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Postraub: Erste Festnahmen im Mai
Täter benutzten Nachschlüssel / Flut von Verlustmeldungen bei der Lokalredaktion
VON RAINER HOLZKAMP
"Wir müssen von einem Verlust ausgehen"
Gütersloh. Nachdem sich schon seit Tagen Leser in der Lokalredaktion melden und über spurlos verschwundene Briefe berichten, kam es gestern Vormittag zu einer wahren Flut von Anrufen. Binnen weniger Stunden meldeten sich rund 40 Opfer der möglichen Posträuber. Offenbar gibt es erste heiße Spuren.
Nachdem sowohl Polizei als auch die Deutsche Post AG gestern zunächst keine Angaben zum Stand der Ermittlungen machen wollten, erklärte die Polizei am Nachmittag in einer nachgeschobenen Pressemitteilung, dass bereits am 16. Mai in Rheda-Wiedenbrück zwei vorbestrafte Männer (49, 44) festgenommen wurden, in deren Wagen ein geöffneter Postsack und mehrere Briefe gefunden wurden.
In den Vernehmungen stellte sich heraus, dass die Männer "in der nahe zurückliegenden Zeit" in Rheda-Wiedenbrück, Beckum und Oelde Briefkästen mit Nachschlüsseln geöffnet hatten. Von Gütersloh war in dem Zusammenhang nicht die Rede. Bei einem Verdächtigen wurde außerdem eine größere Menge Bargeld gefunden. Die Ermittlungen würden voraussichtlich in der nächsten Wochen abgeschlossen.
Dass mit den Festnahmen der Fall gelöst ist, scheint unsicher. Denn mehrere Postraubopfer berichten von Verlustfällen nach dem 16. Mai.
Der Sprecher der Post in Düsseldorf, Achim Gahr, erklärte sein Unternehmen habe im Mai bei der Polizei in Rheda-Wiedenbrück Anzeige wegen verschwundener Privatpost erstattet und dabei "ausdrücklich auf Fälle im Großraum Gütersloh" hingewiesen. Davon wollte die Kreispolizei jedoch nichts wissen.
Auf die Frage, ob es sinnvoll sei, wenn die Betroffenen selbst zur Polizei gehen, meinte deren Sprecherin Corinna Koptik: "Durchaus. Jedenfalls dann, wenn bei der Post bereits ein Nachforschungsauftrag gestellt wurde und der keinen Erfolg gebracht hat." Die Polizei sei verpflichtet, dann auch zu ermitteln. Ob es immer gelinge, die Beweiskette zu führen, stehe freilich auf einem ganz anderen Blatt.
Zweifel am Ermittlungswillen der Behörden äußerten gestern eine Reihe von Anrufern und E-Mail-Verfasser. Wenngleich die Post beteuerte, die Sache "ernst" zu nehmen, vertrat die Polizeisprecherin die Ansicht, "die Sache wird heißer gekocht, als sie ist".
Indes hat der Verlust von Postsendungen für die Betroffenen oftmals äußerst unliebsame Folgen – gerade wenn Kondolenz- oder Glückwunschschreiben oder Einladungen den Empfänger nicht erreichen.
Bei NW-Leserin Dr. Adelheid Erbe aus Rheda-Wiedenbrück beispielsweise hat sich inzwischen soviel Ärger und Frustration aufgestaut, dass sie sich im Mai schriftlich an den Vorstandsvorsitzenden der Post AG, Klaus Zumwinkel, gewandt hat. Beigefügt hatte sie eine Dokumentation über ihre Verlustfälle, die sie seit zwei Jahren – im vergangenen halben Jahr gehäuft – verzeichnete. Es ging um aufwändig gestaltete Korrespondenz, häufig auch seelsorgerischen Inhalts. Selbst ein Einschreiben war nicht mehr auffindbar.
Weil Adelheid Erbe von der "Konzernleitung Kundenservice" in Bonn zunächst einen lapidaren Standardbrief als Antwort erhalten hatte, schrieb sie erneut: "Ich muss deshalb annehmen, Ihrem Unternehmen liegt gar nichts an der Ursachenforschung und deren Behebung." Anfang Juni teilte ihr der Kundenservice dann mit, "dass Ihren Beanstandungen sofort nachgegangen wird." Ergebnisse liegen der Medizinerin bis heute nicht vor. Sie ist nach wie vor wütend: "Man kommt sich vor wie eine Ameise."
NW-Leserin Stefanie Leisner schilderte den Verlust von Einladungen an ehemalige Grundschüler zu einem Klassentreffen aus dem Briefkasten an der Alten Heidewaldstraße. "Viele Kinder waren traurig, dass sie nicht teilnehmen konnten. Und manche Eltern waren auch auf mich wütend. Jetzt weiß ich, wo die Briefe hin sind."
Klar ist aber nur, dass sie verschwunden sind – oder, wie in manchen Fällen, Wochen später wieder auftauchten: aufgerissen und ohne Inhalt, versehen mit einem Vermerk der Post, dass "Unbefugte Zugriff darauf genommen" haben.
Postschwund wurde auch gestern wieder aus dem gesamten Stadtgebiet und darüber hinaus gemeldet. Und erneut handelte es sich fast ausnahmslos um Sendungen mit auffällig gestalteten Umschlägen, wie sie zu festlichen (Geschenk-)Anlässen gerne verwendet werden, die dicker waren als ein herkömmlicher Brief, und von denen man annehmen konnte, dass sie Geld enthielten.
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Dokument erstellt am 17.06.2004 um 20:46:54 Uhr
Erscheinungsdatum 18.06.2004