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von platypus » Mo 05.12.05 08:55
FIFA steuert das Losglück
Am Freitag werden in Leipzig die WM-Gruppen ausgelost. Bei der Festlegung des Modus läßt sich der Weltfußballverband auch von wirtschaftlichen Faktoren leiten
Der sanftmütige Schwede ist der richtige Mann für die unliebsame Aufgabe. Als Vorsitzender der 32 Mitglieder umfassenden Organisationskommission für die Fußballweltmeisterschaft 2006 wird Lennart Johansson, 76, am kommenden Dienstag im Pressesaal der Leipziger Messe gegen 13 Uhr den Modus für die drei Tage später stattfindende Gruppenauslosung vorstellen. Indem der Uefa-Präsident dabei die Zuordnung der 32 Länder zu den vier Lostöpfen preisgibt, wird er indirekt die ersten Gewinner, aber auch die ersten Verlierer der Fußball-WM nennen. Ein versöhnlicher Ton ist dabei hilfreich.
Wer in Lostopf eins landet und dadurch die Garantie erhält, eine der acht Vorrundengruppen als Kopf anzuführen, startet zweifellos mit einem Wettbewerbsvorteil in das Turnier. In der Gruppenphase bleibt einem dann ein zweiter schwerer Gegner erspart. Die Vorrunde nimmt so den Charakter eines Aufwärmprogramms an. Wird man nicht auserkoren und landet in Lostopf zwei, kommt es früh im Turnier zu einem Alles-oder-nichts-Spiel.
Zahlreiche Listen geisterten zuletzt in diesem Zusammenhang weltweit durch den Blätterwald. Es wurde gerechnet, spekuliert, es wurden "Todesgruppen" zusammengestellt und Verschwörungstheorien gestrickt. Sicher fühlen dürfen sich allerdings nur Gastgeber Deutschland (gesetzt für Gruppe A), Weltmeister Brasilien, das laut WM-OK-Chef Wolfgang Niersbach "wahrscheinlich die Gruppe F anführt", und Argentinien. Alle anderen müssen zittern. Die Fifa pokert um die Gruppenköpfe.
Zu den unsicheren Kandidaten zählen auch Spanien, Frankreich, Mexiko und die USA. Darüber hinaus kratzte unlängst Fifa-Präsident Sepp Blatter auch an dem Selbstverständnis einiger anderer europäischer Schwergewichte. Italien, die Niederlande und England zählte der Schweizer in einem Interview mit der "Daily Mail" auf, sollten durchaus Grund zur Sorge haben, weil man "bei der Besetzung der Gruppenköpfe nicht nur nach der Fifa-Weltrangliste entscheiden wird, sondern auch das Abschneiden bei den Weltmeisterschaften 1998 und 2002 berücksichtigen wird. Darüber hinaus prüfen wir gerade, ob wir die Ergebnisse der Jugendnationalteams sowie die der Frauenauswahlen hinzuziehen sollten."
Ob bewußt oder unbewußt sei dahingestellt, jedenfalls sprach der Schweizer nicht aus, was offiziell in den Fifa-Regularien unter Artikel 8, Abschnitt 4, eingestanden wird: "Die Gruppeneinteilung der Mannschaften erfolgt von der Organisationskommission für die Fifa Fußball-Weltmeisterschaft durch öffentliches Setzen und Losen, unter größtmöglicher Berücksichtigung sportlicher, geographischer und wirtschaftlicher Fak- toren." Eine Aufschlüsselung, wie die einzelnen Faktoren gewichtet werden, wird nicht mitgeliefert. Mexiko und die USA, als größte Märkte Nord- und Mittelamerikas, schöpfen aber gerade aus diesem Passus Hoffnung.
Seit der WM 1998, als mit der Aufstockung des Teilnehmerfeldes von 24 auf 32 Nationen der Kommerzialisierung der Weltmeisterschaft ein weiterer Anstoß gegeben wurde, hält man es für angebracht, Einfluß auf das Losglück zu nehmen. Erstmals wurden für das Turnier in Frankreich die nach einer eigenen Formel aufgestellte Fifa-Weltrangliste und der oben genannte Passus als Kriterien bei der Wahl der Gruppenköpfe herangezogen. Offiziell wird propagiert, daß auf diese Weise mit hoher Wahrscheinlichkeit gerecht gemischte Gruppen zustande kommen. Ein Motiv, das der Fifa, die sich selbst als Hort der Demokratie und Harmonie sieht, natürlich gut zu Gesicht steht. Inoffiziell unterstützt man mit diesem System ökonomische Großmächte, die lukrative Sponsoren- und Fernsehverträge garantieren, auf ihrem Weg ins Achtelfinale.
Weil dies bisher immer glückte, der Härtefall also ausblieb und unüberlegte Äußerungen vorab die Organisationskommission in ihrer Entscheidungsfindung beeinflussen könnte, geben sich die Verbandsoberen der potentiell Betroffenen diplomatisch. Daß ihnen dieses eigenwillige Gebaren der Fifa nicht gefällt, können und wollen sie in ihren Erklärungen allerdings nicht ganz verhehlen. "Wie auch immer, die Fifa wird die Entscheidung treffen. Alles, was wir tun können, ist warten", sagt Henk Kesler, Präsident des niederländischen Fußballverbandes (KNVB). Die Engländer, die 2002 als Neunter der damaligen Setzliste nicht als Gruppenkopf in das Turnier gestartet waren und die Gruppe F mit Argentinien, Schweden und Nigeria nur mühevoll überstanden, reagierten gewohnt süffisant. "Wir hoffen natürlich gesetzt zu werden, respektieren aber, daß sich die Fifa das Recht einräumt, die Gruppenköpfe bestimmen zu können - welches System auch immer sie dabei auch anwenden möge", so lautet ihre offizielle Stellungnahme.
Robert S. Contiguglia, Präsident des US-amerikanischen Fußballverbandes, versucht Verständnis für das undurchsichtige und unaufrichtige Gebaren aufzubringen. "Es ist ihr Turnier und ihre Entscheidung. Blatter will eben sichergehen, daß die Weltmeisterschaft nicht nur ein sportlicher Erfolg wird, sondern auch ein wirtschaftlicher. Fußball ist mittlerweile eben auch zu einem Geschäft geworden." Allerdings warnt er davor, daß "wirtschaftliche Überlegungen nicht die Hauptrolle spielen dürfen".
Die Fifa selbst reagierte in den vergangenen Tagen auf Anfragen bezüglich des Auslosungsmodus eher mürrisch. Man solle sich gedulden und die Entscheidung vom Dienstag abwarten. Die Fifa "könne es schließlich nicht allen recht machen", so ein Sprecher. So ist es. Und deshalb achtet sie vor allem auf ihre eigenen Belange.
Quelle: Die WELT vom 4.12.2005
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