Brakteat aus Überlingen / Bodensee

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tournois
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Brakteat aus Überlingen / Bodensee

Beitrag von tournois » Fr 13.04.07 13:46

Ich habe bei der Suche nach Informationen folgende mich irritierende Tatsache entdeckt.

Bei einer Auktion der Münzen und Medaillen Deutschland GmbH im Jahre 2001 ist ein Überlinger Brakteat wie folgt zugeordnet worden:
KONRAD IV., 1237-1254 bis RUDOLF VON HABSBURG, 1273-1291. Pfennig. Greif l. 0,55 g. Cahn 118. Lebek - . Fd. Elchenreute 53. Slg. Wüthr. 294. Berger 2582.
Siehe hier --> http://www.coinarchives.com/w/lotviewer ... 21&Lot=930

Ein anderes Stück, meiner Ansicht nach identisch, wurde 2005 vom Auktionshaus H.D. Rauch GmbH allerdings so zugeordnet:
Überlingen, Reichsmünzstätte
Friedrich II.-1215-1250
Siehe hier --> http://www.coinarchives.com/w/lotviewer ... 56&Lot=769

Ich verstehe nun nicht wie man bei identischen Stücken so unterschiedliche Zuordnungen finden kann. Was ist denn nun richtig!?

Ich hoffe Ihr könnt mich aufklären! :wink:
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weitere Variante

Beitrag von Dietemann » Fr 13.04.07 14:45

http://www.numismatikforum.de/ftopic19391.html
Überlingen, Anonym Kaiser, nach 1250, Kestner 2582, Slg. Bonhoff 1859, CC 233, 0,40 g, 20 mm.

ich hatte bisher angenommen, dass es nahezu unmöglich ist, die mittelalterlichen Pfennige genauer zuzuordnen, da ja in den meisten Fällen die Umschrift fehlt und auch nur sehr spärliche schriftliche Urkunden vorhanden sind.

In der Regel versucht man ja aus der Häufigkeit von Funden und dem Wappen einen Zusammenhang zu einer vermuteten oder bekannten Münzstätte herzustellen, aber mehr als brauchbare Arbeitshypothesen habe ich in meinem Bereich bisher nicht gefunden (Überlingen gehört allerdings nicht dazu).

Und bei Beschreibungen schreibt halt der eine vom anderen ab und je nach Quelle ist die Beschreibung glaubhafter oder nicht. Wenn die Quellen genannt werden, ist das für mich ein Hinweis, dass sich jemand damit auseinandergesetzt hat und ich kann diese ja auch überprüfen. Bei keinen Quellenangaben bin ich immer mißtrauisch, oft fehlt hier das Fachwissen.

Oder sehe ich das falsch?
Zuletzt geändert von Dietemann am So 15.04.07 00:38, insgesamt 1-mal geändert.

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mumde
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Beitrag von mumde » Fr 13.04.07 23:10

Hallo tournois, ich stelle ein Foto solch einer Münze hier ein, damit jeder sieht, worum es geht (ich darf das :wink: ), und melde mich gleich wieder.
Dateianhänge
Überlingen.jpg
Gruß mumde

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Beitrag von mumde » Fr 13.04.07 23:15

Hallo tournois, ich nehme mal ein Beispiel aus einem benachbarten Sammelgebiet: Wenn jemand die Münzen des römischen Kaiserreiches sammelt, dann kann er meist mit einem Blick auf den Kaiserkopf eine grobe zeitliche Einordnung vornehmen, denn bei den meisten Kaisern ist die Darstellung so charakteristisch, dass man die Person wiedererkennt. Außerdem hat die römische Münze eine lesbare Umschrift (sofern man nicht nur Müll sammelt), und da steht der Name des Kaisers noch mal ausgeschrieben da, und außerdem verschiedene Titel, von denen wir wissen, wann sie verliehen wurden, und mit all diesen TR P und COS usw. kann man viele römische Münzen recht genau datieren.
Und dann gibt es Münzen des römischen Kaiserreiches, die sehr hübsch und attraktiv sind, von sorgfältig geschnittenen Stempeln sorgfältig geprägt, aber sie tragen außer dem SC keinerlei Schrift. Bei Kampmann z. B. werden sie auf S. 150 als „Anonyme Quadrantes aus der Periode zwischen Domitianus und Antoninus Pius“ geführt. Man kann sie im Augenblick nicht genauer datieren, da die Münzen selber keinen Hinweis geben.
Wenn ich mir nun den Brakteaten ansehe, sehe ich da nur ein seltsames Tier in einem Perlkreis. Es gibt für diese Münze nicht einmal eine Rückseite. Was sagt mir dieses Tier in einem Perlkreis? Aufgrund der Machart kann es sich nur um einen Bodenseebrakteaten des 13. Jh. handeln. Mehr kann ich auf diesem Stück nicht lesen.
Aber versuche Dir mal vorzustellen, welche Massen von Historikern im Verlauf der Jahrhunderte die Geschichte des römischen Reiches durchgearbeitet haben, und vergleiche das mit der Anzahl der Historiker weltweit, die sich mit der Geschichte der Stadt Überlingen beschäftigt haben.
Ich will damit sagen: Eine Münze, die von sich nichts verrät, ist sehr schwierig zu datieren. Und bei den anonymen Römern ist die Wissenschaft nicht viel weiter gekommen als bei den anonymen Bodenseebrakteaten.
Alle bekannten Exemplare des Überlinger Brakteaten stammen aus nur zwei Funden. Der eine war der Fund Michelwinnaden, der 1826 gefunden wurde und über den nur wenig bekannt ist, und der andere ist der bekannte Fund Elchenreute. Im Fund Elchenreute, der 8000 Brakteaten enthielt, befanden sich 136 Exemplare dieses Typs. Ich zitiere mal, was E. Nau, die den Fund veröffentlichte, zu diesem Typ zu sagen hatte: „Die Zuteilung dieses Brakteaten ist unsicher. Der Greif ist kein Wappentier irgendeiner oberschwäbischen Stadt oder eines dort ansässigen Adelsgeschlechtes. Wie auch in anderen Fällen in dieser phantasiefreudigen Zeit handelt es sich bei diesem Münzbild um eine willkürliche Bildwahl nach fremden Vorlagen, die daher nur sehr schwer zu lokalisieren ist. Stilistisch hat der Brakteat die engste Verwandtschaft mit Nr. 52 [Überlingen] und 66 [Sigmaringen] und wird hier mit Vorbehalt unter Überlingen eingereiht. Wegen seiner Häufigkeit [136 Exemplare von 8000!] muß er aus einer größeren und produktiven Münzstätte stammen.“ Wir wissen also nicht einmal, ob das Stück überhaupt aus Überlingen kommt. Es hat sich gegen die Zuweisung nach Überlingen allerdings noch kein Protest erhoben.
Der Fund Elchenreute wird ins vierte Viertel des 13. Jh. datiert, also etwa in die Zeit 1275 bis 1300. Eine so große Menge Geld in so vielen verschiedenen Typen wurde aber sicher über lange Zeit hinweg angespart. Es sind auch Münzen dabei, die auf die Zeit um 1190-1200 datiert werden.
Mittelalterliche Numismatik ähnelt manchmal der Kriminalistik. Man führt einen Indizienbeweis. In manchen Fällen ist kein vernünftiger Zweifel mehr möglich, in anderen Fällen steht man auf sehr wackeligen Füßen. Wenn jetzt, nur mal angenommen, in den nächsten Jahren fünf voneinander unabhängige Einzelfunde dieses Brakteaten gemacht (und gemeldet) würden, alle im Umkreis von zwei Kilometern um die Stadt, dann wäre kein vernünftiger Zweifel mehr daran möglich, dass der Typ nach Überlingen gehört.

Im Jahr 2001, als Münzen & Medaillen solch ein Stück versteigerte, war das dort Geschriebene der aktuelle Stand der Wissenschaft. Seitdem haben Klein/Ulmer den CC veröffentlicht, dort wird das Stück unter Überlingen aufgeführt und datiert: „Nach 1250“, und das heißt: nach der Regierungszeit Friedrichs II.

Du fragst: „Was ist denn nun richtig?“ Wenn wir das wüssten, wären wir alle schlauer. Dietemann schrieb ganz richtig: Es sind Arbeitshypothesen.
Der nächste Münzenfund kann uns neue Erkenntnisse bringen, und dann müssen die Hypothesen geändert werden.
Gruß mumde

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Beitrag von wpmergel » Sa 14.04.07 00:07

mumde hat geschrieben:...Mittelalterliche Numismatik ähnelt manchmal der Kriminalistik. Man führt einen Indizienbeweis. In manchen Fällen ist kein vernünftiger Zweifel mehr möglich, ...
Es ist oft Kriminalistik pur - besonders schwer wird die Sache, wenn die "Altvorderen" ohne böse Absicht aber manchmal auch ohne wirkliche Indizien ein Stück zugeordnet haben. Um so eine Bestimmung zu erschüttern, braucht man schon so etwas wie ein "umfassendes Geständnis". :lol:
Herzliche Grüße aus Waldeck
Wolfgang M.

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Beitrag von tournois » Sa 14.04.07 11:30

Hallo und vielen Dank für die Antworten!!

@mumde
Deine Erläuterungen waren sehr informativ und umfassend!
Mir persönlich sind die meisten Tatsachen schon bekannt gewesen, bis auf den Fund der Stücke und deren Zuordnung!

Beim Lesen Deiner Ausführungen kam mir dann der Zweifel an meiner Fragestellung!

Mir ging es auch darum herauszufinden warum unterschiedlich zugeordnet wird, wobei ja nach dem heutigen Stand der Erkenntnis eine Zuordnung vor 1250 nicht stimmen kann.

Aber Brakteaten von Friedrich II verkaufen sich ja besser.......
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Beitrag von Dietemann » So 15.04.07 23:39

tournois hat geschrieben:Aber Brakteaten von Friedrich II verkaufen sich ja besser.......
Das meinte ich mit "mißtrauisch" :wink:

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