Alte Marken und Zeichen und Ihr Hintergrund

Privat ausgegebene Münzen, Notgeld und Münzersatzmittel

Moderator: KarlAntonMartini

MartinH
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Re: Alte Marken und Zeichen und Ihr Hintergrund

Beitrag von MartinH » Mi 08.10.25 20:10

Altamura2 hat geschrieben:
Mi 08.10.25 19:14


Vielleicht wurde das Teil hier eben doch nach der 126/125 v. Chr. beginnenden Ära datiert und stammt dann von 69/68 v. Chr. (wenn ich mich nicht verrechnet hab' :D ). Dann müsste man aber nach einem neuen Prägeanlass suchen 8) .

Bei den Jahreszahlen befinde ich mich auf extrem dünnen Eis. Aber wenn (!) ich den Artikel von Fuchs/Schwarz richtig lese, sind sie sich auch nicht sicher, liefern sogar ein Argument gegen Ihre Zeitrechnung und schließen 69/68 v. Chr. nur halbherzig aus, weil Sie keinen Prägeanlass finden.

"Die Art der Datierung in griechischen Buchstaben sollte nicht überraschen; sie ist für die autonomen Münzen von Tyros bis zum Jahr 195 n. Chr. belegt; allerdings ist die Verwendung des Kürzels L (ägyptischen Ursprungs) in Tyros auf Daten beschränkt, die durch einen einzigen Buchstaben ausgedrückt werden. Aufgrund dieses letzten Details haben wir es vorgezogen, unsere Tessere nach einer Zeitrechnung (die für den Tempel von Melqart spezifisch ist?) zu datieren, die mit der Gewährung des Asyls (141-140 v. Chr.) beginnt, anstatt nach der Zeitrechnung, die mit der Autonomie von Tyros (126-125 v. Chr.) beginnt. Eine Datierung auf 69-68 v. Chr. würde in etwa mit dem Zusammenbruch der Macht Tigranes in Syrien unter den Schlägen Lucullus' und der Wiederaufnahme der Unruhen in Syrien unter Antiochos XIII. übereinstimmen, ohne dass dies unseres Wissens nach besondere Auswirkungen auf Tyros hatte."
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Re: Alte Marken und Zeichen und Ihr Hintergrund

Beitrag von Altamura2 » Mi 08.10.25 21:22

MartinH hat geschrieben:
Mi 08.10.25 20:10
... wenn (!) ich den Artikel von Fuchs/Schwarz richtig lese, sind sie sich auch nicht sicher, liefern sogar ein Argument gegen Ihre Zeitrechnung und schließen 69/68 v. Chr. nur halbherzig aus, weil Sie keinen Prägeanlass finden. ...
In meinen Augen sprechen sie sich schon sehr klar für 84/83 v. Chr. aus. Dass 69/68 v. Chr. geschichtlich nichts besonderes los war, sehen sie als Bestätigung ihrer Datierung. So versteh' ich das zumindest.
MartinH hat geschrieben:
Mi 08.10.25 20:10
... allerdings ist die Verwendung des Kürzels L (ägyptischen Ursprungs) in Tyros auf Daten beschränkt, die durch einen einzigen Buchstaben ausgedrückt werden. Aufgrund dieses letzten Details haben wir es vorgezogen, unsere Tessere nach einer Zeitrechnung (die für den Tempel von Melqart spezifisch ist?) zu datieren, die mit der Gewährung des Asyls (141-140 v. Chr.) beginnt
Warum eine Verwendung des L im Datum nur bei einbuchstabigen Jahreszahlen für eine Datierung auf Basis von 141/140 v. Chr. sprechen soll, erschließt sich mir nicht. Einen logischen Zusammenhang vermag ich da nicht zu erkennen :| .

Gruß

Altamura
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Re: Alte Marken und Zeichen und Ihr Hintergrund

Beitrag von Altamura2 » Fr 10.10.25 09:07

Altamura2 hat geschrieben:
Mi 08.10.25 19:14
(wobei wir auch nicht wissen, wie ausgeprägt das bei Seyrigs Exemplar war, davon haben wir ja nur eine Zeichnung :? )
Jetzt hab' ich mal bei der BnF, also der Pariser Sammlung nachgeschaut, ob sich dort vielleicht ein Foto findet (da hätte ich ja mal gleich draufkommen können :? ). Sucht man dort nach Tesserae aus Tyros, dann findet man das tatsächlich und gleich noch fünf weitere: https://gallica.bnf.fr/services/engine/ ... 22objet%22

Die stammen allesamt aus der Sammlung von Henri Seyrig (steht jeweils in den Beschreibungen), die (oder zumindest ein Teil davon) heute in der BnF liegt. Im einzelnen sind es diese sechs:

1. Das Exemplar, das im oben zitierten Artikel von Seyrig beschrieben wird: https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b8537540j
2. Ein ähnliches Exemplar mit Datierung L HM: https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b8537543s
3. Ein weiteres ähnliches Exemplar mit Datierung [L?] EN: https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b85375446
4. Ein Exemplar mit etwas anderem Motiv und Datierung L AN: https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b8537542c
5. Ein gelochtes Exemplar, auf dem man fast nichts mehr erkennen kann: https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b8537545m
6. Ein ebenfalls gelochtes Exemplar, das ganz anders aussieht: https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b8537541z

Die Nummern 2 und 3 hier tragen, soweit erkennbar, dieselbe Legende wie die 1 und das Exemplar bei Fuchs und Schwartz.
Auch die Nummer 4 trägt innerhalb des Kranzes die Inschrift LMLQRT/BSR, die Schrift auf der anderen Seite kann ich jetzt nicht auf Anhieb sicher entziffern.
Die Nummern 5 und 6 sind dann kaum entzifferbar.

Insgesamt hätten wir dann schon vier Jahresangaben. L HM = 48 bei der Nummer 2, [L?] EN = 55 bei Nummer 3, L AN = 51 bei Nummer 4 und eben L HN = 58 beim Exemplar hier.
Solche Tesserae wurden also über einen längeren Zeitraum wiederholt herausgebracht. Prägeanlass wäre dann vermutlich eher etwas Regelmäßiges wie Spiele oder Messen oder ähnliches. Als Herausgeber könnte man den Melqart-Tempel vermuten, aber das ist alles dann doch recht spekulativ.


Beim weiteren Suchen bin ich dann aber auch noch auf einen Artikel von Georges Abou Diwan und Ziad Sawaya gestoßen, "Les tessères monétiformes de «  Melqart à Tyr  »", Syria 88, 2011, S. 265-283: https://www.academia.edu/654077/Les_tes ... %C3%A0_Tyr (das ist der Artikel, den man gleich hätte haben sollen 8) , jedes Detail hab' ich aber noch nicht gelesen :? ; dass Gorny & Mosch den nicht kannten, spricht auch nicht gerade für sie).
In diesem Artikel werden auch noch ein paar Referenzen angegeben, die sich wohl ebenfalls mit diesen Tesserae beschäftigt haben.

Dort wurden sogar noch ein paar Exemplare mehr untersucht, auf denen sich drei weitere Prägejahre finden. Neben einer sehr detaillierten metrologischen und ikonografischen Untersuchung widmen sich die Autoren auch der Datierung und dem Prägeanlass.
Die Angaben der Prägejahre beziehen sich laut Abou Diwan und Sawaya auf die 126/125 v. Chr. beginnende Ära von Tyros. Als Prägeanlass werden die alle fünf Jahre stattfindenden Spiele zu Ehren des Herakles-Melqart genannt.

Es ist schon interessant, was sich aus solch einem Teil dann doch alles ergibt :D .

Gruß

Altamura
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Re: Alte Marken und Zeichen und Ihr Hintergrund

Beitrag von MartinH » Fr 10.10.25 10:31

@Altamura2: Toll! Herzlichen Dank, dass Du Dir die Mühe gemacht hast ... das hätte ich nie gefunden. Zu gegebener Zeit werde ich den ersten Beitrag von mir (überarbeitet mit den von Dir gefundenen Hinweisen) neu einstellen. Nochmals vielen Dank und viele Grüße, Martin
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Re: Alte Marken und Zeichen und Ihr Hintergrund

Beitrag von MartinH » Do 16.10.25 21:42

Wie angekündigt hier die Aktualisierung des Beitrages nach den Anmerkungen und neuen Informationen von Altamura2:

Eine weitere Neuerwerbung. Diesmal geht es in die Antike … in die phönizische Metropole Tyros, einer der ältesten kontinuierlich bewohnten Städte der Welt und nach der griechischen Mythologie u.a. der Geburtsort von Europa.
T1.jpg
Der Hauptgott war Melkart oder Melqart, eigentlich Milk-Qart („Stadtkönig“, Baal von Tyros). Oft wird er in Inschriften als Ba‘l Ṣūr (Herr von Tyros) bezeichnet. Nach einer Legende soll er die Stadt als Geschenk für eine Meerjungfrau namens Tyros erbaut und sie nach ihr benannt haben.

Es handelt sich um eine geprägte Bronze-Marke, die im Zusammenhang mit der Asylie des Melkart-Heiligtums in Tyros steht und vermutlich als Zeichen der Teilnahme an den kultischen Festen des Melqart fungierte und somit Symbol der Weihe und Unverletzlichkeit der Stadt war.
T2.jpg
28 mm, 14,18 g
Kanten abgeschrägt
A. Fuchs - J. Schwartz: Tessère relative à l'asylie de Tyr, SchMBl Heft 119, August 1980, 68f. (dieses Exemplar); Georges Abou Diwan, Ziad Sawaya: LES TESSÈRES MONÉTIFORMES DE « MELQART À TYR », Syria 88 (2011), p. 265 à 283, Nr. 11 (dieses Exemplar)

Auf der Vorderseite: Griechische Jahresangabe L HN (Jahr 58) / aramäisch: LMLQRT / BSR
Auf der Rückseite: aramäisch: HYRW / [']SLS
Hierzu wurden die phönizische Schrift in lateinische Buchstaben „übersetzt“.

Dieses Exemplar wurde erstmals 1980 von Fuchs und Schwartz publiziert. Die erste Publikation derartiger Marken erfolgte durch H. Seyrig, der die Übersetzung der Inschrift (durch Dupont-Sommer) 1951 publizierte: „An Melqart in Tyros, (Stadt) geweiht und unantastbar”. Dabei ist zu beachten, dass die Rückseite im Phönizischen keine Bedeutung hat, es handelt sich interessanterweise um eine Transliteration der griechischen Wörter hiera und asylos.

Anhand eines Korpus von 12 ähnlichen Marken (neben den Veröffentlichen Marken auch Exemplaren aus Museen) wurde von Diwan und Sawaya die bisherige Literatur zu diesen Marken kritisch hinterfragt. Es ist m.E. recht interessant, wieviel Aufschluss diese Marken, insbesondere durch die Betrachtung des Konvoluts an 12 Marken, geben.

Charakterisierung
5 dieser Marken sind undatiert, 7 datiert von dem Jahr 34-66. Der Durchmesser variiert zwischen 25,45 und 29,96 mm und korreliert nicht mit dem Gewicht (6,97 – 19.96 g). Bzgl. der Ikonographie zeigen 7 Marken (datierte, wie undatierte) zusätzliche Motive: Kranzmotive, Palmzweig und Aplustrion. Allesamt Siegessymbole bei Wettkämpfen oder auf See.

Provenienz
Aufgrund der Fundorte (Tyros) und der Inschrift ist eine Zuordnung zu dem Melkart Heiligtum in Tyros i.W. unstrittig. Auch die abgeschrägte Flanke der Rohlinge entspricht der im hellenistischen Vorderen Orient üblichen Münztechnik und das „L“-Zeichen vor der Datierung verweist auf Regionen unter ptolemäischer Herrschaft – also besonders auf Syrien-Phönizien und Palästina.

Herstellung
Seyrig schreibt dazu: „Die Tessera von Tyros, wie wir bereits gesagt haben, ist nicht gegossen, sondern geprägt, ähnlich wie eine Münze. Ihr Rohling ist jedoch abgeschrägt, was auf eine besondere Technik hindeutet, bei der der Rohling nicht aus einem Metallklumpen geformt wurde, der unter dem Stempel flachgedrückt wurde, oder aus einem Metallzylinder stammte, der in Scheiben geschnitten wurde, sondern in eine Matrize mit ausgestellten Rändern gegossen wurde. Diese Technik, die das Herausnehmen des Rohlings nach dem Erstarren erleichterte, wurde zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Städten angewendet.“

Datierung
Unstrittig ist der früheste Zeitpunkt. der durch die Verleihung der Asylie in 142/1 v. Chr. gegeben ist. Im 2. Jh. v. Chr. stand Tyrus unter seleukidischer Oberhoheit, verfügte jedoch über weitgehende Autonomie in religiösen Angelegenheiten. Seyrig nahm an, dass die undatierten Exemplare anlässlich der Verleihung der Asylie 142/1 v. Chr herausgegeben wurden. Fuchs und Schwarz, die nur dass obige datiertem Exemplar in Ihrem Beitrag diskutierten, gingen – getrieben durch die Suche nach einem zeitlichen Ansatz für die Herausgabe der Marke soweit, dass Sie annahmen, dass das Heiligtum eine eigene Zeitrechnung hatte. Diwan und Sawaya widerlegen beide Argumentationen und kommen zu dem Schluss, dass die undatierten Exemplare, während der hellenistischen Phase, in den Zeitraum zwischen 142/1 und 126/5 v. Chr. (Beginn der Ära der Autonomie). einzuordnen sind. Damit sind die 7 datierten Marken nach der tyrischen Ära zu berechnen (wie auch von Altamura2 argumentiert):

Jahr auf Tessera entspricht v. Chr.
34: 93/2
45: 82/1
48: 79/8
51: 76/5
55: 72/1
58: 69/8
66: 61/0

Funktion
Zusammen mit der Ikonographie ist die Datierung ein starker Hinweis für einen Bezug der tyrischen Marken zu den herakleischen „quinquennalen“ oder „pentaëtérischen“ Spielen, die in Tyrus alle fünf Jahre zu Ehren des Herakles-Melkart gefeiert wurden. Auffällig ist, dass mehrere datierte Stücke in entsprechenden Abständen geprägt wurden:

Zwischen 93 und 61 v. Chr. (den Jahren 34–66 der tyrischen Ära) spiegeln die datierten Marken die Regelmäßigkeit der Fünfjahresfeste wider.
Diese Periodizität deutet darauf hin, dass jede Serie von Marken mit einem bestimmten Festzyklus korrespondierte und möglicherweise als Eintritts- oder Ehrenmarken für die Teilnehmer und Gäste dieser Spiele diente.

Hierfür gibt es auch numismatische Indizien:

Die offiziellen Münzprägungen von Tyros aus dieser Zeit spiegeln das Kultbild und die Symbolik des Gottes wider:
• Avers: Kopf des Herakles-Melkart mit Löwenhaut.
• Revers: Adler auf dem Schiffsbug (Symbol für Sieg und maritime Macht).
• Legende: ΤΥΡΟΥ ΙΕΡΑΣ ΚΑΙ ΑΣΥΛΟΥ.

Die Formulierung „ἱεράς καὶ ἀσύλου“ („heilig und unverletzlich“) ist identisch mit der phonetisch übertragenen Inschrift HYR W ’ SLS auf den Tesserae, was ihre unmittelbare Verbindung zu diesen offiziellen Prägungen bestätigt.

Diese Münzen erscheinen erstmals kurz nach der Weihe von 142/1 v. Chr. und werden während der gesamten Ära der Autonomie fortgesetzt. Sie bezeugen die Selbstdarstellung von Tyrus als heiliger und autonomer Stadt unter dem Schutz des Gottes Melqart.

Der Eichen- oder Lorbeerkranz auf den Tesserae greift das gleiche Motiv auf, das auch auf Silbermünzen erscheint. Die Kombination von Palme und Kranz – Siegeszeichen – verweist klar auf wettkampfbezogene Kontexte.


Literatur:
Seyrig, H.: Tessère relative à l'asylie de Tyr; Syria, XXVIII (1951), p. 225-228 (repris dans Antiquités syriennes, t. IV, p. 205-208).
https://www.persee.fr/doc/syria_0039-79 ... _28_3_4690

Fuchs, Aimé / Schwartz, Jacques: Tessère relative à l'asylie de Tyr; Schweizer Münzblätter, Band 28-32 (1978-1982), Heft 119, S.68-69.
https://www.e-periodica.ch/cntmng?pid=s ... 8%3A%3A771

ABOU DIWAN, Georges / SAWAYA, Ziad: LES TESSÈRES MONÉTIFORMES DE « MELQART À TYR », Syria 88 (2011), p. 265 à 283 https://www.academia.edu/654077/Les_tes ... %C3%A0_Tyr

https://gallica.bnf.fr/services/engine/ ... 22objet%22

Wikipedia: Tyros, Melkart
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Arthur Schopenhauer (Do 16.10.25 21:57) • tilos (Fr 17.10.25 00:34) • chlor35 (Fr 17.10.25 14:08) • Atalaya (Fr 17.10.25 21:48)

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Re: Alte Marken und Zeichen und Ihr Hintergrund

Beitrag von MartinH » Fr 17.10.25 11:02

Ich hatte bereits an anderer Stelle in diesem Forum über die Feuerlöschmarken des 16. Jahrhunderts aus Augsburg und Nürnberg geschrieben.

Mit dem Aufkommen von Feuerwehrspritzen wurden Kontrollzeichen intensiv in den Niederlanden genutzt. W. Nijlusing und A. Kussendrager haben darüber nun ein Buch herausgegeben: „Brandspuitpenningen in de Lage Landen“ (https://www.loodjes.nl/Brandspuitpenningen/Flyer.jpg). Die gleichen Autoren haben auch eine Abhandlung über die Harlinger Feuerlöschzeichen geschrieben, von denen ich ein in Cu graviertes Exemplar aus dem 18. Jahrhundert hier vorstellen möchte, welches als Kontrollzeichen verwendet wurde.
H1.jpg
45,9 mm, 34,54 g
Nijlunsing und Kussendrager ; De Beldenaar Mai/Juni 2024, S. 150
loodjes.nl_Brandspuitpenninge (dieses Exemplar, dort irrtümlich dem 19. Jahrhundert zugeordnet)

Auf der Vorderseite ist das Wappen der Stadt Harlingen abgebildet, darüber eine Zahl, vermutlich 3, eingraviert.
Auf der Rückseite ist die Feuerspritze dargestellt, eingraviert ist die Nummer 2 der Spritze.

Die Stücke sind recht selten, von den Harlinger Zeichen sind 40 Exemplare bekannt, davon befinden sich nur 4 Exemplare in privater Hand.

Harlingen ist eine Hafenstadt in der niederländischen Provinz Friesland. Die friesische Kriegsflotte wurde 1644 in den Hafen verlegt.

Nijlusing und Kussendrager schreiben zu der Geschichte der Harlinger Feuerspritzen:
„Die Geschichte der Harlinger Feuerspritze reicht bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts zurück. Am 3. Oktober 1729 beschlossen die Harlinger Magistrate auf Antrag der vereinigten Brandmeister, dass noch zwei Feuerspritzen angeschafft werden sollten, „ebenso wie die Spritze beim Kollegium der Admiralität hier in der Stadt“. Dies wurden die Spritzen 2 und 3. Knapp ein halbes Jahr später war die Bestellung fertig. Harlingen zahlte am 14. Mai 1730 für zwei Feuerspritzen an S. van der Heyden 1266 Gulden, wie eine Notiz im Rechnungsbuch der Stadt belegt. Ob diese drei die ersten Spritzen waren, ist nicht bekannt.

Das Archiv der Brandmeister aus den späteren Jahren ist eine reiche Quelle an Informationen – sowohl über die Brände, die Feuerspritzen, die reichlichen Mengen an Bier und Wein als auch über die Münzen. Die Spritzen wurden in der Amsterdamer Feuerspritzenfabrik von Pieter Almenum und seinen Söhnen Wijbrand und Arend hergestellt, denn zwischen März 1734 und Juni 1795 wurden mindestens fünfzehn Rechnungen für Wartung gefunden. Regelmäßig wurden Spritzen „nach Amsterdam geschickt“, wobei jeweils eine Ersatzspritze zurückkam. Außerdem gibt es Dutzende Rechnungen für Arbeiten lokaler Handwerker.

Die Anzahl der Spritzen nahm allmählich zu. 1734 ist von drei Spritzen die Rede. 1752 und 1760 gab es vier Brandmeister. Doch bereits 1759 waren sicher schon fünf Feuerspritzen vorhanden, wie die Nummern auf den Feuerspritzen-Marken zeigen. Am 30. Mai 1776 ist erneut von der Admiralitätsspritze die Rede:
„Dem Bootsmann Siets Scholtes, Brandmeister bei der Admiralitätsspritze, wurde auf sein Ersuchen ein Sitz im Kollegium der Brandmeister gestattet.“ Es scheint wahrscheinlich, dass es sich hierbei um Spritze 5 (oder vielleicht Spritze 1) handelte. Am 27. Februar 1771 wurden Brandleitern in der Stadt aufgestellt: „Brandleitern und Haken wurden angewiesen zu platzieren: Nr. 1 beim Stadttimmerhaus; Nr. 2 am Fischmarkt; Nr. 3 bei der Wagenmacherwerkstatt Lieuwe Douwes; Nr. 4 an der Grote Kerk; Nr. 5 im städtischen Armenhaus, genannt die Oude Baan.“

Arend Almenum erhielt am 23. Februar 1778 die Summe von 428 Gulden, 6 Stuiver für die Lieferung einer neuen Feuerspritze im Jahr 1777. Diese war bereits im November 1775 bestellt worden, als Ersatz für Spritze 2. 1781 wurden Marken für sechs Spritzen hergestellt. 1827 gab es wieder fünf Spritzen.“

Die ersten verwendeten Zeichen waren, vermutlich sehr einfache und auch sehr kleine, Zeichen aus Zinn. Von Ihnen sind keine Exemplare mehr bekannt. Am 11. Dezember heißt es in den Protokollen der Brandmeister:
„Zur besseren Regelung der Mannschaften erhält jeder ein Loodje aus Zinn mit einer Nummer. Jede Nummer ist einem bestimmten Platz und einer Tätigkeit zugewiesen.“

Und in Artikel 10 der Brandmeisterordnung steht über den Gebrauch:
„Dass die Brandmeister ihre Loodje von den zum Spritzen bestimmten Leuten verpflichtet sind, sowohl beim Proben der Spritzen als auch im Brandfall jedes Mal einzufordern und dieselben nicht eher zurückzugeben als im Zimmer der Brandmeister, um dann gemeinsam sehen zu können, wer an seinem Platz fehlt, unter einer Strafe von fünf und einem halben Stuiver.“

Beim obigen Stück handelt es sich um den Typ 1:
Zehn Jahre nach den ersten Lootjes, am 29. Juni 1759, schrieben die Brandmeister:
„Gelb-kupferne Marken als Loodjes für das Spritzenvolk, auf der einen Seite das Stadtwappen mit der Nummer der Person, bei uns in der Rolle verzeichnet, auf der anderen Seite eine Druckpumpe mit der Nummer der Spritze. Wer sie verliert, zahlt 1 Gulden.“
Sie wurden am 2. August feierlich überreicht. „Ferner wurde mit dem Volk vereinbart, von der Witwe Jan Hendriks ein Fass Bier im Wert von zehn Gulden zu erhalten.“ Die Kosten für die 72 Exemplare betrugen 11 Stuiver pro Stück. Es waren jedoch sehr aufwendige, beidseitig hergestellte Marken. Der Betrag mag hoch erscheinen, aber er war immer noch niedriger als die 50 Gulden und 10 Stuiver, die die Witwe Overzee im Dezember desselben Jahres für geliefertes Bier in Rechnung stellte.

Von diesen Marken befinden sich heute noch 32 im Hannemahuis, plus eine, an der ein Schlüssel hängt. Auch das Fries Museum besitzt drei Exemplare, und vier Stück wurden in Auktionskatalogen gefunden; insgesamt also 40 Stück. Der Durchmesser beträgt etwa 45 mm und sie wiegen zwischen 23 und 29 Gramm. Die Rechnung darüber wurde im Rechnungsbuch von Harlingen gefunden. Es scheint eine recht geringe Anzahl: 72 Stück für fünf Spritzen. Eigentlich hätten es mindestens 100 sein müssen. Möglicherweise wurden später noch einige nachgemacht.

Auch die Verteilung der im Hannemahuis vorhandenen 33 Exemplare auf die Spritzen ist sehr ungleich: ein (Reserveexemplar?) ist leer, Spritze 1: 2 Stück (einschließlich des Exemplars am Schlüssel des Feuerspritzenhauses), Spritze 2: 9 Stück, Spritze 3: 7 Stück, Spritze 4: 11 Stück und Spritze 5: 3 Stück. Die anderen sieben sind von den Spritzen 2, 3 (2 Stück), 4 (2 Stück) und unleserlich (2 Stück).

Der Hersteller Hendrik Reins Brouwer (1704–1769) wurde am 30. März 1747 zum Meister-Goldschmied ernannt und war außerdem von 1751 bis 1769 Ratsherr. Aus dem Gebührenbuch geht hervor, dass er Tabletts, Leuchter, Tabaksköfchen, Tabaksdosen, Salzfässchen, Sahnekannen, Zucker- und Pfefferstreuer, Gabeln und Löffel herstellte; es sind noch immer Werke von ihm im Hannemahuis zu finden.

Im Museum befinden sich außerdem acht Marken, auf denen auch die Funktionsbezeichnung angegeben ist. Drei zeigen die Aufschrift trompethouder (= Schlauchführer, er bediente die Spritze) und zwei ondertrompethouder (Unter-Schlauchführer). Ebenfalls gibt es zwei mit der Aufschrift BRAND / MEESTER in einem Lorbeerkranz. Eine Marke zeigt die Abbildung einer Leiter mit „G“ und „H“ (Grote Kerk Harlingen?) an beiden Seiten. Dies könnte das Abzeichen der Person gewesen sein, die für das Heranschaffen dieser Leiter bei einem Brand verantwortlich war. Es ist auch möglich, dass sie aus späterer Zeit stammen.

Der Schlauchführer war in Harlingen eine bezahlte Funktion. 1756 wurde Abel Dirks für Spritze 2 dafür angestellt und erhielt 5 Gulden pro Jahr. Er war somit wahrscheinlich von der Abgabe und Rücknahme seiner Marke befreit und trug eine eigene, sichtbare Marke. Am 30. Juni 1781 wurde bei jeder Spritze ein zweiter (Unter-)Schlauchführer angestellt. Im Archiv befindet sich ein Zettel aus dem Jahr 1825 mit den Namen des Brandmeisters, zweier Schlauchführer und 20 Namen von Spritzenbedienern von Spritze 3. Diese Funktion existierte also mindestens bis dahin.

1781 wurden diese durch den Typ 2 abgelöst, die bis weit ins 19. Jahrhundert im Gebrauch waren.

Literatur
Feuerlöschzeichen Nürnberg
viewtopic.php?f=45&t=67264&p=585201&hil ... en#p585201

Feuerlöschzeichen Augsburg
viewtopic.php?f=45&t=66495&p=575015&hil ... en#p575015

Nijlusing, W. / Kussendrager, A.: Nijlusing, Wiebe / Kussendrager, Alex: De brandspuitpenningen van Harlingen, De Beeldenaar, mei/juni 2024,S. 148-152
https://www.loodjes.nl/Publicaties/Bran ... 2024-3.pdf

https://loodjes.nl/Brandspuitpenningen/ ... ingen.html
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