Mythologisch interessante Münzen

Alles was so unter den Römern geprägt wurde.

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Peter43
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Re: Mythologisch interessante Münzen

Beitrag von Peter43 » Sa 17.02.24 12:51

Einige Bemerkungen zurTranquillitas

Etymologie:
tranquillus ist lateinisch “ruhig, still”. Möglicherweise stammt es von trans = “über” in seiner verstärkenden Bedeutung “äußerst” und einem Adjektiv aus der proto-indoeuropäischen Wurzel *kweie- “ruhig sein”. Allerdings ist der Etymologe de Vaan der Meinung, dies sei “semantisch unklar” und phonetisch umstritten.

(1) Ihre älteste Bedeutung bezieht sich wohl auf das Meer und sie ist die Personifikation der Meeresruhe. Bei Porto Anzio bei Antium wurden marmorne Rundaltäre aus dem 1. Jh. n. Chr. gefunden, die sich heute in den Musei Capitolini befinden. Sie tragen die Inschrift ara Tranquillitatis und ara Ventorum und sind geschmückt mit Bildern eines ruhig segelndes Schiffes mit Schiffer und der Prora eines Schiffes. Tranquillitas ist hier also die Sicherheit gegen Meeresstürme.

(2) Auf Münzen kommt Tranquillitatis vor ab Hadrian und Antoninus Pius.

Münze #1
Antoninus Pius, 138 - 161
AR - Denar, 3.27g, 18.0mm, 180°
       Rom, 148-149
Av.: IMP CAES T AEL HADR ANTONINVS PIVS P P
       belorbeerter Kopf n. r.
Rv.: TR POT XIIII COS IIII
       Tranquillitas, drapiert und diademiert, steht frontal, Kopf n. r., hält in der re. Hand Ruder, das auf dem Boden steht, und in der li. ein Paar von Kornähren
       im Abschnitt: TRANQ
Ref.: RIC III, 202b; C. 825 (dort ohne PIVS, ein Versehen!); BMC 736
S!, VZ
antoninus_pius_202b.JPG
Tranquillitas wird hier dargestellt mit den Attributen der Annona. Auch Modius und Prora kommen auf Münzen vor. Damit ist sie die Personifikation der staatlichen Sicherheit und der Sicherheit der römischen Getreideversorgung, die natürlich dem Kaiser gedankt ist. Auf Münzen des Hadrians - und später des Gallienus - stützt sie sich auf eine Säule, dem Symbol der Sicherheit, und ist damit verwandt der Securitas.

Wissowa aber betont, daß Münzbilder allein uns noch nicht berechtigen, sie als Göttin wie Securitas zu sehen

(3) Unter Philipp I. Arabs finden wir eine neue Darstellung der Tranquillitas.

Münze #2:
Philipp I. Arabs, 244-249
AR - Antoninian (Billon), 22mm, 4.03g, 0°
       Rom, 248
Av.: IMP PHILIPPVS AVG
       Büste, drapiert und cürassiert, mit Strahlenkrone,  n. r.
Rv.: TRANQVILLITAS AVGG
      Tranquillitas frontal stehend, Kopf n. l., stützt sich  mit der erhobenen Linken auf langes Szepter und  hält in der vorgestreckten Rechten Capricorn
       im li. Feld B
Ref.: RIC 9b; C. 223; RCV 8968; RSC 223; MRK 74/27
fast VZ, R1
PhilippII_9b.jpg
Zwar gab es in dieser unruhigen Zeit unter Philipp Arabs immerhin eine Zeit relativer Stabilität, aber die Legende TRANQULLITAS AGG bezieht sich hier sicherlich auf die beiden Kaiser, Philipp und seinen Sohn, persönlich und bezeichnet damit die Eigenschaft der Kaiser selbst. Hier muß sie als kaiserliche Tugend gesehen werden, wie Pietas, Nobilitas oder Virtus.

Eusebius von Caesarea spricht von Philipp Arabs als dem ersten christlichen römischen Kaiser, was sicherlich nicht stimmt, auch weil es dafür keine anderen Zeugnisse gibt. Wie üblich wird er ein Vertreter der staatlichen Religion gewesen sein, mit Opfern und der Einhaltung der staatlichen Feiertage.

Aber Tranquillitas ist auch die Übersetzung der griechischen γαληνη, die zwar Meeresruhe bezeichnet, aber auch die Seelenruhe, die Eigenschaft, sich durch keine äußeren Schicksalsschläge von seinem einmal gewählten Ziel abbringen zu lassen. Unter den Stoikern Cicero und Seneca ist die tranquillitas animi verschmolzen mit der ataraxia. Damit ist γαληνη wie Ataraxia eine erstrebenswerte Charaktereigenschaft, eines der Hauptziele des stoischen Menschenbildes. Die Legende auf dieser Münze spricht zweifellos für diesen Bezug: Tranquillitas ist eine stoische Haltung. Allerdings habe ich bei Philipp Arabs über den Bezug zur Stoa nichts finden können.

(4) Dann taucht Tranquillitas als Legende auf Münzen bei Licinius bis Constantin II. erneut auf, jetzt in der Form Beata Tranquillitas zusammen mit dem Typ Globus auf Altar

Münze #3
Constantin I. der Große 307-337
AE - AE 3 (Follis), 19.45mm, 3.17g, 180°
       Trier, 1. Offizin, 321
Av.: CONSTAN - TINVS AVG
       Büste, mit Consularmantel (trabea), Adlerszepter in de re. Hand, belorbeert, n. r.
Rv.: BEATA TRAN - QVILLITAS
       Großer Altar mit der Inschrift VOT / IS / XX,  darüber Globus und 3 Sterne. Globus verziert mit       
4 vertikalen Linien und einem horizontalen Leiterband.
        im Abschnitt *PTR
Ref. RIC VII, Trier 305
fast VZ
constantinI_trier_305.jpg
Anmerkung:
Die Münze stammt aus dem Langtoft Hort B, vergraben ca. 325 n. Chr. nahe einer Straße, die durch Langtoft/East Yorkshire lief, entdeckt am 24. Sept. 2000. Er enthielt 924 Münzen, meist reduzierte Folles der Constantinischen Familie. Die meiten wurden 2002 auf einer Auktion von DNW (Dix Noonan Webb) verkauft.

Die Botschaft auf dieser Münze – glückselige Ruhe - ist wieder ähnlich wie bei Hadrian: Sie betont die friedvolle Sicherheit des Römischen Reiches. Der Kaiser ist die Verkörperung von Ruhe und Frieden. Aber hier ist Tranquillitas nur noch der reine Begriff, nicht einmal mehr eine Personifikation (Roscher).

(5) Spätrömisch wird Tranquillitas sogar zur Kaisertitulatur (Pauly). Als Anrede des Kaisers findet sich “Tranquillitas tua” bei Eutropius, im Codex Theodosianus, Codex Iustinianus und bei Hilarius (Roscher).

Im Hederich gibt es keinen Eintrag für Tranquillitas, weil sie im Grunde keine Figur der Mythologie ist!

Quellen:
(1) Seneca, De vita beata
(2) Eutropius, Breviarium ab urbe condita

Literatur:
(1) Benjamin Hederich, Gründliches mythologisches Lexikon, Leipzig 1770 (auch online)
(2) Wilhelm-Heinrich Roscher, Ausführliches Lexikon   der griechischen und römischen Mythologie (auch online)
(3) Der Kleine Pauly
(4) Michiel de Vaan, Etymological Dictionary of Latin  and the other Italic Languages, Brill 2008
(5) Der kleine Stowasser, Lateinisch-deutsches Schulwörterbuch, München 1960

Liebe Grüße
Jochen
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Re: Mythologisch interessante Münzen

Beitrag von Peter43 » Mo 26.02.24 20:36

Exkurs: Die Stoa

Die Stoa ist eine bedeutende philosophische Richtung der Antike, die um 300 v. Chr. von Zenon von Kilion gegründet wurde (Nicht zu verwechseln mit dem Skeptiker Zenon von Elea!). Ihr Name geht zurück auf eine Wandelhalle auf der Agora in Athen, der στοα ποι-κιλη (stoa poikile, griech. bunte Vorhalle), in der die älteren Stoiker öffentlich ihren Unterricht hielten, weil sie nicht genug Geld für eine eigene Schule hatten (Roscher).
Athens_Agora_Stoa_Poikile_W_end_(1991).jpg
Ruinen der Stoa 1991 (Wikimedia)

Die Stoa ist eine materialistische Philosophie, die die Natur als das Vernünftige betrachtet. Und so wie in der Natur alles rational erklärt werden kann, so hat auch jeder Handlung des Menschen die ratio zugrunde zu liegen. Dies gilt nicht nur in der Physik, der Naturlehre, sondern insbesondere in der Ethik, wo die Tugend lehrbar ist. Der Logos (die Vernunft), der als feinste Materie vorgestellt wird, durchzieht die ganze Welt und jeden Menschen. Außer dem Logos gibt es kein anderes allgemeines  Wirkprinzip.

Da die Stoa über Jahrhunderte bestanden hat, ist verständlich, daß sie sich in unterschiedlichen Richtungen entwickelt hat. So kann man nicht von einer philosophischen Schule sprechen, sondern eher von einer philosophischen Bewegung. Üblicherweise wird sie eingeteilt in die ältere Stoa, zu der Zenon, Kleanthes und Chrysippos gehören, die jüngere Stoa mit Panaitios und Poseidonios, und die kaiserzeitliche Stoa, deren Hauptvertreter Seneca, Epiktet und Marcus Aurelius sind. Die Werke der jüngeren Stoiker sind fast alle erhalten, die der älteren nur durch Zitierungen bei anderen Schriftstellern.

Im Zentum ihrer Philosophie stand der Logos. So ist verständlich, daß sich die Stoiker intensiv mit der Logik beschäftigten. Sie entwickelten die Aussagenlogik der megarischen Philosophen Diodoros und Philon (materiale Implikation) weiter und begründeten das erste formal präzise Aussagenkalkül, das die Grundlage für die heutige Computerlogik bildet.

Da sich alle Erkenntnis in der Sprache vollzieht, wurden sie zu den Begründern der systematischen Sprachlehre. Sie betrieben Studien zur Grammatik und entwickelten die Deklinations- und Tempuslehre. Damit schulten sie Dialektik und Rhetorik.

In der Ethik war ihr vorrangiges Ziel, den Menschen in die vom Logos durchzogene Natur einzuordnen und sich nicht durch Gefühle davon abbringen zu lassen. Im Mittelpunkt stand deshalb die Selbsterkenntnis, ohne die es keinen Weg zur Eudaimonia (dem glücklichen Leben) gab.

Durch das Aufkommen des Christentums verlor die Stoa an Bedeutung. Erst in der Renaissance wurden ihre Ideen wieder aufgenommen. So waren Descartes und Leibniz von der Stoa beeinflußt. Auch die Ethik von Immanuel Kant ist stoisch geprägt. Der berühmte Ausspruch von Friedrich dm Großen „Ich bin der erste Diener meines Staates“ könnte von Marc Aurel stammen.

Literatur:
(1) Der Kleine Pauly
(2) Regenbogen/Meyer, Wörterbuch der philosophischen Begriffe, WBG 1998
(3) Jan Lukasiewicz, Zur Geschichte der Aussagenlogik, 1935
      Hat als erster den eigenständigen Charakter und Wert der stoischen Logik erkannt!
(4) J. M. Bochensky, Formale Logik, Alber 1956
(5) Gemoll, Griechisch-deutsches Schul- und Handwörterbuch, 1995

Liebe Grüße
Jochen
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Re: Mythologisch interessante Münzen

Beitrag von Peter43 » Mo 26.02.24 20:38

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Re: Mythologisch interessante Münzen

Beitrag von Altamura2 » Di 27.02.24 22:16

Peter43 hat geschrieben:
Mo 26.02.24 20:36
... Ihr Name geht zurück auf eine Wandelhalle auf der Agora in Athen ...
Interessant finde ich da auch die Ausgrabungsgeschichte dieses Gebäudes, der ich aus Neugierde mal etwas nachgegangen bin :D .

Im Rahmen der Ausgrabungen der American School of Classical Studies, die bis heute für die Ausgrabungen auf der Athener Agora verantwortlich ist, kamen 1949 einige wenige Architekturfragmente einer Stoa zutage. In einem Artikel von 1970 identifizierte Lucy Shoe Meritt diese Teile als solche der Stoa Poikile ("The Stoa Poikile", Hesperia 39/4, 1970, S. 233-264, über JSTOR online verfügbar), wenngleich die Argumentation da auch etwas dünn war.

1980 bis 1982 wurde dann an anderer Stelle eine Ecke eines Fundaments mit drei Stufen ausgegraben, die in T. Leslie Shear Jr., "The Athenian Agora: Excavations of 1980-1982", Hesperia 53/1, 1984, S. 1-57, als Teil der Stoa Poikile bezeichnet wurde. Die Identifikation ist aber nur eine über indirekte Argumente. Was ausgegraben wurde, passt zwar sehr gut zu den nicht sonderlich präzisen literarischen Überlieferungen, aber einen hundertprozentigen positiven Beweis stellt das nicht dar. Bis heute haben sich die Hinweise zwar eher verdichtet, die Ruinen selbst haben aber noch nicht eindeutig gesprochen :D .

Besonders viel hat man da bis jetzt aber auch nicht zur Verfügung, denn auf dem Bild, das Jochen oben zeigt, ist nur die Ecke links vorne das, was man der Stoa Poikile zuschreibt :? . Ein anderes Bild aus Wikimedia Commons zeigt diese Ecke (das helle Mauerwerk) etwas deutlicher:
.
Athens_Agora_Stoa_Poikile_W_end_(1991)_klein.jpg
(https://commons.wikimedia.org/wiki/Cate ... (1991).jpg)

Verfolgt man die regelmäßigen Ausgrabungsberichte über die letzten Jahre, dann sieht man auch, dass auf dem fraglichen Straßengeviert (also dem "Block") ursprünglich eine ganze Reihe neuzeitlicher Häuser stand, die dann nach und nach aufgekauft oder enteignet wurden, um sie abzureißen und weiter zu graben. Da kam dann immer ein klein wenig mehr zu dieser Stoa heraus, aber nichts Umwerfendes :? .

Wirft man in Google Maps und die Bilder dort einen Blick auf das Ausgrabungsareal, dann entdeckt man aber plötzlich Fotos aus dem letzten Jahr, auf denen das Haus, das auf dem Bild oben noch im Hintergrund steht, inzwischen plattgemacht wurde:
https://maps.app.goo.gl/c42hZA3N31q1cnyr6
und dass nun auch schon größerflächige Ausgrabungsarbeiten begonnen haben:
https://maps.app.goo.gl/uPTGJnXJ4rXBZcwj8
https://maps.app.goo.gl/khMszJQJQvaSH18JA

Man darf also gespannt sein :D (wobei das aber wohl etwas dauern wird, bis man auf der Ebene der Stoa ist :? ).

Gruß

Altamura
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Re: Mythologisch interessante Münzen

Beitrag von Peter43 » Mi 28.02.24 11:39

Hallo Altamura!

Herzlichen Dank für Deine ausführlichen Recherchen zur Stoa poikile. Sie sind sehr interessant und eine wirkliche Bereicherung. Das Bild der Ausgrabungsstätte werde ich deshalb austauschen.

Liebe Grüße
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Re: Mythologisch interessante Münzen

Beitrag von Peter43 » Di 05.03.24 14:59

Hercules Musagetes

Die Bezeichnung Hercules Musarum auf der folgenden Münze scheint mir interessant genug, um ihr einen Artikel zu widmen. Da meine eigene Münze nicht gut genug erhalten ist, habe ich das folgende Exemplar aus der CNG Auction 120 vom Mai 2022 als Beispiel ausgesucht (acsearch.info)

Die Münze:
Römische Republik, Q. Pomponius Musa, gens Pomponia
AR - Denar, 3.91g, 19mm, 90°
Rom, 56 v. Chr.
Av.: Q.POMPONI - MVSA (von li. oben)
Kopf des Apollo, diademiert, mit Locken, n. r.
Rv.: HERCVLES - MVSARVM (re. und li. von oben)
Hercules Musagetes, der Führer der Musen, nackt, mit Löwenfell, n. r. stehend und Lyra spielend; re. zu seinen Füßen die Keule
Ref.: Crawford 429/1; Sydenham 810; Pomponia 8
Pomponia8_CNG.jpg
Die gens Pomponia:
Die Pomponii waren eine plebejische Familie im antiken Rom. Als es in der späteren Republik üblich wurde, sich der Abstammung eines Gründers zu rühmen, wie Aeneas oder Romulus, behaupteten die Pomponii ihre Abstammung von Pompo, einem Sohn des Numa Pompilius, des 2. römischen Königs, den sie auch auf ihren Münzen darstellten. Pompo ist tatsächlich ein Vorname sabinischen Ursprungs. Er ist das oskische Äquivalent zu Quintus. Pomponius würde dann für das lat. Quintilius stehen. Die Verbindung zu Numa Pompilius ist eine spätere Hinzufügung. Eine andere Erklärung aus dem frühen 19. Jh. wäre die Herkunft vom etruskischen Pumpu oder Pumpili. Sie spielten von 448 v. Chr. bis in die Zeit des Aurelian eine politische Rolle. So war eine Pomponia die Mutter von Scipio Africanus. Den Pomponius Bassus, Konsul 211, ließ Elagabal töten, um dessen Frau Annia Faustina zu heiraten. Q. Pomponius Musa, unser Münzmeister, war Magistrat und Bankier in Rom um 66 v. Chr. Er ist bekannt für seine Serie mit den Abbildungen der 9 Musen auf dem Revers, was eine Anspielung auf seinen Namen ist.

Üblicherweise ist Apollo bekannt als Musagetes, der Musenführer. Daß hier Hercules als Musenführer abgebildet wird, ist überraschend. Charakteristisch ist aber daß er seine Keule abgelegt und durch die Lyra ersetzt hat.

Das fiel schon früher auf. So schreibt z.B. Karl Philipp Moritz (1756-1793) in seiner “Götterlehre” 1791:
Merkwürdig ist es, daß auch Herkules unter dem Namen Musagetes als der Anführer der Musen bei den Alten verehrt wurde.
Aber er hatte bereits eine Erklärung dafür: Auf diese Weise gesellte man der Körperkraft und den Leibesübungen die geistigen Vorzüge hinzu und dachte sich beide unter einem Sinnbild.

Und ähnlich schreibt der Brockhaus von 1811, dies sei eine Ehre, die man gewissermaßen nur aus der Verbindung körperlicher Vorzüge und Vollkommenheiten mit geistigen, mit Weisheit, Gelehrsamkeit und Wissenschaften zu erklären weiß.
Mens sana in corpore sano” kommt einem da in den Sinn, das berühmte Zitat des römischen Satirikers Juvenal, das immer mißbraucht wird: Es beschreibt keinen Ist-Zustand, sondern ein unerfülltes Wunschziel. Bereits Platon hat es in seinem Timaios mißverstanden und wunderbar paßt es in unsere Zeit mit ihren zahlreichen Muckibuden.

Mythologie:
Den Namen Hercules Musagetes haben die Römer vom griechischen Herakles Mousagetes übernommen. In der Sage von Omphale tritt er uns zuerst gegenüber:
Nach dem Mord an Iphitos war Herakles dazu verurteilt worden, zur Sühne 3 Jahre der Omphale zu dienen. Dort mußte er Frauenkleider tragen und weibliche Arbeiten verrichten, wie Spinnen, Weben, Singen und auf der Lyra spielen. Dies war sein erster und einziger Kontakt mit künstlerischen Tätigkeiten, für jemanden, der sonst lieber Bäume ausreißt, sehr ungewohnt.
BONAVENTURA-GENELLI_HERKULES-UND-OMPHALE_CC-BY-SA_BSTGS_11550.jpg
Ausschnitt aus dem Tafelbild “Apollo bei Omphale” 1862 von Bonavetura Ginelli (1798-1868), Pinakothek München

Der Tempel des Hercules Musarum:
Nach der Eroberung von Ambracia 189 v. Chr. im Krieg gegen den aitolischen Bund errichtete M. Fulvius Nobilior eine aedes Herculis Musarum, wahrscheinlich nach seinem Triumph 187 v. Chr. Eumenius schreibt, er habe in Griechenland gelernt, daß Hercules ein Musagetes sei. Aus Ambracia brachte er auch die Standbilder der 9 Musen und des Herakles eines unbekannten Künstlers mit, die er im Tempel aufstellen ließ. Diese Statuen sind es auch, die Pomponius Musa auf seinen Denaren darstellen ließ. 29 v. Chr. wurde der Tempel von L. Marcius Philippus restauriert. Er befand sich im Circus Flaminius, d. h. in der Nähe des südwestlichen Teils des Circus selbst und nordwestlich des Porticus Octaviae, wo einige Reste gefunden wurden. Später wurde der Tempel zum Versammlungsort des collegium poetarum, des römischen Dichterkollegs.

Im Barock liebten es die Herrscher, sich als antike Götter und Heroen darzustellen. In einer Zeit, die das Universelle anstrebte, wollten sie nicht nur Kriegshelden sein, sondern auch Herrscher über die Künste, ”Kunsthelden”. In dieser Gestalt erschienen sie als Statuen, auf Gemälden, oder Medaillen. Beliebt waren Deckengemälde mit Apotheosen. Aus dieser Zeit stammt die Statue des Hercules Musagetes von Georg Franz Ebenhecht (1710-1757) im Berliner Tiergarten, 1745, ursprünglich zusammen mit einer Statue des Apoll.
c2f99e30-38a4-46f9-ab0e-459117208637.jpg
Literatur:
(1) Benjamin Hederich, Gründliches mythologisches Lexikon, 1770
(2) Karl Philipp Moritz, Götterlehre, 1791
(3) Friedrich Schlegel, Herkules Musagetes, 1801 '
(4) Brockhaus, 1811
(5) Wilhelm Heinrich Roscher, Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie
(6) Samuel Ball Platner, A Topographical Dictionary of Ancient Rome, London, 1929
(7) Eeva Ruoff, Musen und Musenhaine, in: Die Gartenkunst des Barocks, 1998
(8) Christina Posselt-Kuhli, Kunstheld, Compendium heroicum, 2018
(9) Wikipedia

Liebe Grüße
Jochen
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prieure.de.sion (Di 05.03.24 15:01) • rosmoe (Di 05.03.24 19:50) • stmst (Mo 11.03.24 22:58)
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Re: Mythologisch interessante Münzen

Beitrag von Peter43 » Di 05.03.24 15:08

Exkurs: Die Musen
MusesThorvaldsenANGBerlin.jpg
Bertel Thorvaldsen (1768/70-1844) „Apollo und die Musen“, Relief nach einer Zeichnung von 1813, alte Nationalgalerie Berlin

Mythologie:
Die Musen waren nach Homer die Töchter des Zeus. Ihre Mutter war nach Hesiod Mnemosyne, die Göttin der Erinnerung. Ihre Heimat ist die thessalische Landschaft Pierien, auf dem Helikon in Boiotien oder auf dem Parnaß bei Delphi. Da es eine Anzahl verschie-dener Musen gibt, wird auch eine Reihe unterschied-licher Eltern angegeben.

Im Allgemeinen gelten sie als Jungfrauen. Trotzdem soll Kalliope mit Oeagros den Linos, Kleio mit dem Pieros den Hyakinthos, Terpsichore mit dem Strymon den Rhesos gezeugt haben (Apollodor). Sie sollen sehr eifersüchtig gewesen sein. Als die Sirenen sie zu einem Wettkampf herausforderten und unterlagen, rupften sie ihnen aus den Flügeln die Federn aus und machten sich daraus Kränze. Die 9 Töchter des Pieros wurden aus dem gleichen Grund von ihnen in Elstern verwandelt (Ovid). Dem Sänger Thamyris raubten sie das Augenlicht und nahmen ihm seinen Gesang. Pyreneus, König von Thrakien, nahm sie bei einem Unwetter freundlich auf, wollte ihnen dann aber Gewalt antun. Als sie davonflogen, wollte er ihnen in seinem Wahn folgen und stürzte sich zu Tode. Ein Volk war so fasziniert von ihrem Gesang, daß es vergaß, zu essen und zu trinken, und verhungerte. Daraufhin wurde es in Zikaden ver-wandelt, die immerzu singen, ohne dabei essen zu müs-sen, wie man damals glaubte (Platon, Phaidros)

Etymologie:
Das Wort „Musai“ ist sicher urindogermanisch. Für die Bedeutung kommen in Frage das intransitive „die Sinnende“ oder das transitive „die Erinnernde“. Daß diese beiden Bedeutungen wirklich scharf unterschieden wer-den müssen, entspricht wohl nicht der antiken griechischen Religion. Die Einheit von Sinnen und Erinnern macht bereits Homer in der Ilias (2, 485f.) klar. Das kommt auch dadurch zum Ausdruck, daß Mnemosyne zur Mutter der Musen gemacht wird (Pauly).

Mnemosyne scheint eine Art von Parallelgestalt zu sein. Diese Austauschbarkeit von Mutter und Tochter ist der griechischen Religion nicht fremd. Wir kennen dies z. B. von Demeter und Persephone. So erscheint Mnemosyne auch als Musenname in der Vasenmalerei. Namen für die Musen gibt es bereits bei Hesiod. Die Zuordnung einer Muse zu einer bestimmten Kunstrichtung gibt es aber erst in römischer Zeit:
1. Kalliope als Hauptmuse: Saitenspiel, Epik; 2. Kleio: Kithara, Geschichte; 3. Melpomene: Trauergesang, Tra-gödie; 4. Euterpe: Flötenmusik; 5. Erato: Gesang und Tanz; 6. Terpsichore: Lyra; 7. Urania: Sternkunde; 8. Thaleia: Komödie; 9. Polyhymnia: Barbiton, Tanz, Pantomime. Im Musenkatalog von Hesych werden die Kunstrichtungen etymologisch aus ihren Namen abge-leitet.

Die Angaben über die Anzahl der Musen schwankt stark. Erst spät hat sich die Neunzahl durchgesetzt. Aber es gab auch die alte Zweizahl, die Dreizahl, wie bei den Chariten und Horen, und andere. Bei der ursprünglichen Anzahl muß man davon ausgehen, daß jeder Dichter seine eigene Muse besessen hat, so wie in der Neuzeit viele Maler ihre Muse hatten (z.B. Salvador Dali seine Gala). Homer nannte sie θεα. Varro nennt 3, weil es nur 3 Arten von Musik gäbe: Gesang. Blasinstrumente und solche, die mit den Händen gespielt werden. Pausanias kennt Melete, Mneme und Aoede, Nachdenken, Gedächtnis und Gesang. Die Dreizahl aber wird wie die der Horen von den drei griechischen Jahreszeiten abstammen, bei denen der Herbst nicht vorkommt. Darauf geht auch ihre Neunzahl als 3x3 zurück (Pauly).

Später nahmen die Musen alle geistigen Beschäftigungen unter ihren Schutz, auch die Wissenschaften und die Philosophie. Akademien und Philosophenschulen veranstalteten Festspiele zu ihren Ehren. Auf alten Darstellungen sind sie zusammen mit Apollo abgebildet, dessen Leierspiel sie mit ihrem Gesang begleiten.

Hesiod erzählt, daß er als Hirte am Helikon die Musen gesehen habe, die in Nebel gehüllt ihn umtanzten und die Dichterweihe gaben, daß er auch von vergangenen und zukünftigen Dingen verkünden könne. Dies kann auf ein reales Erweckungserlebnis zurückgehen.

Quellen:
(1) Homer, Ilias
(2) Hesiod, Theogonie
(4) Apollodor, Bibliotheke
(5) Pausanias, Periegesis
(6) Ovid, Metamorphosen
(7) Plato, Phaidros

Literatur:
(1) Benjamin Hederich
(2) Wilhelm Heinrich Roscher
(3) Der Kleine Pauly

Liebe Grüße
Jochen
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Re: Mythologisch interessante Münzen

Beitrag von Peter43 » Di 05.03.24 15:09

Der Löwe und der Stier

Ein Wort zuvor: Ein neuer Artikel ist immer ein großes Abenteuer. In der Regel weiß ich vorher nichts über dieses Thema. Es ist immer die Münze, die mein Interesse geweckt hat, und ich bin neugierig auf das Ergebnis meiner Recherche. Wenn ich glaube, daß es auch andere interessieren könnte, stelle ich den Artikel hier ein. Begonnen hat es mit dieser Münze, hat sich dann aber zu einem großen Artikel ausgewachsen:

Die Münze:
Phönikien, Byblos, König Ajnel, 350-333 v. Chr.
AR – 1/16 Schekel, 0.77g, 10.32mm, 135°
        geprägt 333 v. Chr
Av.: Galeere mit löwenköpfiger Figur am Bug und besetzt mit 2 Hopliten n. l., darunter geflügelter  Hippokampos n. l.
Rv.: Löwe n. l. greift Stier an
      darüber phönizisch von r. nach l.: AJNEL MLK GBL (Ajnel König von Gebal)
Ref.: BMC 8
Byblos_BMC8.jpg
Byblos:
Byblos ist einer der am längsten bewohnten Orte der Welt. Seit 2026 v. Chr. hatte es eigene Könige, von denen viele Namen von Inschriften oder Münzen bekannt sind. Es war Ausfuhrort für Zedernholz nach Ägypten und ihre Stadtkönige wurden Vasallen der ägyptischen Pharaonen. Über die Assyrer und Babylonier kam es unter die Herrschaft der Achämeniden, deren Großreich sich bis in das spätere Libyen erstreckte.
Ajnel, ca. 450-333, war der letzte König von Byblos, bevor es sich ohne Widerstand Alexander dem Großen öffnete. Phönizisch hieß es Gebal. Seit 1984 ist es Weltkulturerbe.
In hellenistischer Zeit war es der Hauptausfuhrort für Papyrus. Danach bezeichneten die Griechen eine Papyrusrolle als biblion, auf das unser Wort Bibel zurückgeht. Zwischen dem 18. und dem 15. Jh. v. Chr. entwickelte Byblos eine eigene hieroglyphenartige Schrift, die Byblos-Schrift. Sie enthält ca. 90 verschiedene Zeichen, was für eine Silbenschrift spricht. Sie erlosch und hat mit der phönizischen Buchstabenschrift, die vom 11. bis zum 5. Jh. in der Levante benutzt wurde, nichts zu tun. Die Byblos-Schrift ist bis heute nicht entziffert.
Ancient_port_in_Byblos_klein.jpg
Die alten Hafenanlagen von Byblos (Leon Petrosyan, Wikimedia)

Bekannter noch als diese Münzen aus Byblos sind Münzen mit dem Löwen-Stier-Motiv aus Tarsos aus der selben Zeit.

Münze #2:
Kilikien, Tarsos, Mazaios, persischer Satrap von Kili-kien, 361/0-334 v. Chr.
AR- Stater, 9.94g, 24.86mm, 225°
Av.: Baaltars n. l. sitzend, hält in der erhobenen Linken langes Szepter und in der vorgestreckten Rechten einen Adler, Getreideähren
und ein Weintraubenbündel 
      re. aramäisch von unten nach oben B'LTRZ
Rv.: Löwe greift Stier an, darüber aramäisch von re. nach li. MZDY, unten KM
Ref.: SNG Levante 101; SNG France 335
Pedigree:
ex Palladium Numismatics
Tarsos_Mazaios Breitsprecher.jpg
Anmerkung:
Mazaios war ab etwa 361 v. Chr. persischer Satrap von Kilikien und wurde um 345 v. Chr. auch zum Satrap von Transeuphratien (das Syrien und Judäa umfasste) ernannt. Im Jahr 331 v. Chr. wurde Mazaios in der Schlacht von Gaugamela von Alexander dem Großen besiegt und floh daraufhin nach Babylon. Später im selben Jahr übergab Mazaios Babylon, die Hauptstadt des persischen Reiches, an Alexander. Weil er sich kampflos ergeben hatte, ernannte Alexander Mazaios zum Statthalter von Babylon. Er starb im Jahr 328 v. Chr. (Ibarra Collection, Vcoins).

Baaltars (Baal von Tarsos) war der Schutzgott von Tarsos und erschien auf Münzen der persischen Satrapen von Kilikien in Tarsos vor der Eroberung durch Alexander den Großen.

Von den Römern wurde dieses Motiv wieder aufgenommen. Aus Tarsos gibt es Tetradrachmen von Hadrian, die das Löwen-Stier-Motiv zeigen, aber auch später noch Bronzemünzen von Gordian III. oder Trajan Decius.
4916215_1701679697_klein.jpg
Tarsos, Gordian III., SNG Levante 1141, Numismatik Naumann

Die Löwenjagd
Während der antike Grieche keine Löwen mehr kannte – Knochen, die gefunden wurden stammen aus der späten Jungsteinzeit und der frühen Eisenzeit -, war das in Mesopotamien ganz anders. Im Gilgamesch-Epos (älteste Version 1800-1595 v. Chr.) wird der Löwe als „perfect in strength“ bezeichnet. Dort spielte die Löwenjagd seit alten Zeiten eine überragende Rolle. Assur-Bel-Kala (1073-1056 v. Chr. König des Assyrerreiches) schreibt, daß Ninurta und Nergal, seine Schutzgötter, „weil sie ihn liebten“, ihm die wilden Tiere gegeben und befohlen haben, sie zu jagen. Allein in seinem 2. Regierungsjahr habe er 300 Löwen und 6 wilde Stiere erlegt. Diese Jagd war Ausdruck seiner königlichen Macht und war gedacht für sein Volk, seine Vasallen und seine Feinde. Sie hatte nichts Sportliches, sondern etwas religiöses und war ein ritualer Akt. Als Sieger gingen ihre Kräfte auf den König über, den „Master of the Animals“, der sich dann auch selbst als Löwe bezeichnete (so Ashurnasipal II., 883-859 v.Chr.)

Nach der Eroberung des Persischen Reiches übernahm Alexander der Große, wie vieles andere, auch die Löwenjagd als königliches Symbol. Bei einer Löwenjagd 331 v.Chr. in Syrien, konnte er nur durch das Eingreifen von Krateros, einem seiner Generale, gerettet werden. Dieses Ereignis wurde von Lysipp und Leochares in einer Bronzeplastik für Delphi dargestellt. Nachfolger wie Lysimachos übernahmen diese Tradition mit dem Anspruch, in Alexanders Fußstapfen zu treten.

Die wilden Tiere repräsentierten die Kräfte des Universums und waren sowohl Ausdruck des Bösen und des Guten, des Angriffs als auch der Verteidigung. Dies sieht man am Schönsten an den Reliefs an den Wänden des Prozessionsweges und des Ishtar-Tors in Babylon, die in ihrer endgültigen Form unter Nebukadnezar II. (um 640-562 v.Chr.) errichtet wurden. Sie hatten eine apotropäische Schutzfunktion und bestanden aus Löwen, Stieren und Mushussu-Schlangendrachen, die, Ishtar, den Windgott Adad und Marsuk symbolisierten.
Ishtar_Löwe.jpg
Löwe vom Ishtartor, Pergamonmuseum
Ishtar_Stier.JPG
Stier vom Ishtartor, Pergamonmuseum
1280px-Mushkhusshu,_il_drago-serpente_raffigurato_sulla_porta_di_Ishtar_-_Pergamon_Museum,_Berlin.jpg
Mushussu-Schlangendrache vom Ishtartor, Pergamonmuseum

Nach den Ausgrabungen in Babylon durch Koldewey u.a. wurden die Fundstücke nach Berlin gebracht und 1902 hatte man begonnen, die ersten Teile zusammenzusetzen. Walter Andrae gelang es, das rekonstruierte Ishtartor und Teile der Prozessionsstraße 1930 der Öffentlichkeit im Pergamonmuseum zugänglich zu machen. Inzwischen verlangt der Irak die Ausstellungsstücke von Berlin zurück (wohl um sie im dortigen Bürgerkrieg zerstören zu lassen?).

Das Löwe-Stier-Motiv:
Geht man dem Ursprung dieses eindrucksvollen Motivs nach, kommt man unweigerlich nach Persepolis, der Hauptstadt des Achämenidenreiches. Persopolis wurde 520 v. Chr. von Dareios I. als „Thron des Dscham-schid“ gegründet und 330 v.Chr. von Alexander dem Großen zerstört. Heute ist Persepolis UNESCO-Welt-kulturerbe. Der größte Palast ist der Apadana, die Audienzhalle des Dareius I. Die Seitenaufgänge sind mit wunderbaren Bas-Reliefs geschmückt.
Persepolis Basrelief.jpg
Bas-Relief von der vorderen Treppe des Palastes

Was ins Auge fällt ist, daß die beiden babylonischen Schutzgottheiten hier übereinanderherfallen! Das hat auch schon immer Wissenschaftler gewundert, die nach Erklärungen gesucht haben. Es handelt sich dabei um eines der ältesten mythologischen Symbole von großer Symbolkraft und Reichweite, das von Kultur zu Kultur weitergereicht wurde. Es ist das Bild der fundamentalen Kräfte des Lebens und des Todes verbunden in einem furchtbaren Kampf. Es hat sich gezeigt, daß diese Szene schwierig zu interpretieren ist.

M.G.S. Hodgson (1964) schreibt, daß Symbole leben und sich im Lauf der Geschichte verändern. Haben sie sich einmal etabliert, können sie von Kontext zu Kontext wandern und zu unterschiedlichen Zwecken ver-wendet werden. Symbole können auch sterben, bzw. entsakralisiert werden. Dann dienen sie noch in einer unverstandenen Tradition als ästhetische Form.

Diese Idee haben Hartner und Ettinghausen 1964 aufgenommen. Ich möchte versuchen, sie hier vorzustellen
(1) Der Löwe-Stier-Kampf als astronomisches Symbol
Dieses Motiv ist bekanntlich 4000 Jahre alt und in diese Zeit müssen wir uns hineinversetzen. In jener Zeit war die damalige agrarische Gesellschaft extrem abhängig von den Jahreszeiten. Den Zeitpunkt der Aussaat und der Ernte genau zu bestimmen war überlebensnotwendig. Ich erinnere an die „Himmelsscheibe von Nebra“, deren Alter auch auf über 4000 Jahre geschätzt wird. Es finden sich ungezählte Darstellungen von Stieren, Löwen, Skorpionen und anderen Figuren, mit denen Konstellationen gemeint sind, was man daran erkennt, daß sie von celestialen Symbolen, wie Punkten, Sternen oder Rosetten begleitet werden.

Es handelt sich also um astronomische oder astrologische Symbole. Wir müssen aber berücksichtigen, daß es sich um die Sternbilder von vor 4000 Jahren handelt, die wegen der Präzessionsbewegung der Erde damals anders aussahen als heute. Die Einteilung des Sonnenjahres fand dabei statt durch die Zeitpunkte des heliakischen Auf- oder Untergangs (in der Morgendämmerung) besonders auffälliger Sterne.

Besonders wichtig in allen Kulturen waren dabei die Plejaden, die zum Sternbild Stier (Taurus) gehören, und der Löwe (Leo) mit seinem hellsten Stern, dem Regulus (α Leonis, = König(sic!). 4000 v.Chr. zeigten in Persepolis die Plejaden und der Regulus durch ihre heliakischen Aufgänge das Frühlingsäquinoktium, bzw. den höchsten Stand der Sonne (Sommersonnenwende) an. .

In der ersten Februarhälfte hatten die babylonischen Sternbilder „Lohnarbeiter (luhun.gd)“ und „Pflug (mulAPIN)“ ihren heliakischen Aufgang und zeigten damit nach der Wintersonnenwende den Beginn des Pflügens, Eggens und Säens an. In dieser Zeit, dem 10. Februar, hatten die Plejaden, die Leitsterne des Stiers, ihren heliakischen Untergang, sie wurden unsichtbar, bis sie 40 Tage später wieder zu sehen waren (heliakischer Aufgang) und das Frühjahrsäquinoktium anzeigten. Genau zum Untergang der Plejaden stand das Sternbild Löwe in Persepolis genau im Zenith, der Regulus (König) nur 8° vom Zenith entfernt.

Damit wird die Interpretation unseres Motivs selbstverständlich: Der triumphierende Löwe steht direkt über dem Kopf des Beobachters, zeigt den Höhepunkt seiner Macht und vernichtet den Stier, „der vergeblich versucht, unter den Horizont zu entkommen" (Hartner).

Erst 40 Tage später wird er wieder auftauchen und seine Macht zurückgewinnen, während die des Löwen abnimmt, bis er seinen heliakischen Untergang hat (Regulus am 5. Mai). Am 10. Februar des folgenden Jahres beginnt der Zyklus dann von neuem.

Auf Grund der Präzession hatte sich zur Zeit der Achämeniden der „Kampf zwischen Löwe und Stier“ am Himmel verschoben und fand jetzt eine Woche nach dem Frühlingsäquinoktium statt. Im Kalender wurde dieses Datum jetzt umgedeutet zum Beginn des luni-solaren Jahres und zum Nowraz, dem großen persischen Neujahrs- und Frühlingsfest.

(wird fortgesetzt)
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Re: Mythologisch interessante Münzen

Beitrag von Peter43 » Mi 20.03.24 19:59

(Fortsetzung)

(2) Der siegreiche Löwe als Symbol politischer und militärischer Macht
Es gibt in Persepolis zwar stolze Inschriften, in denen Xerxes seine göttliche Berufung verkündet und seine Herrschaft über "die weitreichende Erde", aber es finden sich sonst keine königlichen Darstellungen, was merkwürdig ist. Aber die Darstellungen des Löwenkampfes finden sich als Leitmotiv sechzehn Mal an verschiedenen Stellen, direkt neben Darstellungen der königlichen Wachen. Es wäre am angemessensten, diese Szenen als Hoheitszeichen der königlichen Macht zu verstehen. Dazu paßt, daß bereits Ernst Herzfeld meinte, daß die Darstellungen an den Apadana-Treppen zwar ursprünglich eine astronomische Bedeutung haben, "daß andererseits diese Konfiguration fast den Charakter eines Wappens hat. Das Symbol ist zu einem heraldischen Emblem geworden."
Buckel.jpg
Bronzescheibe des Sargon II., Museum of Fine Arts, Boston

Edith Porada beschreibt 1950 eine Bronzescheibe aus Khorsabad, die der Schildbuckel des assyrischen Königs Sargon II. (731-705 v.Chr.) sein soll. Hier hat sich der Herrscher in einen Löwen verwandelt, der über den mächtigen Stier triumphiert. Dies findet sich ähnlich auch auf einer gestickten Tunika des Assurnasirpal (9.Jh.)

(3) Der siegreiche Löwe als religiöses Motiv
Tableau.jpg
Tableau Photo: Dr. Hamit Zübeyr Kosay

Ein kalligraphisches Tableau aus dem 8. Jh., heute im Ethnographischen Museum in Ankara, zeigt den Kampf zwischen einem Löwen und einem Drachen der dem Kampf zwischen Löwe und Stier sehr nahe kommt. Dort findet sich re. ein Text in persischer Schrift, den Annemarie Schimmel übersetzt hat:

"Die schlechten nafs im Körper zu töten ist
nicht das Werk des (weltlichen) Führers (oder Fürsten).
Die Schlange in der Wiege in Stücke zu reißen ist
das Werk von Haydar ('Ali, eigentlich Löwe)"


Nafs sind im Sufismus die Seelen, von denen es verschiedene Stufen gibt. Der Text weist darauf hin, daß die schlechten nafs nur in der Transzendenz getötet werden können, ist also religiös gemeint, hier im Geist des Sufismus.

(4) Die Umwandlung in ein dekoratives Design
Schaber.jpg
Schaber Photo: L. A. Mayer Memorial Collection

Das Endstadium im Lebenszyklus des Symbols ist erreicht bei diesem Schaber aus dem 12.-13.Jh. zum Entfernen der schwieligen Haut nach dem Bad. Das Muster ist herabgestiegen von seiner religiösen Höhe zum profanen Gebrauch. Allein das celestiale Symbol unter dem Stier ist ein Nachhall aus seiner ältesten Vergangenheit, dessen wahre Bedeutung endgültig in Vergessenheit geraten ist (Hartner/Ettunghausen).

Dieser kulturelle Abstieg in der Bedeutung des Symbols hängt aber nicht ab von der niedrigeren sozialen Schicht, wie man glauben könnte. Im Gegenteil finden wir diese letzte Stufe eher in der späteren Zeit bei den "Wohlhabenderen". wie wir an dem folgenden dekorativen Teller sehen können, der aus der osmanischen Zeit um 1600 stammt, heute in den Staatlichen Museen Berlin.
Teller.jpg
Von diesem Teller geht keine Botschaft mehr aus, weder astrologisch, noch religiös oder politisch. Mit seinen floralen Elementen, den bunten Farben und der schwungvollen Bewegung spricht er unser ästhetisches Empfinden an. Er ist einfach nur hübsch anzusehen.

Und jetzt können wir auch die Frage beantworten, die ich bisher vor mir hergeschoben habe: Zu welcher Gruppe gehören die Abbildungen auf unseren Münzen? Sie sind sicherlich nicht astronomisch oder astrologisch gemeint und auch nicht nur dekorativ. Sie haben einen politischen Sinn und sollen die Macht des Herrschers demonstieren!

Quellen:
(1) Gilgamesch-Epos

Literatur:
(1) Hartner/Ettinghausen, The Conquering lion, the Life Cycle as Symbol, Oriens Vol. 17, 31.12.1964
(2) Lion and Bull: Old Iranian Mythological Symbol, Financial Tribune (Iranian)
(3) Krzysztof Ulanowski, The Metaphor of the Lion in Mesopotamian and Greek Civilization, in Mesopotamia in the Ancient World, 2015
(4) Chikako E. Watanabe, The Symbolic Role of Ani-mals in Babylon: A contextual Approach to the Lion, the Bull and the Musussu, Iraq, Vol. 77, Issue 1, 2015
(5) Vijay Sathe, The Lion-Bull Motifs of Persepolis: The Zoogeographic Context, IRANIAN JOURNAL OF ARCHAEOLOGICAL STUDIES 2:1 (2012)
(6) Kiersten Neumann, Tracking the Lion & Bull of Persepolis, News&Notes, Issue 245, Spring 2020
(7) Marshall G. S. Hodgson, Islam and Image, History of Religions III, 1964

Online-Quellen:
(1) https://www.thecollector.com/fascinatin ... ersepolis/
(2) https://iranicaonline.org/articles/persepolis
(4) Wildwinds
(5) Wikipedia

Die s/w-Photos stammen alle aus Hartner/Ettinghausen

Liebe Grüße
Jochen
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Re: Mythologisch interessante Münzen

Beitrag von Peter43 » Mi 20.03.24 20:00

Philomousos - Das Rätsel aus Serdika

Zum Artikel über die Musen paßt die folgende Münze des Gallienus aus Serdika, über die wir uns schon 2013 im Forum die Köpfe zerbrochen  haben. Aber es  gibt neue Erkenntnisse!
Serdica_Gallienus_HrJ12.46.41.1.jpg
Thrakien, Serdika, Gallienus, 235-268
AE - AE 27, 20.42g, 27.32mm, 15°
Av.: AVT K ΓAΛ - ΛIHNOC
       Büste, drapiert und cürassiert, von hinten gesehen, mi Strahlenkrone, n. r.
Rv.: OVΛΠIAC - CEPΔIKHC
      im li. Feld in 3 Zeilen ΦΙΛΟ / ΜΟΥ / CΟC
      Eros, nackt, auf dem Kopf?, n. l. stehend, hält in der herabhängenden Linken  
       Bogen und Pfeil und in der vorgestreckten Rechten kleine Figur
Ref.: a) Leon Ruzicka, Münzen von Serdica, in “Numismatische Zeitschrift, Band
             VIII, 1915, Wien” (Florenz, Turin, Belgrad, Philippopolis haben die Mitarbeit verweigert, na ja, es war 1915!)    
             Nr. 479 var., 28[mm], Taf. IV, Rs (2) 2 Ex., Berlin, Sofia
             Vs. ohne Abb., schreibt „K. l., r. Pkr.” = “belorbeerte Büste n. r., im Punktkreis”)
             Rs.: Genius, nackt, mit Flügeln, l. stehend, auf der vorgestreckten R. kleine  
             Figur mit Mantel und erhobener Hand, in der gesenkten L. Bogen(?)
Philomousos_Ruzicka479.jpg
Ruzicka 479

          Diese Arbeit gibt es in einer Übersetzung ins Englische von Dane Kurth.  
           Ihre Beschreibung der Rs.: Genius, naked, winged, standing left, holding small
             draped figure with hand raised, on right hand and bow in lowered left hand.                    
28mm. Rev. Pl. IV. Berlin; Sofia  4477.
             ΦΙΛΟ  /  ΜΟΥ  /  CΟC  nicht  erwähnt!
   b) Münzkabinett der staatlichen Münzen Berlin Bodemuseum (Ident. Nr.: 18245978
       https://id.smb.museum/object/2378462/serdika
       28mm,  16g.
       Vs.: Kopf des Gallienus mit Strahlenkrone nach r. (mit Abb.)
       Rs.: Ein nackter geflügelter Genius steht nach l. Auf seiner vorgestreckten r.  
       Hand hält er eine kleine Figur im Mantel, welche ihre r. Hand erhoben hat und in        der l. Hand einen Bogen (?) hält. 1906 von Arthur Löbbecke erworben
Philomousos_Münzkabinett.png
Berlin 18245978

       Als Referenz ist Ruzicka 479, 1 angegeben. Unverständlicherweise steht dort
        “(dieses Stück)”.
  c) Varbanov III, 2007, 2626 (R6 = 50 - 100 Ex.!)
       Vs. Rad. hd. r.
       Rs. Naked Genius, winged, stg. l., holding idol in r. hand, bow and quiver in l.
       zitiert: Moushmov 1912, 4995; Moushmov, Serdika 1926, 506
Philomousos_Varbanov2626.jpg
Varbanov 2626

   d) Hristova/Jekov  2007, No. 12.46.41.1
       Abb. der Rs. aus Ruzicka und Varbanov und einer dritten (R6 = 20-50 Ex.)
      Rs.  Genius  hält  Statuette  (Muse)
HrJ_12.46.41.1_#3.jpg
Hristova/Jekov 12.46.41.1 #3

  e)  Corpus Nummorum online 5113
         Die Abb. der Münze stammt aus dem Münzkabinett Berlin; zitiert Ruzicka 2015, Varbanov          
2007, Hristova/Jekov 2007 (aber als Hristova!)
         Rs. Geflügelter Genius im langen Gewand nach links stehend, in der Rechten Statuette  der           Tyche mit Kalathos, stehend von vorn, Kopf nach links, in der Linken den  Bogen.
    f) Moushmov (1912), 4955 (über Wildwinds)
Ohne Abb. Rs. Genius (Apollo?) naked, standing, holding statuette in right hand, and  
quiver and bow in left, to left: ΦIΛOMOYCOC
115.- ($150), sehr selten (3. bekanntes Ex.!), S, fleckige Patina
Time  Machine,  Vcoins,  1.7.13

Anmerkungen:
(1) Philomousos = Liebhaber der Künste und Wissenschaften.
(2) Arthur Löbbecke (25.10.1850 – 17.04.1932) war ein Bankier und Münzsammler aus Braunschweig. Im Jahre 1906 erwarb das Münzkabinett Berlin von ihm 28.000 antike Münzen (Acc. 1906 Löbbecke) für 700.000 Mark. Seine numismatische Bibliothek, zwei Sammlungen von Renaissancemedaillen und zu weiteren Gebieten wurden zu seinen Lebzeiten versteigert.

Der entscheidende Durchbruch in der Diskussion aber kam durch die Beobachtung, daß die kleine Figur auf meiner Münze wie ein Falke aussieht. Damit war eine Verbindung zu Horus hergestellt. Dies übernahm Francis Jarman in seiner Arbeit “Eros on Roman Provincial Coins”, in der meine Münze abgebildet ist. Er schreibt:

"Auf einigen Æ-Münzen des Gallienus aus Serdica findet sich ein höchst eigenartiger Revers-Typus, der eine geflügelte männliche Figur zeigt, die unbestimmte Gegenstände hält. Die Katalogisierer dieses Typs (Moushmov, Ruzicka, Varbanov und Hristova/Jekov) bieten unterschiedliche Identifizierungen der Figur (Genius (Apollo?); geflügelter Genius; geflügelte männliche Figur; Genius) und des Gegenstands, den sie in der ausgestreckten R. hält (nichts; eine kleine Figur mit Mantel und erhobener Hand; eine Statuette; eine Muse).
Ich lehne mich jetzt mal weit aus dem Fenster und behaupte, daß es sich bei der Figur um Harpokrates oder einen "Harpokratischen Eros" handelt, und zwar aus den  folgenden  Gründen:
(1) Die Form des Kopfes
(2) Der Gegenstand, der in der ausgestreckten Rechten gehalten wird, sieht für mich wie ein Falke  aus.
(3) Der Gegenstand in der gesenkten Linken könnte ein Zweig sein, ebenfalls ein Attribut des Harpokrates, und nicht  etwa  ein  Bogen,  Köcher,  Pfeile  usw.
(4) Geflügelte "Harpokratische Eroten" sind in der antiken Kunst nicht unbekannt.
(5) Isis, Serapis und Harpokrates erscheinen alle auf Münzen aus Serdica.
Damit bleibt die rückseitige Inschrift ΦΙΛΟΜΟΥCΟC natürlich unerklärt. Wenn es sich nicht um einen Personennamen handelt (und warum sollte es das auf einer späten Münze aus Serdica sein?), könnte es sich um einen Verweis auf Apollo handeln (aber warum dann nicht Apollo darstellen und nicht eine zweideutige geflügelte Figur? ) oder sogar eine schmeichelhafte Anspielung auf den Kaiser sein (aber würde das nicht auf der Vorderseite stehen, wie der mysteriöse Beiname ΧPΥCΟΓΟΝΗ, der manchmal seiner Frau Salonina gegeben wird, es sei denn, die Rückseite zeigt tatsächlich Gallienus).
harpocratic Eros.jpg
Harpocratic Eros, Terracotta Figur aus Myrina, 100-50  v.  Chr.,  heute  im  Louvre  (Wikimedia). In der Antike war Myrina in Aeolien berühmt für seine Terrakottafiguren

Beantwortet werden sollten noch diese Fragen:
(1) Worum handelt es sich bei dem Objekt in der herabhängenden li. Hand?
(2) Welchen Kopfschmuck trägt Eros auf dem Kopf?
(3) Auf wen bezieht sich Philomousos?
(4) Welchen Hintergrund hat diese Münze?

zu  (1): Wenn es sich um einen Eros handelt, dann ist Bogen und Pfeil nicht abwegig. Aber Eros gibt es auch mit Peitsche, z.B. auf einem Delphin reitend. Und im Oedipus Aegyptiacus von Athanasius Kircher 1652 gibt es die Abbildung eines Harpokrates, der auch eine Peitsche über seiner re. Schulter hält (man beachte auch die  Haartracht!), von der Mensa Isiaca:
Harpokrates.jpg
Harpokrates aus dem Oedipus Aegyptiacus (Wiki)

Bei meiner Münze sieht es allerdings aus, als hingen noch 2 runde Objekte von der „Bogensehne“ herab. Dann könnte es auch eine Art von Spielzeug sein oder ein  Musikinstrument.

zu  (2): In der Diskussion im Numismatischen Forum vom Juli 2013 hat Invictus die Idee gehabt, daß es nichts anderes als das hochgesteckte Haar des Eros sein könnte, wie man es auf dem Bild der badenden Aphrodite aus der Eremitage in St. Peterburg  sehen kann:
Aphrodite.jpg
Römische Marmorkopie aus dem 2. Jh. n. Chr. nach einem griechischen Original wohl um 250 v. Chr. (Wikimedia)

Dafür spricht auch das Bild der Münze in der Vergrößerung. Dann meint man sogar noch das Band zu erkennen, das den Haarschopf zusammenhält! Diesen Haarschopf findet man auch auf Darstellungen des Harpokrates im griechisch-ägyptischen Stil, wenn man seine Kindlichkeit betonen will.

Zu (3): Gallienus war dafür bekannt, daß er hochgebildet und ein kunstbegeisterter Griechenfreund war. Damit war er eine rühmliche Ausnahme unter den damals herrschenden Verhältnissen. So spricht vieles dafür, daß Philomousos sich auf Gallienus  bezieht.

Zu (4): Bleibt zuletzt nur noch die Frage offen, warum man gerade diese ungewöhnliche Darstellung gewählt hat und welche Bedeutung der Bezug zur ägyptischen Mythologie für unser Bild von Gallienus haben soll. Für jede Meinung wäre ich dankbar!

Literatur:
(1) Athanasius Kircher, Oedipus  Aegyptiacus, 1652
(2) Nikola Moushmov Ancient Coins of the Balkan Peninsula, 1912
(3) Leon Ruzicka, Münzen von Serdika, 1915
(4) Leon Ruzicka, The Coins of Serdica (translated by Dane Kurth)
(5) Ivan Varbanov, Greek Imperial Coins, 2007
(5) Hristova/Jekov, Serdica, 2007
(6) Francis Jarman/Patricia Lawrence, Prolegomena to a Study of  Eros on Roman Provincial Coinage

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Jochen
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Re: Mythologisch interessante Münzen

Beitrag von Peter43 » Mi 27.03.24 11:25

Die baktrische Nana

Münze:
Baktrien, Reich der Kushan, Kanishka I., ca. 127/8-152
AE 24 (1/2 unit) 8.14g
Kapisha (Begram?), 1. Periode
Av.: BAΣIΛEYΣ BAΣI - ΛEΩN KANHÞKOY (von re. oben)
      Kanishka, bärtig, gekleidet in die übliche Königstracht: mit spitzem Helm, schwerem Mantel (Kaftan) und Hosen, frontal
stehend, Kopf n. l., stützt sich mit der erhobenen Linken auf Standarte, und opfert über Feueraltar, Flammen auf der Schulter
Rv.: NANAIA (li. von unten nach oben)
      Jongward & Cribb (2015) beschreiben die Rs. wie folgt: Nanaia in 3/4 Profil n. r., Kopf umgeben von einer Halo (Nimbus), oben
mit Mondsichel; Haare  von Diadem gehalten mit 2 Bändern, die links herabhängen, hinten in einem Knoten; gekleidet in ein lose
sitzendes, knöchellanges Gewand mit Ärmeln, hält in der re. Hand einen Stab mit Löwen-Protome und in der Linken eine Schale;
auf  der re. Seite das Tamgha des Kanishka
Ref.: Göbl MK 767; ANS Kushan 540-4; Donum Burns 159; Mitchiner ACW 3071-3073
Kushan_Nana.jpg
Anmerkungen:
Diesen Typ gibt es auch in Gold. Die Göttin wird auf der Münze mit ihrem griechischen Namen NANAIA genannt. Da Kanishka die griechischen Legenden noch in seinem 1. Regierungsjahr durch baktrische ersetzt hat, stammt diese Münze aus der 1. Edition. Das Þ (sho) haben die Kushans dem griechischen Alphabet hinzugefügt, um damit ihr „sh“ zu schreiben.

Baktrien:
Baktrien ist der historische Name einer Landschaft nördlich des Hindukusch und südlich des Amu Darja (antik Oxus), das heute zum großem Teil zum Norden Afghanistans gehört.
Nachdem Alexander der Große das Persische Reich erobert hatte, ließ Bessos, Satrap von Baktrien, Dareios III. ermorden und wollte sich zum König von Baktrien erheben. Aber er wurde von Alexander besiegt und Alexander ließ ihn wegen des Mordes an Dareios töten.
Nach dem Tod Alexanders 323 fiel Baktrien am Ende der Diadochenkriege an Seleukos I. Aber Baktrien war zu weit entfernt, um es effektiv kontrollieren zu können. So konnte sich der seleukidische Statthalter Diodotos 240 v. Chr. vom Seleukidenreich abspalten und sich mit der Gründung des griechisch-baktrischen Reiches unabhängig machen. Nach einem Krieg zwischen Demetrios und Eukratides spaltete sich das Land in ein griechisch-baktrisches und ein indisch-baktrisches Reich.
1280px-BactriaMap.jpg
Das Reich der Kushan:
141-129 v. Chr. wurde Baktrien von den Yuezhi (lat. Tochari) überrannt, einer indogermanischen Stammesgruppe aus der heutigen chinesischen Provinz Gansu, nachdem sie vor den Xion-gnu geflohen waren. 90 v. Chr. setzte sich der Clan der Kushan durch und gründete unter Kujula Kadphises (um 30-80 n. Chr.) das Kushanreich. Inzwischen vermutet man, daß Kushan nicht der Name einer ethnischen Gruppe, sondern der königlichen Dynastie ist. Nachdem die Kushans Baktrien erobert hatten, wurden sie kulturell und sprachlich assimiliert. Sie nahmen die baktrische Sprache an, ihre Kultur und Religion. Unter ihrem größten Herrscher, Kanishka I., breitete sich das Reich vom Aralsee bis zum westlichen China und nach ZentralIndien aus. Damit war das Kushanreich neben dem römischen Reich, dem Reich der Sassaniden und dem Reich der Han in China eins der mächtigsten Reiche der damaligen Welt, und eins der am höchsten entwickelten.
Eurasia_2nd_century_and_Kushan_Empire.jpg
Ein Grund dafür war die Seidenstraße, die große Wirtschaftsverbindung zwischen Ost und West. Die Herrschaft der Kushans dauerte fast 400 Jahre. Es sind insgesamt 13 Herrscher bekannt, von denen wir einige nur durch ihre Münzen kennen. Am Ende geriet es un-ter den Druck der iranischen Hunnen und der Hephthaliten. Das Ende kam dann durch die Expansion des Islam unter den Arabern.

Passend zu unserem Artikel kam jetzt die Nachricht, daß es in diesem Jahr einer Gruppe von deutschen Linguisten aus Köln gelungen ist, die Kushanschrift zu entziffern. Dies gelang, weil die Felsinschrift mit dem Text zweisprachig (bilingual) war und neben der Kushaninschrift eine Übersetzung im schon bekannten Baktrisch besaß. Dadurch ist es jetzt möglich, Informationen über die Kushans in ihrer Originalsprache zu erhalten.

Kanishka I., der Große:
Der bedeutendste Herrscher der Kushans war Kanishka I. (127-152), wobei die Jahreszahlen alle etwas ungenau sind, weil die Kushans eine eigene Zeiteinteilung hatten, die noch unbekannt ist. Aber er war ein Zeitgenosse von Hadrian und Antoninus Pius. Auf seinen Münzen erscheinen über 30 unterschiedliche Gottheiten, zunächst des griechisch-römischen Pantheons, und die Legenden auf seinen Münzen waren griechisch. Beispiel:

Münze #2:
Baktrien, Kushanreich, Kanishka I., 127-152 n.Chr.
AE 23, 8.55g, 23.04mm, 0°
Av.: BACILEVC BACI - LEWN KANHÞKOV
       Kanishka, bärtig, gekleidet in schweren Kushan-Mantel und Hosen, mit langen Schuhen und mit hohem Hut auf dem Kopf,
breitbreinig frontal stehend, in der li. Hand Standarte haltend, und mit der re. Hand über einem Altar opfernd; re. unten
       eine Keule(?); von den Schultern Flammen hervorgehend?
Rv.: HLIOC
       Der Sonnengott Helios, mit Nimbus (Strahlenkrone), n. l. stehend, re. Hand zum Gruß erhoben (in griech. Stil).        li. davor Tamgha des Kanishka
Ref.: cf. Göbl 766
selten
kushan_kaniskaI_Göbl766cf.jpg
Nach kurzer Zeit aber wandte er sich zoroastrischen und brahmanischen Gottheiten zu und seine Münzen erhielten baktrische Legenden. Seine weltgeschichtlich größte Bedeutung besteht wohl in seinen Einfluß auf die Verbreitung des Buddhismus. Er hielt das vierte große buddhistische Konzil ab, das in Kaschmir (oder in Kuvana bei Jalandhar) stattfand. Dieses Konzil gilt als Beginn des Mahayana, des Großen Fahrzeugs, der Hauptrichtung des Buddhismus. Die Vorsitzenden waren der Theologe Vasumitra und der Dichter Ashvaghosha. Als Patron des Buddhismus prägte er Goldmünzen mit den frühesten Abbildungen von Buddha. Außer dem Buddhismus stand Kanishka auch dem Mithras-Kult nahe. Von der Überlieferung wird Kanishka ein ähnliches Verhalten wie dem früheren buddhistishen König Ashoka (regierte ca. 268–238 v. Chr.) zugeschrieben: Grausamkeit in der Jugend und Frömmigkeit im Alter. Allerdings war Kanishka nicht ganz so friedlich und schenkungsfreudig wie Ashoka vier Jahrhunderte vor ihm. Die Legende führt sein Ende auf einen Volksaufstand wegen eines geplanten Kriegszuges zurück: er wurde im Krankenbett erstickt.

Die baktrische Nana:
Auf unserer Münze erscheint die Göttin unter ihrem griechischen Namen Nanaia. Als Kanishka I. in seinem 1. Regierungsjahr die Wendung zum Baktrischen vollzog, änderte sich der Name zum baktrischen Nana und später zu Nanasho, "Königin Nana", wobei das o nicht ausgesprochen wird. Sie ist die am häufigsten auf Münzen abgebildete Gottheit, was ihre Bedeutung für die Kushans bezeugt. Der Grund findet sich in der Rabatak-Inschrift. Dort wird nämlich bestätigt, daß sie den Kushanherrschern ihr Königtum verliehen hat. Auf 2 Münzen des Huveska, Sohn des Kanishka I., wird gezeigt, wie sie den vor ihr knieenden König mit ihrem Szepter segnet. Das erklärt dann auch ihre Beliebtheit bei den Kushanherrschern.

Ikonographie:
Auf unserer Münze trägt Nana einen Halo. Weil sie auf vielen Münzen auch eine Mondsichel auf dem Kopf trägt, haben einige dies als Symbol der Sonne und des Mondes angenommen. Dagegen spricht, daß der Halo der Nana keine Strahlen hat, wie man es bei der Sonne erwarten würde. Zudem gibt es Helios als selbständige Gottheit mit Sonnenstrahlen (Münze #2) und Selene. Die kleine Mondsichel wird allgemein als Symbol der Venus angesehen, wie es von Ishtar bekannt ist.

Interessant ist das Szepter in ihrer li. Hand. Das trägt am oberen Ende das Protome eines Löwen: die beiden nach vorne ausgestreckten Vorderfüße und dahinter der typische Halbkreis von Hals und Kopf. Falk schreibt dazu: Eine sehr unbeholfene Abbildung, aber sehr realistisch, wenn man sich das Sternbild ansieht.
Leo.jpg
Bereits bei meinem Artikel über den Löwen und den Stier habe ich gelernt, wie wichtig in der Antike astronomische Konstellationen waren. Der Löwe kann gut Leo bezeichnen, das Sternbild des Löwen, mit seinem hellsten Stern, dem Regulus (König).

Falk (2015) schreibt: Da sich Venus nie weit von der Sonne entfernt, sollte ihr Eintritt in den Löwen etwa im Juli/August erfolgen. Moderne Software ermöglicht es uns, einen Blick auf den Durchgang der Planeten durch den Löwen in den Jahren 120 bis 130 n. Chr. nachzuvollziehen. Er beschreibt die astronomischen Vorgänge folgendermaßen:

Die Venus trifft auf Regulus und durchquert den Löwen in einer geraden Bewegung in allen Jahren außer 127. In diesem Jahr berührt Venus die Vorderfüße (Omicron leonis) am 29. Juni, in einer Linie mit Mars und Mond, kaum sichtbar am westlichen Horizont um 19:40 Uhr für etwa 20 Minuten. Dann beginnt Venus ihre rückläufige Bewegung und begegnet Merkur und der Sonne am 14. Juli vor dem Löwen. Venus zieht sich weiter zurück bis 8. August, bis sie einen Abstand von 23° östlich der Sonne erreicht. Sie bleibt dann scheinbar stehen, dreht sich um und bewegt sich wieder in Richtung Löwe und berührt Omicron leonis am 8. September und Regulus am 14. September, beide gehen um 1:52 Uhr auf, die Morgendämmerung bricht um 5:11 Uhr an und die Sonne geht um 5:37 Uhr auf. In den ersten Tagen des Oktober verlässt Venus dann den Löwen.

Eine solche Kreisbewegung vor dem Sternbild des Löwen ist nicht die Regel, aber sie wiederholt sich alle 8 Jahre und ist somit vorhersagbar. Zumindest im Jahr 127 n. Chr. fiel der Zeitpunkt dieser Kreisbewegung mit der Regenzeit in Indien zusammen.

Münze #3:
Baktrien, Yuezhi, Sapadbizes, ca. 20 v. Chr. - 20 n. Chr.
AR 16 (Hemidrachme), 1.94g, 15.42mm
Av.: CAΠAΔBIZHC
       Büste, drapiert und behelmt, n. r., Helm dekoriert mit Stierhörnern und -ohren
Rv.: NANAIA, li. und re. beidemal von oben
       Löwe n. r. stehend, im oberen Feld Mondsichel über Λ (Lambda)
Ref.: Alram 1259, MACW 2824-8.
Lambda.jpg
Die erste Erwähnung der NANA findet sich bereits auf Silbermünzen der ersten Yuezhi-Herrscher in Baktrien, Arseiles und Sapadbazes, im 1. Jhd. v. Chr.

Auf dieser Münze ist Nana zwar benannt, aber nicht abgebildet. Ob aus Scheu weiß ich nicht. Aber dafür finden wir schon hier einen starken Hinweis auf eine astronomische Konstellation: Über dem Löwen findet sich die Mondsichel als Symbol für Venus über einem Λ (Lambda) für den  Löwen (wird auch als Tamgha interpretiert: Mond über Hügel. Das wäre aber sehr ungewöhnlich.)

Im Gegensatz zu der überwältigen Menge von Münzen auf denen Nana abgebildet ist, gibt es nur wenige Skulpturen von ihr. Das legt den Verdacht nahe, daß sie vielleicht eine dynastische Kultgöttin geblieben war, die niemals von den Massen angenommen wurde (Ghose 2006). Aber siehe dazu Pott (2001)!

Ein auch heute noch ungelöstes Problem ist ihre Herkunft. Da wir wissen, daß die Kushans die Kultur der Baktrier übernommen haben, werden sie auch Nana bereits vorgefunden haben. Eine Göttin namens Nana ist alt-mesopotamischen Ursprungs und bereits unter der III. Dynastie von Ur (21. Jhd. v. Chr.) bezeugt. Sie steht der Ishtar (Venus) nahe und hatte ein eigenes Kultzentrum in Uruk. In der hellenistischen und römischen Zeit wurde sie der Artemis (Strabio) oder der Aphrodite (Appian) gleichgesetzt. Sie findet sich in Palmyra, in Dura-Europos und Hatra. Wohl hängt auch die iranische Nanaia, deren Tempel Antiochos IV. plündern wollte (2. Makk. 1, 13, 15), mit der babylonischen zusammen.

Pott (2001) aber weist nach, daß die bereits in Babylon bekannte Nana strikt von Inanna und Ishtar unterschieden werden muß, da sie getrennt von ihnen aufgezählt wurde und auch unterschiedliche Opfergaben erhielt. Die Identifizierung mit Anahita stamme erst aus der späten Achämenidenzeit und der Zeit der Sassaniden, die sie zu Anahita transformieren wollten. Tatsächlich sei Nana eine Göttin gewesen, die bereits über 2000 Jahre vor den Kushans in Baktrien verehrt wurde, vielleicht durch die Vermittlung der Elamer mit ihrer Hauptstadt Susa. Sie war auch die bedeutendste Gottheit in Sogdien und Choresmien.

Pauly schreibt dazu allerdings kritisch, daß man Göttinnen des Namens Nana allein aufgrund ihres Namens nur mit Vorsicht der babylonischen Nana zuordnen könne. Das gelte für die baktrische Nanaia oder die Mutter des Attis in Phrygien. Der Vergleich nur wegen des Anklangs sei bei "Lallnamen" zu wenig begründet. Sie seien weit verbreitet und daher sei es schwierig bis unmöglich ihre genaue Herkunft zu bestimmen.

Genau wie im Nahen Osten wurde sie später in die Kulte lokaler Göttinnen aufgenommen, die bestimmte Aspekte und Eigenschaften mit ihr teilten. Es scheint, daß sie mit der hinduistischen Göttin Durga, der Gefährtin des Shiva, assimiliert wurde, die ihre kriegerischen Elemente übernahm, und mit einer wachsenden Zahl von indischen Göttinnen wie Ardoxso, Hariti, Laksmi und Uma, die ihre fruchtbareren Aspekte verwirklichten. Dadurch wurde sie bei den Menschen beliebt und breitete sich in ganz Nordindien aus. In Kaschmir und im Nordwesten, z. T. auch in Zentralasien, sind ihre Spuren noch im 6. bis 8. Jh. zu finden.

Anmerkungen:
(1) Tamgha ist das alt-türkische Wort für Brandzeichen, mit denen eurasische Nomaden ihr Vieh gekennzeichnet haben. Es wurde später bis ins Mittelalter hinein benutzt, um Clans und Familien zu bezeichnen.
(2) Bei der Rabatak-Inschrift handelt es sich um die Weiheinschrift einer Tempelanlage in der Nähe des Rabatakpasses in Afghanistan. Es handelt sich dabei um eine 500kg schwere Steinplatte mit Texten in Baktrisch und Griechisch, die zur Zeit des Kanishka I. verfaßt worden waren. Der Text ist fast vollständig erhalten und ein wichtiges Zeignis des Graeco-Buddhismus. Die Platte wurde 1993 zufällig von Mudschaheddin bei Schanzarbeiten gefunden. Der Text ist entziffert und veröffentlicht worden und war einer der Highlights im Afghanischen Nationalmuseum in Kabul. Als die Taliban 2001 eine Politik der Vernichtung vorislamischer Kunstwerke praktizierten, wurde das Nationalmuseum geplündert und das archäologische Areal von Rabatak mit Bulldozern zerstört. Die Steintafel aber konnte rechtzeitig gerettet werden. Nach dem Eingreifen des Westens in Afghanistan wurde sie wiedergefunden und in das Nationalmuseum zurückgebracht. Dort befindet sie sich auch noch heute und sieht einer ungewissen Zukunft entgegen.

Quellen:
(1) Strabo, Geographika
(2) Appian, Bellum Syriacum

Literatur:
(1) Wilhelm Heinrich Roscher, Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie
(2) Der Kleine Pauly
(3) Robert Göbl, DONUM BURNS Die Kushanmünzen im Münzkabinett Bern und die Chronologie, Vienna 1993
(4) Heinz Gawlik, Goddess Nana on the Bronze Coinage of Kanishka I, JONS Vol. 232, 2018 
(5) Mike Markowitz, Coins of the Kushan Empire, Coinweek.com 2019
(6) D. T. Potts, Nana in Bactria, Silk Road Art and  Archeology 7, 2001 
(7) Madhuvanti Ghose, Nana: The “Original” Goddess on the Lion, Journal of Inner Asian Art and Archaeology, Vol. 1, 2006
(8) Harry Falk, Kushan rule granted by Nana: The background of a heavenly legitimation, Monographie zur indischen Archäologie,
Kunst und Philologie, Band 23, 2015 
(9) Fabrizio Sinisi, Royal Imagery on Kushan Coins: Local Tradition and Arsacid Influences, Journal of the Economic and Social History
of the Orient 60 (2017)

Online-Quellen:
(1) Wildwinds
(2) Wikipedia,
(3) https://www.beastcoins.com/Kushan/Kushan.htm
(4) https://story.uni-koeln/die-unbekannte- ... entziffert

Mit freundlichem Gruß
Jochen
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Re: Mythologisch interessante Münzen

Beitrag von Peter43 » Sa 13.07.24 16:08

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Re: Mythologisch interessante Münzen

Beitrag von Larth » Sa 13.07.24 18:42

Wie immer sehr interessant
Danke Lg Larth

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Re: Mythologisch interessante Münzen

Beitrag von Peter43 » Sa 23.11.24 11:29

Die Chimaira

Münze:
Peloponnesos, Sikyon, ca. 330/20-280 v. Chr.
AR – Hemidrachme, 2.68g, 15mm, 90°
Av.: Chimaira auf Grundlinie n. l. gehend; re. Pfote erhoben
       unter der Chimaira ΣI
Rv.: Taube n. l. fliegend
Ref.: BCD Peloponnesos 294; HGC 5, 213
Sikyon.jpg
Zur Münze:
Chimaira (χμμαιρα) ist griechisch „Ziege“. Warum die Sikyonier auf ihren Münzen gerade die Chimaira dargestellt haben, dafür gibt es 2 mögliche Erklärungen. Zunächst ist der Mythos von Bellerophon in der Nähe lokalisiert: Korinth galt als der Ort, an dem Bellerophon den Pegasos zähmte, den er dann benutzte, um die Chimaira zu besiegen.

Doch bereits bei Homer gab es eine andere Version: Dort galt die Chimaira als Geschöpf Lykiens, wo sich zahlreiche Herrscher für Nachkommen des Bellerophon hielten.

Leon Lacroix nimmt an, daß sich der Name Chimaira auf den alten, ursprünglichen Namen Sikyons bezieht, der Aigialeia war. Der Wortstamm soll sich demnach von griech. αιξ, αιγος (aix, aigos), einem anderen Wort für Ziege, ableiten. Und der Hauptteil, das Besondere der Chimaira, sei eben dieser dritte Ziegenkopf.

Im Peloponnesischen Krieg waren es nach dem Verlust von Aegina an Athen die Münzen von Sikyon, mit denen die Ausgaben des Spartanischen Bundes bezahlt wurden. Pausanias kam Jahre zu spät, als Sikyon durch ein Erdbeben zerstört worden war. So hatte er keine Gelegenheit mehr, von den Sikyern die Entstehung ihrer lokalen Mythen zu erfahren.

Mythologie:
Die Chimaira bestand aus einem Löwen mit einer Schlange als Schwanz und einem Ziegenkopf in der Mitte. Feuerspeiend sei immer der Ziegenkopf gewesen. Nach Hesiod war der Vater dieses Untiers Typhon, die Mutter Echidna. Jedenfalls war sie göttlichen Ursprungs.

Nach Homers Ilias war es eine lykische Lokalsage aus dem Tal des Xanthos. Nach Apollodor soll sie dort zunächst von Amisodoros aus Lykien aufgezogen worden sein, nachdem dessen Söhne Maris und Atymnios im Trojanischen Krieg von den Söhnen des Nestors getötet worden waren. Sie verwüstete das Land weit und breit und tötete Menschen und Vieh. Als Bellerophon zu König Jobates von Lykien kam, wollte der ihn auf unauffällige Weise beseitigen und überredete ihn, die Chimaira zu erledigen. Mit Unterstützung von Poseidon, der ihm den Pegasos schenkte, konnte er sich in die Luft erheben und das Untier mit seinen Pfeilen töten. Nach Lysias hatte er an die Spitze seines Speers Blei gemacht. Als er den Speer der Chimaira in den Rachen geschossen hatte, schmolz es durch ihr Feuer, sei in ihren Leib gelaufen und habe sie getötet.
Später ist sie zusammen mit anderen Untieren in die Unterwelt versetzt worden. So bei Lukian, Totenge-spräche, und Vergil, Aeneis.

Mythische Fabeln
Lukrez hält die Chimaira für ein Symbol des menschlichen Lebens: In der Jugend sei der Mensch wild wie ein Löwe, in der Mitte des Lebens habe er die Sehschärfe der Ziege (d. h. Geistesklarheit), am Ende ringelt er sich zusammen wie die Schlange
Fulgentius hält sie für das Abbild der Liebe, die 3 Abschnitte habe: Den Beginn, die Fortsetzung und das Ende. Sie fällt den Menschen an wie ein Löwe, wird zur Wollust, wie man sie den Ziegen nachsagt, und endet dann mit dem Schlangenbiß der Sünde und Reue

Rationalistische Erklärungen:
Nach Plinius war Chimaira ein Vulkan in Kilikien.
Nach Servius sei es ein Berg gewesen, auf dem oben Löwen gehaust hätten, in der Mitte wegen der guten Weide viele Ziegen, unten aber Schlangen. So habe man ihn zur Chimaira gemacht. Bellerophon aber habe sie alle getötet und so konnte der Berg bewohnt werden. Plutarch erzählt, daß nach einigen ein Felsen auf einem Berggipfel Sonnenstrahlen so stark zurückgeworfen habe, daß alle Felder verdorrten. Bellerophon habe diesen Felsen durchhauen und abbauen lassen.
Nicander erzählt, daß einige sie für die Flüsse und Ströme hielten, die im Winter schnell laufen, deren Windungen dem Schwanz eines Drachen gleichen und die die Felder verwüsten, wenn sie über die Ufer treten. Die Pfeile des Bellerophon seien die Sonnenstrahlen gewesen, die sie austrockneten und endlich besiegten.
Andere hielten die 3 Köpfe der Chimaira für die 3 Anführer der Solymer, den Argos, Arsalos und Trosibios, die Bellerophon besiegt habe. Nach anderen seien es die 3 Völker gewesen, gegen die Bellerophon Krieg führen mußte: die Solymer, die wie die Löwen kämpften, die Amazonen, die sich auf Höhen aufhielten, und die Lykier, die wie Schlangen im Hinterhalt lagen.
Andere machten sie zur Frau des Amisodoros, die mit ihren beiden Brüder so eng zusammengelebt habe, daß sie wie eins angesehen wurden. Diese seien von Bellerophon gefangen genommen worden.
Lukian habe sie für ein Piratenschiff gehalten, das abwechselnd einen Löwen, eine Ziege, und einen Drachen als Zeichen geführt habe, um sich zu tarnen. Es sei von Bellerophon erobert worden, dessen Schiff den Pegasos zum Zeichen gehabt habe.

Hintergrund:
Aber schon in der Antike wurde die Chimaira als vulkanische Erscheinung gedeutet. Chimaira ist ein kleiner Ort in der Nähe des lykischen Olympos (70km süd-westlich des heutigen Antalya), das in der Antike für seinen Hephaistoskult berühmt war. Es war weithin bekannt für die „ewigen Feuer der feuerspeienden Chimaira“. Dies sind 2 getrennte Felder auf einem Berghang, aus denen Erdgas hervortritt und brennt. Hier wird sich das Hephaisteon befunden haben, von dem aber keine Reste überliefert sind.
Chimaira_gas_fires_2004-12-24_11.55.10.jpg
Erdgasfeuer bei Chimaira in Lykien (Wikipedia, Alexander Hoernigk)

Kunstgeschichte:
Eines der beeindruckendsten Beispiele etruskischer Bronzekunst ist die Chimäre von Arezzo. Sie wurde am 15. November 1553 beim Bau der mediceischen Festung bei Arezzo gefunden. Cosimo I. de' Medici nahm sie in Besitz und stellte sie im Palazzo Vecchio aus, dann im Palazzo Pitti, wo er sie persönlich reinigte, wie Benvenuto Cellini erzählt. Später gelangte sie in den Palazzo della Crocetta, das heutige Archäologische Nationalmuseum in Florenz.
5975870988_c3ec6aa53b_b.jpg
Die Bronzefigur wurde von ihren Entdeckern zunächst für einen Löwen gehalten, da ihr der Schwanz in Schlangenform fehlte. Es war erst Giorgio Vasari, der sie als Chimaira identifizierte. Nach den Angaben von Vasari wurde dann auch noch ein Teil des Schwanzes entdeckt. 1785 gelang es Francesco Carradori den Schwanz zu rekonstruieren und es stellte sich heraus, daß der Schlangenkopf in ein Horn des Ziegenkopfes beißt und sich nicht gegen den Angreifer richtet, was zu erwarten wäre, wenn es sich um eine Gruppe mit Bellerophon handeln würde, was viele annehmen. Jedenfalls handelt es sich um einen Todeskampf. Der Ziegenkopf scheint sich bereits sterbend zur Seite zu neigen.

Auf der re. Vorderpfote findet sich die Inschrift TINSCVIL was als „Opfergabe der Tinia“ gelesen wird. Tinia war der Hauptgott der Etrusker und entsprach dem griechischen Zeus. Deshalb nimmt man an, daß diese Bronzeskulptur eine Votivgabe war.

Heutige Bedeutung:
Seit dem 16. Jh. wird Chimäre in übertragenem Sinne für „Trugbild, Hirngespinst“ verstanden, als Symbol für etwas Unwirkliches und Absurdes. Möglich ist dabei eine Vermittlung über das afrz./frz. „chimere“. Z. B. schreibt „Die Welt“ vom 23.8.2019: „Gleichwertige Lebensverhältnisse im ganzen Land seien eine Illusion, und die Politik tue falsch daran, dieser Chimäre hinterherzulaufen – so das Fazit einer Studie.“

Anmerkungen:
(1) Lysias, *um 445 v. Chr, + um 380 v. Chr., war ein griechischer Logograph. Er entwarf für seine Klienten Reden mit genau berechneter Wirkung. Seine erhaltenen Reden sind eine Hauptquelle für die Kenntnis von den Verhältnissen in Athen nach dem Peloponnesischen Krieg (Wikipedia)
Logograph ist ein von Thukydides gebrauchter abwertender Ausdruck für einen Geschichtsschreiber, der seinen Ansprüchen nicht genügte.
(2) Fabius Claudius Gordianus Fulgentius, „der Mythograph“ war ein spätantiker lateinischer Autor des 6. Jh. n. Chr., wahrscheinlich aus Nordafrika.
Er gehörte offenbar der senatorischen Oberschicht an. Über sein Leben ist sonst nichts bekannt. Von ihm sind mehrere Werke erhalten, die besonders im Mittelalter viel gelesen wurden: Eine unvollendete, kurze Weltgeschichte in Gedichtform und 2 Schriften von Bedeutung: In den Mythologiae legt er zahlreiche klassische antike Sagen in christlichem Sinne aus und dann entwickelt er eine ehrgeizige christliche Interpretation der Aeneis des Vergil.
Er gilt heute nicht als bedeutender Autor und ist fast vergessen. Aber sein Werk ist ein Beispiel dadfür, daß die klassische Bildung (Paideia) noch in der ausgehenden Spätantike gepflegt wurde (Wikipedia).

Quellen:
(1) Homer, Ilias
(2) Hesiod, Theogonie
(3) Vergil, Aeneis
(4) Lukian, Totengespräche
(5) Lukrez, De rerum natura
(6) Pausanias, Reisen durch Griechenland

Literatur:
(1) Benjamin Hederich, Gründliches mythologisches Lexikon, Leipzig 1770 (Facsimile, auch online)
(2) Wilhelm Heinrich Roscher, Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, Leipzig 1884 (auh online)
(3) Der Kleine Pauly, dtv 1979
(4) Leon Lacroix, Quelques aspects de la numismatique sicyonienne, RBN 110, 1963
(5) Gemoll, Griechisch-Deutsches Schul- und Handwörterbuch, 1954

Online-Quellen:
(1) Wikipedia
(2) theoi.com
(3) DWDS (Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache)

Liebe Grüße
Jochen

Dieser Artikel befindet sich natürlich auch im neuen Band II des Mythologiebuches!
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Re: Mythologisch interessante Münzen

Beitrag von Peter43 » Sa 23.11.24 11:31

Natürlich wird der Thread mit den mythologiscch interessanten Münzen auch nach der Veröffentlichung des 2. Bandes weiter fortgesetzt. Jetzt mit meiner Münze des Jahres 2024:

Athena erfindet die Doppel-Flöte

Diese wunderbare, extrem seltene Münze war für mich natürlich ein "Muß". Technisch gehört der Aulos aber nicht zu den Flöten, sondern ist ein Zungeninstrument, eine Art von Doppeloboe.

Münze:
Bithynien, Nikomedeia, Maximinus I. Thrax, 235-238
AE 25, 7.73g, 24.76mm
Av.: Γ ΙΟV ΟVΗ ΜΑΞ - ΙΜEΙΝΟC ΑVΓ
       Büste, drapiert und cürassiert, belorbeert, n. r.
Rv.: ΝΙΚOMHΔЄΩΝ Δ - ΙϹ ΝЄΩΚΟΡΩΝ
        Athena mit korinthishem Helm, in langem, gegürteten Doppelchiton, nach li. thronend und n. r. blickend, hält in 
jeder Hand eine Flöte; re. hinter ihr der Schild
Ref.: nicht in Rec. Gen.; nicht in Coin Archives oder acsearch
Unpubliziert, unique?
Pedigree:
ex Morris coll. (Phil Peck)
Nicomedia_Maximinus.jpg
Auf seinem Umschlag steht: Devine. An interesting type that is unlike any type found.

Mythologie:
Athena war nicht nur die Göttin der Kriegskunst, der Weisheit und der Wissenschaften, sondern auch die Schutzherrin des Handwerks und der Künste. Sie erfand die Kultivierung des Ölbaums und die Herstellung des Öls. Nach Ovid erfand sie auch das Weben, Spinnen und Nähen, das Walken und Färben, die Baukunst, die Arzneikunst und die Poesie. So ist auch die Spindel eines ihrer Attribute.

Hyginus erzählt, daß es Athena war, die als erste eine Flöte aus Hirschknochen erfand. Sie kam zur Tafel der Götter, um ihnen vorzuspielen. Aber Hera und Aphrodite machten sich lustig über sie, weil die geblähten und vor Anstrengung geröteten Wangen ihr Gesicht entstellten. Athena lief in einen Wald und begann wieder zu spielen, jetzt für sich allein. Da sah sie plötzlich ihr Spiegelbild in einem Bach und erkannte, daß ihre Genossinnen recht hatten. "Es gab jeden Grund, sich über sie lustig zu machen", schrieb Hyginus. Athena wurde so zornig, daß sie die Flöte fortwarf und sie verfluchte. Der Fluch sollte jeden schwer bestrafen, der die Flöte aufhob. Und das war Marsyas, der lernte, sie kunstvoll zu spielen und dann Apollo herausforderte. Aber das ist eine andere Geschichte Es gibt auch die Erzählung, daß die erste Flöte aus Schilfrohr gewesen sei. Interessant ist, daß Athena die Flöte in Griechenland fortwarf, Marsyas sie aber in Phrygien fand!

Nach von Wilamowitz-Moellendorff steckt hinter dieser Mythologie die Ablehnung der phrygischen Flöte durch die Hellenen zugunsten ihrer attischen Kithara. Im heroischen Zeitalter galt sie als barbarisch.

Kunstgeschichte:
Um 450 v.Chr. schuf der berühmte Bildhauer Myron aus Eleutherai eine 2-Figuren-Gruppe, die auf der Akropolis in Athen aufgestellt wurde. Sie zeigt Athena, die gerade die Flöte weggeworfen und ihren Fuß daraufgestellt hat, und Marsyas, der sie entdeckt. Diese Gruppe zeigt aus Gründen der Dramatik gleichzeitig zwei unterschiedliche mythologische Situationen, die sowohl zeitlich als auch örtlich weit auseinander stattgefunden haben. Von ihr gibt es mehrere Kopien der römischen Kopie. Unser Bild zeigt die Kopie aus Frankfurt.
Myron_Frankfurt.jpg
Athena und Marsyas, Rekonstruktion der Myron-Gruppe im Garten der Liebieghaus Skulpturensammlung.

Daß die Abbildung einer flötenspielenden Athena extrem selten ist, kann man daran sehen, daß ich im Netz nur ein einziges Beispiel gefunden habe. Das Relieffragment stammt von einem Sarkophag und befindet sich heute im Herzegovina-Museum in Trebinje.
Trebinje.jpg
Foto: Ortolf Harl, 2019 März

Auf diesem Relieffragment erkennt man Athena am Helm und am Gorgoneion auf ihrem Brustpanzer. Auffallend ist das große Medusenhaupt neben ihr. Dies führt uns zu einer anderen Entstehungsgeschichte der Flöte: Nach den Pythischen Oden des Pindar hatte Athena die Flöte nach der Enthauptung der Medusa erfunden, um mit ihr die Melodie der Totenklage der Euryale, der Schwester der Medusa, nachzuahmen. Und nun verstehen wir auch, warum wir dieses Relief auf einem Sarkophag finden!

Jamben und die Elegie, das Klagelied, wurden stets vom Aulos begleitet. Der älteste griechische Elegiendichter war wohl Archilochos, von dem aber nur wenig Verse überliefert sind. Im Hellenismus wird die Elegie, besonders durch Kallimachos von Kyrene, zu einer kunstvollen, anspruchsvollen Dichtung entwickelt. Die subjektive Liebeselegie der augusteischen Zeit als Gattung gilt als eine Kreation der römischen Literatur. Seit den römischen Elegikern Tibull, Properz und Catull wurde ein Trauer- und Klagecharakter sowie eine sehnsuchtsvolle, schwermütige Grundstimmung zu ihrem dominierenden Inhalt.

Geschichte:
Der Streit darüber, ob Flöte oder Lyra älter ist, ist inzwischen entschieden. 1995 wurde in der Höhle Divje babe in Slowenien ein Bärenknochenfragment mit mehreren Löchern gefunden. Hergestellt wurde es von Nendertalmenschen. Einige Archäologen halten es für das älteste bekannte Musikinstrument.

Im Weltkulturerbe Geißenklösterle, einer Halbhöhle bei Blaubeuren auf der Schwäbischen Alb wurde 1990 eine 12.6cm lange Schwanenknochenflöte aus dem Radius eines Singschwans gefunden, eine zweite Flöte war aus einem Vogelknochen und eine dritte aus Mammutelfenbeinspänen zusammengeklebt. Alle Flöten stammen aus dem Aurignac und haben ein Alter von 42000-43000 Jahren.
Flöte 1.jpg
Schwanenknochenflöte aus dem Geißenklösterle

Die älteste literarische Erwähnung einer Flöte stammt aus einer Keilschrifttafel in sumerischer Sprache von 2600-2700 v. Chr. Flöten werden auch im Gilgamesch-Epos erwähnt.

Der Anblick eines antiken Aulosspielers muß seltsam angemutet haben. Der Druck der aufgeblasenen Wangen war nämlich so stark, daß sie durch eine Art Zaumzeug abgestützt werden mußten, durch Lederbänder, Phorbeia, die vom Mund über die Backen zum Hinterkopf liefen.
Apemutam.org.jpg
Apemutam.org.jpg (6.64 KiB) 578 mal betrachtet
Aulosspieler mit Phorbeia (apemutam.org)

Anmerkung:
Der Pedigree nennt Phil Peck. Phil Peck war für einige Jahre Kurator des Geldmuseums der Chase Manhattan Bank in New York, er-warb dann einen Master-Abschluß in Bibliothekswissenschaft und war dann Bibliothekar in verschiedenen Institutionen in New York. Sein zentrales Interesse aber war das Sammeln von römischen Münzen. Nach seinem Tod übergab Morris, sein älterer Bruder, seine Münzsammlung an „Heritage“, die sie unter dem Pseudonym „the Morris Collection“ verkaufte (Curtis Clay).

Quellen:
(1) Hyginus, Fabulae
(2) Apollodor, Bibliotheke
(3) Pindar, Pythische Oden
(4) Ovid, Fasti
(5) Catull, Gedichte

Literatur:
(1) Wilhelm Heinrich Roscher, Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie
(2) Der Kleine Pauly
(3) Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Der Glaube der Hellenen. Berlin 1931
(4) Hans-Joachim Hoeft, Münzen und antike Mythologie, Band I, 2011

Online-Quellen:
(1) //en.wikipedia.org/wiki/Elegiac_couplet#Greek_ origins
(2) en.wikipedia.org/wiki/Flute#History
(3) en.wikipedia.org/wiki/Marsyas#Mythology
(4) www.bambooblog.de/athena-und-marsyas/
(5) A. Jovanovic, The Jovan Ducic Art Collection, Trebinje 2000
(6) lupa.at/30800

Ein frohes neues Jahr!
Jochen
Omnes vulnerant, ultima necat.

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