Eine interessante barbarische Überprägung

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Peter43
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Eine interessante barbarische Überprägung

Beitrag von Peter43 » Mi 15.08.07 00:45

Hallo!

Ich möchte euch hier eine Münze vorstellen, die bezeichnet wird als Valentinian II., AE4, barbarische Überprägung einer aus dem Verkehr gezogenen Münze

Der folgende Text stammt von Beast Coins:
Diese Münze scheint eine barbarische Imitation zu sein, und dabei eine Überprägung einer offiziellen imperialen Münze. Im Bild sind die Buchstaben der Überprägung schwarz und die der ursprünglichen Münze rot. Man bemerke den großen Unterschied im Stil der Buchstaben der zwei Legenden: Die der Überprägung sind gerade mit dicken Linien, während die ursprünglichen Buchstaben feine Linien mit Serifen zeigen. Zudem befindet sich die Vorderseite der ursprünglichen Münze unter der Rückseite der neuen Prägung, was ich erwartet habe, da dies bei allen Exemplaren, die ich gesehen habe, ebenso war.

Die ursprüngliche Münze ist:
Valentinian II, 383-392
AE 4, 14mm, 1.36g
Av.: [D N VA]LENTINI[ANVS P F AVG]
Büste, mit Perldiadem, drapiert und cürassiert, n.r.
Rv.: [SALVS REI_]PVBLIC[AE]
Victoria n.l. gehend, Trophäe über der Schulter, zieht einen Gefangenen hinter
sich her
Mögliche Münzstätten für Valentinian sind:
Alexandria (383-392)
Antiochia (383-392)
Aquileia (388-392)
Constantinopel (383-392)
Cyzicus (383-392)
Heraclea (383-392)
Nicomedia (383-392)
Rom (383-392)
Thessalonica (383-392)

Nun zur Vorderseite der Überprägung: Der Kopf der Victoria ist sichtbar und blickt direkt auf den 3.Buchstaben der Legende. Der Flügel der Victoria ist ebenfalls sichtbar, es ist die flache Fläche über dem Kopf des Herrschers. Der Gefangene, den Victoria hinter sich her zieht schließt mit dem Portrait des Herschers ab, so daß es ausieht, als habe er eine sehr lange Nase. Aber tatsächlich ist es der Körper des Gefangenen, der aus der Stirn des Herrschers herausragt und die Beine und Arme bilden die übergroße Brücke der Nasen-Augen-Partie.

Auf der Rückseite der Überprägung ist Valentinians Kopf sichtbar und stimmt mit der sichtbaren ursprünglichen Legende überein (Man sieht dies besser, wenn man das Bild dreht!).

Die Überprägung scheint ein VIRTVS EXERCITI Typ zu sein, Kaiser steht frontal, hält Speer und lehnt auf Schild, wird von Victoria mit Kranz gekrönt. Nach Carson/Hill/Kent, Late Roman Bronze Coinage II, wurde dieser Reversetyp offiziell geprägt in:
Alexandria, für Arcadius, Honorius (AE3, 395-408)
Antiochia, für Arcadius, Honorius (AE3, 395-408)
Constantinopel, für Arcadius, Honorius (AE3, 395-408)
Cyzicus, für Arcadius, Honorius (AE3, 395-408)
Heraclea, für Arcadius, Honorius (AE3, 395-402)
Nicomedia, für Arcadius, Honorius (AE3, 395-408)
Die Überprägung hat eine Av.-Legende mit DN und der 3.Buchstabe hat einen gebogenen Rücken, was C, G, O, Q oder U sein kann. Falls es sich um eine offizielle Münze handelt, können wir U ausschließen, da die Römer stattdessen V benutzten. Dann gibt es keinen römischen Herrscher, dessen Titel mit DNQ beginnt. Da die ursprüngliche Münze frühestens 383 geprägt worden ist, bleiben nur übrig:
mit C - Constantine III, Constantius III
mit G - Galla Placidia, Glycerius, Gratian
mit O - Honorius
Gestützt auf die Information, die wir von der offiziellen Ausgabe haben, können wir ausschließen Constantin III., Constantius II, Galla Placidia, Glycerius und Gratian. Keiner von ihnen hat diesen Reversetyp geprägt. Bleibt also nur noch Honorius übrig, wobei dann die seltenere Legende DN ONORI - VS PF AVG benutzt worden wäre. Die einzige dokumentierte Legende für den VIRTVS EXERCITI ist DN HONORI - VS PF AVG.

Jetzt bleibt noch die Frage zu beantworten, warum eine offizielle Münze zur Prägung einer barbarischen Imitation benutzt wurde. Oder handelt es sich um den groben Stil einer bisher noch nicht dokumentierten offiziellen Münze eines Kaisers des späten Römischen Reiches? Vielleicht war diese Überprägung eine Art von damnatio memoriae? Oder wurde sie vielleicht benutzt außerhalb des Römischen Reiches? Die Überprägung macht den Eindruck, als ob der Stempel größer gewesen ist als für eine AE4, vielleicht für eine AE3. Die plausibelste Erklärung ist, daß die ursprüngliche Münze aus dem Verkehr gezogen worden war und danach lokal weiterbenutzt wurde als barbarische Version eines gültigen Typs. Diese Praxis scheint weiter verbreitet gewesen zu sein, da ich bereits eine Anzahl von Beispielen von verschiedenen Münzstätten gesehen habe (von Beast Coins)

Ich habe diese Münze mit den Erklärungen von Beast Coins hier vorgestellt, weil ich selbst dieses Phänomen bisher noch nie gesehen habe. Ich bin gespannt auf Kommentare!

Mit freundlichem Gruß
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Beitrag von Pscipio » Mi 15.08.07 07:47

Auch bei VLPP-Münzen habe ich das schon öfter gesehen: eine "barbarische" Überprägung auf einer offiziellen Münze. Ein interessantes Phänomen. Man kann wohl davon ausgehen, dass eine reguläre, aber veraltete Münze in etwas späterer Zeit als Schrötling für eine neue Imitation diente.

Das mit der damnatio memoriae ist meines Erachtens völliger Blödsinn und dient einzig und allein der Wertsteigerung der Münze. Bei manchen Händlern wird heute schon aus dem kleinsten Kratzer gleich eine damnatio memoriae gemacht.

Gruss, Pscipio
Nata vimpi curmi da.

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Beitrag von quisquam » Mi 15.08.07 18:31

Hallo Peter43,
die Erklärung in der Münzbeschreibung von Beast Coins, die Du ja auch als plausibelste Variante bezeichnest, dürfte wohl zutreffen.

In spätrömischer Zeit gab es viele Münzreformen, eine davon 395 n. Chr. nach dem Tod von Theodosius I. Solche barbarische Überprägungen offizieller Münzen sind ein Indiz dafür, dass es auch zu Münzverrufungen kam. Offenbar hat man versucht, ungültig gewordene Münzen wieder umlauffähig zu machen.

Grüße, Stefan
Eigentlich sammle ich nicht Münzen, sondern das Wissen darüber.

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