Hallo Wurzel,
es ist ein bißchen lange her, daß Du die Frage gestellt hast, aber das Thema interessiert mich auch; daher jetzt noch eine Antwort.
Den Versuch, die Kaufkraft römischer Münzen in Euro anzugeben, finde ich einigermaßen abenteuerlich. Das gilt übrigens ganz allgemein für derartig simpel aussehende Umrechnungen alter in moderne Währungen. Zwei Umstände sind hier relevant:
A) Für intertemporale Kaufkraftvergleiche braucht man vergleichbare Warenkörbe. Abgesehen davon, daß wir nicht wissen, was im Warenkorb Otto-Normalverbrauchers in römischer Zeit drin war, haben wir auch viel zu wenige Informationen über damalige Preise (die dichtesten Preisreihen stammen aus der röm. Provinz Ägypten. Aus dem Westen des Reichs ist kaum etwas bekannt). Dazu kommt, daß das röm. Reich schließlich einige Jahrhunderte lang bestand und daß sich die Preise in dieser Zeit ganz erheblich verändert haben. Im 3. und im 4. Jahrhundert z.B. gab es Perioden heftiger Preissteigerungen.
B) Kaufkraftvergleiche sind generell schwierig, weil sich die relativen Preise im Zeitablauf verschieben. Das heißt, daß sich nicht alle Güter und Dienstleistungen gleichmäßig verteuern oder verbilligen, sondern daß die Preise einiger Waren schneller steigen bzw. fallen als die anderer. Das kann verschiedene Gründe haben. Wenn z.B. die Bevölkerung wächst, wachsen auch das Arbeitskräfteangebot und die Nachfrage nach Lebensmitteln. Wenn es dann nicht gelingt, die Produktivät der Landwirtschaft zu steigern, sind die Leute bei fallenden Löhnen gezwungen, einen größeren Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel auszugeben. Für den Kauf von Gewerbeprodukten bleibt dann weniger übrig; dementsprechend sinkt die Nachfrage. Folge: Nahrungsmittelpreise steigen schneller als die von gewerblichen Produkten. So etwas ist in Europa z.B. im 16. Jahrhundert passiert. Bei schrumpfender Bevölkerung hat man die umgekehrte Entwicklung, so etwa im späten 14./frühen 15. Jahrhundert.
Ob ähnliche Mechanismen auch in römischer Zeit abgelaufen sind, wissen wir nicht. Das hängt u.a. davon ab, wie wichtig Geld in der damaligen Wirtschaft allgemein war. Diese Frage ist umstritten: Es gibt Historiker, die davon ausgehen, daß Münzen praktisch nur produziert wurden, um Staatsausgaben zu tätigen, und daß in weiten Teilen des Reichs Tauschhandel eine wichtige Rolle spielte. Andere nehmen an, daß Münzgeld praktisch dieselbe Rolle spielte wie z.B. im späten Mittelalter. Letzere Auffassung scheint mir alles in allem eher zuzutreffen.
Zuverlässige Informationen zur Preisentwicklung im röm. Reich findest Du bei Kenneth Harl (1996), Coinage in the Roman Economy, 300 B.C. to A.D. 700.
Hoffe, das war jetzt nicht zu technisch

! Gruß Pollio