Schraubthaler Augsburg - Geschichte oder Geschichte?

Deutschland vor 1871
Antworten
klaupo
Beiträge: 3654
Registriert: Mi 28.05.03 23:13
Wohnort: NRW
Hat sich bedankt: 11 Mal
Danksagung erhalten: 282 Mal

Schraubthaler Augsburg - Geschichte oder Geschichte?

Beitrag von klaupo » Sa 20.03.04 01:58

Ich möchte hier mal ein etwas ungewöhnliches Teil vorstellen:

Für die, die es fachlich mögen, kommen zu dem vorgestellten Teil (mit anderer Innengestaltung!) Auszüge aus den NNB 7 / 1998, der Rest ist nur eine Geschichte!
Dieser Schraubthaler wurde in Augsburg aus zwei identischen Talern der Stadt gefertigt. Er zeigt auf der Vorderseite den von der Sonne bestrahlten Pyr (Pinienzapfen) aus dem Stadtwappen. Eine Hand aus den Wolken reicht einen Palm- und Lorbeerzweig. Diese Friedenssymbole umranden den Pyr und ein Hufeisen - die Signatur des Münzmeisters Johann Bartholomäus Holeisen. Umschrift „AVGUSTA VIN - DELICORUM“. Die Rückseite zeigt den gekrönten Doppeladler mit Reichsapfel, Schwert und Zepter. Umschrift „IMP : CAES : FERD : III P F GER : HUN : BOH : REX 16 - 38“, also Kaiser Ferdinand III. (1608 - 57, reg. seit 1637).

Augsburg war im 17. und 18, Jahrhundert das Zentrum für die Herstellung von Schraubtalern. Auf den Innenseiten findet man aufgemalte Portraits oder Doppelportraits, eingelegte Kupferstiche oder eingearbeitete Gravuren. Diese Bearbeitung muß nicht in der Stadt selbst erfolgt sein, die Schraubtaler wurden auch leer exportiert. Auch besagt das Prägedatum der Münzen auf der Außenseite nichts über die Datierung der Gestaltung auf den Innenseiten. Durch stilistische Vergleiche und in wenigen Fällen datierte Portraits lassen sich Unterschiede von über zwanzig Jahren nachweisen. Verwendet wurden Taler aus dem regulären Zahlungsverkehr.?
Vor einiger Zeit geriet ich bei einem Händler an einen Nachlaß, darunter ein Karton mit Repliken, darin ein Münztütchen, das der Verstorbene oder wer auch immer beschriftet hatte mit dem Spruch: Tötet Eure irdische wilde Hurerei und alle Unreinigkeit. Muß ein komischer Heiliger gewesen sein, dachte ich, wenn er solche Sprüche auf seine Münztüten schreibt. Drinnen war der abgebildete Thaler, der merkwürdig leicht war. Ich legte ihn dem Händler vor, er wog ihn kurz in der Hand und legte ihn zu den anderen auf die Silberwaage. Zu Hause nahm ich ihn mir gründlicher vor, eine Seite hatte einen durchgängigen Rand - wie aufgesetzt. Ein paarmal auf die Münze geklopft - sie war hohl! Mit einem Cutter wollte ich das Stück aufhebeln, griff aber nochmal zu der Münztüte, fühlte, da war noch was drin und zog ein Pappkärtchen heraus: Augsburg 1638, Schraubtaler, Unikum, Handgravur Josef + Potifa. Was Schraubtaler sind, wußte ich, also den Taler auf die Handfläche gelegt, mit zwei Fingern und leichtem Druck die Oberseite der Münze gedreht: sie ließ sich ganz leicht öffnen, und innen war tatsächlich auf der einen Seite die biblische Szene vom keuschen Joseph graviert, der grade aus dem Bett hüpft und Frau Potiphar mit Nachtmütze, die noch drin war, und in die andere Hälfte der Spruch, der auch auf dem Tütchen stand.

Dann kam das, was sich im Kopf abspielt: ich wußte, daß solche Stücke auf Auktionen ausgerufen werden, aber für mich war das Jahr 1638 interessant. Das war genau das Jahr, in dem meine Vorfahren, die im Elsass in ihren Hütten saßen, erstmals in erhaltenen Urkunden erwähnt werden. Die haben eine solche Münze kaum je zu Gesicht bekommen, denn das war der Gegenwert für mehrere Monate Arbeit. Und in diesem Jahr war nun jemand, der kaum 100 km Luftlinie entfernt lebte, in einer Stadt hingegangen und hatte gleich zwei solche Taler zum Silberschmied gegeben, um ein Geschenk daraus fertigen zu lassen, denn zwei brauchte man: sie wurden ja ausgehöhlt und der Rand als Gewinde einmal außen, einmal innen geschnitten - unglaublich exakt übrigens! Dieser Mensch muß im Geld geschwommen haben - und das mitten im 30-jährigen Krieg.
Derartige Taler waren zu jener Zeit in vornehmen Kreisen beliebte und schon damals kostbare Erinnerungsstücke und Geschenke zu familiären Anlässen. Besonders verbreitet waren sie ... als Verlobungsgeschenke.
Bei dem vorliegenden Taler erhebt sich nun die Frage, welche kostbare Erinnerung bzw. welcher familiäre Anlaß für die Motivwahl des Geschenks den Ausschlag gab. An eine Verlobung mag man bei der Kombination von Bild und Sinnspruch nicht recht glauben.
Es gibt jedoch Exemplare mit den Portraits junger Männer, bei denen die andere Innenseite der Taler unbemalt blieb. Offenbar wurden diese Taler zunächst nur mit ihrem Portrait der Auserwählten überreicht, und erst nach der Verlobung folgte das Bild der Braut.
Das zurückgewiesene Geschenk einer Braut mit erhobenem Zeigefinger?

Was ich mit dem Teil gemacht habe? :wink: Ich hab es genauso untergebracht wie mein Vorgänger: zu den Repliken gelegt. Sammler sind nämlich auch Spinner... Aber ich sag mir einfach, vielleicht hat dann irgend jemand mal den gleichen Spaß, den ich hatte...

Interessant? :roll:
Dateianhänge
1638_Augsburg_Schraubtaler_Total.jpg
Zuletzt geändert von klaupo am Mi 07.04.21 15:18, insgesamt 1-mal geändert.
Folgende Benutzer bedankten sich beim Autor klaupo für den Beitrag:
Numis-Student (Mi 07.04.21 20:38)

Benutzeravatar
wpmergel
Beiträge: 1538
Registriert: Mo 08.07.02 10:09
Wohnort: Bad Arolsen
Hat sich bedankt: 0
Danksagung erhalten: 0
Kontaktdaten:

Beitrag von wpmergel » Sa 20.03.04 11:16

Interessant? Na klar, wie immer!
Aber diesmal auch außergewöhnlich amüsant....
Danke für Deinen tollen Beitrag.
Herzliche Grüße aus Waldeck
Wolfgang M.

www.Waldecker-Münzen.de
www.Waldecker-Münzfreun.de

Antworten
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 5 Gäste