Simmeringer Typ

Keltische Münzen

Moderator: Numis-Student

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harald
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Simmeringer Typ

Beitrag von harald » Mo 24.03.08 20:18

Zwei Drachmen des im Wiener Bezirk Simmering gefundenen und danach benannten Schatzfundes.

Die Heimat dieser Prägungen ist Bratislava.
Nachdem sich die Boier aus Böhmen zurückgezogen haben
60v. und 55 v.Chr. mit der Prägung von Gold- und Silbermünzen.
Das Silber prägten sie in Form von übergewichtigen Tetradrachmen, so genannten Hexadrachmen, Drachmen und Obolen.
Diese Drachmen sind jene des Simmeringer Typs, die Obole sind vom Karlsteiner Typ.

Man nimmt an, das für die Aversprägung der Simmeringer norische Stempel verwendet wurden von denen nur mehr der Lorbeerkranz sichtbar ist.
Die Reverse zeigen Pferde mit verschiedenen Beizeichen.
Die unter dem Pferdebauch sichtbaren senkrechten Linien werden als Fransen einer Satteldecke gedeutet.

Auf der zweiten, sehr seltenen Prägung ist unter dem Pferd die Inschrift NONNOS erkennbar, somit handelt es sich um eine Drachme zu diesem Großsilber

Drachme, Gewicht 2,12Gramm, D: 13mm, Göbl Typ5, Paulsen 883-907
Drachme, NONNOS, Gewicht: 2,01Gramm, D: 12mm, Paulsen 838
Dateianhänge
USimmeringer- Nonnos.JPG
Simmeringer Typ.JPG

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trajanus
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Beitrag von trajanus » Mo 24.03.08 22:52

Herrliche Stücke!
Jetzt muss man sich natürlich Fragen, wie die AV-Stempel von den Norikern zu den Simmeringer-Münzmeistern gekommen sind. Ob man damit auch gehandelt hat? Oder war es eine Kopie?

LG
trajanus
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harald
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Beitrag von harald » Di 25.03.08 08:20

Da muß ich zu einem historischen Exkurs ausholen:

Die Boier waren um die Mitte des 2.Jh.v.Chr. Nachbarn der Noriker.
Durch den Druck der Germanen zwischen 120 und 115v.Chr zogen sie aus ihren Niederlassungen in Böhmen und Mähren und im nördlichen Niederösterreich ab und ließen sich in Bratislava nieder
.
Um 58v.Chr. versuchten die Boier Norikum zu erobern und die boischen Fürsten wie Biatec, Nonnos und andere schlugen zum besolden des Heeres in großer Eile die bekannten Hexadrachmen.
An ihrer schlampigen Ausführung der Schrötlinge, aber auch der Prägung erkennt man einen großen Zeitdruck.

(Eine Parallele dazu sind die schlampig erzeugten COPO`s in Norikum)

Die Boier wurden geschlagen und bedrohten mit den Tauriskern weiterhin Norikum bis sie 49v.Chr. von den Dakern geschlagen wurden.

Im Zuge dieser Kriegswirren könten norische Prägestempel zu den Boiern gelangt sein, wie man am Simmeringer Typ, dem Totfaluer und anderen Beispielen gut erkennen kann.

Auf Grund dieser Niederlage wurde der Donauraum etwa um 49v.Chr. an Norikum angegliedert.
Somit reichte die Macht Norikums vom Wiener Becken bis Westungarn

Eine besonderheit gibt es noch zu diesen Drachmen anzumerken:
So wie in Norikum das Kleingeld bis in die Mitte des 1 Jh.n.Chr. weiterlief, kursierten auch diese Münzen in den römischen Niederlassungen bis zur Mitte des 1.Jh.n.Chr.

Grüße
Harald
Zuletzt geändert von harald am Mi 08.10.08 16:20, insgesamt 1-mal geändert.

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trajanus
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Beitrag von trajanus » Di 25.03.08 18:38

Herzlichen Dank für deine ausführliche Antwort!
Jetzt ist mir wieder einiges klarer!
Merci -
trajanus
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pixxer
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Beitrag von pixxer » Di 25.03.08 18:51

Wäre der Geschichtsunterricht in der Schule nur auch so interessant gewesen. Immer wieder ein Genuß deinen Ausführungen zu lauschen Harald...

taurisker
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Beitrag von taurisker » Di 25.03.08 19:27

Wäre der Geschichtsunterricht in der Schule nur auch so interessant gewesen...
Da kommt es wohl immer auf die Qualität bzw. das Engagement des Geschichtelehrers ab (... meine Geschichteprofs waren ausnahmslos alle Flaschen!).

Ich habe mir aber die Lust an der Historie nicht vermiesen lassen und eigene Nachforschungen angestellt, viele Bücher gewälzt und immer brav aufgepasst wenn kluge Leutchens etwas zu sagen hatten.

Das hat mich auch zur intensiven Beschäftigung mit antiker Numismatik geführt und ich muss sagen, dass es mit dem Begreifen der Zusammenhänge erst seit diesem Zeitpunkt so richtig angefangen hat ans Eingemachte zu gehen.

Zu den Münzlein sag ich immer: es sind kleine "Zeitkonserven" die uns einen gewaltigen Nachhall der Geschichte bringen, sie sind sozusagen ein Atem der Antike (...der mich jedesmal streift und für Gänsehaut sorgt wenn ich in meine Sammlung gehe).

Salü
taurisker

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Beitrag von pixxer » Di 25.03.08 19:37

Ganz deiner Meinung Herfried!

Darum schmökere ich auch so gerne in diesem Forum, weil man anhand der Münzen nicht nur trockene Theorie lernt sondern sie in einen realen Bezug bringen kann. Man hat einfach Geschichte in der Hand.
Erst vorige Woche bin ich ein wenig "fremdgegangen" und habe mir ein paar antike Chinesen gegönnt... das Gefühl von knapp 2500 Jahren menschlicher Handwerkskunst ist schon beeindruckend. 8) Vor allem wenn man dann auch noch etwas über die Umstände der Herstellung, Verbreitung etc. erfährt.

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harald
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Beitrag von harald » Di 25.03.08 21:08

Auch ich hatte in meiner Mittelschulzeit ausnahmslos Lehrer, die mir das Interesse an Geschichte gründlich verdorben haben

Das stupide Auswendiglernen von Jahreszahlen war überhaupt nicht meins und führte dazu das dieser Gegenstand zu meinem meistgehaßtesten wurde.

Erst die Nunismatik weckte wieder mein Interesse an geschichtlichen Zusammenhängen.

Mit einer antiken Münze hat man einfach die "Geschichte in der Hand."
Man kann sich wunderbar in die Zeit zurück versetzen und sich vorstellen, wieviele Leute dieses Stück damals in der Hand hatten.

Das ist für mich das faszinierende auch an abgegriffenen Münzen.

Freut mich, wenn ich Euer Interesse mit meinen laienhaften Erläuterungen wecken konnte.

Grüße
Harald

taurisker
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Beitrag von taurisker » Mi 26.03.08 09:25

Freut mich, wenn ich Euer Interesse mit meinen laienhaften Erläuterungen wecken konnte.
Lieber Harald,
das ist eine wahrlich heftige Untertreibung bezüglich Deiner Kenntnisse.
;-)
Salü
Herfried

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biatec
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Beitrag von biatec » Di 01.04.08 12:33

Interessant finde ich, dass die Münzgewichte dieser Emissionen so gar nicht in das damals lokale Gewicht der Silberprägungen passen.

Die Hexadrachmen sind ein überschweres Nominal, das sicher mit hohem Besoldungsbedarf, etc. erklärlich ist.
Die Drachmen und Obole dagegen sind sehr leichtgewichtig. Wenn man z.B. das ursprüngliche Ausgangsgewicht einer Drachme mit Leier/Stern von >/= 4 g nimmt, entspricht das Gewicht der Simmeringer Typen einer schweren frühen Halbdrachme.
Detto die Karlsteiner, die ebenfalls extrem leicht sind im Vergleich zu lokalen früheren Kleinsilber.

LG

biatec

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Beitrag von harald » Mi 02.04.08 12:18

@biatec

Ich vermute, dass das Großsilber primär die Besoldung abdecken sollte und das Kleinsilber und die Drachmen das Kleingeld für den täglichen Bedarf darstellten.

Zur selben Zeit existierten in anderen, gar nicht soweit entfernten Gebieten Quinare ( Büschelquinar, Prager Typ....) mit ähnlichen Gewichten wie die Simmeringer und die Obole sind eigentlich im Gewicht ähnlich dem in den Jahrzehnten davor umgelaufenen Obolen vom Manchinger Typ, dem Stradonice Typ und dem KS RIII.

Eine Gewichtsreduktion derselben Münzeinheit ist bei den keltischen Prägungen innerhalb eines Gebietes in einem Zeitraum von ca. 150 Jahren duchaus innerhalb der Norm .

Viele Grüße
Harald

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