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von mumde » Fr 13.04.07 23:15
Hallo tournois, ich nehme mal ein Beispiel aus einem benachbarten Sammelgebiet: Wenn jemand die Münzen des römischen Kaiserreiches sammelt, dann kann er meist mit einem Blick auf den Kaiserkopf eine grobe zeitliche Einordnung vornehmen, denn bei den meisten Kaisern ist die Darstellung so charakteristisch, dass man die Person wiedererkennt. Außerdem hat die römische Münze eine lesbare Umschrift (sofern man nicht nur Müll sammelt), und da steht der Name des Kaisers noch mal ausgeschrieben da, und außerdem verschiedene Titel, von denen wir wissen, wann sie verliehen wurden, und mit all diesen TR P und COS usw. kann man viele römische Münzen recht genau datieren.
Und dann gibt es Münzen des römischen Kaiserreiches, die sehr hübsch und attraktiv sind, von sorgfältig geschnittenen Stempeln sorgfältig geprägt, aber sie tragen außer dem SC keinerlei Schrift. Bei Kampmann z. B. werden sie auf S. 150 als „Anonyme Quadrantes aus der Periode zwischen Domitianus und Antoninus Pius“ geführt. Man kann sie im Augenblick nicht genauer datieren, da die Münzen selber keinen Hinweis geben.
Wenn ich mir nun den Brakteaten ansehe, sehe ich da nur ein seltsames Tier in einem Perlkreis. Es gibt für diese Münze nicht einmal eine Rückseite. Was sagt mir dieses Tier in einem Perlkreis? Aufgrund der Machart kann es sich nur um einen Bodenseebrakteaten des 13. Jh. handeln. Mehr kann ich auf diesem Stück nicht lesen.
Aber versuche Dir mal vorzustellen, welche Massen von Historikern im Verlauf der Jahrhunderte die Geschichte des römischen Reiches durchgearbeitet haben, und vergleiche das mit der Anzahl der Historiker weltweit, die sich mit der Geschichte der Stadt Überlingen beschäftigt haben.
Ich will damit sagen: Eine Münze, die von sich nichts verrät, ist sehr schwierig zu datieren. Und bei den anonymen Römern ist die Wissenschaft nicht viel weiter gekommen als bei den anonymen Bodenseebrakteaten.
Alle bekannten Exemplare des Überlinger Brakteaten stammen aus nur zwei Funden. Der eine war der Fund Michelwinnaden, der 1826 gefunden wurde und über den nur wenig bekannt ist, und der andere ist der bekannte Fund Elchenreute. Im Fund Elchenreute, der 8000 Brakteaten enthielt, befanden sich 136 Exemplare dieses Typs. Ich zitiere mal, was E. Nau, die den Fund veröffentlichte, zu diesem Typ zu sagen hatte: „Die Zuteilung dieses Brakteaten ist unsicher. Der Greif ist kein Wappentier irgendeiner oberschwäbischen Stadt oder eines dort ansässigen Adelsgeschlechtes. Wie auch in anderen Fällen in dieser phantasiefreudigen Zeit handelt es sich bei diesem Münzbild um eine willkürliche Bildwahl nach fremden Vorlagen, die daher nur sehr schwer zu lokalisieren ist. Stilistisch hat der Brakteat die engste Verwandtschaft mit Nr. 52 [Überlingen] und 66 [Sigmaringen] und wird hier mit Vorbehalt unter Überlingen eingereiht. Wegen seiner Häufigkeit [136 Exemplare von 8000!] muß er aus einer größeren und produktiven Münzstätte stammen.“ Wir wissen also nicht einmal, ob das Stück überhaupt aus Überlingen kommt. Es hat sich gegen die Zuweisung nach Überlingen allerdings noch kein Protest erhoben.
Der Fund Elchenreute wird ins vierte Viertel des 13. Jh. datiert, also etwa in die Zeit 1275 bis 1300. Eine so große Menge Geld in so vielen verschiedenen Typen wurde aber sicher über lange Zeit hinweg angespart. Es sind auch Münzen dabei, die auf die Zeit um 1190-1200 datiert werden.
Mittelalterliche Numismatik ähnelt manchmal der Kriminalistik. Man führt einen Indizienbeweis. In manchen Fällen ist kein vernünftiger Zweifel mehr möglich, in anderen Fällen steht man auf sehr wackeligen Füßen. Wenn jetzt, nur mal angenommen, in den nächsten Jahren fünf voneinander unabhängige Einzelfunde dieses Brakteaten gemacht (und gemeldet) würden, alle im Umkreis von zwei Kilometern um die Stadt, dann wäre kein vernünftiger Zweifel mehr daran möglich, dass der Typ nach Überlingen gehört.
Im Jahr 2001, als Münzen & Medaillen solch ein Stück versteigerte, war das dort Geschriebene der aktuelle Stand der Wissenschaft. Seitdem haben Klein/Ulmer den CC veröffentlicht, dort wird das Stück unter Überlingen aufgeführt und datiert: „Nach 1250“, und das heißt: nach der Regierungszeit Friedrichs II.
Du fragst: „Was ist denn nun richtig?“ Wenn wir das wüssten, wären wir alle schlauer. Dietemann schrieb ganz richtig: Es sind Arbeitshypothesen.
Der nächste Münzenfund kann uns neue Erkenntnisse bringen, und dann müssen die Hypothesen geändert werden.
Gruß mumde