien Markt auftauchen. Einer der Arbeiter hat sie an jenem Februarmorgen des Jahres 1921 eingesteckt und der numismatischen Wissenschaft damit unbewusst einen unschätzbaren Dienst erwiesen. Denn spätestens zwei Jahre danach, als in einer Frankfurter Auktion sechzehn der Münzen auftauchen, weiß man: Die Fundstücke sind unersetzliche Silber-Denare aus der Zeit Karls des Großen, der von 768 bis 814 regierte und einem Riesenreich vorstand.

Das Auftauchen der aus dem Rhein geborgenen Münzen vor 85 Jahren kam damals einer Sensation gleich. Händler und Numismatiker rissen sich förmlich um die Fundstücke, von denen insgesamt 49 gerettet worden waren und registriert sind. 25 von ihnen landeten auf verschlungenen, heute nicht mehr nachvollziehbaren Wegen im Wiesbadener Landesmuseum und sind dort in der Sammlung Nassauischer Altertümer zu besichtigen. Die anderen Münzen versickerten im Privatbesitz. Zur Zeit befinden sich die numismatischen Museumsstücke allerdings in Hildesheim und bereichern als Leihgabe eine Ausstellung im dortigen Museum. Erst im Oktober werden die ausgeborgten Silber-Denare nach Wiesbaden zurückkehren.

Für die Wissenschaft bis auf den heutigen Tag unfassbar: Dass der Ledersack, der damals sinnlos in den Beton flog, 5000 bis 6000 weitere Silber-Denare enthalten hat, so jedenfalls die Schätzungen. Zahlungsmittel, die wichtige Rückschlüsse auf die Münzstätten im gesamten Karolingerreich erlauben. Dies vor allem macht den eigentlichen, den wissenschaftlichen Wert des Rheinschatzes aus.

Wie aber gelangte der Ledersack in den Rhein? Das Übergewicht an italienischen Münzen deutet darauf hin, dass die große Masse des Schatzes in Italien in Zahlung genommen wurde. War es ein friesischer Kaufmann, der nach lukrativen Geschäftsabschlüssen in Italien per Schiff die Rheinreise nach Hause antrat und bei Biebrich kenterte? Ein Schiffsunglück also. Oder handelte es sich gar um eine Kriegskasse Kaiser Karls, die 795 oder kurz danach im Strom versank? Denn 795 hatte der große Frankenherrscher, der König der Langobarden, die Großen seiner Zeit zum "Placitum" an der Mündung des Mainflusses, Mainz gegenüber, versammelt. Gut möglich also, dass ein kaiserlicher Schleppzug, der Zahlungsmittel vom Kostheimer Königshof zu den Kaiser-Pfalzen am Rhein transportierte, im Rheinstrom unterging. Man wird es wohl nie erfahren.

Aber dass sich der Silberschatz, der im Kalle-Kai "verschollen ist, eines Tages doch heben lässt - die nach ihm suchen, haben die Hoffnung nicht aufgegeben. Einer von ihnen, der Biebricher und ehemalige Kalleaner Günther Land, ging bisher davon aus, dass der Münzschatz in 2,80 Metern Tiefe ruht und relativ einfach zu heben wäre, weil er nicht etwa einbetoniert sei, sondern im weichen Kern des Dammes, in der Verfüllmenge des Kais, stecke. Als Anhaltspunkte dienten ihm unter anderem die im Sechs-Meter-Abstand versenkten Eisenpfosten-Fragmente des Kais. "Vor einem dieser Pfosten liegen die Münzen", gab sich der Biebricher felsenfest überzeugt. Doch die eigentliche Probe aufs Exempel steht noch immer aus. Sie ist nie gemacht worden.
Quelle: www.wiesbadener-tagblatt.de

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Beitrag von tournois » Fr 31.03.06 20:40

8O :cry:
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