Teuerungsmedaillen

Diskussionen rund um Medaillen, Medailleure, Jetons, Rechenpfennige

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feuerhummel
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Teuerungsmedaillen

Beitrag von feuerhummel » So 16.03.14 08:49

Hallo, ich bin neu hier und hab eine Frage die mir google nicht beantworten konnte, deswegen versuch ich es mal hier.
Ich hab beim Umgraben im Garten eine Münze gefunden, von der ich mittlerweile weiss dass es ein Teuerungsmedaille von 1923 ist. Meine Frage: wozu dienten diese Medaillen? Ich kann mir das nicht so vorstellen, da kostete ein Brot mehrere tausend Mark und die haben Erinnerungsstücke geprägt? Haben sie die dann verschenkt? War die Bronze übrig? Vielen Dank für eine Antwort.

Andechser
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Re: Teuerungsmedaillen

Beitrag von Andechser » So 16.03.14 09:19

Hallo feuerhummel,
ja, es wurden sogar relativ viele Erinnerungsmedaillen auf die Hyperinflation hergestellt und auch von den Leuten gekauft. Es war einfach eine sehr einschneidende Erfahrung und damals war es üblich für viele Ereignisse eigene Medaillen herauszugeben. Ich hoffe, dass dir das etwas weiterhilft.

Viele Grüße
Andechser

feuerhummel
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Re: Teuerungsmedaillen

Beitrag von feuerhummel » So 16.03.14 10:37

Hm dankeschön. also vorstellen kann ich mir das nicht so recht aber wahrscheinlich muss ich mich da mal intensiver mit der Inflationszeit auseinandersetzen.
Darf ich dazu nochwas fragen? Wie muss ich mir diese Geldentwertung praktisch vorstellen? Also als beispiel: heute kostet ein Brot 3000 Mark, morgen schon 5000. Woher haben die Leute die Scheine bekommen? Mussten die täglich zur Kasse gehen und die scheine tauschen? Das ist alles sehr rätselhaft für mich ;-) .

stampsdealer
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Re: Teuerungsmedaillen

Beitrag von stampsdealer » So 16.03.14 11:43

Hier ist ein Link zu diesem Thema:

http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_I ... 4_bis_1923

In der Hyperinflation 1923 war es so gewesen das jemand aus einer Firma irgendwelche Waren, die er bekommen konnte, für seine Arbeitskollegen/Belegschaft gekauft hatte, weil die Geschäfte bereits in der Mittagspause die Preise schon wieder heraufsetzten.

Ich habe zwei Reichsbanknoten zu je 1 Billion Mark, weiß aber nicht wo die liegen. Auf meinem Schreibtisch liegen aber Lots mit Scheinen (auch Billionenwerte) der Deutschen Reichsbahn, die ich in der letzten Auktion von Tietjen + Co. erworben habe. Nachstehend Abbildungen von Inflationsscheinen bis zum Nominal 20 Billionen Mark.
Dateianhänge
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Zuletzt geändert von stampsdealer am So 16.03.14 12:05, insgesamt 2-mal geändert.

Andechser
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Re: Teuerungsmedaillen

Beitrag von Andechser » So 16.03.14 12:00

In der Hochphase der Hyperinflation wurden die Gehälter täglich ausbezahlt und teilweise hatten sich die Preise vom Morgen bis zum Abend schon verdoppelt bis verzehnfacht. Außerdem haben auch sehr viele Gemeinden, Firmen und teilweise auch Privatpersonen Notgeldscheine hergestellt und in den Umlauf gebracht. Allerdings haben viele Leute auch garkeine Geldscheine genutzt, sondern sind auf den Tauschhandel umgestiegen oder es wurden soweit möglich Devisen genutzt, wobei die Kaufkraft von einem US-Dollar gegen Ende der Hyperinflation exorbitant hoch war.

Viele Grüße
Andechser

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Re: Teuerungsmedaillen

Beitrag von stampsdealer » So 16.03.14 12:14

An den Punkt auf Tauschhandel umgestiegen bzw. nach Möglichkeit Devisen genutzt, knüpfe ich an.

Bei der Durchsicht eines solchen Reichsbahnnotenkonvolutes habe ich jetzt einen Schein vom 7. Nov. 1923 entdeckt, der auf Goldmarkbasis/Dollarbasis fußt, also ein Versuch wertbeständiges Notgeld herauszugeben.
Dateianhänge
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Re: Teuerungsmedaillen

Beitrag von Lutz12 » So 16.03.14 12:31

Bei aller Dramatik der Geldentwertung, wird oft auch Falschwissen verbreitet. Ich habe mich (regional) sehr intensiv mit dem Thema Notgeldzeit beschäftigt und mich durch zig Meter Originalquellen gekämpft, was 20 Jahre gebraucht hat (!).
In aller Kürze läßt sich das Thema nicht anschaulich rüberbringen, weil alle Aspekte der politischen Entwicklung berücksichtigt werden müssen.
Die von Andechser angesprochene Verzehnfachung der Dollar-Mark Kurse gab es nicht, als Beweis habe ich mal eine WECHSELKURSTABELLE abgebildet, die sicher auch für viele andere interessant ist, die sich ein Bild machen wollen.
Allein das Lesen der Tabelle löst Kopfschütteln aus, zeigt aber auch, dass die Situation alle überrollt hat - abwarten und Tee trinken war sicher nicht die Losung der Zeit :twisted:

Hier mal aus einer zeitgenössischen Quelle die Umtauschkurse in der Hochinflation (amtlicher Dollarkurs, die Endstellen sind dabei von mir gerundet)
(Klappkarte der Druckerei G. Knapp & Co. Pfullingen)
(sorry: ich habe die Tabelle bearbeitet, aber die Formation geht hier beim veröffentlichen verloren.... :( )
TAG/MONAT
JULI AUGUST SEPTEMBER OKTOBER NOVEMBER
1 - 1.102.750 - 242.600.000 130.325.000.000
2 160.400 - - 320.800.000 320.800.000.000
3 160.400 1.102.750 9.724.250 441.100.000 421.800.000.000
4 161.002 - 13.032.500 551.345.000 -
5 166.415 - 20.050.000 601.500.000 421.800.000.000
6 176.440 1.654.125 33.283.000 - 421.800.000.000
7 - 3.308.250 53.132.000 - 631.235.000.000
8 - 4.872.150 - 840.095.000 631.235.000.000
9 180.450 4.872.150 - 1.203.000.000 631.235.000.000
10 186.967 3.909.150 50.826.750 2.982.437.000 631.235.000.000
11 187.468 - 66.365.500 5.096.000.000 -
12 187.468 - 96.240.000 4.010.000.000 631.235.000.000
13 187.468 3.701.250 92.639.000 - 842.100.000.000
14 - 3.007.500 90.626.000 - 1.263.150.000.000
15 - 2.706.700 - 3.679.400.000 2.563.300.000.000
16 196.089 2.706.750 - 4.110.250.000 2.563.300.000.000
17 218.545 3.208.000 132.530.500 5.513.750.000 2.563.300.000.000
18 - - 150.375.000 8.180.481.000 -
19 218.545 - 182.455.000 12.030.000.000 2.563.300.000.000
20 284.710 4.210.500 182.455.000 - 4.210.500.000.000
21 - 5.513.750 110.275.000 - 4.210.500.000.000
22 - 5.313.250 - 40.100.000.000 4.210.500.000.000
23 350.875 5.092.700 - 56.140.000.000 4.210.500.000.000
24 415.035 5.711.750 147.367.500 63.157.500.000 VON DA AB GLEICHER DOLLARSTAND
25 - - 121.302.500 65.162.000.000
26 761.100 - 126.315.000 65.162.500.000
27 761.900 5.614.000 142.756.000 -
28 - 6.416.000 160.400.000 -
29 - 7.518.750 - 64.888.000.000
30 1.102.750 11.027.500 - 65.162.000.000
31 1.102.750 10.325.750 72.681.000.000
"Wenn Sie glauben, mich verstanden zu haben, dann habe ich mich falsch ausgedrückt" ( Alan Greenspan)

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Re: Teuerungsmedaillen

Beitrag von Lutz12 » So 16.03.14 12:38

Tabelle.png
"Wenn Sie glauben, mich verstanden zu haben, dann habe ich mich falsch ausgedrückt" ( Alan Greenspan)

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Re: Teuerungsmedaillen

Beitrag von Andechser » So 16.03.14 13:34

Hallo Lutz12,
ich hab mich selbst auch durch die Archive gewühlt und es gab durchaus eine Verzehnfachung von Preisen für einzelne Güter. Von einer Verzehnfachung des Dollar-Mark-Kurses habe ich nie gesprochen, weil es eine solche auch nicht binnen 24-Stunden gegeben hat. Aber wenn man sich die Preise für z.B. Schmalz oder Petroleum ansieht, dann sieht man durchaus solche Preissprünge in bestimmten Gegenden, die aber dann auch wieder rückläufig gewesen sein können. Diese Steigerungen lagen zum Teil auch daran, dass Händler ihre Preise in Erwartung einer weiteren Geldentwertung vorsorglich deutlich erhöht haben und die letzten Tage der Hyperinflation waren zudem vollkommen chaotisch.

Viele Grüße
Andechser

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Re: Teuerungsmedaillen

Beitrag von fareast_de » So 16.03.14 17:53

feuerhummel hat geschrieben:Hallo, ich bin neu hier und hab eine Frage die mir google nicht beantworten konnte, deswegen versuch ich es mal hier.
Ich hab beim Umgraben im Garten eine Münze gefunden, von der ich mittlerweile weiss dass es ein Teuerungsmedaille von 1923 ist. Meine Frage: wozu dienten diese Medaillen? Ich kann mir das nicht so vorstellen, da kostete ein Brot mehrere tausend Mark und die haben Erinnerungsstücke geprägt? Haben sie die dann verschenkt? War die Bronze übrig? Vielen Dank für eine Antwort.
Nochmals zu Deiner Eingangsfrage: diese in zahlreichen Varianten geprägten Erinnerungsmedaillen wurden ganz einfach aus kommerziellem Interesse geprägt. Teils gab es da ganze Serien mit den Preisen für Grundnahrungsmittel in den einzelnen Monaten der Hochinflation. Das Interesse von Teilen der Bevölkerung an diesen Memorabilien muß damals durchaus groß gewesen sein, da es sich um einschneidende Lebenserfahrungen, nämlich in den meisten Fällen um den Totalverlust des ersparten Vermögens handelte. "Überlebt" hat nur die kleine Minderheit der Besitzer von Sachwerten wie Immobilien, Aktien und Edelmetallen.
Interessante Belletristik zum Thema: Hans Fallada: Wolf unter Wölfen. Wurde nach m.E. auch mal verfilmt und gibt sehr gute Einblicke in das damalige Lebensgefühl unserer Vorfahren.

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Re: Teuerungsmedaillen

Beitrag von Lutz12 » So 16.03.14 18:06

Die Medaillen sind erst nach Beendigung der Inflation (durch Einführung der sogenannten Rentenmark) geprägt wurden. Insofern war nach überstandener Not durchaus Anlass zu Zuversicht - der Kauf als Erinnerung an diese bisher einmalige (!) Inflation war auch Zeichen der Erleichterung. Ich schätze die Auflage hoch in den 10.000dern.
Gruß Lutz
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Re: Teuerungsmedaillen

Beitrag von feuerhummel » So 16.03.14 20:58

Vielen dank für die ausführlichen Antworten. Mir wird schon einiges klarer. Ich kann mich auch dunkel dran erinnern mal so eine Banknote gesehen zu haben wo der Wert einfach mit nem Stempel neu aufgedruckt war. Unvorstellbar eigentlich. Da versteh ich jetzt auch den Sinn des Medaillen. Bei mir hat sie sehr wohl die "Erinnerung" geweckt oder zumindest den Wissensdrang wie schlimm das damals gewesen sein muss.

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Re: Teuerungsmedaillen

Beitrag von mielsch » Fr 11.04.14 06:48

Anbei mal eine, neudeutsch, Marketingbroschüre zu solchen Medaillen aus meinem Besitz, wohl um 1924. Die Medaillen auf die Inflation wurden also durchaus erst geprägt, nachdem das Schlimmste überstanden war, wie Lutz schon sagte, und als Erinnerung an die "schlimme Zeit". Man bemerke, dass damals selbst die Vertriebsfirmen interessanterweise lieber von Münzen gesprochen haben, als von Medaillen.

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Re: Teuerungsmedaillen

Beitrag von Chippi » Sa 12.04.14 23:39

"Münze" zog schon damals mehr als "Medaille", immerhin erweckt sowas den Schein einer offiziellen Prägung.

Gruß Chippi
Wurzel hat geschrieben:@ Chippi: Wirklich gute Arbeit! Hiermit wirst du zum Byzantiner ehrenhalber ernannt! ;-)
Münz-Goofy hat geschrieben: Hallo Chippi, wenn du... kannst, wirst Du zusätzlich zum "Ottomanen ehrenhalber" ernannt.

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