Legio I Minervia
Beinamen: Flavia, Pia Fidelis Domitiana, VI(I) Pia VI(I) Fidelis u.v.a.
Bestand: 82/83 n.Chr. bis mind. Mitte 4. Jh. n.Chr.
Basis: Bonna (Bonn)
Embleme: Minerva, Widder
Im Jahr 83 n.Chr. kam die von Kaiser Domitian neu rekrutierte Legio I Minervia nach
Bonna (Bonn) in der Provinz Germania inferior (Niedergermanien) und zog in das dort neu eingerichtete Lager, erbaut mit Steinen vom Drachenfels. Der Kaiser selbst hatte sie kurz zuvor für seinen Feldzug gegen die Chatten ausgehoben und sie nach seiner Lieblingsgöttin „Legio I Minervia Flavia Domitiana“ benannt. Sie löste dort die Legio XXI Rapax ab, die zeitgleich nach Mogontiacum (Mainz) versetzt wurde.
Neben Minerva war der
Widder das untrügliche Wappenzeichen der Legion. 2024 förderten die Archäologen ein ganz besonderes Fundstück zutage: Bei Ausgrabungen im Bonner Legionslager fanden sie das noch recht gut erhaltene Schutzblech eines römischen Schuppenpanzers, der aufgrund der Abbildungen u.a. von Minerva der Legio I Minervia eindeutig zugeordnet werden konnte.
https://bodendenkmalpflege.lvr.de/de/ak ... rettyPhoto
„Wasser für Kölle“
Mit Sicherheit wurde die Legion I Minervia auch zur Fertigstellung bzw. zum Erhalt der
Eifelwasserleitung herangezogen, die den „Champagner der Eifel“ vom heutigen Nettersheim bis ins knapp 100 Kilometer entfernte Köln transportierte. Bereits um 30 n.Chr. war die Stadt durch eine mehrere Kilometer lange Fernwasserleitung vom Vorgebirge mit Wasser versorgt worden. Um 80/90 n.Chr. erlangte die Stadt die Rechte einer Colonia, und trug als Hauptstadt der neu eingerichteten Provinz Niedergermanien den stolzen Namen „Colonia Claudia Ara Agrippinensium“.
Eine der vielen Neuerungen bestand in der Aufrüstung der Wasserversorgung, um dem steigenden Bedarf der ständig wachsenden Bevölkerung gerecht zu werden. Eine neue Wasserleitung war dringend notwendig, und dabei musste das Wasser den damaligen Ansprüchen an Qualität und Geschmack erfüllen. Die Lösung lag am Rande der Eifel rund 50 Kilometer Luftlinie von Köln entfernt: Das Wasser des Gebietes, das wir heute geologisch „Sötenicher Kalkmulde“ nennen, entsprach in puncto Qualitätsanspruch exakt den Vorstellungen der städtischen Bevölkerung.
Unwegsames Gelände mit zahlreichen Anhöhen und Tälern war nur eines der vielen Herausforderungen, denen sich die römischen Ingenieure, Vermesser und natürlich die hart schuftenden Arbeiter stellen mussten. Ein besonderes Geländehindernis für die römischen Baumeister war ohne Zweifel das Vorgebirge (die Ville), das wie ein 50 Meter hoher Querriegel in der Luftlinie zwischen den Eifelquellen und der CCAA lag. Für den direkten Weg wären kilometerlange Aquädukte sowie Untertunnelungen nötig gewesen, doch die Erbauer entschieden sich für eine andere einfache und zugleich geniale Lösung: Eine rund 20 Kilometer lange Umwegleitung umging die allermeisten Probleme, und machte als kleine Herausforderung einzig eine 1400 Meter lange und bis zu elf Meter hohen Aquäduktbrücke über das Swisttal notwendig.
Der Verlauf der Eifelwasserleitung (Quelle: wikiwand)
Begonnen wurde das Mammutprojekt um 80 n.Chr., wobei man eine Bauzeit von vier bis fünf Jahren veranschlagen kann, was für die
Länge von 95,4 Kilometern und die vielen Schwierigkeiten, die mit dem Bau einhergingen, als ziemlich flott zu bezeichnen ist (vgl. Prof. Dr. Klaus Grewe: Wie kam es zu den „unverschämt“ kurzen Bauzeiten bei römischen Grossprojekten? – in VDV Magazin 6/21).
Obwohl literarische und epigraphische Quellen fehlen, kann doch als sicher angenommen werden, dass die Leitung vom römischen Heer errichtet wurde, denn nur dieses verfügte über die entsprechenden Mittel. Mit Sicherheit war die Legio I Minervia als nächstgelegene Legion ebenso massgeblich beteiligt wie andere Rheinarmeen. Die Kapazität war beachtlich. Nicht weniger als 20 Mio. Liter Wasser plätscherte fortan täglich nach Köln, womit der Bevölkerung pro Kopf und Tag etwa 1200 Liter zur Verfügung stand.
Allerdings führte das kalkhaltige Wasser aus dem schönsten Mittelgebirge der Erde zu
Ablagerungen in der Leitung; die Versinterungsschichten waren bis zu 30 Zentimeter dick, was jedoch den Wasserlauf nicht beeinträchtigte, denn die Römer haben in schlauer Voraussicht die Leitung mit grossem Querschnitt – also auf „Zuwachs“ – gebaut. Im Mittelalter waren diese Ablagerungen im gesamten Rheinland begehrtes Baumaterial, und in so manchen Burgen, Klöster und Kirchen findet man jenen Kalksinter, aus dem geschickte Steinmetze den wunderschönen „Aquäduktmarmor“ zu Säulen, Altären und Fensterlaibungen verarbeiteten. Die nördliche Verbreitung reicht gar bis nach Dänemark im Dom zu Roskilde, wo der auch Eifelmarmor genannte Sinter in Form von Grabplatten Verwendung fand; ferner befindet sich in der ältesten Steinkirche von Schweden in Dalby eine Aquäduktmarmor-Säule.
An dieser Stelle in Euskirchen-Kreuzweingarten ist gut zu erkennen, dass sich auf der Sohle der Leitung eine dicke Schicht aus Kalksinter gebildet hat. (Foto: Prof. Dr. Klaus Grewe)
Mitte des 3. Jh. n.Chr. – wahrscheinlich um 260 n.Chr. – endete der Betrieb der Eifelwasserleitung, die hier im Volksmund
„Römerkanal“ genannt wird. Sie wurde nach der ersten Plünderung und Zerstörung Kölns durch die Germanen auch nicht wieder in Betrieb genommen.
Heute existieren noch zahlreiche, teils rekonstruierte und mit Schutzbau versehene
Quellfassungen, darunter auch der „Grünen Pütz“. Dort im Flusstal der Urft nahe Nettersheim hatte die Leitung ihren Ursprung, wo sie das Wasser einer Quelle aufnahm.
Rekonstruierte Quellfassung "Grüner Pütz"
„An der Eifelwasserleitung sind überraschend viele technische Finessen der römischen Baumeister zu erkennen. Das ist deshalb so spannend, weil von den technischen Bauplänen oder auch nur den Baubeschreibungen aus der Antike nichts überliefert ist; alles was wir über diesen grandiosen Technikbau wissen wollen, müssen wir deshalb aus dem Bauwerk selbst herauslesen. Die Forschungsarbeiten der letzten Jahrzehnte haben wesentliche neue Erkenntnisse zur Baustellenorganisation mitsamt der Planung und Trassierung ans Licht gebracht. In diesem Licht erscheint der Römerkanal als großes technisches Erbe der Menschheit, das Respekt, Aufmerksamkeit und darüber hinaus unseren umfassenden Schutz verdient.“ (Klaus Grewe: Die römische Wasserleitung nach Köln)
Anfang des 2. Jahrhunderts n.Chr. zog die Legion mit Trajan gegen die Daker ins Feld, während sie in Bonn von einer Vexillation der Legio XXII Primigenia vertreten wurde. Nach den Dakerkriegen kehrte sie 112 n.Chr. wieder in ihr Basislager Bonna zurück. In Rom selbst erfuhr sie die grössten Ehren; ihr Feldzeichen wurde auf der Trajanssäule verewigt. Bis zum Ende des Jahrhunderts blieb die Legion in Bonn, wobei verschiedentlich Soldaten ihren Dienst in anderen Teilen des Reiches verrichteten, u.a. im Partherfeldzug des Lucius Verus und im Krieg des Marcus Aurelius gegen die Markomannen.
Die Legion als erfolgreiche Unternehmung
Die Sicherung der Grenze, die Teilnahme an Feldzügen und andere militärische Operationen waren nur ein Teil der Aufgaben, mit denen die Legionäre bedacht wurden. Neben zivilen Verwaltungsaufgaben und polizeilichen Angelegenheiten unterhielten sie sogar venatores (Jäger), deren Job es war, Tiere für die Tierhatzen in den Amphitheatern zu fangen.
Eine ganz besondere Leistung neben dem bereits erwähnten Bau von Wasserleitungen war auch die
Errichtung und Unterhaltung von Industrieanlagen. Eine bedeutendes Beispiel ist die
Kalkbrennerei Iversheim am Rande der Eifel als Schwerpunkt der römischen Kalkindustrie mit nahezu grossindustrielle Ausmassen. Zwischen 150 n. Chr. und 300 n. Chr. wurde hier im großen Stil Dolomit zu Branntkalk verarbeitet; Für die Anlage wurde eine monatliche Produktionskapazität von 200 Tonnen Dolomitkalk berechnet. Die Arbeiten wurden jedoch nicht von Sklaven oder Arbeitern durchgeführt, sondern die Fabrik stand unter der Kontrolle von etwa 60 Legionären der Legio I Minervia, die in Zusammenarbeit mit der Legio XXX Ulpia aus Xanten für die Kalkgewinnung zuständig waren. Dass diese Anlage von militärischen Arbeitskommandos betrieben wurde, ist durch zahlreiche Inschriften belegt. Kommandeur der Anlage war ein Offizier, der laut einer Weiheinschrift als
„Magister calcarium“ bezeichnet wurde.
Die Lage der Öfen und des Schutzbaus (Foto: MOS MAIORUM)
Der Bedarf an gebranntem, ungelöschtem Kalk war in den römischen Nordwestprovinzen, wie überall im Römischen Reich, gewaltig, denn das weiße Pulver diente nicht nur als Baustoff, als Grundlage für Mörtel und Beton, sondern war auch zum Kalken der römischen Gebäude erforderlich, die nach römischem Geschmack auch in unseren Breiten oft nicht in ihrer natürlichen Fachwerk-, Naturstein- oder Ziegelbauweise belassen wurden, sondern weiß gekalkt und bisweilen bunt bemalt waren.
Blick in einen der Brennöfen (Foto: MOS MAIORUM)
Der heereseigene Betrieb solcher Unternehmungen macht deutlich, dass man auf eine grösstmögliche Kostenbegrenzung bedacht war, denn den Einnahmen hieraus standen immense Ausgaben gegenüber, wobei die Soldzahlungen den Löwenanteil ausmachten.
Bei der römischen
Kalkbrennerei in Iversheim handelt es sich um einen seltenes römisches Industrie-Bodendenkmal von überregionaler Bedeutung, denn hier ist es erstmalig in Europa gelungen, eine komplette Industrieanlage aus römischer Zeit freizulegen, ihre Funktion zu untersuchen und ihre praktische Funktionsweise im Experiment zu beweisen. Damit gehört diese in ihrer Art und Größe außergewöhnliche antike Stätte zu
einer der bedeutendsten archäologischen Fundstätten für die Wirtschaftsgeschichte der Römerzeit nördlich der Alpen.
Die Kalkbrennerei am Rande der Eifel war nicht das einzige Bauprojekt, an dem die Legio I Minervia in Zusammenarbeit mit der Legio XXX Ulpia beteiligt war; die relativ ruhige militärische Lage im 1. und 2. Jh. n.Chr. erlaubte es, dass die germanischen Rheinlegionen auch Ziegeleien und Steinbrüche betreiben konnten. Diese gemeinsamen Unternehmungen fanden ihren Niederschlag sogar in den Inschriften: Anstelle der Legionsnamen liest man dort
EXGERINF (Exercitus Germaniae inferioris; Heer Niedergermaniens).
Dachziegel aus dem Forum Hadriani in Voorburg - Leiden, Rijksmuseum voor Oudheden (Foto: Livius.org)
Sowohl im Bürgerkrieg 193 n.Chr. als auch im darauffolgenden Konflikt mit Clodius Albinus unterstütze die Legion Septimius Severus, und eine Vexillation hielt ihm auch im Partherkrieg die Treue. In der nun folgenden 1. Hälfte des 3. Jh. n.Chr. erhielt sie – den jeweiligen Kaisern treu ergeben – verschiedene Beinamen.
Als im Jahre 256 n.Chr. die Germanen in die Germania inferior einfielen, stand die Legio I Minerva an der Seite Gallienus, der sie u.a. mit dem Beinamen VII Pia VII Fidelis („siebenmal pflichtbewusst und loyal“) auszeichnete. Dies wird insbesondere durch die
Münzen repräsentiert. Der hier vorgestellte Antoninian gehört zu einer Serie der sog.
Legionsantoninianen, die unter Gallienus zu Ehren der ihm treu ergebenen Legionen in Mediolanum (Mailand) geschlagen wurde.
Gallienus
Antoninianus
Mediolanum
261 AD.
Av.: GALLIENVS AVG - Radiate head of Gallienus to left
Rev.: LEG I MIN VII P VII F - Minerva standing front, head to left, holding Victory in her right hand and spear and shield set on ground with her left
3,27 Gr.
RIC 323, Cohen 464, MIR 989c (2 examples recorded)
(Coin from same dies: Leu Numismatic Web Auction 20 - 16.07.2022 - No. 2686)
Als Bonna im Jahre 353 n.Chr. bei einer Invasion der Franken zerstört wurde, verliert sich die Spur der Legio I Minervia. Zwar eroberte Julian wenige Jahre später die Stadt zurück und erneuerte möglicherweise auch das Legionslager, aber die neue Truppe bleibt namentlich unbekannt.
Fazit:
Vielleicht ist die Geschichte der Legio I Minervia das eindruckvollste Beispiel für die Diversität einer Einheit, die nach allgemeinem Verständnis massgeblich für die Vormachtstellung des römischen Reiches und dessen Ausdehnung verantwortlich war. Ihre Tätigkeiten bezeugen ein breites Spektrum unterschiedlichster Aufgaben, die weit über dem liegen, was man unter einer militärischen Kampftruppe versteht.Der Legionär, der Grenzen verteidigt, Schlachten gewinnt und Kriegsbeute macht war nur ein kleines Rad in einem grossen Uhrwerk. Roms Legionen waren in sich
funktionierende, autarke Systeme, die sich im Grunde selbst tragen konnten; autonomes Handeln war einzig dem Kaiser gegenüber zu verantworten. Soldaten, Ingenieure, Baumeister, Vermesser, Jäger, Verwaltungsbeamte und viele andere Personen bildeten die Stützen, die für die reibungslose Funktion dieses Systems nötig waren. Dabei dienten sich nicht nur militärischen Zwecken, sondern trugen auch zur Verbesserung der Infrastruktur bei durch den Bau von Kanälen, Brücken und Wasserleitungen. Der Betrieb von Steinbrüchen, Bergwerken, Ziegeleien, Kalkbrennereien bis hin zum Einsatz von Holzfällerkommandos verhalf ferner zu wirtschaftlichen Erfolgen.
Grüsse
Rainer