Ringprägung und so...

Wie zahlten unsere Vorfahren? Was war überhaupt das Geld wert? Vormünzliche Zahlungsmittel

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Atalaya
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Ringprägung und so...

Beitrag von Atalaya » Do 23.12.21 10:31

20211219_214053_2.jpg
20211219_214147_2.jpg
Bermuda, Georg III (1760-1820), 1 Penny, 1793, Soho Mint, KM 5, Pridmore 5a. Graveur (Portrait): Jean-Pierre Droz.
Numis-Student hat geschrieben:
Di 30.11.21 21:09
Heute feiern wir übrigens 59.000 Themen 8O
... und doch war diese markante Münze bislang hier kein Thema. ;)

Beispielsweise hier und hier lässt sich der numismatische und historische Hintergrund des Bermuda-Pennies von 1793 nachlesen. Mein Exemplar hatte wohl jemand in den Händen, der Georg III. nicht wohlgesonnen war. :)

Nach der genialen Erfindung im Hermostal, blieb die Münzherstellung weit mehr als zweitausend Jahre im Grunde gleich. Erst um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert kamen dann jene entscheidenden technischen Verbesserungen auf, die dazu führten, dass Münzen in einer Beschaffenheit massenweise produziert werden konnten, wie wir sie heute als selbstverständlich nehmen: genau zentriert, auf einem ebenmäßig runden und planen Schrötling.

Bei diesen technischen Entwicklungen spielte die Soho Mint in Handsworth bei Birmingham eine entscheidende Rolle. Von dort aus verbreitete sich die neue Art Münzen zu prägen, rasend schnell innerhalb weniger Jahre um den Globus. Der Schweizer Jean-Pierre Droz (1746-1823) war zwar nicht der Erfinder der Ringprägung an sich, aber wohl der Prägung im segmentierten Ring. Matthew Boulton (1728-1809), der Besitzer der Soho-Mint, holte Droz 1788 nach England, wo dann die Droz'schen Erfindungen mit der neuen Dampfmaschinentechnologie verbunden werden sollten. Richtig grün waren sich die Beiden wohl nicht und Droz kehrte schon 1790 wieder nach Frankreich zurück. Susan Tungate unterstellte Droz in ihrer Dissertation 2011 eine Form von Industriespionage an der Soho Mint betrieben und später das in England erworbene Wissen als sein eigenes ausgegeben zu haben (S. 120). Ein Artikel in der Münzenwoche (a. d. Englischen) stieß schon 2010 in das gleiche Horn. Diesem Urteil entgegen stehen etwa das Lemma für Jean-Pierre Droz aus dem Forrer und zB. die zeitgenössische Oekonomische Encyclopädie.
Ein Irrthum ist es übrigens, wenn behauptet wird, nur durch Hr. Boulton's Maschine könnten dgl. Münzen wie die neuen englischen Fabrikmünzen geprägt werden, die sich von anderen dadurch unterscheiden, daß sie, zum Theil vertiefte, zum Theil erhabene Schrift, - erstere auf einem breiten auf der Fläche rund um die Münzen laufenden Rand - haben; daß auch ihre Ränder mit vertiefter Schrift versehen, und daß sie immer vollkommen rund sind.
Heinrich Gustav Floerke, Die Münzkunst und Münzwissenschaft. Oder vollständige Anleitung zur Kenntniß, Verfertigung und zur Kaufmännischen und politischen Würdigung der Münzen [Sonderdruck aus J. G. Krünitz (Hrsg.), Oekonomische Encyclopädie 97 (1805)] 954f.

Ohne genaues Quellenstudium wird man diese Frage sicher nicht mehr entscheiden können, aber - wie so oft im Leben - werden eher Beide von einander profitiert haben. ;)

Das Charmante am Bermuda-Penny ist nun für mich, dass er eine charakteristische frühe Maschinenprägung ist, die die typische inkus geprägte Signatur Droz' unten am Portrait Georg III. zeigt (bei meinem Stück leider nur noch schemenhaft zu erkennen), die später auch seine Napoleon I.-Münzen zierte. Die beiden Hauptprotagonisten der Revolution der Münzprägung - Boulton und Droz - sind also quasi im Bermuda-Penny vereint. :)

Viele Grüße,
Atalaya
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"...und noch heute ist es in Neapel höchst ergötzlich, die Münzen mit dem Kopfe Murats friedlich neben denen mit dem Kopfe Ferdinands im Gebrauch zu sehen."
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Re: Ringprägung und so...

Beitrag von Atalaya » So 26.12.21 13:31

Was haben die hübschen 'Conder-Token' und die Erzählungen Charles Dickens' eigentlich miteinander zu tun? Sind diese Token etwa das Ersatzzahlungsmittel, mit denen die 'Manchester-Kapitalisten' ihre Arbeiter entlohnten, damit sie mit den Token nur in den Fabrik-eigenen Geschäften einkaufen konnten, wodurch die Abhängigkeit der Arbeiter vergrößert wurde und die Fabrikbesitzer zusätzlich profitieren konnten? Kann mir das vielleicht jemand mal erklären und wenn das andere Token waren, vielleicht mal einen zeigen?
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Macclesfield, Charles Roe Copper Works, Halfpenny, 1791, Dalton - Hamer Bd. 1/1, Cheshire, Macclesfield, 35. Hergestellt von John Gregory Hancock.

Matthew Boulton besaß ja nicht nur die Soho Mint, sondern vertrieb auch gemeinsam mit einem gewissen James Watt jene Dampfmaschinen, die die Grundlage der industriellen Revolution waren. Im Zusammenhang mit den Conder-Token ist oft nur die Rede davon, dass sie geprägt wurden, um einem Kleingeldmangel entgegen zu wirken, weil der Staat zu wenig kleine Nominale prägen ließ. Andererseits sah sich die Krone 1831 aber schließlich doch genötigt, gegen die Ausgabe von Token vorzugehen. In der Dissertation von Susan Tungate (s. o., S. 26-28) wird das Problem zwar umrissen, aber die Zusammenhänge werden mir nicht ganz klar.
DSC_0500_1_2.jpg
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DSC_0505_2_5.jpg
Anglesey, Parys Mines, Halfpenny, 1788, Dalton - Hamer Bd. 3/11, Anglesey, Nr. 305.

 
Immerhin war es ja dann die Soho-Mint, die im Auftrag der Krone schließlich ausreichend kleine Kupfer-Nominale prägte, so dass das Problem temporär beseitigt wurde.

DSC_0502_2_2.jpg
DSC_0503_2_2.jpg
UK, Georg III. (1760-1820), 2 Pence, KM 619.
Zuletzt geändert von Atalaya am So 26.12.21 19:52, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Ringprägung und so...

Beitrag von KarlAntonMartini » So 26.12.21 19:21

Die Anglesey-Token standen am Anfang der Reihe von Token, die nach ihrem ersten Katalogautor John Conder benannt werden. Leider immer noch maßgeblicher Katalog der Dalton&Hamer, im Prinzip von 1910 ff. mit einigen Addenda neu gedruckt 1990 und 1996. Die Parys Mine Co. prägte die Token bei der Soho Mint aus eigenem Kupfer um ihre Arbeiter bezahlen zu können. Die echten Token waren zwischen 13 und 14 g schwer und übertrafen die offiziellen Halfpennies, die bis 1773 ausgegeben wurden (ca 10 g) deutlich an Gewicht. Deshalb gelangten sie bald in den allgemeinen Umlauf, natürlich wurden sie gefälscht, die Fälschungen wiegen zwischen 6 und 10 g. Ein echtes Truck-System hätte Token benötigt, die außerhalb des Unternehmens nicht umlauffähig waren. Ob es indirekt einen Geldrückfluß zum Unternehmen gab, hängt davon ab, welche Einkaufsmöglichkeiten und Pubs auf Anglesey für die Arbeiter erreichbar waren und wem diese gehörten. Dazu weiß ich leider nichts. - Wo hat Dickens Truck-Token beschrieben und wann? - Dein Token scheint mir D&H Anglesey 305 zu sein. Grüße, KarlAntonMartini
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Re: Ringprägung und so...

Beitrag von Atalaya » So 26.12.21 19:48

Mit Dickens wollte ich ganz allgemein auf die bekannterweise üblen Zustände für Arbeiter im frühkapitalistischen England anspielen; ob Ebenezer Scrooge Token ausgegeben oder Oliver Twist welche erhalten hat, weiß ich nicht. :)

Dass es diese Entlohnungssysteme gegeben hat, bestätigt ja die Gesetzgebung, deshalb frage ich mich, ob sich diese dabei verwendeten Token numismatisch fassen lassen. Das scheint mir doch eine interessante numismatisch/historische Frage zu sein.

Also die 'Conder-Token" fallen dann aufgrund ihrer Eigenschaft als allgemeiner akzeptiertes Zahlungsmittel nicht in diese Kategorie?
Die Randinschriften scheinen ja die Orte anzugeben, wo diese Token Gültigkeit haben sollten.

Vielen Dank für die Bestimmung! Gewicht und Durchmesser stehen zuhause, kann ich nachliefern.

Viele Grüße,
Iannis
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Re: Ringprägung und so...

Beitrag von KarlAntonMartini » So 26.12.21 20:13

Atalaya hat geschrieben:
So 26.12.21 19:48

Also die 'Conder-Token" fallen dann aufgrund ihrer Eigenschaft als allgemeiner akzeptiertes Zahlungsmittel nicht in diese Kategorie?
ielen Dank für die Bestimmung! Gewicht und Durchmesser stehen zuhause, kann ich nachliefern.

Viele Grüße,
Iannis
Das ist so, denn das eigentliche Truck-System funktionierte nur, wenn das "Geld" nur beim Herausgeber genutzt werden konnte, also keinen monetären Wert hatte. In Frage kommen Papiergeld oder Bleigüsse. Hilton in seiner Studie spricht von "Tickets", ohne näher darauf einzugehen. https://www.jstor.org/stable/1833293 - Als Truck-Token werden auch Abrechnungsmarken bezeichnet, z.B. in der Landwirtschaft die "Hop-token": für eine bestimmte Menge Erntegut gab es auf dem Feld eine Marke, die am Abend oder Wochenende in echtes Geld umgetauscht wurde. In anderen Branchen auch als "Tally" bezeichnet.
Grüße, KarlAntonMartini
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Re: Ringprägung und so...

Beitrag von Atalaya » So 26.12.21 20:29

Vielen Dank für die Informationen. Es ist schon toll, welche Anregungen von Münzen ausgehen.
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Re: Ringprägung und so...

Beitrag von Atalaya » Mi 29.12.21 11:31

William McKivor, der Autor des im ersten Post verlinkten Artikels in der Münzenwoche, behauptet dort ohne Nachweis, dass die Boulton'sche 'Medallic Scale' eine direkte Reaktion auf eine Medaille Jean-Pierre Droz' gewesen sei, mit der Boulton die technischen Neuerungen für sich reklamierte. Droz solle auf seiner Medaille die Errungenschaften der Soho-Mint für sich beansprucht haben.

Die angelsächsische Literatur scheint mir einigermaßen parteiisch in dieser Frage zu sein und das gebotene sine ira et studio außer acht zu lassen ;)
antoninus1 hat geschrieben:
Fr 05.02.21 21:29
Hier als Ergänzung eine in der Soho Mint produzierte Medaille mit dem Portrait Boultons, mit der angeblich in Frankreich für dieses Schrötlingsdesign und die Fähigkeit der dampfbetriebenen Prägemaschinen geworben wurde. Es ist aber wohl nicht ganz klar, ob diese Medaillen nicht erst etwas später geprägt wurden.


Gegen McKivors Annahme spricht m. E., dass die Boulton'sche Medaille keinen persönlichen Bezug auf Droz enthält. Außerdem fehlt mir in der Münzenwoche eine Abbildung des Droz'schen Stückes (Auf McKivors eigener Webseite gibt es eine Abbildung.). Dass Hersteller von Münzen dieses Medium auch als Werbeträger in eigener Sache nutzten, liegt doch in der Natur der Sache. Da gibt es schließlich auch Beispiele von Dritten.

Fest steht jedenfalls, dass die Franzosen bald Münzen emittierten, die den "neuen englischen Fabrikmünzen" im Design entsprachen, jedoch wesentlich kleiner und zierlicher daher kamen.
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Kgr. Westphalen, Hieronymus Napoleon (1807-1813), 3 Centimes, 1812 C, Jaeger 31.
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Frankreich, Napoleon I (1804-1814, 1815), 10 Centimes, 1809 A, Gadoury 190 - KM 676.

Kann jemand etwas zu den Hintergründen dieser Münzserien beisteuern? Insbesondere würde mich interessieren, warum solche Münzen im Mutterland und in Westphalen ausgegeben wurden, aber z. B. nicht in Italien.

Viele Grüße,
Atalaya

Edit: Link zur Droz'schen Probe hinzugefügt.
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