Hyperinflation 1922 in Deutschland

Wie zahlten unsere Vorfahren? Was war überhaupt das Geld wert? Vormünzliche Zahlungsmittel

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Ingrid Tolkmitt
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Hyperinflation 1922 in Deutschland

Beitrag von Ingrid Tolkmitt » Mo 10.11.08 19:31

Hallöchen,
vor einigen Jahren fragte ich um Hilfe und bekam sie. Damals schrieb ich ein Buch über die Geschichte des Guthauses Bobbin. Jetzt sitze ich an einem neuen Buch, einer Art Biographie, in welchem ich über die Lebensgeschichten meiner Vorfahren berichte. Mein Großvater baute während der Jahre 1920 bis 1924 sein Haus. Er arbeitete zu dieser Zeit bei der Pianofirma Steinway in der Lackiererei, war also Arbeiter. Um deutlich zu machen, wie schwer dies in einer Zeit der galoppierenden Geldentwertung war, versuche ich herauszubekommen, was ein Arbeiter 1922 wohl verdient haben mag. Steinway hat keine Unterlagen mehr aus dieser Zeit.
Meine Mutter erzählte mir, dass sie täglich mittags mit einer Schubkarre zu STeinway fuhr, um den Tageslohn meines Großvaters entgegen zu nehmen. Damit fuhr sie dann zu einer Baustoffhandlung und holte Ziegel. Abends hätte Großvater schon etliche weniger bekommen.

Kann mir jemand helfen?

Liebe Grüße
Ingrid Tolkmitt
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Beitrag von Lutz12 » Mo 10.11.08 22:32

Die Hyperinflation setzte erst im Spätsommer 1923 ein. Es war damals in der Tat so, dass die Mittagspausen der Geschäfte genutzt wurden um die Waren neu auszupreisen. Es gab Phasen, in denen sich innerhalb eines Tages der Geldwert der Mark (gerechnet in Golddollar) halbierte. Die Geschichten mit der Schubkarre hört man überall, leider fehlen mir dazu zeitgenössische Beweise. Fest steht, dass infolge der galoppierenden Inflation die Herstellung von "neuen" Geldscheinen nicht nachkam. Es wurden deshalb z.B. auch Bündeln aus 1000 Stück 1000 Mark-Scheinen als 1 Mio in Zahlung gegeben. Nachgezählt hat dies aus praktischen Erwägungen niemand. (zynische Anmerkung: Wenn er mit zählen fertig war, hätte die Inflation schon wieder einen Teil aufgefressen).
Gruß Lutz12
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Huehnerbla
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Beitrag von Huehnerbla » Di 11.11.08 04:27

Hallo,

Das mit dem Verdienst in der Inflation ist immer ein wenig problematisch.
Zu Beginn des Jahres 1922 waren 100 Papiermark = 2,52 Goldmark,
gegen Ende des Jahres 1922 waren 100 Papiermark = 6,34 Goldpfennig !
Gruß
Jürgen

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Ingrid Tolkmitt
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Beitrag von Ingrid Tolkmitt » Di 11.11.08 08:33

Danke für eure Hinweise. Einen Beweis für die Schubkarre habe ich auch nicht. Ein Foto dazu existiert nicht. Beim Blättern in alten Unterlagen fand ich in einem Fragebogen vom 20.1.1920 Angaben zur Invalidenrente meines Großvaters. Die Militärrente betrug monatlich 159 Mark gesamt und setzte sich wie folgt zusammen: 117 Mark Rente, 27 Mark Verstümmelungszuschlag (Beinamputation bis zum Hüftstumpf), 15 Mark Kriegszulage und Kostenvoranschläge/Rechnungen von November/Dezember 1924, Dez. 1925 und Juli 1926. Auf dem Grundstück baute mein Großvater zuerst ein kleines Haus, heute Anbau, bevor er das große Wohnhaus errichtete. Der tägliche Steinkauf mag also für das kleine Haus gewesen sein.
Falls jemand Interesse an Kopien hat, bitte sich melden. Ich kann die Belege scannen und per Mail zusenden.
Liebe Grüße
Ingrid Tolkmitt
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Beitrag von Jules » Di 11.11.08 10:51

Im Dezember 1924 war der Spuk bereits vorbei.
Ende 1923/Anfang 1924 wurde die Rentenmark eingeführt, der Wechselkurs betrug 4,2 Rentenmark = 1 Dollar.

Bei Wikipedia gibt es ein schönes Bild, das eine Frau zeigt, die den Ofen mit Geldscheinen schürt, weil das deutlich billiger war, als sich für das Geld Holz zu kaufen:

http://en.wikipedia.org/wiki/Hyperinflation
Mit freundlichen Grüßen,
Jules

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Zur Orientierung

Beitrag von Huehnerbla » Di 11.11.08 21:55

Ingrid Tolkmitt hat geschrieben:... fand ich in einem Fragebogen vom 20.1.1920 Angaben zur Invalidenrente meines Großvaters. Die Militärrente betrug monatlich 159 Mark gesamt ...
Nach dem Aufwertungsgesetz war am 20. Januar 1920 der Umrechnungskurs
159 Papiermark = 12,32 Goldmark
Gruß
Jürgen

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EndeHyperinflation - Rentenmark

Beitrag von Ingrid Tolkmitt » Di 11.11.08 22:14

Hallöchen, ihr alle,
lieber Jules,
in deiner Nachricht lese ich, "Im Dezember 1924 war der Spuk zuende". Kann es sich hier um einen Tippfehler handeln. Ich las in Wikipedia, dass am 15.11.1923 die Rentenmark herausgegeben wurde, und zwar gem. Verordnung vom 15.10.1923 über die Errichtung der Deutschen Rentenbank. Ab 30. August 1924 wurde zusätzlich zur Rentenmark die Reichsmark eingeführt. Beide, die Rentenmark und die Reichsmark waren bis 1948 gültig.

Jules, kann es also sein, dass du Dezember 1923 meintest? Insgesamt traue ich euch Numismatikern ein größeres Fachwissen als Wikipedia zu, dort entdeckte ich schon hin und wieder Fehler. Das Foto einer Frau, die im Kamin Papiergeld statt Holz verheizt, habe ich gesehen. In meiner Biographie möchte ich es aber nicht verwenden. Lieber greife ich auf Tabellen zurück, die sind meiner Ansicht nach aussagestärker.

Ich danke euch allen für eure Hilfe, Tipps und Hinweise. Alle Anmerkungen von euch sind gespeichert und werden an passender Stelle eingebaut. Schade, dass ich eure Namen nicht im Literaturverzeichnis erwähnen kann, doch auf das Numismatikforum werde ich auf jeden Fall hinweisen.

Mit besten Grüßen
Ingrid Tolkmitt
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Beitrag von Numis-Student » Di 11.11.08 22:29

Lutz12 hat geschrieben: Die Geschichten mit der Schubkarre hört man überall, leider fehlen mir dazu zeitgenössische Beweise.
Hallo Lutz,
hier noch ein anderes Bild, das die großen Geldmengen verdeutlicht.

http://www.welt.de/multimedia/archive/0 ... 45920g.jpg

noch ein Geldtransport zu einer Bank: http://images.google.com/imgres?imgurl= ... e%26sa%3DN
oh Gott, was für ein Link.... geht das gut ?

http://images.google.com/imgres?imgurl= ... e%26sa%3DN


Mir ist aber eher der Wäschekorb für diese Transporte aus Erzählungen bekannt.

Schöne Grüße,
MR
Zuletzt geändert von Numis-Student am Di 11.11.08 22:40, insgesamt 3-mal geändert.

Jules
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Beitrag von Jules » Di 11.11.08 22:32

Ingrid, mit "Dezember 1924" beziehe ich mich auf die von Dir genannten "Kostenvoranschläge/Rechnungen von November/Dezember 1924".
Mit freundlichen Grüßen,
Jules

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Beitrag von antoninus1 » Mi 12.11.08 10:10

Ein Bekannter erzählte mir die Geschichte, dass sein Vater mit 2 Freunden am Freitag seinen Wochenlohn erhielt. Damit kauften sie eine Bahnfahrkarte von München nach Lenggries und machten sich dort auf eine Bergwanderung übers Wochenende mit Übernachtungen auf Hütten.

Als sie am Sonntag abend wieder abgestiegen waren, reichte der verbliebene Lohn nicht einmal mehr für die Rückfahrkarte nach München.
Da mussten sie sich zu Fuß auf den Weg nach München machen (ca. 70 km).
Ein barmherziger Autofahrer (von denen es damals auf diesem Weg kaum welche gab) las sie nach einigen Kilometern auf und nahm sie mit nach München.
Gruß,
antoninus1

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Beitrag von Huehnerbla » Sa 15.11.08 09:54

Wenn man diese Geschichte betrachtet, dann dürfte das sehr viel Phantasie
darin stecken. Zugetragen haben könnte sich die Geschichte theoretisch nur
zwischen 2. Juni und 8. Juli 1923. Denn das war der einzige Zeitraum an
dem es möglich war, dass für Freitag und Sonntag ein unterschiedlicher Kurs
existiert hat, denn nur in diesen paar Wochen wurde für den Samstag ein
Extra-Kurs festgelegt. Einen Kurs für Sonntag hat es nie gegeben. Vor
diesem Zeitraum wurde der Kurs nur von Montag bis Freitag festgesetzt und
galt zehn Tage. Ab dem 9. Juli 1923 galt der Freitagskurs bis Sonntag.
Vergleicht man nun den Kurs vom Freitag mit dem Kurs am Samstag, dann
stellt man fest, dass das Wochenende mit der höchsten Steigerung das
Wochenende 15. bis 17. Juni 1923 war. Da betrug die Steigerung des Kurses
9,4 % vom Freitag bis zum Samstag. Dass sich allerdings jemand die
Rückfahrt nicht leisten kann, weil eine weniger als 10-prozentige
Preissteigerung eingetreten ist, ist mehr als unwahrscheinlich ...
Gruß
Jürgen

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