Liebe Numismatik-experten und -Freunde!
Ich beschäftige mich gerade (aus Anlass einer meiner ersten Erwerbungen, über die ich hier im Forum berichtet hatte) mit den großen Unterschieden bei der Gestaltung und der Qualität der Münzbilder des frühen 5. Jahrhunderts - am Beispiel der 406-408 n. Chr. in östlichen Münzstätten unter Arcadius/Honorius/Theodosius II. geprägten Bronzemünzen vom Typ "Drei Kaiser stehend" (RIC X Nr. 141a-159). Gerade von häufigen Münzen wie RIC X 149 (Cyzicus) und RIC X 153 (Antiochia) gibt es da viel frei zugängliches "Studienmaterial" im Internet (mbd, acsearch, ocre, wildwinds, MA Shops, Vcoins, ebay, ...).
https://www.nummus-bible-database.com/r ... Rechercher
Es gibt da einige Stücke, bei denen die Reversdarstellung der drei Kaiser plump und fast kindlich naiv wirkt, teilweise mit auffällig großen Köpfen. Andere Stücke der gleichen Münzstätte haben dagegen nahezu realistische Proportionen und bei sehr gut erhaltenen Exemplaren kann man Details bis hin zum Faltenwurf der Gewänder erkennen.
Meine konkrete Frage ist eine allgemeine: Kann man bei "barbarisiert" wirkenden Darstellungen, auf denen man eine offiziell existierende Abkürzung der Münzstätte und Officina erkennen kann, in der Regel oder immer davon ausgehen, dass diese tatsächlich an der angegebenen Stätte geprägt worden sind (und dass es an manchen Münzstätten des frühen 5. Jahrhunderts "Münzschneider" von sehr unterschiedlicher Qualifikation gab)? Oder gibt es Hinweise darauf, dass bei manchen "barbarisierten" Prägungen an ganz anderen Orten solche Abkürzungen auch illegalerweise verwendet worden sind?
Zur konkreten Bestimmung einer unter Honorius geprägten Münze habe ich mit großem Interesse und Gewinn den folgenden Thread gelesen:
viewtopic.php?f=6&t=70912&p=620787&hili ... rt#p620787
Mit herzlichen Grüßen,
Jens
Münzbilder spätrömischer Bronzemünzen: Qualitätsverfall oder "Barbarisierungen"
Moderator: Homer J. Simpson
-
- Beiträge: 6421
- Registriert: Sa 05.01.08 10:13
- Hat sich bedankt: 300 Mal
- Danksagung erhalten: 625 Mal
- Kontaktdaten:
Re: Münzbilder spätrömischer Bronzemünzen: Qualitätsverfall oder "Barbarisierungen"
Meiner Meinung nach handelt es sich bei der Debatte über „Barbarisierungen“ von Folles aus dem 5. Jahrhundert um einen „Streit um des Kaisers Bart“! Generell gilt für die meisten Folles, dass sie als römisches Kleingeld Massenware mit einem enormen Ausstoß waren. Obwohl es keine dokumentierten Gesamtzahlen gibt, variierte die Prägung je nach Bedarf und wirtschaftlicher Situation.Archivar hat geschrieben: ↑Sa 18.10.25 22:27Meine konkrete Frage ist eine allgemeine: Kann man bei "barbarisiert" wirkenden Darstellungen, auf denen man eine offiziell existierende Abkürzung der Münzstätte und Officina erkennen kann, in der Regel oder immer davon ausgehen, dass diese tatsächlich an der angegebenen Stätte geprägt worden sind (und dass es an manchen Münzstätten des frühen 5. Jahrhunderts "Münzschneider" von sehr unterschiedlicher Qualifikation gab)? Oder gibt es Hinweise darauf, dass bei manchen "barbarisierten" Prägungen an ganz anderen Orten solche Abkürzungen auch illegalerweise verwendet worden sind?
Mit herzlichen Grüßen,
Jens
In jeder Münzstätte wurden, abhängig von den Fähigkeiten, verschiedene Stempelschneider für Bronze-, Silber- und Goldmünzen eingesetzt. Die Stempel für die letzteren wurden ausschließlich von den talentiertesten Münzgraveuren (sculptor numismatis) gefertigt.
Soweit stilistisch "barbarisiert wirkende" Prägungen Münzstättenzeichen enthalten, so gehe ich davon aus, dass es sich um Produkte offizieller Münzstätten handelt, die lediglich "auf die Schnelle", von stilistisch weniger begabten Graveuren geschnitten wurden.
mit freundlichem Gruß
IVSTVS
-----------------------------------------------
https://www.numisforums.com/profile/245-justus/
https://independent.academia.edu/HJJost (nur für Mitglieder sichtbar)
https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Elmer
IVSTVS
-----------------------------------------------
https://www.numisforums.com/profile/245-justus/
https://independent.academia.edu/HJJost (nur für Mitglieder sichtbar)
https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Elmer
-
- Beiträge: 31
- Registriert: Di 23.09.25 23:48
- Wohnort: Berlin
- Hat sich bedankt: 60 Mal
- Danksagung erhalten: 6 Mal
Re: Münzbilder spätrömischer Bronzemünzen: Qualitätsverfall oder "Barbarisierungen"
Lieber Justus!
Danke Dir für Deine Antwort!
Mit ist bewusst, dass die (spät)römische Folles-Prägung eine Massenproduktion war und dass die Qualität der Münzstempel und Prägungen bereits im Laufe des 4. Jahrhunderts stark abgenommen hatte.
Es geht mir bei meinen Fragen nicht darum, bei einer konkreten Münze mit Sicherheit oder höher Wahrscheinlichkeit festzustellen, ob sie "barbarisiert" (also ganz woanders) oder offiziell geprägt wurde. Es geht mir mehr darum, das gesamte Münzgeschehen dieser Zeit und vor allem die Ursachen der großen handwerklichen Qualitätsunterschiede der Folles dieser Zeit etwas besser zu begreifen.
Die konkreten Fragen, die mich da umtreiben sind:
1) Gab es an ein und demselben Münzstätte oder Officina für die Erstellung der für die Folles-Prägung verwendeten Münzstempel gleichzeitig viele oder mehrere, deutlich unterschiedlich qualifizierte Graveure ("Stempelschneider")
2) Gibt es Nachweise von Münzen, die als Imitation römischer Folles von "Barbaren" an anderen Orten geprägt worden sind auf denen dennoch die Abkürzungen real existierenden Münzstätten, also z.B. ANTA zu finden sind? (Ich hätte ja, wenn ich solche römischen Münzen hätte imitieren wollen, revers drei bis fünf Buchstaben mit dazugeschnitzt, selbst wenn ich sie nicht verstanden hätte)
Mir ist klar, dass die Quellenlage zur Beantwortung solcher Fragen wahrscheinlich sehr dünn ist und dass jede Aussage oder Hypothese zu solchen Fragen einen hohen Unsicherheitsfaktor enthält.
Habt ihr da Meinungen, Thesen oder Hinweise auf wissenschaftliche Literatur zu diesem Thema - vielleicht sogar Fallstudien zu bestimmten Münzstätten oder Münztypen? Ich würde mich über jeden Hinweis freuen.
Mir herzlichen Grüßen,
Jens
Danke Dir für Deine Antwort!
Mit ist bewusst, dass die (spät)römische Folles-Prägung eine Massenproduktion war und dass die Qualität der Münzstempel und Prägungen bereits im Laufe des 4. Jahrhunderts stark abgenommen hatte.
Es geht mir bei meinen Fragen nicht darum, bei einer konkreten Münze mit Sicherheit oder höher Wahrscheinlichkeit festzustellen, ob sie "barbarisiert" (also ganz woanders) oder offiziell geprägt wurde. Es geht mir mehr darum, das gesamte Münzgeschehen dieser Zeit und vor allem die Ursachen der großen handwerklichen Qualitätsunterschiede der Folles dieser Zeit etwas besser zu begreifen.
Die konkreten Fragen, die mich da umtreiben sind:
1) Gab es an ein und demselben Münzstätte oder Officina für die Erstellung der für die Folles-Prägung verwendeten Münzstempel gleichzeitig viele oder mehrere, deutlich unterschiedlich qualifizierte Graveure ("Stempelschneider")
2) Gibt es Nachweise von Münzen, die als Imitation römischer Folles von "Barbaren" an anderen Orten geprägt worden sind auf denen dennoch die Abkürzungen real existierenden Münzstätten, also z.B. ANTA zu finden sind? (Ich hätte ja, wenn ich solche römischen Münzen hätte imitieren wollen, revers drei bis fünf Buchstaben mit dazugeschnitzt, selbst wenn ich sie nicht verstanden hätte)
Mir ist klar, dass die Quellenlage zur Beantwortung solcher Fragen wahrscheinlich sehr dünn ist und dass jede Aussage oder Hypothese zu solchen Fragen einen hohen Unsicherheitsfaktor enthält.
Habt ihr da Meinungen, Thesen oder Hinweise auf wissenschaftliche Literatur zu diesem Thema - vielleicht sogar Fallstudien zu bestimmten Münzstätten oder Münztypen? Ich würde mich über jeden Hinweis freuen.
Mir herzlichen Grüßen,
Jens
-
- Beiträge: 6421
- Registriert: Sa 05.01.08 10:13
- Hat sich bedankt: 300 Mal
- Danksagung erhalten: 625 Mal
- Kontaktdaten:
Re: Münzbilder spätrömischer Bronzemünzen: Qualitätsverfall oder "Barbarisierungen"
Hallo Jens,
auf academia.edu findest du einige interessante Aufsätze zum Thema "irreguläre" römische Münzen.
https://www.academia.edu/38643123/Irreg ... imitations
https://www.academia.edu/search?q=Irreg ... ins%20Part
- Jede Münzstätte hatte vermutlich mehrere Dutzend Stempelgraveure. Die Graveure für Silber- (?) und Goldmünzen waren, so wird auch vermutet, zumindest im 4./5. Jh. nur im Gefolge des Kaisers selbst tätig.
- Und ja ... irreguläre Prägungen, insbesondere in Bezug auf das Gallische Sonderreich (Tetricus I/II) wurden auf Grund eines immensen Wechselgeldmangels und nicht nur in den Grenzregionen in sogenannten "Heckenmünzstätten", d. h. in villae rusticae oder kleineren Vici hergestellt und wohl von offizieller Seite stillschweigend geduldet.
- Imitationen aus der Balkanregion weisen zudem Graveure aus, welche wohl auf Grund mangelnder lateinischer Sprachkenntnisse die Umschriften/Legenden mit "Trugschriften" versahen, d. h. willkürliche Folgen von Buchstaben oder Zeichen.
- Mit zumindest sind keine Imitationen mit identifizierbaren Münzstättenzeichen bekannt, aber ich kann mich da gerne berichtigen lassen.
mit freundlichem Gruß
IVSTVS
-----------------------------------------------
https://www.numisforums.com/profile/245-justus/
https://independent.academia.edu/HJJost (nur für Mitglieder sichtbar)
https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Elmer
IVSTVS
-----------------------------------------------
https://www.numisforums.com/profile/245-justus/
https://independent.academia.edu/HJJost (nur für Mitglieder sichtbar)
https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Elmer
-
- Vergleichbare Themen
- Antworten
- Zugriffe
- Letzter Beitrag
Wer ist online?
Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder